Urteil des OLG Köln vom 10.03.2000

OLG Köln: preisliste, widerklage, saldo, differenzausgleich, händler, zustellung, gestatten, sparkasse, ausgabe, spezifikation

Oberlandesgericht Köln, 19 U 141/99
Datum:
10.03.2000
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
19. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
19 U 141/99
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 20 O 137/99
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 20. Zivilkammer des
Landgerichts Köln vom 28. Juli 1999 - 20 O 137/99 - aufgehoben und die
Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die
außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens, an das Landgericht
zurückverwiesen. Gerichtskosten für das Berufungsverfahren werden
gem. § 8 GKG nicht erhoben.
T a t b e s t a n d
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Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung einer Restkaufpreisforderung in Höhe von
158.266,67 DM aus diversen Warenlieferungen an Niederlassungen der Beklagten in B.
und M. in Anspruch. Sie hat behauptet, diese Forderungen seien zwischen den Parteien
abgestimmt und anerkannt worden.
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Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 158.266,67 DM nebst 11,5 % Zinsen seit
dem 20.4.1998 sowie 16.140,94 DM Inkassokosten zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen;
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widerklagend, die Klägerin zu verurteilen, an die Beklagte 255.089,-- DM nebst 4 %
Zinsen ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte hat behauptet, der mit der Widerklage geltend gemachte Betrag stehe ihr
nach Saldierung der wechselseitigen Forderungen als sog. Lagerdifferenzausgleich zu.
Sie hat sich dabei auf eine zwischen den Parteien geschlossene Rahmenvereinbarung
nebst Anlagen vom 11.1./22.2.1995 gestützt. In Anlage 1 (Handelsvertrag) zur
Rahmenvereinbarung heißt es u.a.:
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"Senkt der Vertragslieferant (Klägerin) seine gültigen EK-Preislisten im Bereich EK u.
VK, so erhält KE (Beklagte) vom Lieferanten auf den aktuellen Lagerbestand einen
Differenzausgleich in Höhe des Differenzwertes."
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Dieser Lagerdifferenzausgleich hatte zum Ziel, dass bei vom Lieferanten
vorgenommenen Preissenkungen der am Lager des Bestellers vorhandene, noch nicht
verkaufte Warenbestand zu dem neuen, gesenkten Preis bewertet und die sich daraus
ergebende Differenz mit ausstehenden Forderungen des Lieferanten verrechnet wurde.
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Die Beklagte hat behauptet, am 4.12.1996 habe im Hause der Beklagten eine
Besprechung zwischen den Parteien stattgefunden. Dabei habe die Klägerin erklärt, sie
habe neue Preislisten, die ab 5.12.1996 gelten sollten und habe diese Preislisten
überreicht. Nach diesen Listen seien sowohl die EK-Preise als auch die VK-Preise
drastisch gesenkt worden. Die Klägerin habe auch erklärt, sie könne sich weitere
Geschäftsbeziehungen nur vorstellen, wenn die Beklagte einen sog. "Bose-
Partnerschaftsvertrag-Partner-2000" unterzeichne. Hierüber habe trotz zahlreicher
Verhandlungen keine Einigkeit erzielt werden können.
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Die Beklagte hat weiter vorgetragen, sie habe entsprechend der vereinbarten
Differenzklausel sowohl für M. als auch für B. jeweils unter dem 13.12.1996 eine
Aufstellung über ihren jeweils bestehenden Ausgleichsanspruch gefertigt. Dabei habe
sie aus der EDV den Lagerbestand herausgezogen und den alten Einkaufspreis mit
dem neuen Einkaufspreis entsprechend der neuen Händlerpreisliste vergleichen.
Bezüglich B. habe sie von den Einkaufspreisen entsprechend den damals zwischen
den Parteien geltenden Konditionen 12 % Rechnungsrabatt in Abzug gebracht, ebenso
sei in M. verfahren worden, der Zeuge H. habe auf der Grundlage dieser Daten zwei
Belastungsanzeigen erstellt, die auch in der von der Klägerin überreichten Aufstellung
enthalten seien.
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Die Klägerin hat beantragt,
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die Widerklage abzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf
den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
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Das Landgericht hat der Klage mit Ausnahme des geltend gemachten Inkassobetrages
und unter Reduzierung des Zinsanspruchs stattgegeben und die Widerklage
abgewiesen. Zur Begründung der Abweisung der Widerklage hat es ausgeführt, die
Beklagte habe diese Forderung nicht schlüssig dargetan. Wegen der weiteren
Begründung wird auch insoweit auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung
verwiesen.
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Mit der form- und fristgerecht eingelegten und auch rechtzeitig begründeten Berufung
macht die Beklagte geltend:
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Das Verfahren vor dem Landgericht leide an mehreren wesentlichen
Verfahrensmängeln, die eine Aufhebung und Zurückverweisung nach § 539 ZPO
rechtfertigten. Das Landgericht habe mit der Nichtannahme des Schriftsatzes vom
15.6.1999 und Nichtbeachtung des darin enthaltenen Vorbringens den Anspruch der
Beklagten auf das rechtliche Gehör verletzt; das Vorbringen sei nicht verspätet
gewesen. Auch im übrigen beruhe die angefochtenen Entscheidung darauf, dass das
Landgericht den Akteninhalt unvollständig gewürdigt habe. So habe es gerügt, die
Beklagte habe noch nicht einmal die entsprechende Rahmenvereinbarung gerügt,
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obwohl sie von der Beklagten ausweislich des Protokolls in der mündlichen
Verhandlung vom 16.6.1999 vorgelegt und zu den Akten genommen worden sei.
Das Landgericht habe die Klageforderung auch zu Unrecht als nach Grund und Höhe
unstreitig angesehen, die Beklagte habe bereits in ihrer Klageerwiderung die fehlende
Nahvollziehbarkeit der Berechnung der Klägerin beanstandet, auch das behauptete
Anerkenntnis sei bis heute nicht belegt.
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Die Beklagte ist weiter der Ansicht, ihr stehe aufgrund der in dem Rahmenvertrag
zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung ein Lagerdifferenzausgleich in Höhe
von 314.128,82 DM zu und legt hierzu Berechnungen vor. Die Klägerin habe anlässlich
eines am 4. Juni 1996 im Haus der Beklagten geführten Gesprächs erklärt, ab 5.
Dezember 1996 gelte eine neue Preisliste. Die Preisliste sei bereits erstinstanzlich
vorgelegt worden (AH 10 ff.), hiernach seien sowohl die Einkaufs- als auch die
Verkaufspreise drastisch gesenkt worden. Deshalb habe die Beklagte entsprechend der
vereinbarten Lagerdifferenz-Ausgleichsklausel für M. und B. jeweils unter dem
13.12.1996 Belastungsanzeigen ausgestellt, wie sie sich aus den Listeneinkaufspreisen
abzüglich der zwischen den Parteien vereinbarten Konditionen ergeben hätten.
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Die Beklagte beantragt,
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unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage insgesamt
abzuweisen und auf die Widerklage hin die Klägerin zu verurteilen, an die Beklagte
314.128,82 DM nebst 5 % Zinsen aus 255.089,-- DM seit Zustellung der Widerklage
sowie 5 % Zinsen aus weiteren 59.039,82 DM seit Zustellung der Berufungsbegründung
zu zahlen;
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ihr zu gestatten, Sicherheiten auch durch Bürgschaften einer deutschen Großbank, einer
Genossenschaftsbank oder einer öffentlichen Sparkasse erbringen zu können.
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Die Klägerin beantragt,
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die gegnerische Berufung zurückzuweisen;
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ihr zu gestatten, Sicherheiten auch durch Bürgschaften einer deutschen Großbank, einer
Genossenschaftsbank oder einer öffentlichen Sparkasse erbringen zu können.
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Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung. Sie ist der Ansicht, die Beklagte habe die
Klageforderung schon erstinstanzlich nicht qualifiziert bestritten, der Beklagten hätten
auch schon vorprozessual sämtliche Unterlagen über die Einzelpositionen vorgelegen.
Die Klägerin behauptet, der Saldo der wechselseitigen Forderungen der Parteien aus
der Belegnummer 100029 betreffend die K. Electronic GmbH K. habe zum Stichtag
19.8.1998 zugunsten der Beklagten 148.871,69 DM betragen; aus der Belegnummer
100017 betreffend die K. Electronic GmbH B. ergebe sich ein Saldo zugunsten der
Klägerin von 101.437,02 DM und aus der Forderungsaufstellung betreffend die K.
Electronic GmbH M. ein Saldo von 205.661,34 DM zugunsten der Klägerin.
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Zur Widerklage ist die Klägerin der Ansicht, die Beklagte habe bis zum Schluss der
mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht ihre Forderung zum Grund, jedenfalls
aber zur Höhe nicht schlüssig begründet, das Vorbringen im Schriftsatz vom 16.6.1996
sei zu Recht unberücksichtigt geblieben. Der Beklagten stehe auch kein Anspruch auf
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Lagerdifferenzausgleich zu. Zwischen den Parteien habe es keine Veränderung der
Ein- und Verkaufspreise gegeben. Die "Partner 2000 Händler Preisliste" könne die
Beklagte zum Beleg der seit dem 5.12.1996 reduzierten Einkaufspreise nicht anführen,
weil diese nur für die Unternehmen gelte, die diesen Vertrag auch abgeschlossen
hätten; Hierauf habe die Klägerin immer wieder hingewiesen. Für die Nicht-
Vertragshändler würden die bisher gültigen Preise nach wie vor gelten. Die Behauptung
der Beklagten, die Klägerin habe erklärt, es gelte ab 5.12.1996 generell eine neue
Preisliste, sei unzutreffend.
Auch zur Höhe sei die Berechnung der Beklagten nicht nachvollziehbar, die
behaupteten Lagerbestände seien auch nicht nachprüfbar.
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Wegen der Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf die Schriftsätze der
Parteien nebst den überreichten Unterlagen Bezug genommen.
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E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E
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Die zulässige Berufung der Beklagten führt zur Aufhebung der angefochtenen
Entscheidung und Zurückverweisung an das Landgericht gem. § 539 ZPO, weil das
erstinstanzliche Verfahren an einem wesentlichen Verfahrensmangel leidet, auf dem die
Entscheidung beruht.
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Das Landgericht hat verfahrensfehlerhaft den Vortrag der Beklagten zum
Lagerdifferenzausgleich als nicht ausreichend (unsubstantiiert) angesehen und
ebenfalls zu Unrecht deren Vorbringen im Schriftsatz vom 15.6.1999 gem. § 296 a ZPO
nicht berücksichtigt. Hierauf beruht die angefochtene Entscheidung, da die Sache
ansonsten nicht entscheidungsreif gewesen wäre, vielmehr Beweis hätte erhoben
werden müssen. Es hat desweiteren der Beklagten zu Unrecht vorgehalten, sie habe
nicht einmal die entsprechende Rahmenvereinbarung, auf die dieser Anspruch gründet,
vorgelegt (S. 7 unten des Urteils); ausweislich des Protokolls vom 16.6.1999 (Bl. 45, 46
d.A.) hat deren Prozessbevollmächtigte die Rahmenvereinbarung in der Sitzung in
Photokopie überreicht, sie ist als Anlage zum Protokoll genommen worden (SH II Bl.
82). Darüber hinaus war die Forderung der Klägerin keinesfalls insgesamt unstreitig,
wie sich aus ihrer Klageerwiderung ergibt (Bl. 36 d.A. Ziff. II.); das gilt insbesondere
hinsichtlich der Klageerhöhung um 41.824,98 DM.
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Die Beklagte stützt ihre Widerklageforderung auf Anlage I des zwischen den Parteien
geschlossenen Rahmenvertrages, der wie folgt lautet:
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"Senkt der Vertragslieferant (Klägerin) seine gültigen EK-Preislisten im Bereich EK u.
VK, so erhält KE (Beklagte) vom Lieferanten auf den aktuellen Lagerbestand einen
Differenzausgleich in Höhe des Differenzwertes."
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Hierzu hat die Beklagte in ihrer Klageerwiderung unter Beweisantritt vorgetragen, am
4.6.1996 habe im Hause der Beklagten ein Gespräch zwischen den Parteien
stattgefunden, anlässlich dessen die Klägerin neue, ab 5.12.1996 geltende Preislisten
überreicht habe (Bl. 32 d.A.); die Beklagte hat diese als Anlage beigefügt (Anlage B 1).
Auf dem Deckblatt derselben (Innenseite) befindet sich der Satz: "Alle bisherigen
Preislisten verlieren hiermit ihre Gültigkeit." Die Beklagte hat weiter ausgeführt, nach
dieser Liste hätten sich die EK- und VK-Preise drastisch gesenkt, sie habe deshalb
entsprechend der Klausel einmal für M. und einmal für B. jeweils unter dem 13.12.1996
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eine Aufstellung über ihren Ausgleichsanspruch erstellt. Sie hat desweiteren die
jeweiligen Mitarbeiter namentlich als Zeugen benannt, die die Aufstellung gefertigt
hätten, die Aufstellungen beigefügt (Anlagen B2 - B4) und geschildert, wie die Zeugen
den Differenzausgleich ermittelt hätten, nämlich durch Herausziehung des
Lagerbestandes aus der EDV und Vergleich der EK-Preise nach der neuen
Händlerpreisliste unter Abzug der jeweils geltenden Rechnungsrabatte. Diese
Berechnungen seien am Erstellungstag, dem 13.12.1996 an die Klägerin versandt
worden (Bl. 34 d.A.). Desweiteren hat die Beklagte vorgetragen, die Klägerin habe
anlässlich der Überreichung der Preislisten erklärt, dass sie sich weitere
Geschäftsbeziehungen nur vorstellen könne, wenn die Beklagte den "Bose-
Partnerschaftsvertrag-Partner-2000" unterzeichnen werde; die Verhandlungen hierüber
seien im Laufe des Jahres 1997 gescheitert. Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, die
Klägerin könne sich nicht darauf zurückziehen, die Partner-2000 Preisliste gelte nur für
die Partner, die den neuen Vertrag unterschrieben hätten (Bl. 35 d.A.).
Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 1.6.1999, bei Gericht am 2.6. (Bl. 42 d.A.) und bei
der Beklagten am 7.6.1999 eingegangen (Bl. 96 d.A.), erwidert und gerügt, die Beklagte
habe eine Spezifikation zum Zeitpunkt der Preissenkung bringen und jeden einzelnen
im Lager befindlichen Gegenstand einzeln vergleichend aufführen müssen und die
Ansicht vertreten, die Beklagte könne sich nicht auf die neue Preisliste berufen.
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In der mündlichen Verhandlung vom 16.6.1999 (früher erster Verhandlungstermin) hat
die Kammer die Beklagte darauf hingewiesen, sie halte deren Forderung zumindest zur
Höhe nicht für hinreichend substantiiert und es abgelehnt, einen Schriftsatz des
Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 15.6.1999 entgegenzunehmen; zugleich
hat sie deren Antrag auf Schriftsatznachlass abgelehnt (Bl. 46 d.A.). Diesen Schriftsatz
hat die Beklagte dann an das Gericht gefaxt, dort ist er am 16.6.1999 eingegangen (Bl.
50 d.A.), das Landgericht hat ihn gem. § 295 a ZPO unberücksichtigt gelassen. In ihm
hat die Beklagte unter Beweisantritt ausgeführt, dass die Höhe der Belastungsanzeigen
zum Lagerdifferenzausgleich zwischen den Parteien zu keinem Zeitpunkt streitig
gewesen sei, die mittels EDV erhobenen Lagerbestände entsprächen denen am
Stichtag 5.12.1996; die der Klägerin übersandten Anlagen zu den Belastungsanzeigen
hätten die konkreten Artikel, deren Menge, die Einzeldifferenz und die Gesamtdifferenz
enthalten; aus den der Klägerin übersandten EDV-Auszügen in Hardcopy-Ausgabe
habe sich artikelbezogen und artikelgenau der Bestand pro Markt ergeben (Bl. 51 d.A.).
Die Klägerin habe die Richtigkeit der EDV-Bestandslisten zu keinem Zeitpunkt
angezweifelt und auch nie auf die Notwendigkeit einer Inventur hingewiesen.
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ie obigen Darlegungen belegen hinreichend, dass der Vortrag der Beklagten zu Grund
und Höhe hinreichend substantiiert war, das Landgericht ihn nur nicht hinreichend
gewürdigt hat. Die Beklagte hatte dargelegt, worauf sie ihre Forderung gründete und wie
sie sie berechnete. Mehr bedurfte es zunächst nicht, weil der Klägerin alle
Berechnungsunterlagen bereits vorprozessual zugegangen waren und sie auch die
Berechnungsschlüssel genau kannte. Wenn der Kammer dies zum Verständnis nicht
ausreichte, hätte sie die Beklagte hierauf hinweisen und ihr Gelegenheit geben müssen,
näher auszuführen. Das war angesichts der Komplexität der Materie eine
Selbstverständlichkeit. Keinesfalls aber hätte die Kammer das Vorbringen der Beklagten
im Schriftsatz vom 15.6.1999 unberücksichtigt lassen dürfen, sondern notfalls die
mündliche Verhandlung wieder eröffnen müssen (§ 156 ZPO). Deshalb erübrigt sich
eine Vertiefung der im Ergebnis wohl zu verneinenden Frage, ob § 296a ZPO überhaupt
Anwendung findet, ob es sich also um Angriffs- oder Verteidigungsmittel nach Schluss
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der mündlichen Verhandlung handelt, wenn eine Partei als Reaktion auf einen
Schriftsatz der Gegenseite in die mündliche Verhandlung einen Schriftsatz mitbringt,
dessen Inhalt vorträgt (so Bl. 95 d.A.) und die Kammer es ablehnt, diesen Inhalt zur
Kenntnis und des Schriftsatz anzunehmen, so dass die Partei ihn nach Schluss der
Verhandlung über die Geschäftsstelle einreichen muss. Die Kammer hätte allenfalls
prüfen können, ob das Vorbringen verspätet i.S. des § 296 ZPO war, was zu verneinen
war. Denn aus dem Schriftsatz vom 15.6.1999 ergab sich eindeutig, dass vorprozessual
die Berechnungen der Beklagten zum Lagerdifferenzanspruch unstreitig waren, der
Streit der Parteien nur darum ging, ob die Beklagte ihn auf die Änderung der Preisliste
2000 stützen konnte, was das Landgericht hat dahingestellt sein lassen. Deshalb
bedurfte es keiner weitergehenden Substantiierung als in der Klageerwiderung
geschehen. Erst als die Klägerin erstmals im Schriftsatz vom 1.6.1999 auch die
Berechnungsgrundlagen in Zweifel zog, war die Beklagte gehalten, hierzu näher
auszuführen, was sie im Schriftsatz vom 15.6.1999 getan hat. Das hat sie angesichts der
Komplexität der Materie auch rechtzeitig getan. Die Nichtbeachtung des Schriftsatz und
des Vortrags der Beklagten hierzu in der mündlichen Verhandlung stellte einen
entscheidungserheblichen Verfahrensfehler dar, welcher der Kammer auch
Veranlassung geben müssen, die mündliche Verhandlung gem. § 156 ZPO wieder zu
eröffnen (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 22. Aufl., § 156 Rn 2) und die Sache aufzuklären.
Denn auch das Landgericht hat die Frage, ob die Beklagte ihrer Berechnung die
Händlerpreisliste 2000 zugrunde legen kann, nicht verneint (Vertrauensschutzgedanke
u. § 242 BGB, Seite 7 UG), und zwar zu Recht. Die Klägerin durfte die Beklagte,
solange das alte Vertragsverhältnis bestand, nicht deshalb benachteiligen, weil diese
nicht den neuen Vertrag "Partner 2000" abschließen wollte; das wäre aber, sollte die
Beklagte von der ab 5.12.1996 geltenden Preissenkung ausgeschlossen bleiben, der
Fall gewesen, weil die neuen Preise erheblich unter den alten lagen; teilweise
unterschritten die neuen Einkaufspreise sogar die alten Verkaufspreise, wie die
vorgelegten Unterlagen und die von der Beklagten aufgestellten Tabellen belegen.
Damit wurden die bereits vorhandenen Lagerbestände der Beklagten faktisch entwertet.
Das war gerade der Umstand, zu dessen Korrektur die Parteien einen
Ausgleichsanspruch vereinbart hatten; ihn durfte die Klägerin mit einer
Geltungsbeschränkung der Preisliste auf bestimmte Vertragspartner und dem damit
verbundenen Zwang, den "Partner 2000 Vertrag" abzuschließen, nicht umgehen.
Angesichts dessen bedarf es auch keiner weiteren Ausführungen zu der von der
Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerten Ansicht, die
Beklagte habe schon von der äußeren Aufmachung der neuen Preisliste erkennen
können, dass diese nur für "Partner 2000" gelten sollte; die von der Beklagten
vorgelegte - ab 5.12.1996 gültige - Händler-Preisliste (SH II Bl. 20) gibt hierauf keinen
Hinweis und enthält im Inneren (Bl. 21 R) ebenfalls den ausdrücklichen Hinweis, "Alle
vorherigen Preislisten verlieren hiermit ihre Gültigkeit".
Soweit das Landgericht ein Problem darin gesehen hat, dass eine Senkung der EK- und
VK-Preise erforderlich war, handelt es sich um ein Scheinproblem. Dass die
Voraussetzungen eines Anspruchs auf Lagerdifferenzausgleich gegeben waren, falls
die Beklagte sich auf die Händler-Preisliste "Partner 2000" berufen kann, war und ist
unstreitig; die Berufungsbegründung hat hierzu auch Tabellen vorgelegt, die dies
belegen.
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Das Landgericht wird daher aufzuklären haben, welcher Lagerbestand mit von der
Klägerin gelieferten Waren sich am 5.12.1996 bei der Beklagten befand und welche
Lagerdifferenz-Ansprüche der Beklagten unter Zugrundlegung der ab 5.12.1996
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geltenden Preislisten der Klägerin sich hieraus ergeben. Eine eigene Klärung dieser
Frage durch den Senat ist wegen des Umfangs der noch durchzuführenden
Ermittlungen nicht sachdienlich (§ 540 ZPO).
Beschwer für beide Parteien und Berufungsstreitwert: 472.355,49 DM
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