Urteil des OLG Köln vom 22.03.2000
OLG Köln: prothese, gutachter, patient, anschlussberufung, eingliederung, anhörung, zahnarzt, subjektiv, nahrung, behandlungsfehler
Oberlandesgericht Köln, 5 U 183/99
Datum:
22.03.2000
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 U 183/99
Vorinstanz:
Landgericht Bonn, 9 O 181/99
Tenor:
Berufung und Anschlussberufung gegen das Urteil der 9. Zivilkammer
des Landgerichts Bonn vom 4. August 1999 - 9 O 181/99 - werden
zurückgewiesen. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens
zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache - im wesentlichen aus den
zutreffenden Gründen des landgerichtlichen Urteils - keinen Erfolg. Auch die
Anschlussberufung des Beklagten ist zurückzuweisen.
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Weitergehende Ansprüche als vom Landgericht zuerkannt stehen der Klägerin
gegenüber dem Beklagten nicht zu. Die vom Beklagten gefertigte Unterkiefer-Prothese
war nämlich lediglich mit geringfügigen Mängeln behaftet, welche mit geringem
Kostenaufwand und ohne sonderliche Belastung für die Klägerin zu beheben waren.
Dies ergibt sich aus den gutachterlichen Feststellungen des Sachverständigen im
selbständigen Beweisverfahren sowie in erster Instanz. Bereits der für die gesetzliche
Krankenkasse tätige Gutachter Dr. L. hat in seinem Kurzgutachten vom 01.05.96
festgestellt, dass die Prothese zwar mängelbehaftet, jedoch nach einer Korrektur der
Bisslage brauchbar war. Diese Feststellung ist durch den in dem Beweisverfahren
tätigen Gutachter Dr. H. bestätigt worden. Dieser hat im einzelnen ausgeführt, in der
Schlussbisslage mit der Prothese werde fehlender Kontakt der Frontzähne festgestellt.
Der Abstand zwischen oberen und unteren Frontzähnen betrage ca. 1 mm. Es
bestünden bei den Zähnen 44 und 46 sowie 34, 35, 36 Frühkontakte, die eine
regelrechte Okklusion verhinderten. Der Sitz der Oberkieferprothese sei nicht zu
beanstanden; die Form der Unterkieferbasis stimme jedoch nicht mit der Unterkieferform
überein. Die Basis der Prothese decke den Kieferkamm im Frontzahnbogen nicht ab,
sondern lasse den lingualen Teil des Kiefers unbedeckt und damit unbelastet. Auch
dieser Gutachter hat bestätigt, dass die Unterkieferprothese in diesem Zustand nicht
korrekt sei, weil Frühkontakte bestünden, die bei Schlussbisslage einen allumfassenden
Kontakt der Molaren verhinderten. Dies stelle einen Mangel dar, der durch
Einschleifmaßnahmen behoben werden könne. Durch solche Einschleifmaßnahmen
werde auch die Non-Okklusion in der Frontzahnregion behoben. Die Unterkieferbasis
sei nicht ausreichend dem Kiefer angepasst, welches ebenfalls ein Mangel darstelle,
wobei ein dadurch entstehender Druckschmerz subjektiv durch die Klägerin
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wahrnehmbar sei; objektiv seien jedoch keine Druckstellen oder Gebiete entzündeter
Schleimhaut festzustellen gewesen. Eine ordnungsgemäße Instandsetzung könne
durch eine totale Unterfütterung mit funktioneller Randgestaltung vorgenommen werden.
Die von dem Gutachter hierfür veranschlagten Kosten belaufen sich exakt auf den vom
Landgericht zuerkannten Betrag. Weitere Mängel und diesbezügliche negative
Auswirkungen für die Klägerin hat der Sachverständige jedoch nicht festgestellt, dies
auch nicht im Rahmen einer Anhörung vor dem Landgericht. Vielmehr hat er anlässlich
dieser Anhörung darauf hingewiesen, dass sich auch nach Kenntnis der Schriftsätze
aus der Gerichtsakte an seiner Beurteilung nichts ändere. Zum Zeitpunkt seiner
Untersuchung, die nur wenige Wochen nach der durchgeführten Behandlung lag, seien
Entzündungen und Druckstellen bei der Klägerin nicht vorhanden gewesen. Auch der
bereits erwähnte Gutachter Dr. L., der für die AOK Rheinland tätig gewesen war, hat
solche Druckstellen oder Entzündungen ausweislich seines bereits erwähnten
Kurzgutachtens nicht festgestellt. Auch bei seiner mündlichen Anhörung hat der
Sachverständige Dr. H. erneut deutlich gemacht, dass die vom Beklagten gefertigten
Prothese nur mit geringfügigen Mängeln behaftet war, die mit geringem Kostenaufwand
und ohne sonderliche Belastung für die Klägerin zu beheben waren. Insbesondere hat
der Sachverständige sehr eingehend dargelegt, dass die angebliche Entzündung im
Mund der Klägerin, die im übrigen zum Zeitpunkt seiner Untersuchung nicht mehr
vorhanden war, jedenfalls nicht mit den geringfügigen Mängeln der Leistung des
Beklagten zusammenhängt bzw. nicht hierauf beruht. Die dahingehenden Ausführungen
des Sachverständigen H. erscheinen auch dem Senat in jeder Hinsicht überzeugend, so
dass es keines Eingehens auf die weitere Frage bedarf, ob die angebliche Entzündung
zu einer Veränderung des Unterkiefers geführt hat mit der Folge, dass dann jedenfalls
zu einem späteren Zeitpunkt die Einfügung von Implantaten erforderlich war. Im übrigen
sind der eher undifferenzierten Bescheinigung des Dr. P., (vom 23.11.1997) auf welche
die Klägerin sich beruft, auch keine fundierten Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass
und weshalb tatsächlich die Einbringung von Implantaten die einzig mögliche
Maßnahme gewesen sein sollte, um der Kiefersituation der Klägerin in angemessener
Weise Rechnung zu tragen. Es kann dahinstehen, ob bei der Klägerin nach März 1996
eine Veränderung in der Struktur des Unterkiefers eingetreten ist; nach den
überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. H. ist jedenfalls nicht
ersichtlich, dass diese Veränderungen auf einer fehlerhaften Arbeit des Beklagten
beruhen. Die sachlich fundierten Ausführungen des Sachverständigen Dr. H.
überzeugen in jeder Hinsicht und sind von der Klägerin im übrigen auch nicht
substantiiert angegriffen worden. Eine weitergehende Beweiserhebung durch Einholung
eines weiteren Sachverständigengutachtens war demzufolge nicht erforderlich und wäre
im übrigen auch nicht aussichtsreich, weil bei der Klägerin nicht mehr die ursprüngliche
Kiefersituation vorhanden ist und insbesondere auch nicht mehr das vom Beklagten
gefertigte Gebissteil eingefügt ist, so dass eine weitergehende Beurteilung von dessen
behaupteter Mangelhaftigkeit nicht mehr möglich erscheint.
Soweit die Klägerin im übrigen im Rahmen ihres Berufungsvorbringens behauptet hat,
sie habe ständig Entzündungen im Prothesenbereich gehabt und habe deshalb über
längere Zeiträume nur flüssige Nahrung zu sich nehmen können, so lässt sich - die
Richtigkeit dieses Vorbringens unterstellt - hieraus nicht zwingend herleiten, dass diese
behaupteten Entzündungszustände auf fehlerhafter Arbeit des Beklagten beruhen. Wie
dem Senat, der als Spezialsenat wiederholt mit vergleichbaren medizinischen
Sachfragen befasst ist, hierdurch und auch durch wiederholte Feststellungen von
Sachverständigen in vergleichbaren Verfahren bekannt ist, ist es durchaus nicht selten,
dass ein Patient aus letztlich nicht vollständig abzuklärenden Gründen auch eine
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sachgerecht gefertigte Vollprothese nicht toleriert. Infolge unterschiedlicher Sensibilität
oder Hautbefindlichkeit kann es insoweit durchaus zu Problemen wie z.B. auch
Entzündungen kommen, ohne dass hierfür in jedem Fall eine unsachgemäße
Anfertigung der Prothese ursächlich sein muss. So hat auch der Sachverständige erster
Instanz, Dr. H., klargestellt, es sei durchaus erklärlich, dass die Klägerin mit der vom
Beklagten eingebrachten Prothese nicht zurecht gekommen sei. Dies sei häufig der Fall,
wenn jemand seine erste Prothese verliere. Dann habe der Patient den Eindruck, dass
die neu eingebrachte Prothese nicht mehr "seine" Prothese sei; die vorher durch den
Gebrauch sich ergebenden Anpassungen der alten Prothese seien bei der neuen - auch
einer fachgerecht angefertigten Prothese - nicht gegeben. Der Patient habe demzufolge
subjektiv das Gefühl, dass es sich nicht um eine gleich gut sitzende Prothese wie bei
der voraufgegangenen handele. Hieraus könnten sogar auch psychosomatische
Beschwerden resultieren, wobei in solchen Fällen letztlich schwer zu beurteilen sei,
weshalb der Patient die Prothese letztlich nicht toleriere.
Der Sachverständige hat in diesem Zusammenhang auch die Behauptung der Klägerin
widerlegt, die nachfolgend durch einen anderen Zahnarzt angefertigte Prothese mit
Implantaten sei von ihr deshalb toleriert worden, weil dieser Arzt ein anderes Material
verwendet habe. Der Sachverständige hat vielmehr darauf hingewiesen, dass das
Material der von dem Beklagten gefertigten Prothese das nämliche gewesen sei, wie bei
der später angefertigten Prothese. Dass eine Entzündung, wie von der Klägerin geklagt,
zwar aufgrund von Druckstellen nach Eingliederung einer neuen Prothese auftreten
kann, hat der Sachverständige als normal bezeichnet, gleichzeitig aber darauf
hingewiesen, dass dies nicht auf einen Behandlungsfehler des Beklagten
zurückzuführen sei und diese minimalen Behandlungsfehler im Rahmen der Anfertigung
der Prothese auch nicht etwa dazu führen könnten, dass die Klägerin über längere Zeit
nur flüssige Nahrung habe zu sich nehmen können.
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Eine Kausalität hat der Sachverständigen im übrigen auch hinsichtlich der von der
Klägerin geklagten Schmerzen in Bezug auf die von ihm festgestellten geringfügigen
Mängeln ausdrücklich verneint und in diesem Zusammenhang ferner darauf
hingewiesen, dass das fehlende Tragen der Prothese durch die Klägerin über einen
längeren Zeitraum der sachgerechten Eingliederung nachteilig gewesen sei; eine neue
Prothese müsse nämlich getragen werden, damit eine Eingliederung in den Mund
stattfinden könne.
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Unberechtigt ist die Rüge der Klägerin, der Sachverständige hätte eine
Röntgenaufnahme durchführen müssen. Tatsächlich bedurfte es einer solcher
Maßnahme nicht; dass sich der Kieferboden bis Herbst 1997 verändert hat, ist ohne
weiteres einleuchtend, ist jedoch nicht dem Beklagten anzulasten, wie auch der
Sachverständige klargestellt hat.
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Mit eingehender und überzeugender Begründung hat der Sachverständige auch
dargelegt, dass die über 18 Monate nach der von dem Beklagten angefertigten Prothese
anderweit von Dr. P. durchgeführte prothetische Behandlung eine vollkommen andere
Sanierung darstellte, wobei das Einsetzen von Implantaten weitaus höherwertig und in
den Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse nicht vorgesehen sei. Der
Sachverständige hat anschaulich geschildert, dass diese nachfolgende Behandlung
vermittels Implantaten weit "über das hinausgeschossen ist, was eventuell erforderlich
gewesen sein könnte, um die erste Prothese bzw. deren nicht ordnungsgemäße
Anfertigung zu heilen. In jedem Falle hätte es insoweit gereicht, die erste nicht
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vollständig ordnungsgemäße Prothese herauszunehmen und eine entsprechende neue
Prothese entsprechender Art anzufertigen. Statt dessen habe der nachbehandelnde Arzt
Dr. P. eine viel weitergehende Behandlung durchgeführt, die jedenfalls nicht aufgrund
des Einsatzes der ersten Prothese und der insoweit festzustellenden Mängel
erforderlich geworden sei.
Diesen gesamten Ausführungen des Sachverständigen hat die Klägerin keine
fundierten Argumente entgegen gesetzt. Der Senat sieht auch deshalb keine
Veranlassung, eine weitere Begutachtung anzuordnen. Vielmehr bleibt es bei den
bereits vom Landgericht zuerkannten Nachbesserungskosten, die sich ausweislich der
Ausführungen des Sachverständigen Dr. H. auch mit den Kosten decken, die der
nachbehandelnde Arzt Dr. Sch. berechnet hat. Der Sachverständige hat insoweit
klargestellt, dass es sich bei den der Rechnung des Dr. Sch. zugrunde liegenden
Arbeiten offensichtlich um die von dem Sachverständigen geforderte Unterfütterung und
die funktionelle Randgestaltung am Unterkiefer handele, wobei sich die insoweit in
Ansatz gebrachten Kosten mit den vom Sachverständigen veranschlagten exakt
decken.
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Die Berufung der Klägerin konnte nach allem keinen Erfolg haben.
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Auch die Anschlussberufung des Beklagten ist unbegründet. Unstreitig hat die Klägerin
sich mehrfach Nachbehandlungen durch den Beklagten unterzogen, die jedoch -
ebenfalls unstreitig und im übrigen vom Sachverständigen Dr. H. bestätigt - im Ergebnis
nicht zu einer ordnungsgemäßen Gestaltung der Prothese sowie des betroffenen
Kieferbereiches geführt haben. Nach mehrfachen erfolglosen
Nachbesserungsversuchen war es der Klägerin nicht zuzumuten, weitere
Reparaturmaßnahmen durch den Beklagten durchführen zu lassen. Vielmehr war sie
berechtigt, insoweit einen anderen Zahnarzt aufzusuchen, so dass der Beklagte die
insoweit entstandenen Kosten entsprechend der Rechnung des Dr. Sch. wie vom
Landgericht zuerkannt zu erstatten hat.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 92 Abs. 2 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziffer 10, 713
ZPO.
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Berufungsstreitwert: 6.439,16 DM.
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Wert der Anschlussberufung des Beklagten: 117,24 DM.
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Wert der Beschwer der Klägerin: 6.439,16 DM.
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Wert der Beschwer des Beklagten: 117,24 DM.
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