Urteil des OLG Köln vom 12.01.2006

OLG Köln: schätzer, anhörung, meinung, behörde, vorverfahren, wahrscheinlichkeit, gemeinde, prozessvoraussetzung, berechtigter, anwaltshonorar

Oberlandesgericht Köln, 7 U 105/05
Datum:
12.01.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
7. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 U 105/05
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 4 O 26/05
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 21. Juni 2005 verkündete Urteil
der 4. Zivilkammer des Landgerichts Aachen – 4 O 26/05 – wird
zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e
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(Urteil ohne Tatbestand gem. § 540 Abs. 2 in Verbindung mit § 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO)
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Die Berufung ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.
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Es kann dahinstehen, ob die Beklagte durch Hinzuziehung des nicht zum
Wildschadenschätzer amtlich bestellten Sachverständigen C. im von ihr durchgeführten
Vorverfahren zur Feststellung des vom Landwirt K. angemeldeten Wildschadens (§§ 34,
35 BJG, 35 ff. LJG NRW) einen Verfahrensfehler und gleichzeitig eine
Amtspflichtverletzung gegenüber dem Kläger als Jagdpächter begangen hat. Ebenso
kann offen bleiben, ob der Kläger, als er sich laut Protokoll vom 05.04.2004 (Bl. 39 GA)
mit Herrn K. auf den vom Sachverständigen C. geschätzten Entschädigungsbetrag von
4.000,00 € für die Wiederherstellung der Flächen einigte, das betreffende Protokoll
unterschrieb und damit einen Vollstreckungstitel zu seinen Lasten schuf (§ 38 LJG
NRW), wusste, dass Herr C. kein amtlich bestellter Wildschadenschätzer im Sinne des §
36 LJG NRW war. Die Klage scheitert jedenfalls am fehlenden
Ursachenzusammenhang zwischen der – angeblichen – Amtspflichtverletzung der
Beklagten und der Schaffung des Vollstreckungstitels. Nach dem Ergebnis der
Anhörung des Klägers im Termin vom 15.12.2005 hält es der Senat nicht für hinreichend
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wahrscheinlich (§ 287 ZPO), dass der Kläger eine Einigung abgelehnt hätte, wenn er
gewusst hätte, dass Herr C. nicht amtlich bestellter Wildschadenschätzer war.
Zwar hat der Kläger bei seiner Anhörung durch den Senat im Termin vom 15.12.2005
das Gegenteil behauptet. Nachvollziehbar ist das jedoch nicht. Er hatte Vertrauen zu
Herrn C., wie er bei seiner Anhörung eingeräumt hat. Er kannte diesen, wie er weiter
ausgeführt hat, schon aus früherer Zeit. Er und sein Mitpächter hatten sich nämlich in
früherer Zeit an Herrn C. gewandt und um eine Auskunft gebeten; dabei hatte er selbst
mit Herrn C. gesprochen. Das Vertrauen, das der Kläger gegenüber Herrn C. hatte,
kommt signifikant zum Ausdruck in seinem Schreiben an Herrn K. vom 23.07.2002 (Bl.
66 GA), wo es unter Ziff. 5. heißt:
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"Zukünftiger Aufwendungsersatz für Wildschäden wird Ihnen von mir in schriftlicher
Form angeboten. Sollte keine Einigung erzielt werden, wird Herr C. zugezogen.
Dass dann auch für Sie erhebliche Kosten entstehen, versteht sich von selbst."
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Eingeräumt hat der Kläger ferner, dass er seinerzeit den für den hier in Rede stehenden
Schadensbezirk B. zuständigen amtlichen Wildschadenschätzer Q. ablehnte, weil er
dessen Arbeitsweise nicht für korrekt hielt. Dies entspricht seinem schriftsätzlichen
Vorbringen. Seite 2 des Schriftsatzes vom 28.04.2005 (Bl. 78 unten GA) und Seite 6 des
Schriftsatzes vom 21.10.2005 (Bl. 176 GA) hat er ausgeführt, dass er Herrn Q. im Jahre
2003 als Schätzer abgelehnt habe. Nicht erinnern konnte oder wollte sich der Kläger bei
seiner Anhörung nur daran, dass er im Jahre 2003 Herrn C. ins Gespräch gebracht und
sich diesen als Schätzer gewünscht (so Bl. 78 GA) bzw. mit seiner Zuziehung "im
nichttechnischen Sinne" gedroht habe (so Bl. 176 GA) – was immer das heißen soll.
Den im Jahre 2003 als Wildschadenschätzer zugezogenen Herrn I. konnte die Beklagte
ohnehin nicht hinzuziehen, weil dieser sein Amt niedergelegt hatte, nach Behauptung
der Beklagten deshalb, weil er in dem betreffenden Termin vom 26.03.2003 (Protokoll
hierzu Bl. 12 GA) von Herrn K. und dem Kläger massiv attackiert worden war. Ersichtlich
wäre der Kläger mit einer Zuziehung des Herrn I., bei dem es im Termin vom 26.03.2003
zu keiner Einigung gekommen war, auch nicht einverstanden gewesen.
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War mithin der Sachverständige C. seinerzeit die Person, zu der der Kläger Vertrauen
hatte, so spricht nichts dafür, dass er dessen Vorschlag im Termin vom 05.04.2004
abgelehnt hätte, hätte er gewusst, dass Herr C. nicht zum amtlichen
Wildschadenschätzer bestellt war. Insoweit spricht auch nicht die Lebenserfahrung für
die gegenteilige Behauptung des Klägers, so dass zu dessen Gunsten nicht die
Grundsätze des Anscheinsbeweises gelten.
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Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit seiner Behauptung kann der
Kläger auch nicht belegen durch das erstmals in zweiter Instanz angebotene Zeugnis
seiner Ehefrau. Dieser will er nach dem Termin vom 05.04.2004 an dem betreffenden
Abend berichtet haben, dass der amtliche Schätzer völlig unsachgemäß einen
angeblichen Schaden von 4.000,00 € festgestellt, seinen Hinweis auf die Richtlinie der
Landwirtschaftskammer Bonn abgetan und er, Kläger, das Schätzprotokoll nur deshalb
unterschrieben habe, weil man ja nach aller Erfahrung gegen amtliche Schätzer vor
Gericht in der Regel chancenlos sei und am Ende alles nur noch teurer werde (S. 7, 8
der Berufungsbegründung, Bl. 139, 140 GA). Es kann dahinstehen, ob dieser neue
Beweisantritt nach § 531 Abs. 2 S. 1 ZPO zuzulassen wäre. Die entsprechende
Bekundung seiner Ehefrau wäre jedenfalls nicht geeignet, die nach § 287 ZPO
erforderliche hinreichende Wahrscheinlichkeit darzutun. Zum Einen soll die Ehefrau des
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Klägers nur vom Hörensagen berichten. Zum Anderen trifft die Erwägung – sie mag
richtig oder falsch sein -, erfahrungsgemäß habe man gegen amtliche Schätzer vor
Gericht keine Chance, für einen vom Betroffenen – hier: Kläger – selbst als
Vertrauensperson gewünschten Schätzer genauso zu.
Unter Berufung auf eine Vielzahl – teils unveröffentlichter – Entscheidungen (S. 8 der
Klageschrift, Bl. 8 GA) vertritt der Kläger die Ansicht, Verfahrensfehler der Gemeinde im
Feststellungsverfahren nach §§ 35 ff. LJG NRW bzw. entsprechenden Vorschriften
anderer Bundesländer hätten zur Folge, dass der Anspruch des Geschädigten gegen
den eigentlich zum Ersatz Verpflichteten untergehe und an seiner Stelle nur noch ein
Amtshaftungsanspruch des Geschädigten gegen die Gemeinde in Betracht komme; er,
Kläger, hätte bei Kenntnis dessen, dass Herr C. nicht amtlich bestellter
Wildschadenschätzer war, also nur vor der Entscheidung gestanden, freiwillig zu zahlen
oder von jedweder Ersatzpflicht frei zu sein. Auf eine solche angebliche (nach Ansicht
des Senats gelinde gesagt "merkwürdige") Rechtsprechung kommt es jedoch schon
deshalb nicht an, weil offensichtlich ist, dass der Kläger von ihr keine Kenntnis hatte. Sie
war nicht einmal seinem Prozessbevollmächtigten präsent, wie sich ohne Weiteres
daraus ergibt, dass dieser mit Schreiben vom 27.09.2004 (Bl. 17 ff. GA) von der
Beklagten Schadensersatz nur in Höhe von 2.500,00 € (4.000,00 € abzüglich angeblich
nur berechtigter 1.500,00 €) gefordert hat zuzüglich bei Herrn K. entstandener
Verzugszinsen und entstandenem Anwaltshonorar. Nach den dem Senat zugänglichen
Entscheidungen gibt es die vom Kläger behauptete Rechtsprechung aber auch gar
nicht. Insbesondere besagt die von ihm angeführte Entscheidung des OLG Celle vom
17.02.1966 (RdL 1966, 135 f.) nichts zu seinen Gunsten. Das OLG Celle hat nur
ausgeführt, dass auf Ersatz von Wildschaden erst nach Durchführung des
Feststellungsverfahrens geklagt werden kann und eine ohne Durchführung dieses
Vorverfahrens erhobene Klage als unzulässig – also durch Prozessurteil – abzuweisen
ist. Es liegt auf der Hand, dass ein solches Prozessurteil über den materiellen
Schadensersatzanspruch des Geschädigten gegen den für den Wildschaden
Ersatzpflichtigen nichts besagt. Der Senat teilt die Ansicht, dass die Durchführung des
Feststellungsverfahrens Prozessvoraussetzung für ein gerichtliches Verfahren ist (in
NRW §§ 35 Abs. 1, 41 LJG). Soweit ersichtlich entspricht das auch allgemeiner
Meinung (Lorz, Bundesjagdgesetz 2. Aufl. § 35 Anm. 1; Mitschke-Schäfer,
Bundesjagdgesetz 4. Aufl. § 35 Rdn. 3, 17, 36, 38 und 40; Schandau-Drees, Das
Jagdrecht in Nordrhein-Westfalen, Erläuterungen zu § 35 BJG und § 41 LJG). Streit
besteht darüber, ob die Klage auch dann als unzulässig abzuweisen ist, wenn das
Vorverfahren unter Mängeln leidet. Die herrschende Meinung verneint dies
insbesondere aus Gründen der Prozessökonomie, hält also auch bei Mängeln des
Vorverfahrens eine sachliche Prüfung durch das Gericht für geboten (Schandau-Drees,
a.a.O., Erläuterungen zu § 41 LJG; Lorz, a.a.O., § 35 Anm. 2; Mitschke-Schäfer, a.a.O., §
35 Rdn. 6, 39, 40; jeweils m.w.N.). Der Senat hält das für richtig jedenfalls für den Fall,
dass die Mängel des Vorverfahrens nicht so schwerwiegend sind, dass sie zu dessen
Gesamtnichtigkeit führen – was im Streitfall ersichtlich ausscheidet. Letztlich kommt es
darauf nicht an, denn auch die gegenteilige Meinung, die eine Klage bei nicht zur
Nichtigkeit führenden Mängeln des Vorverfahrens für unzulässig hält, kann daraus nicht
herleiten, dass der Geschädigte nur noch Amtshaftungsansprüche haben kann und
seines Anspruchs gegen den an sich zum Ersatz Verpflichteten verlustig geht. Dies folgt
ohne Weiteres aus der Wirkung eines Prozessurteils.
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Gäbe es die vom Kläger behauptete Rechtsprechung, so würde der Senat ihr nicht
folgen. Nach § 34 BJG muss der Geschädigte – hier: Herr K. – den Schaden innerhalb
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der dort genannten Frist bei der zuständigen Behörde anmelden. Dass dies hier
rechtzeitig geschehen ist, bezweifelt der Kläger selbst nicht. Ist der Geschädigte seiner
Obliegenheit nach § 34 BJG nachgekommen, so liegt das Vorverfahren in der Hand der
zuständigen Behörde, hier der Beklagten. Fehler der Behörde, für die der Geschädigte
nicht verantwortlich gemacht werden kann, können nicht zum Untergang seines
Anspruchs gegen den an sich zum Ersatz Verpflichteten führen, zumal der
Amtshaftungsanspruch wegen seiner Einschränkungen durch § 839 Abs. 1 S. 2, Abs. 3
BGB kein gleichwertiges Äquivalent wäre.
Der nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichte Schriftsatz des Klägers
vom 21.12.2005 gibt keinen Anlass, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen.
Angemerkt sei zu diesem Schriftsatz nur, dass die Ansicht, die Entscheidung des
Senats stelle für die mit Feststellungsverfahren befassten Gemeinden gewissermaßen
einen "Freibrief" dar, ersichtlich unzutreffend ist. Das Urteil beruht wesentlich auf dem
Ergebnis der Anhörung des Klägers durch den Senat, auf Grund derer dieser die
Überzeugung gewonnen hat, dass Herr C. der Sachverständige seines Vertrauens war
und es dementsprechend nicht hinreichend wahrscheinlich – im Gegenteil sogar
unwahrscheinlich – ist, dass der Kläger eine Einigung abgelehnt hätte, hätte er gewusst,
dass Herr C. nicht amtlich bestellter Wildschadenschätzer war. Von einer vorsätzlichen
Täuschung des Klägers seitens der Beklagten kann ernsthaft überhaupt keine Rede
sein. Es spricht alles dafür, dass die Beklagte Herrn C. deshalb zugezogen hat, um den
Wünschen des Klägers, der dem an sich zuständigen Herrn Q. seinerzeit ablehnend
gegenüberstand, zu entsprechen.
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Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Es besteht kein Anlass, die Revision zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543
Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
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Streitwert zweiter Instanz und Wert der Beschwer des Klägers: 4.190,44 €
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