Urteil des OLG Köln vom 23.01.1998

OLG Köln (kläger, weide, unfall, höhe, beweisaufnahme, verhandlung, abend, sturz, sommer, bezug)

Oberlandesgericht Köln, 19 U 109/97
Datum:
23.01.1998
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
19. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
19 U 109/97
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 21 O 565/95
Schlagworte:
Verkehrssicherungspflicht Landwirt Sperren Weg Viehtrieb
Normen:
BGB § 823
Leitsätze:
Zur Verkehrssicherungspflicht von Landwirten gehört es vor allem im
Einzugsbereich einer Großstadt, Veränderungen im Freizeitverhalten
der Bevölkerung zur Kenntnis zu nehmen und sich im Rahmen des
Zumutbaren darauf einzustellen. Deshalb kann eine bestehende Übung,
zur vorübergehenden Absperrung von Wegen während des Viehtriebs
einfachen Weidedraht zu benutzen und diesen nach Wiederöffnung der
Wege seitlich liegen zu lassen, nicht mehr anerkannt werden. Zur
Vermeidung nicht ganz fernliegender mißbräuchlicher Wegesperrungen
und der damit verbundenen Gefahren insbesondere für Freizeitsportler
(hier: Mountainbiker) sind vielmehr statt des Drahtes besser erkennbare,
einfach zu handhabende und leicht und billig zu beschaffende
Absperrmittel (z.B. rotweiße Plastikketten) zu verwenden, die zudem zur
Steigerung der Verkehrssicherheit auch ohne unzumutbare Belastung
jeweils nach Gebrauch mitgenommen werden können.
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 21. Zivilkammer des
Landgerichts Köln vom 07.03.1997 - 21 O 565/95 - abgeändert. Die
Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt. Zur Entscheidung über die
Höhe des Anspruchs wird die Sache an das Landgericht
zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu
entscheiden hat.
T a t b e s t a n d
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Der Kläger macht gegen die Beklagten Ersatz seines materiellen und immateriellen
Schadens geltend, der auf einem Unfall beruht, der sich am 06.07.1994 in W.-O.
ereignet hat. Der Kläger war an diesem Abend gegen 20 Uhr mit seinem Mountainbike
unterwegs und bog von der G.straße, die zur L 129 führt, nach links in den Waldweg in
Richtung N. ein. Dort stürzte er, weil ein Weidedraht, auf beiden Seiten an einem
Strommast befestigt, in ca. 1 m Höhe quer über den Weg gespannt war. Neben der
Unfallstelle liegt, in Fahrtrichtung des Klägers gesehen rechts, eine Weide, auf der sich
tagsüber Kühe des Beklagten zu 2. befanden. Dessen Ehefrau, die Beklagte zu 1., trieb
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die Kühe morgens nach dem Melken auf die Weide und holte sie am Nachmittag wieder
ab. Sie pflegte beim Auftrieb auf die Weide die G.straße und den Waldweg sowie einen
zu diesem parallel verlaufenden Weg in Richtung H. mit Draht zu sperren, damit die
Kühe nicht von ihrem Weg auf die Weide abkamen.
Der Kläger, der bei dem Unfall erhebliche Verletzungen davongetragen hat, hat
behauptet, die Beklagte zu 1. habe den Draht jeweils nach Aufhebung der Absperrung
des Weges achtlos beiseite geworfen, anstatt ihn gegen mißbräuchliche Benutzung
durch Dritte hinreichend zu sichern. Er hat gemeint, auch wenn im
staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren nicht habe geklärt werden können, ob die
Beklagte zu 1. den Draht nicht entfernt oder ob unbekannte Dritte ihn wieder gespannt
hätten, seien die Beklagten ihm wegen dieses Versäumnisses haftbar. Es sei, wie der
Kläger weiter behauptet hat, in der Vergangenheit mehrfach vorgekommen, daß
Unbefugte den Draht gespannt hätten. Diese Gefahr liege um so näher, als sich -
unstreitig - unweit der Unfallstelle ein Jugendheim befinde; Jugendliche aus diesem
Heim hätten vor dem Unfall schon einmal ein Umzäunungsband einer Weide der
Beklagten abgerissen. Den Draht habe er erst so spät erkennen können, daß der Sturz
unvermeidbar gewesen sei.
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Der Kläger hat seinen materiellen Schaden im einzelnen aufgeführt und auf 8.335,72
DM beziffert. Wegen der erlittenen schweren Verletzungen (inkomplettes
Querschnittssyndrom bei HWK 6 - Fraktur mit contusio spinalis) und deren nach seiner
Behauptung fortbestehenden Folgen hat er ein Schmerzensgeld in Höhe von
mindestens 150.000,00 DM für angemessen gehalten.
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Der Kläger hat beantragt,
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1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn
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a. 8.335,72 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
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b. ein Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt
wird;
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2. festzustellen, daß die Beklagten als Gemeinschuldner verpflichtet sind, ihm alle
weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihm aus dem Unfall
vom 06.07.1994 noch entstehen werden, soweit diese nicht kraft Gesetzes auf einen
privaten oder gesetzlichen Träger der Kranken- oder Sozialversicherung übergegangen
sind.
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Die Beklagten haben beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie haben vorgetragen, aus der Unfalldarstellung des Klägers sei zu schließen, daß er
mit erheblicher Geschwindigkeit in den Waldweg eingebogen sei. Anderenfalls hätte er
rechtzeitig anhalten und den Sturz vermeiden können. Der Draht sei ferner nur beim
Auftrieb der Kühe auf die Weide benutzt worden; beim Abtrieb sei eine Absperrung des
Weges wegen des Stalldrangs der Tiere nicht erforderlich. Bei dieser Gelegenheit habe
die Beklagte zu 1. am Unfalltag auch keinen gespannten Draht gesehen. Der Draht
werde so locker in die Halterung eingehängt, daß er zu Boden falle, wenn eine Kuh
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dagegen stoße. Nach dem Auftrieb werde er zur Seite gelegt, wo er im Gras oder
Unkraut nicht sichtbar sei und keine Gefahr bilde, solange nicht Unbefugte eingriffen,
wie es hier geschehen sei. Auch bei einer Sicherung mit farbigen Wimpeln wäre der
Draht für den Kläger nicht früher zu erkennen gewesen.
Auch den Ausführungen des Klägers zur Höhe der Klageforderung sind die Beklagten
entgegengetreten.
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Wegen des Ergebnisses der im ersten Rechtszug durchgeführten Beweisaufnahme wird
auf die Sitzungsniederschrift des Landgerichts vom 14.02.1997 Bezug genommen.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe des
landgerichtlichen Urteils wird ebenfalls Bezug genommen.
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Mit der form- und fristgerecht eingelegten und auch rechtzeitig begründeten Berufung
macht der Kläger geltend:
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Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei der Draht am Mittag des Unfalltages über
den Weg gespannt gewesen, so daß alles dagegen spreche, daß die Beklagte zu 1. ihn
nach den Auftrieb der Kühe am Vormittag entfernt habe. Dagegen spreche alles dafür,
daß der Draht bis zum Unfall gespannt geblieben sei, die Beklagte zu 1. ihn also auch
beim Abtrieb der Kühe nicht gelöst habe. Anderenfalls hätten sich mehrfach während
des Tages Dritte an dem Draht zu schaffen machen müssen, wofür nichts spreche. In
diesem Zusammenhang nimmt der Kläger im einzelnen zur Beweisaufnahme des
Landgerichts und im Ermittlungsverfahren Stellung. Darüber hinaus vertritt der Kläger
weiter die Ansicht, die Beklagten hätten durch die Art und Weise der gewählten
Absperrung ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt. Dagegen treffe ihn kein
Mitverschulden, weil er, wie er behauptet, wegen eines entgegen kommenden
Fahrzeugs langsam von der G.straße in den Waldweg eingefahren sei und auch
angesichts der Örtlichkeit den Draht erst im letzten Augenblick vor dem Sturz habe
erkennen können.
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Zur Höhe des Anspruchs wiederholt der Kläger mit zusätzlichen Ausführungen zu
seinen Verletzungen und deren Folgen sein früheres Vorbringen.
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Der Kläger beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach seinen Anträgen erster Instanz zu
erkennen.
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Die Beklagten beantragen,
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die gegnerische Berufung zurückzuweisen;
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ihnen zu gestatten, Sicherheit auch durch Bürgschaft einer deutschen Großbank, einer
Genossenschaftsbank oder einer öffentlichen Sparkasse erbringen zu können.
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Die Beklagten wiederholen ihren Vortrag erster Instanz und behaupten, die Beklagte zu
1. habe beim Auftrieb der Kühe morgens die G.straße, den am Abend vom Kläger
benutzten Waldweg nach N., den daneben verlaufenden nach H. und auch den auf der
anderen Seite der G.straße nach Ommerborn führenden Weg mit Draht abgesperrt und
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anschließend sämtliche Drähte wieder weggenommen. Beim abendlichen Abtrieb etwa
zwischen 17.00 Uhr und 17.30 Uhr habe sie die Drähte nicht gespannt und habe zu
diesem Zeitpunkt auch keinen von Dritten gespannten Draht gesehen. Vor dem Unfall
des Klägers hätten sie - die Beklagten - nie einen durch unbefugte Dritte gespannten
Draht bemerkt. Sie meinen, sie hätten deshalb nicht zu erwarten brauchen, daß Dritte
den Draht außerhalb seiner Zweckbestimmung verwenden könnten. Außerdem müsse
im ländlichen Raum jeder mit Einrichtungen rechnen, die zur Tierhaltung erforderlich
seien. Der Draht sei im übrigen auch zur Unfallzeit gut zu sehen gewesen.
Wegen des Sach- und Streitstandes im einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der
beiderseitigen Schriftsätze nebst allen Anlagen Bezug genommen.
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Die Akten 150 Js 1391/94 StA Köln lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen
Verhandlung.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Berufung des Klägers hat dem Grunde nach Erfolg. Da die Sache wegen
der Höhe des Anspruchs noch der Aufklärung bedarf, hat der Senat ein Grundurteil nach
§ 304 ZPO erlassen und den Rechtsstreit im übrigen nach § 538 I Nr. 3 ZPO an das
Landgericht zurückverwiesen.
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1. Die Beklagte zu 1. ist dem Kläger nach den §§ 823, 847 BGB, der Beklagte zu 2. nach
den §§ 831, 847 BGB zum Schadensersatz verpflichtet, weil die Beklagte zu 1. den
Absperrdraht über den Waldweg in Richtung N. am 06.07.1994 nach dem Auftrieb,
spätestens nach dem Abtrieb der Kühe nicht entfernt hat, und der Kläger dadurch zu Fall
gekommen ist und sich verletzt hat. Den Auf- und Abtrieb der Kühe besorgte die
Beklagte zu 1. als Verrichtungsgehilfin ihres Ehemannes, der Beklagten zu 2., dem der
Bauernhof und die darauf gehaltenen Kühe unstreitig gehören.
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Das ergibt sich aus der Würdigung der vom Landgericht durchgeführten
Beweisaufnahme in Verbindung mit dem Ermittlungsergebnis in der Sache 150 Js
1391/94 StA Köln, insbesondere der Beweisaufnahme durch den 2. Strafsenat des OLG
Köln vom 15.03.1995. Soweit der Senat in der mündlichen Verhandlung vom
06.10.1997 noch Zweifel daran geäußert hat, daß das Beweisergebnis für den
Nachweis einer Nachlässigkeit der Beklagten zu 1. ausreiche, hält er daran nicht mehr
fest. Einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung bedurfte es deswegen nicht,
weil der zugrundeliegende Sachverhalt und das Beweisergebnis von den Parteien
ausführlich erörtert worden sind und der Senat darüberhinaus die Beklagten weiterhin
auch wegen der in der mündlichen Verhandlung eingehend erörterten Verletzung der
allgemeinen Verkehrssicherungspflicht für schadenersatzpflichtig hält, wie unter 2.
näher ausgeführt werden wird.
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Wie die Zeugin R.-S., die Ehefrau des Klägers, sowohl vor dem Landgericht als auch
vor dem Strafsenat bekundet hat, war der abends vom Kläger befahrene Waldweg nach
N. - wie auch der Parallelweg nach H. -am 06.07.1994 vormittags zwischen 11.00 Uhr
und 12.00 Uhr mit einem Draht abgesperrt. Schon das Landgericht hat an der Richtigkeit
dieser Aussage keinen Zweifel geäußert. Die Zeugin hat die näheren Umstände ihrer
Beobachtung überzeugend geschildert. Danach wollte sie mit ihrem Pferd, von der
G.straße kommend, über einen der beiden Wege reiten, hat aber wegen der Absperrung
davon abgesehen, zumal sie fürchtete, der Draht könne unter Strom stehen. Die
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Aussage der Zeugin wird auch dadurch bekräftigt, daß am Abend des Tages der Weg
unstreitig durch den Draht versperrt war, als der Kläger zu Fall kam. Die Zeugin berichtet
also für den Vormittag von einer irregulären Situation, wie sie am Abend tatsächlich
bestand. Es ist nicht ersichtlich, warum das, was einige Stunden später möglich war,
nicht auch schon früher möglich gewesen sein sollte. Soweit die Zeugin beim
Landgericht unsicher war, ob am dem Unfall folgenden Morgen noch Draht über beide
oder einen der beiden Wege gespannt war, begründet das keinen berechtigten Zweifel
an ihrer Darstellung der Situation am Vortag. Diese bleibt in sich stimmig. Daran kann
auch der Umstand, daß es sich bei der Zeugin um die Ehefrau des Klägers handelt,
nichts ändern.
War aber am späten Vormittag und am Abend des 06.07.1994 der vom Kläger
befahrene Weg mit dem von der Beklagten zu 1. regelmäßig verwendeten Draht
versperrt, dann spricht alles dafür, daß sie ihn schon nach dem Auftrieb der Kühe am
Morgen nicht wieder entfernt hat. Denn nach dem eigenen Vortrag der Beklagten ist
ihnen vor diesem Tag eine Absperrung des Weges mit dem Draht durch Dritte nicht
bekannt geworden. Auch die Zeugin R.-S. und die Zeugin E., die ebenfalls gelegentlich,
nach ihrer Darstellung vor dem Strafsenat sogar regelmäßig, in dieser Gegend reitet,
hatten vorher noch keine Absperrung beobachtet. Nur der Zeuge K., der den Weg häufig
benutzt hat, wollte vor dem Landgericht hin und wieder, "aber eher selten" eine
Drahtabsperrung gesehen haben, während er sie vor dem Strafsenat noch strikt verneint
hatte. Für einen häufigen Mißbrauch des Drahtes durch Dritte besteht jedenfalls kein
Anhaltspunkt.
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Unter diesen Umständen hält der Senat die Darstellung der Beklagten, die die Beklagte
zu 1. als Beschuldigte auch vor dem Strafsenat gegeben hat, für widerlegt. Der Beklagte
zu 2) hat nämlich noch am Unfalltag selbst für seinen Haftpflichtversicherer schriftlich
festgehalten, daß seine "Frau sich ziemlich sicher (ist), den Draht auch wieder
ausgehangen zu haben" (Bl. 11 AH). Daraus folgt, daß die Beklagte zu 1) schon am
Unfalltag selbst nur "ziemlich sicher" war, eine sichere Erinnerung also fehlte. Gegen
die spätere Darstellung der Beklagten zu 1) sprechen auch folgenden Überlegungen:
Wenn die Beklagte zu 1. nach dem Auftrieb der Kühe am Morgen den Draht wieder
entfernt hätte und der Weg beim Abtrieb der Kühe am Nachmittag frei gewesen wäre,
dann müßten notwendigerweise Dritte vormittags den Draht zunächst wieder
angebracht, ihn nach dem Vorbeikommen der Zeugin R.-S. wieder gelöst und
schließlich nach dem Abtrieb der Kühe erneut gespannt haben, bevor dann der Kläger
verunglückte. Ein solcher Geschehensablauf ist gerade nach dem eigenen Vortrag der
Beklagten zu den im Bereich des Unfallortes normalen Verhältnissen so
unwahrscheinlich, daß er ausgeschlossen werden kann. Irgendein konkreter Hinweis
auf andere Personen, die sich an diesem Tag an dem späteren Unfallort zu schaffen
gemacht haben könnten, liegt nicht vor.
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Gegen diese Wertung spricht nicht, daß die Beklagte zu 1. am Morgen unstreitig die
Absperrung der G.straße wieder entfernt hat. Es liegt auf der Hand, daß eine solche
Absperrung auch bei einer Nebenstraße von vornherein aus Gründen der
Verkehrssicherheit nur für die kurze Zeit überhaupt in Betracht kommen kann, in der die
Kühe die Fahrbahn überqueren. Hier die Absperrung nicht wieder zu entfernen, wird
keinem Kuhtreiber in den Sinn kommen, der nicht ganz verantwortungslos handelt. Viel
eher kann er es übersehen oder aus Nachlässigkeit unterlassen, einen nicht
befahrbaren Waldweg wieder zu öffnen.
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Eine Wiederholung der Beweisaufnahme des Landgericht war nicht erforderlich. Der
Senat beurteilt nicht die Glaubwürdigkeit der Zeugen oder den Inhalt ihrer Aussagen
anders als das Landgericht, sondern kommt nur bei der Abwägung ihrer Aussagen und
der sonstigen Umstände des Falles zu einem anderen Ergebnis.
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Die Beklagte zu 1. war Verrichtungsgehilfin des Beklagten zu 2. im Sinne von § 831
BGB, weil sie dessen Kühe in seinem Auftrag auf die Weide trieb und auch die
Absperrungen mit seinem Wissen und Wollen vornahm. Dem sind die Beklagten nicht
entgegengetreten.
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2. Darüberhinaus haften die Beklagten dem Kläger auch wegen Verletzung ihrer
allgemeinen Verkehrssicherungspflicht, weil es - unabhängig von dem unter 1.
erörterten Verhalten der Beklagten zu 1. am 06.07.1994 - schon von vornherein nicht
zulässig war, zur Absperrung der Wege einen dünnen Weidedraht zu verwenden und
diesen nach Gebrauch an Ort und Stelle im Gras liegen zu lassen. Das gilt auch dann,
wenn den Beklagten vor dem Unfalltag eine mißbräuchliche Benutzung des Drahtes
nicht bekannt geworden und eine solche auch nach den Zeugenaussagen bis dahin
allenfalls selten vorgekommen war, wie der Zeuge K. bekundet hat. Immerhin befindet
sich in geringer Entfernung vom Unfallort ein Jugendheim, dessen Bewohner
erfahrungsgemäß Streichen nicht abgeneigt sind und die nach der Bekundung der
Zeugin E. vor dem Strafsenat im Sommer 1994 ein Band, mit dem die Beklagten eine
andere Weide im Bereich des Unfallortes abgesperrt hatten, abgerissen und über die
schon erwähnte G.straße gespannt haben. Der Zeuge K. hat sogar von einem allerdings
Jahre zurückliegenden Vorfall berichtet, bei dem Jugendliche aus dem Heim einen
schweren Unfall verursachten, als sie ein Seil über die Straße gespannt hatten. Auch
wenn es keinen Hinweis darauf gibt, daß solche Jugendliche sich am Unfalltag im
Bereich des Unfallortes, ja überhaupt auch nur in dem Heim aufhielten, mußten die
Beklagten in einer solchen Umgebung alles tun, um auch entfernter liegende Gefahren
von rechtmäßigen Benutzern der G.straße und der Waldwege abzuwenden. Das gilt
zumal dann, wenn eine Gefahrenabwehr leicht und ohne besonderen Aufwand möglich
ist. Die Verwendung von Weidedraht zur vorübergehenden Absperrung von Wegen
während des Viehtriebs mag in der Landwirtschaft vielfach üblich sein. Es mag auch
häufig vorkommen, daß dieser Draht nach Öffnung der Wege seitwärts liegengelassen
wird. Der Senat vertritt jedoch, wie in der mündlichen Verhandlung eingehend erörtert,
die Auffassung, daß diese Übung in einer Umgebung wie hier im Bergischen Land nicht
mehr anerkannt werden kann. Auch schon zur Unfallzeit im Sommer 1994 hatten sich
hier, wie allgemein bekannt ist, neben dem Wandern Freizeitbetätigungen wie Joggen,
Radfahren und Reiten in der freien Landschaft zunehmend verbreitet, zumal die Gegend
noch zum Einzugsbereich der Großstadt Köln gehört. Gerade Wald- und Wiesenwege
gehören zu den bevorzugten Flächen dieser Freizeitsportler, und nach Aufkommen der
Mountainbikes sind gerade Radfahrer in zunehmender Zahl auf derartigen Wegen
anzutreffen. Diese Veränderung im Freizeitverhalten haben auch die Beklagten als
Landwirte zur Kenntnis zu nehmen und sich im Rahmen des Zumutbaren darauf
einzustellen. Dazu gehört es, die Absperrung von der Öffentlichkeit zugänglichen
Wegen mit dünnen und daher zwangsläufig leicht zu übersehenden Drähten zu
vermeiden und solche Drähte auch nicht neben den Wegen im Gras liegenzulassen,
nachdem die Absperrung aufgehoben ist. Wenn der Bundesgerichtshof davon
gesprochen hat, daß in der Landwirtschaft nur die dort allgemein üblichen
Sicherungsmaßnahmen einzuhalten seien, dann nur unter der zusätzlichen
Voraussetzung, daß diese Sicherungsmaßnahmen im Verkehr als ausreichend
angesehen werden (BGH VersR 1992, 844). Gerade letzteres kann heutzutage, d.h.
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auch schon im Sommer 1994, bei der Verwendung von Weidedraht zur
vorübergehenden Wegesperrung und bei seiner Lagerung am Wegesrand nach
Benutzung nicht mehr angenommen werden. Dies insbesondere auch deshalb nicht,
weil es ohne Schwierigkeiten möglich ist, besser erkennbare, einfach zu handhabende
und leicht und billig zu beschaffende Absperrmittel zu verwenden. Hierzu hat der Senat
schon in der mündlichen Verhandlung auf die überall erhältlichen rotweißen
Plastikketten verwiesen, die sämtliche soeben genannten Eigenschaften aufweisen. Es
ist sogar zumutbar, solche Ketten oder vergleichbare Absperrmittel nicht draußen
liegenzulassen, sondern beim Viehtrieb jeweils vom Hof mitzunehmen. Irgendwelche
unzumutbaren Beschwernisse sind damit nicht verbunden, geht es doch nur um jeweils
wenige Meter Länge von nicht nennenswertem Gewicht. Damit wäre die Gefahr, daß
Wegebenutzer wie der Kläger an einer Absperrung zu Fall kommen, ausgeräumt oder -
bleiben die verwendeten Absperrmittel im Freien liegen - jedenfalls erheblich
herabgesetzt.
3. Ein anderer Grund für den Sturz des Klägers als der über den Weg gespannte Draht
ist nicht ersichtlich und wird auch von den Beklagten nicht ernstlich behauptet. Dabei
kann es dahinstehen, ob der Kläger regelrecht über diesen Draht oder infolge
Abbremsens in letzter Sekunde gestürzt ist. Daß er zu schnell in den Waldweg
eingefahren sei, ist durch nichts belegt. Er hatte auch keinen Anlaß, über das normale
beim Übergang von einer asphaltierten Straße auf einen nicht befestigten Weg
erforderliche Maß hinaus vorsichtig zu sein, denn mit einem außerhalb der Zeit des
Viehtriebs über den Weg gespannten Weidedraht brauchte er nicht zu rechnen. Ein
solcher Draht ist auch bei Tageslicht vor dem Hintergrund des Weges zumal im Wald
und auch am Waldrand erfahrungsgemäß erst spät zu erkennen. Es bedeutet deshalb
kein vorwerfbares Versäumnis, wenn der Kläger den Draht erst so spät bemerkt hat, daß
er nicht mehr rechtzeitig bremsen oder ausweichen konnte.
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4. Damit sind die Beklagten als Gesamtschuldner (§ 421 BGB) verpflichtet, dem Kläger
den durch den Sturz entstandenen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen.
Zur Höhe dieses Schadens, die bisher nicht im Vordergrund des Rechtsstreits
gestanden hat, ist noch eine Beweisaufnahme erforderlich, die der Senat dem
Landgericht überträgt. Insbesondere sind die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des
Klägers und ihre Entwicklung bis heute und in Zukunft sachverständig zu begutachten.
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Die Kostenentscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, bleibt dem
Landgericht vorbehalten.
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Beschwer für die Beklagten: 168.335,72 DM.
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