Urteil des OLG Köln vom 16.02.1999

OLG Köln (zpo, beschwerde, rechtsmittel, zwingender grund, begründung, sache, auflage, kommentar, telefax, bezug)

Oberlandesgericht Köln, 15 W 10/99
Datum:
16.02.1999
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
15. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 W 10/99
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 9 T 257/98
Schlagworte:
Verfahren bei Richterablehnung
Normen:
ZPO §§ 42 ff, 577 II, 568 II
Leitsätze:
Die landgerichtliche Entscheidung, mit der das Rechtsmittel gegen die
Verwerfung eines Befangenheitsgesuchs durch den abgelehnten
Amtsrichter zurückgewiesen wird, kann mit der sofortigen Beschwerde
an das Oberlandesgericht angefochten werden. Der mit einem
unzulässigen Ablehnungsantrag abgelehnte Richter kann in weiterem
Umfang als dem des § 47 ZPO das Verfahren weiterbetreiben.
Rechtskraft:
unanfechtbar
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluß der 9.
Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 29. 12. 1998 - 9 T 257/98 - wird
kostenpflichtig zurückgewiesen.
G r ü n d e :
1
I.)
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Der Beklagte, der von der Klägerin vor dem Amtsgericht Kerpen in dem Verfahren 24 C
66/98 auf Ausgleich eines durch Kontoüberziehung entstandenen Sollsaldos in Höhe
von insgesamt 3.421,02 DM zuzüglich Verzugszinsen in Anspruch genommen wird,
hatte zunächst durch seinen Bevollmächtigten in dem Verhandlungstermin vom
21.8.1998 unter Bezugnahme auf sein Gesuch gleichen Datums (Bl. 59 d.A.) die
Abteilungsrichterin Richterin am Amtsgericht P. wegen "Verdachts auf Prozeßbetrug,
Aktenunterdrückung, Aktenvernichtung, Falschbeurkundung im Amt" als befangen
abgelehnt. Dieses Ablehnungsgesuch ist von der dafür zuständigen 9. Zivilkammer des
Landgerichts Köln- 9 T 177/98- mit Beschluß vom 7. September 1998 (Bl. 72- 74 d.A.)
als unbegründet zurückgewiesen worden, wobei sich die Kammer auf den Standpunkt
gestellt hat, daß die Voraussetzungen, unter denen gemäß § 42 Abs. 2 ZPO ein Richter
wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann, nicht dargelegt seien.
In dem von der Abteilungsrichterin auf den 9. 10.1998 anberaumten Verhandlungstermin
hat der Beklagte, wiederum vertreten durch Herrn L. S., Richterin am AG P. erneut, und
zwar dieses Mal ohne jede Begründung, als befangen abgelehnt (Sitzungsprotokoll vom
9.10.1998, Bl. 82 d.A.). Dieses Gesuch ist von der 9. Zivilkammer des LG Köln mit
Beschluß vom 5.11.1998- 9 T 222/98- (Bl. 86- 87 d. A.) als unzulässig verworfen
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worden. In dem alsdann auf den 11.12.1998 anberaumten Verhandlungstermin hat der
Beklagte durch seinen Bevollmächtigten Richterin am AG P. wiederum wegen der
Besorgnis der Befangenheit abgelehnt (Sitzungsprotokoll vom 11.12.1998, Bl. 100 d.A.).
Zur Begründung hat er auf seinen Schriftsatz vom gleichen Tage verwiesen, in welchem
als Ablehnungsgründe "Falschbeurkundung im Amt, Verdacht des gemeinschaftlichen
Prozeßbetruges im Vorgang Deutsche T. AG, Verdacht der Aktenunterdrückung,
Nichtaushändigung der vom Gericht an die falsche Adresse gesandten und deswegen
zurückgekommenen Klageunterlagen, Erlaß eines Versäumnisurteils trotz anwesendem
Bevollmächtigten und nicht vorhandener Schuldsumme" sowie "Verfolgung der
Beklagten aufgrund dieses Versäumnisurteils trotz Antrages auf Aufhebung" genannt
sind. Wegen der Einzelheiten des Ablehnungsgesuchs wird auf Bl. 97 d.A. Bezug
genommen. Die abgelehnte Richterin hat dieses Gesuch durch in der Sitzung vom
11.12.1998 verkündeten Beschluß als unzulässig verworfen und zur Begründung
ausgeführt, daß dieser dritte Befangenheitsantrag ersichtlich allein der Verschleppung
des Verfahrens diene und daher als rechtsmißbräuchlich und unzulässig zu verwerfen
sei (Bl. 100 d.A.). Der Bevollmächtigte des Beklagten hat daraufhin unmittelbar zu
Protokoll erklärt, daß er gegen diese Entscheidung "sofortiges Rechtsmittel" einlege,
und zugleich ein Schreiben gleichen Inhalts zu den Gerichtsakten gereicht (Bl. 98 d.A.),
in welchem er den Standpunkt vertreten hat, daß die abgelehnte Richterin nicht selbst
über einen gegen sie gerichteten Antrag entscheiden könne, sondern hierfür das
Landgericht Köln zuständig sei. Die 9. Zivilkammer des LG Köln, der Richterin am AG P.
die Sache zur Entscheidung vorgelegt hat, hat das Rechtsmittel des Beklagten mit
Beschluß vom 29.12.1998- 9 T 257/98- als sofortige Beschwerde kostenpflichtig
zurückgewiesen. Zur Begründung ist in dem Beschluß ausgeführt, es sei
gewohnheitsrechtlich anerkannt, daß das abgelehnte Gericht selbst über einen
rechtsmißbräuchlichen Ablehnungsantrag befinden könne. Die Voraussetzungen hierfür
habe Richterin am AG P. zu Recht angenommen, da der Ablehnungsantrag des
Beklagten auf eine Prozeßverschleppung angelegt gewesen sei; dies gehe u.a. daraus
hervor, daß es sich dabei um den dritten Ablehnungsantrag in schneller Folge bei
nahezu unveränderter Prozeßlage handele. Der einzig neue Vorwurf des "Verdachts
des gemeinschaftlichen Prozeßbetruges im Vorgang Deutsche T. AG" sei ebenso
bodenlos wie die übrigen pauschalen Verdächtigungen. Wegen des Inhalts des
landgerichtlichen Beschlusses im übrigen wird auf Bl. 105/106 d.A. verwiesen. Gegen
diesen ihm am 7.1.1999 zugestellten Beschluß hat der Beklagte mit einem beim LG
Köln am 21.1.1999 eingegangenen Telefax- Schreiben seines Bevollmächtigten vom
20.1.1999 "sofortige Beschwerde" eingelegt und zu deren Begründung auf "die mit dem
Original dieses Schreibens zugestellten Ausführungen und Beweisunterlagen" Bezug
genommen. Das Original dieses Telefax- Schreibens ist bislang nicht zu den
Gerichtsakten gelangt.
II.)
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1) Das Rechtsmittel des Beklagten ist als sofortige Beschwerde gemäß den §§ 46 Abs.
2, 577 Abs. 2 ZPO zulässig. Zwar hat bereits das Landgericht das im Termin vom
11.12.1998 vor dem Amtsgericht Kerpen zu Protokoll erklärte "sofortige Rechtsmittel"
des Beklagten als sofortige Beschwerde gegen den zuvor verkündeten
Verwerfungsbeschluß der abgelehnten Richterin aufgefaßt und folglich hierüber in
seinem Beschluß vom 29.12.1998 als Beschwerdegericht entschieden. Mit dieser
Verfahrensweise ist das Landgericht ersichtlich einer in Rechtsprechung und Literatur
verbreiteten Meinung (vgl. dazu KG - 11. Zivilsenat- MDR 1983, 60 und MDR 1992, 997;
OLG Koblenz MDR 1985, 850; BayOblGZ 93, 9; HansOLG Bremen MDR 1998, 1242;
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Stein/Jonas/Bork, ZPO- Kommentar, 21. Auflage, § 46 Rdn. 2b; Thomas- Putzo, ZPO-
Kommentar, 19. Auflage § 46 Rdn. 6) gefolgt. Der Senat hält diese Auffassung insofern
für zutreffend, als sie folgerichtiger als die Gegenmeinung (vgl. dazu OLG Köln- 2.
Zivilsenat- MDR 1979, 850; KG- 17. Zivilsenat- FamRZ 1985, 729f; OLG Nürnberg
OLGZ 93, 84ff; Zöller/Vollkommer, ZPO- Kommentar, 20. Auflage, § 45 Rdn. 6;
Baumbach-Lauterbach-Albers- Hartmann, ZPO- Kommentar, 57. Auflage, § 46 Rdn. 8;
Wieczorek/Schütze, ZPO Kommentar, 3. Auflage, § 46 Rdn. 4) der gewohnheitsrechtlich
für den Ausnahmefall eines rechtsmißbräuchlichen Ablehnungsgesuch anerkannten
Verwerfungskompetenz des abgelehnten Richters (vgl. dazu BGH NJW 1992, 983, 984)
Rechnung trägt, indem sie den Beschluß des abgelehnten Amtsrichters als eine
förmliche Entscheidung behandelt, zu deren Aufhebung es eines Rechtsbehelfes
bedarf. Die Gegenmeinung, die zum Teil sogar (wie etwa KG FamRZ 1985, 729, 730;
anders OLG Köln MDR 1979, 850) verlangt, daß der abgelehnte Amtsrichter die Akten
stets, also auch ohne daß die ablehnende Partei dies nach der Verwerfung ihres
Ablehnungsgesuches ausdrücklich verlangt, dem Landgericht vorzulegen habe, sieht
sich nach Auffassung des Senats zu Recht der Kritik ausgesetzt, daß sie im Ergebnis
dazu zwinge, einen förmlichen Beschluß des Amtsrichters zu ignorieren, und zudem das
Verfahren an falscher Stelle aufhalt.
Wenn demgemäß auch das Rechtsmittel gegen den landgerichtlichen Beschluß, durch
den die vom abgelehnten Richter vorgenommene Verwerfung eines
rechtsmißbräuchlichen Ablehnungsgesuches als rechtens bestätigt wird, der Sache
nach einer weiteren sofortigen Beschwerde gleichkommt, hält der Senat es nicht für
angängig, dieses Rechtsmittel den einschränkenden Voraussetzungen des § 568 Abs. 2
ZPO zu unterwerfen, was in Fällen der vorliegenden Art dessen Unzulässigkeit zur
Folge hätte. Vielmehr verbleibt es insoweit bei dem nach den §§ 45 Abs. 2, 46 Abs. 2
ZPO vorgesehenen Instanzenzug, so daß also gegen die landgerichtliche Entscheidung
das Oberlandesgericht angerufen werden kann. Eine andere Betrachtungsweise wird
nach Meinung des Senats dem Umstand nicht gerecht, daß die gesetzlich
vorgesehenen Rechtsschutzmöglichkeiten Ausfluß von verfassungsrechtlich
verankerten Garantien sind, nämlich dem in Art. 20 Abs. 3 GG niedergelegten
Rechtsstaatsprinzip und dem nach Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG gewährleisteten gesetzlichen
Richter, während die für Ausnahmefälle entwickelte Verwerfungskompetenz des
abgelehnten Richters lediglich auf richterlicher Rechtsfortbildung beruht. Die in den §§
26 a Abs. 1 Nr. 3, 28 Abs. 2 StPO enthaltenen Bestimmungen, denen zufolge die
Verwerfung rechtsmißbräuchlicher Ablehnungsgesuche nur eingeschränkt anfechtbar
ist, eignen sich nicht zu einer Analogie. Die Tatsache, daß eine entsprechende
Regelung für die ZPO trotz diverser zwischenzeitlicher Gesetzesnovellen nicht
eingeführt worden ist, spricht dafür, daß eine Angleichung insoweit vom Gesetzgeber
auch nicht beabsichtigt war.
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Nach Auffassung des Senats besteht auch kein sachlich zwingender Grund dafür, die
sofortige Beschwerde zum Oberlandesgericht in Fällen der vorliegenden Art
auszuschließen. Insbesondere gebietet dies nicht das Beschleunigungsinteresse, in
dessen Dienst die Verwerfungskompetenz des abgelehnten Richters steht. Das Ziel
einer zügigen Verfahrensgestaltung wird bereits dadurch erreicht, daß der mit einem
rechtsmißbräuchlichen Ablehnungsgesuch überzogene Amtsrichter über die ihm gemäß
§ 47 ZPO im Normalfall eingeräumten Möglichkeiten hinaus an weiteren
Verfahrenshandlungen einschließlich einer Entscheidung in der Hauptsache nicht
gehindert ist. An das Landgericht braucht der abgelehnte Amtsrichter die Sache auf
entsprechenden Antrag der ablehnenden Partei erst weiterzuleiten, nachdem er das
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rechtsmißbräuchliche Ablehnungsgesuch als unzulässig verworfen und die von ihm aus
Beschleunigungsgründen für erforderlich gehaltenen Maßnahmen bzw. Entscheidungen
getroffen hat. So wäre die abgelehnte Richterin vorliegend auch ohne weiteres befugt
gewesen, den von ihr ursprünglich auf den 3. Februar 1999 anberaumten
Verkündungstermin bestehen zu lassen und eine Entscheidung in der Sache zu
verkünden, bevor sie die Akten auf die unter dem 22. Januar 1999 wegen der
zwischenzeitlichen sofortigen Beschwerde des Beklagten erfolgte Anforderung des
Landgerichts an dieses zurücksandte.
Darüber hinausgehend ist unter Beschleunigungsgesichtspunkten keine Notwendigkeit
dafür anzuerkennen, daß mit der das Amtsgericht bestätigenden Entscheidung des
Landgerichts der Instanzenzug beendet sein müsse. Ein gewisser, wenngleich im
Regelfall auch geringerer, Zeitaufwand entsteht in jedem Falle auch dann, wenn die
ablehnende Partei eine nach der Gegenmeinung unzulässige weitere sofortige
Beschwerde zum Oberlandesgericht einlegt.
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2) Ist demnach das mit dem Telefax- Schreiben vom 20.1.1999 eingelegte Rechtsmittel
des Beklagten zwar zulässig, so ist es in der Sache aber im Ergebnis unbegründet. Das
Landgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die zur Vermeidung von
Wiederholungen Bezug genommen wird, gemeint, daß das Ablehnungsgesuch des
Beklagten vom 11.12.1998 rechtsmißbräuchlich sei und von der abgelehnten Richterin
deshalb auch selbst verworfen werden durfte. Der Senat hat dem nichts hinzuzufügen.
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Den Eingang des von dem Beklagten angekündigten Originalschriftsatzes zu seinem
Telefax- Schreiben vom 20.1.1999 nebst "Beweisunterlagen" abzuwarten, hat sich der
Senat nicht veranlaßt gesehen. Abgesehen davon, daß eine solche unbefristete
Ankündigung eines weiteren Schriftsatzes bzw. ergänzender Unterlagen nur auf eine
weitere Verzögerungen hinausläuft, ist auch nicht im entferntesten erkennbar, inwieweit
hierdurch die Beurteilung des rechtsmißbräuchlichen Ablehnungsgesuches beeinflußt
werden könnte.
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Die sofortige Beschwerde des Beklagten war demgemäß mit der Kostenfolge des § 97
Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
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Wert des Beschwerdeverfahrens: 3.421,02 DM
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