Urteil des OLG Köln vom 12.12.1995

OLG Köln (verhältnis zu, leser, erste instanz, bewertung, 1995, verhältnis, gerichtskosten, widerruf, behauptung, unterlassung)

Oberlandesgericht Köln, 15 U 90/95
Datum:
12.12.1995
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
15. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
15 U 90/95
Vorinstanz:
Landgericht Bonn, 10 O 533/94
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 07. April 1995 verkündete
Teilanerkenntnis- und Schlußurteil der 10. Zivilkammer des
Landgerichts Bonn - 10 O 533/94 - abgeändert und wie folgt neu gefaßt:
1. Den Beklagten zu 1) und 2) wird bei Meidung eines für jeden Fall der
Zuwiderhandlung verwirkten Ordnungsgeldes bis zu 500.000,00 DM,
ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten
untersagt, zu behaupten und/oder zu verbreiten, die Klägerin sei mit
einem Beförderungsstop belegt worden. 2. Die Beklagte zu 3) wird
verurteilt, folgenden Widerruf zu erklären: W i d e r r u f In der taz vom
03.09.1994 habe ich unter der Überschrift "Reinrassige Ansichten"
behauptet, in Zusammenhang mit einer 1990 erfolgten Publikation des
Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung sei Frau Prof. Dr. H. mit
einem "Beförderungsstop belegt" worden. Diese Behauptung ist falsch.
Ich widerrufe sie hiermit. Berlin, den........ Dr. S. H. Im übrigen wird die
Klage abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz werden
wie folgt verteilt: Von den Gerichtskosten tragen die Klägerin 9/11 und
die Beklagten zu 2) und 3) je 1/11. Die Klägerin trägt die
außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) ganz, von den
außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2) trägt sie 7/8, von
denjenigen der Beklagten zu 3) 2/3. Der Beklagte zu 2) trägt von den
außergerichtlichen Kosten der Klägerin 1/11, die Beklagte zu 3)
ebenfalls 1/11. Im übrigen trägt jede Partei ihre außergerichtlichen
Kosten selbst. Von den Kosten des zweiten Rechtszuges trägt die
Klägerin 19/20 der Gerichtskosten, die außergerichtlichen Kosten der
Beklagten zu 1) und 2) ganz und 2/3 derjenigen der Beklagten zu 3); die
Beklagte zu 3) trägt 1/20 der Gerichtskosten sowie 1/7 der
außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Im übrigen tragen die Parteien
ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Das Urteil ist vorläufig
vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
1
Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg.
2
1.
3
Mit der vorliegenden Klage wendet sich die Klägerin gegen die Veröffentlichung eines
Beitrags der Beklagten zu 2) und 3) in der von der Beklagten zu 1) verlegten "die
Tageszeitung" (im folgenden: taz) vom 03. September 1994, der - neben der
Hauptüberschrift "Reinrassige Ansichten" - den Untertitel "Deutsche Vertreterin bei
Kairoer Konferenz hält Afrikaner für weniger intelligent" trägt. Durch Urteil vom 07. April
1995 (Bl. 51 ff. d.A.), auf das wegen aller weiteren Einzelheiten verwiesen wird, sind die
Beklagten u.a. zur Unterlassung und zum Widerruf verurteilt worden, die Klägerin "halte
Afrikaner für weniger intelligent".
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Mit der Berufung wenden sich die Beklagten gegen die Unterlassungsverfügung
(Urteilstenor zu 1) sowie gegen die Widerrufsverpflichtung (Urteilstenor zu 3, 4 und 5 a).
Soweit die Beklagte zu 3) darüber hinaus (Urteilstenor zu 5 b) verurteilt worden ist, die
Behauptung zu widerrufen, die Klägerin sei mit einem "Beförderungsstop belegt"
worden, hat sie die Berufung zurückgenommen (Bl. 170 d.A.).
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Die Berufung der Beklagten hat nach Maßgabe der im Verhandlungstermin vom 24.
Oktober 1995 verlesenen Berufungsanträge in der Sache Erfolg; das Landgericht hat die
Beklagten zu Unrecht zur Unterlassung und zum Widerruf verurteilt. Der Klägerin steht
in bezug auf die inkriminierte Überschrift "Deutsche Vertreterin bei Kairoer Konferenz
hält Afrikaner für weniger intelligent" ein Unterlassungs- und Widerrufsanspruch gegen
die Beklagten nicht zu; das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
6
2.
7
Die geltend gemachten Unterlassungs- und Widerrufsansprüche richten sich, soweit sie
noch Gegenstand des Berufungsverfahrens sind, ausschließlich gegen den Untertitel
des Beitrages ("Deutsche Vertreterin bei Kairoer Konferenz hält Afrikaner für weniger
intelligent"). Die Klägerin und das Landgericht halten diese Aussage für eine
"ehrenrührige Tatsachenbehauptung im Sinne des § 186 StGB", die zu unterlassen sei;
denn es handele sich hier nicht nur um "eine bloße Bewertung der von der Klägerin im
Verlauf des Gesprächs mit der Beklagten zu 3) gemachten Äußerung im Sinne einer
Meinungsäußerung" (Urteil Seite 14), vielmehr gehe es "um die Behauptung einer
inneren Tatsache, nämlich die Einstellung der Klägerin zu der Intelligenz von
Afrikanern". Die Überschrift beinhalte daher "nicht nur eine subjektive Wertung der
Klägerin als Person und ihrer Äußerungen, sondern die Behauptung der Einstellung der
Klägerin als Tatsache" (Urteil Seite 15). Der Klägerin würden in der Überschrift
"rassistische Ansichten unterstellt", was ihre Eignung als Direktorin des Bundesinstituts
für Bevölkerungsforschung in Frage stelle. Die Beklagten hätte, so hat das Landgericht
schließlich dargelegt, nicht den ihnen obliegenden "Beweis der Wahrheit" erbracht, da
"sich die behauptete Einstellung der Klägerin nicht aus dem von ihr mit der Beklagten zu
3) geführten Gespräch vom 09. Mai 1994" ergebe (Urteil Seite 15).
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Dieser Begründung vermag der Senat nicht beizutreten; die Bedeutung, die das
Landgericht der inkriminierten Titelüberschrift beimißt, hält der gebotenen
verfassungsgemäßen Auslegung (Art. 5 Abs. 1 GG) des Textbeitrages nicht stand; die
Überschriften ("Reinrassige Ansichten" und "Deutsche Vertreterin bei Kairoer Konferenz
hält Afrikaner für weniger intelligent") sind vielmehr eine (zusammenfassende)
Bewertung (Meinungsäußerung), die äußerungsrechtlich nicht beanstandet werden
kann. Eine rechtswidrige Persönlichkeitsverletzung (§ 823 Abs. 1 BGB) der Klägerin
liegt nicht vor:
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des
Bundesverfassungsgerichts, von der abzuweichen kein Anlaß besteht, richtet sich die
Beurteilung einer Äußerung als Werturteil oder Tatsachenbehauptung nicht nach dem
Wortlaut und der äußeren Form, in die die Veröffentlichung gekleidet ist, sondern nach
ihrem Inhalt, so wie er nach dem Gesamtzusammenhang von dem angesprochenen
Leserkreis verstanden wird. Eine zusammenfassende Wertung von Einzeltatsachen
kann im Einzelfall nach dem Verständnis des angesprochenen Leserkreises durchaus
als eine "Zusammenfassung von Tatsachenbehauptungen", die ihrerseits dem Beweis
zugänglich ist, angesehen werden (vgl. BGH Urteil vom 22. Oktober 1987 - I ZR 247/85
= NJW 1988, 1589 = AfP 1988, 25 ff. - "mit Verlogenheit zum Geld"). Eine solche
zusammenfassende Würdigung von Tatsachen, die ihrerseits einem Beweis zugänglich
ist, liegt hier jedoch in der inkriminierten Überschrift nicht:
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Ist - wie hier - für die Darstellung eines subjektiven Eindrucks über einen Betroffenen
eine bewertende Kurzformel gewählt worden (hier: "Deutsche Vertreterin bei Kairoer
Konferenz hält Afrikaner für weniger intelligent"), so handelt es sich um die Verbreitung
einer Tatsachenbehauptung, wenn für den unbefangenen Leser der tatsächliche Gehalt
der Äußerung im Vordergrund steht.
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Das mag hier für den Untertitel auf den ersten Blick der Fall sein; bei der
verfassungsmäßig gebotenen Gesamtsicht darf aber der Kontext der Aussage nicht
außer Betracht gelassen werden; denn die Aussage, deren Unterlassung und Widerruf
die Klägerin begehrt, ist nicht unmittelbar Teil des Textbeitrages, sondern ein
(Unter)titel, der - plakativ - dem Leser eine Aussage vermittelt, die ihn (erst) zum Lesen
des Beitrages und zur Überprüfung der Aussage anregen soll. Bei der inkriminierten
Titelüberschrift steht daher - wie in der Regel bei einer Überschrift - die "Quintessenz"
des Textbeitrages im Vordergrund. Es kommt daher bei der gebotenen Gesamtschau
der inkriminierten Aussage wesentlich darauf an, ob für den angesprochenen Leser der
tatsächliche Gehalt der Überschrift überwiegt.
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Das ist nicht der Fall; denn zum einen - die Klägerin wird dort nicht namentlich genannt -
erfüllen die Überschriften hier erkennbar nur den "Zweck", den Leser zum Lesen des
Beitrages zu "animieren"; zum anderen sind die Überschriften (auch der inkriminierte
Untertitel) aus sich heraus nur begrenzt "aussagefähig"; erst der Textbeitrag selbst
macht die Zusammenhänge sichtbar und die Aussage in ihrem Kerngehalt verständlich.
Mit anderen Worten: Erst der Beitrag selbst, nicht die Überschriften allein, vermitteln
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dem Leser das notwendige Verständnis. Damit hat aber die Titelüberschrift nur die
Bedeutung einer (zulässigen) Bewertung von Vorgängen, die in dem Textbeitrag selbst
behandelt werden. Eine eigenständige "Tatsachenbehauptung" liegt nicht vor.
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Eine Persönlichkeitsverletzung liegt hier auch nicht etwa deshalb vor, weil die Klägerin
von den Autoren des Beitrages "falsch" zitiert worden ist; ein der Selbsteinschätzung der
Klägerin zuwiderlaufender Gesamteindruck ist von den Autoren des Beitrags nicht
hervorgerufen worden. Eine Persönlichkeitsverletzung durch ein "falsches Zitat" liegt
nicht vor (siehe dazu BVerfG, AfP 1993, 563 ff.). Dem unbefangenen Leser wird
vielmehr durch den Textbeitrag deutlich gemacht, daß die in der Titelüberschrift
gewählten "Kurzformeln" (BVerfG, AfP 1989, 532) auf eigenen Bewertungen der
Autoren beruhen und nicht etwa auf einer von der Klägerin selbst zum Ausdruck
gebrachten "Selbsteinschätzung". Die Autoren haben hier Äußerungen der Klägerin, die
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sie zu einem bestimmten Themenkreis geäußert hat, bewertet; die Kernaussagen des
Textbeitrages bestehen daher - für den unbefangenen Leser eindeutig erkennbar - in der
Mitteilung eines subjektiven Eindrucks, den der Interviewer von den Ansichten der
Klägerin gewonnen hat. Ob diese "Bewertung" der Sachaussagen der Klägerin im
Gespräch vom 09. Mai 1994 durch die Autoren des Textbeitrages zutreffend sind oder
nicht, kann offenbleiben; denn die Wertung ist als solche für den Leser erkennbar und es
ist ihm überlassen, ob er der Einschätzung der Autoren ("Deutsche Vertreterin bei
Kairoer Konferenz hält Afrikaner für weniger intelligent") folgen will oder nicht. Damit
stellt sich die inkriminierte Überschrift eindeutig als eine subjektive Bewertung des
Autors dar, die der Leser aufgrund des Kontextes unschwer erkennen kann; die
Darstellung des subjektiven Eindrucks in der Titelüberschrift ist dann aber auch keine
Tatsachenbehauptung, sondern sie bleibt "Wertung".
Da in der Äußerung auch keine sog. Schmähkritik gesehen werden kann, steht der
Klägerin der geltend gemachte Unterlassungs- und Widerrufsanspruch in bezug auf die
inkriminierte Titelüberschrift nicht zu. Das angefochtene Urteil war daher auf die
Berufung der Beklagten abzuändern.
16
3.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 91 a, 93, 515 Abs. 3 ZPO; der Ausspruch über
die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 709, 713 ZPO.
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Streitwert für die Berufungsinstanz:
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a)
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für die Gerichtskosten:
21
Bis einschließlich Erörterung am 24. Oktober 1995: 70.000,00; DM danach: 60.000,00
DM
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b)
23
für die Anwaltsgebühren:
24
Im Verhältnis Klägerin zu den Beklagten zu 1) und 2) jeweils 20.000,00 DM; im
Verhältnis zu der Beklagten zu 3): 30.000,00 DM.
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Der Streitwert für die erste Instanz wird gemäß § 25 Abs. 2 S. 2 GKG wie folgt geändert:
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Bis 19.12.1994: 110.000,00 DM;
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danach: 70.000,00 DM.
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Für die außergerichtlichen Kosten gilt:
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a)
30
im Verhältnis Klägerin zu den Beklagten zu 1) und 2):
31
bis zum 19.12.1994: jeweils 40.000,00 DM;
32
ab 20.12.1994: jeweils 20.000,00 DM
33
b)
34
im Verhältnis zu der Beklagten zu 3): 30.000,00 DM
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