Urteil des OLG Köln vom 26.01.2009

OLG Köln: genfer flüchtlingskonvention, rechtliches gehör, inhaftierung, auflage, vergütung, beweismittel, vertretung, haftbedingungen, aufwand, anhörung

Oberlandesgericht Köln, 2 ARs 2/08
Datum:
26.01.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 ARs 2/08
Leitsätze:
Zur Bemessung einer Pauschgebühr gemäß § 51 Abs. 1 RVG für einen
Pflichtbeistand in einem Auslieferungsverfahren
Tenor:
Dem Pflichtbeistand wird eine Pauschvergütung in Höhe des Betrages
der
Regelgebühren zuzüglich 4.000,-- € (i.W. viertausend Euro) bewilligt.
G r ü n d e:
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I.
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Die Verfolgte ist am 28.12.2007 auf dem Flughafen L-C. aufgrund eines über Interpol
übermittelten Fahndungs- und Festnahmeersuchens der R.anischen Behörden vorläufig
festgenommen worden.
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Ihr lag die Mitgliedschaft in der Terrorbewegung "M. Q. R. - T. N. (O. S.)" zur Last, wobei
sie für die Abfassung, Herausgabe und Koordinierung zusammen mit ausländischen
Journalisten der im Untergrund erscheinenden periodischen Druckschrift "F. E. "
zuständig gewesen sei.
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Der Senat hat am 04.01.2008 gegen die Verfolgte einen Auslieferungshaftbefehl
erlassen und diese mit Beschluss vom 09.01.2008 gegen Auflagen – u.a. die Gestellung
einer Kaution – vom weiteren Vollzug der Auslieferungshaft verschont.
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Der Senat hat die Verfolgte am 30.04.2008 mündlich angehört. Gegen die Zulässigkeit
ihrer Auslieferung hat sie u.a. folgendes vorgebracht:
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Sie sei von dem gegen sie erhobenen Vorwurf durch Urteil vom 18.06.1993
freigesprochen worden. Das freisprechende Urteil habe trotz des dieses
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kassierenden Urteils vom 27.12.1993 Bestand.
Die gegen sie gerichteten Beweismittel seien illegal – nämlich anlässlich von zwei
jedenfalls ohne richterliche Anordnung durchgeführten Hausdurchsuchungen am
13. und 21.04.1992 – erlangt worden; diese Beweismittel seien daher
unverwertbar.
Sie sei nach ihrer Verhaftung am 13.04.1992 während ihrer bis Juni 1993
andauernden Inhaftierung einer massiven menschenrechtswidrigen Behandlung
ausgesetzt gewesen. Sie sei gefoltert, mit Folter bedroht und sexuell misshandelt
worden. Darüber hinaus habe sie ein vier Tage andauerndes Militärmassaker im
D.-D.-Gefängnis er- und überlebt.
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Der Senat hat den R.anischen Behörden mit Beschluss vom 27.05.2008 Gelegenheit
gegeben, zu den Einwendungen der Verfolgten Stellung zu nehmen. Hiervon hat die
nationale Strafkammer P. unter dem 11.08.2008 Gebrauch gemacht. Hierzu hat der
Senat wiederum der Verfolgten rechtliches Gehör gewähr. Durch Beschluss vom
22.08.2008 hat er die Auslieferung der Verfolgten nach R. für unzulässig erklärt und der
Staatskasse die der Verfolgten im Auslieferungsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen auferlegt.
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Der Antragsteller ist der Verfolgten mit Beschluss vom 22.07.2008 als Pflichtbeistand
beigeordnet worden. Er hat am Haftprüfungstermin vor dem AG und an dem
Anhörungstermin vor dem Senat am 30.04.2008 teilgenommen, er hat am 13.02., 22.02.
und 07.04.2008 Akteneinsicht genommen und 14 Schriftsätze – darunter denjenigen
vom 29.04.2008 mit einem Umfang von fast 100 Seiten nebst umfangeichen Anlagen –
gefertigt. Gesetzliche Gebühren sind für ihn in Höhe von 1.057,67 € ( bestehend aus
einer Verfahrensgebühr nach VV Nr. 6100 und einer Terminsgebühr nach VV 6101
sowie Kopier- und Fahrtkosten , Abwesenheitsgeld zuzüglich Umsatzsteuer) festgesetzt
worden. Die der Verfolgten zu erstattenden Dolmetscherkosten betragen 3.340,50 €. Mit
Schriftsatz vom 12.09.2008 beantragt der Pflichtbeistand die Bewilligung einer
Pauschgebühr in Höhe von mindestens 5.000,-- €.
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II.
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Der Antrag auf Bewilligung einer über die gesetzlichen Gebühren hinausgehenden
Pauschvergütung gem. § 51 Abs. 1 RVG ist in dem erkannten Umfang begründet.
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Die Zubilligung einer Pauschgebühr ist geboten, wenn ein Auslieferungsverfahren
besondere tatsächliche oder rechtliche Anforderungen stellt (vgl. Hartmann,
Kostengesetze, 38. Auflage, § 51 RVG Rz. 7; Burhoff, RVG, 2. Auflage, § 51 Rz. 31). Die
Vergütung des Pflichtbeistandes im Auslieferungsverfahren gemäß Nr. 6100 VV ist
deshalb für eine Vielzahl der Auslieferungsverfahren unzureichend .
Auslieferungsverfahren, in denen es der Beiordnung eines Pflichtverteidigers bedarf,
sind in der Regel von besonderen rechtlichen und/oder tatsächlichen Schwierigkeiten
geprägt . Nach § 40 IRG setzt die Bestellung eines Pflichtbeistandes für einen
Erwachsenen voraus, dass wegen der Schwierigkeiten der Sach- oder Rechtslage oder
sonst fehlender Möglichkeit zur Rechtswahrnehmung die Mitwirkung eines Beistandes
geboten erscheint. Aufgrund der Schwierigkeit der Materie, die sich nicht zuletzt aus
verfahrensrechtlichen und materiellrechtlichen Besonderheiten der ausländischen
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Rechtsordnungen herleitet, sind Verfolgte auf eine qualifizierte anwaltliche Vertretung in
Auslieferungsverfahren angewiesen. Der vom Gericht bestellte Beistand soll deshalb
mit dem Auslieferungs- und Rechtshilferecht vertraut sein ( vgl. Lagodny /Schomburg /
Hackner, IRG 4. Aufl., § 40 Rnd. 25). Den hieraus erwachsenden Anforderungen kann
durch eine bloße Verfahrensgebühr nach Nr. 6100 nicht hinreichend Rechnung
getragen werden ( ständige Rechtsprechung des Senats , u.a. Beschlüsse vom
31.01.2006 – 2 ARs 14/06 : 3.000,- € ; 12.01.2007 – 2 ARs 05/07 -, 27.02.2007 – 2 ARs
16/07 – und 20.09.2007 – 2 ARs 27/07 : 1.000,- € ; 5.12.2008 – 2 ARs 3/08 - : 800,- €;
14.03.2006 – 2 ARs 35/06 : 700,-€ ).
Die Tätigkeit des Antragstellers ist durch eine Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 RVG in
einer die gesetzlichen Gebühren mehr als sechsfach überschreitenden Höhe besonders
zu honorieren. Die gesetzliche Vergütung erscheint im vorliegenden Fall völlig
unzureichend, auch wenn die Durchführung des Anhörungstermins vor dem Senat eine
Terminsgebühr gem. Nr. 6101 VV ausgelöst hat . Dieser Umstand streicht nur den
außergewöhnlichen Charakter des vorliegenden Verfahrens heraus. Zu dessen
Besonderheiten gehörten mehrere in anderen Auslieferungsverfahren nicht
vorkommende rechtliche und tatsächliche Gesichtspunkte, mit denen der An-tragsteller
sich eingehend auseinandergesetzt hat .
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Die im vorliegenden Fall vorgetragenen Argumente der – selbst rechtskundigen –
Verfolgten nötigten zu einer vertieften Auseinandersetzung und Darstellung nicht nur der
R.-anischen Rechts- und Verfassungsordnung der Gegenwart sowie zur Zeit des
Fujimori-Regimes (1991 – 2000), sondern auch der Rechtsprechung panamerikanischer
Menschenrechtsgremien sowie der Genfer Flüchtlingskonvention. Zu diesem Zweck
musste der Pflichtbeistand nicht nur erhebliches Aktenmaterial (mehr als 1000 Blatt
Hauptakte bis zur abschließenden Senatsentscheidung vom 22.08.2008 nebst
umfangreichen – teils unübersichtlichen - Unterlagen der R.-anischen
Strafverfolgungsbehörden) zur Kenntnis nehmen und verarbeiten, dabei auch für die
Übersetzung Sorge tragen. Er hat selbst umfangreich Stellung genommen und hierzu
die Rechtsprechung R.-anischen Verfassungsgerichts sowie des interamerikanischen
Gerichtshofs und der interamerikanischen Kommission für Menschenrechte recherchiert,
ausgewertet und in einem umfangreichen Schriftsatz vom 29.04.2008 dargestellt und
vorgelegt.
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Das von der Inhaftierung der Verfolgten bis zur abschließenden Senatsentscheidung
vom 22.08.2008 über acht Monate sich hinziehende Mandat brachte für den
Antragsteller einen erheblichen Betreuungsaufwand mit sich, der noch dadurch
gesteigert wurde, dass die Verständigung mit der Verfolgten in englischer Sprache
stattfinden musste. Insgesamt geht damit die Mühewaltung des Pflichtbeistands weit
über das hinaus, was auch durch die Höchstgebühren eines Wahlbeistandes (1.360,-- €
netto) als abgegolten angesehen werden könnte. Der Senat ist unter Berücksichtigung
aller Erkenntnisse , die aus den Akten , der mündlichen Anhörung und den
Besprechungen mit dem Beistand gewonnen werden konnten, der Auffassung, dass die
Tätigkeit des Antragstellers mit den gesetzlichen Gebühren zuzüglich einer über dem
Sechsfachen dieser Gebühren liegenden Pauschgebühr von 4.000,-- € angemessen
honoriert ist.
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Eine weitere Erhöhung der Pauschgebühr kommt demgegenüber unter
Berücksichtigung der Rechtsprechung des Senats in anderen, ebenfalls besonders
schwierigen Auslieferungsfällen nicht in Betracht. Das gilt auch im Hinblick auf das
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Antragsvorbringen, wonach er die Verfolgte mehrfach in der JVA L. aufgesucht habe.
Die Verfolgte befand sich lediglich vom 28.12.2007 bis 09.01.2008 – also noch nicht
einmal zwei Wochen - in Unfreiheit. Zwar sind die Umstände der Inhaftierung und die
Haftbedingungen bei erhöhter Haftempfindlichkeit der Verfolgten auch Gegenstand der
Erörterungen gewesen. Der Schwerpunkt der Verteidigung lag aber im Gegensatz zu
anderen Auslieferungsverfahren, in denen die Haft mit besonders hohem Aufwand für
den Beistand verbunden ist und schon deshalb eine Pauschvergütung erfordert, auf den
auf den vorstehend dargelegten rechtlichen Gesichtspunkten und auf der Betreuung der
auf freiem Fuß befindlichen Verfolgten.