Urteil des OLG Köln vom 03.04.1992
OLG Köln (stgb, fahrspur, wagen, gefahr, ampel, vorsatz, unfall, prüfung, wert, folge)
Oberlandesgericht Köln, Ss 100/92 (63)
Datum:
03.04.1992
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
Ss 100/92 (63)
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den getroffenen Feststellungen
aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung
- auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des
Landgerichts Köln zurückverwiesen.
G r ü n d e
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Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen vorsätz-licher Gefährdung des
Straßenverkehrs sowie uner-laubten Entfernens vom Unfallort zu einer Gesamt-
geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 100,00 DM ver-urteilt. Zugleich hat es ihm die
Fahrerlaubnis ent-zogen, seinen Führerschein eingezogen und angeord-net, daß ihm
vor Ablauf von neun Monaten keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden dürfe.
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Das Landgericht hat den Angeklagten auf seine Beru-fung unter Freisprechung im
übrigen wegen vorsätz-licher Verkehrsgefährdung zu einer Geldstrafe von 40
Tagessätzen zu je 30,00 DM verurteilt; von einer Entziehung der Fahrerlaubnis hat es
abgesehen.
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Das Landgericht hat folgende Feststellungen ge-troffen:
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"Am 19. März 1991 gegen 18.50 Uhr befuhr der Angeklagte und die Zeugin M. und
B. jeweils in ihren Fahrzeugen in K. den H. in Richtung B. . Vor der rot zeigenden
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Ampel vor dem B. standen auf der linken gerade-ausführenden Fahrspur als erster
Wagen der des Zeugen M., dahinter der der Zeugin B.. In der rechten Fahrspur
stand zumindest ein anderer unbekannt gebliebener Verkehrs-teilnehmer. Als die
Ampel auf grün sprang, fuhren die Fahrzeuge an. Die beiden Zeugen wollten mit
ihren PKW geradeaus in Richtung C. fahren. Der Angeklagte näherte sich der
Ampel auf der rechten geradeaus weiter führenden Fahrspur. Da er an der
folgenden ca. 80 m entfernten Ampel links in Richtung S. einbiegen wollte,
beabsichtigte er, die Fahrspuren bis auf die nach der ersten Am-pel hinzu
kommenden stark befahrenen zwei Linksabbiegespuren zu wechseln. Er setzte den
Blinker links und wollte, da er nicht an der nunmehr grün zeigenden ersten Am-pel
halten mußte, in zügiger Fahrt an den beiden Fahrzeugen der Zeugen vorbei, diese
überholen, und sich dann nach links einord-nen. Er sah in den Rückspiegel, sah
den von dem Zeugen M. gesteuerten Wagen, der die geradeaus führende Fahrspur
beibehielt. Es konnte nicht mit Sicherheit geklärt werden, ob der Angeklagte eine
volle Wagenlänge vor dem Zeugen M. war, als er ohne das Vorrecht M. zu achten,
seinen Wagen auf die vom Zeugen M. befahrene Spur zog und diesen damit zu
einem abrupten und starken Bremsen zwang. Die dahinter fahrende Zeugin B. hatte
den Angeklagten zwar bereits auf der Höhe des Wagens des Zeugen M. bemerkt,
war jedoch gerade beschleunigend nicht auf das plötzliche Abbremsen des Zeugen
M. ge-faßt. Sie fuhr auf den Wagen des Zeugen M. auf. Es entstand erheblicher
Sachschaden an den Fahrzeugen. Der Angeklagte setzte nach kurzem Halt, weil er
in den auf den Links-abbiegerspuren stehenden Verkehr sich nicht sofort einordnen
konnte, seine Fahrt fort, wobei nicht zu widerlegen ist, daß er von dem Unfall nichts
bemerkte."
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Zur rechtlichen Würdigung hat die Strafkammer aus-geführt:
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"Nach den getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte wegen einer
vorsätzlichen Verkehrsge-fährdung nach 3 315 c Abs. 1, 2 b StGB schuldig ge-macht.
Er hat die auf der von ihm ausgesehen linken Fahrspur fahrenden PKW der Zeugen
rechts überholt, um sich unvermittelt vor ihnen links einzuordnen und von dort weiter
auf die daneben verlaufende Linksabbiegerspur zu wechseln. Dabei konnte der
Zeuge M. das Auffahren auf den Wagen des Angeklag-ten nur verhindern, weil er
sein Fahrzeug abrupt abbremste und damit den Auffahrunfall der ihm fol-genden
Zeugin B. herbeiführte, die nicht rechtzei-tig reagieren konnte. Das Verhalten des
Angeklagten war deshalb grob rechtswidrig und rücksichtslos, weil der Angeklagte
aufgrund der gegebenen Ver-kehrslage erkannte, daß die von ihm überholten
Fahrzeuge beschleunigten, während er seine Gechwin-digkeit ermäßigen mußte, da
er von der Fahrspur der Zeugen weiter nach links in die daneben liegende
Linksabbiegerspur einwechseln wollte, was wegen der Verkehrsdichte auf dieser
Spur so einfach nicht möglich war. Er nahme deshalb in Kauf, nicht nur den Zeugen
M. zu dem gefährlichen Bremsmanöver zu zwingen, sondern alle auf der geradeaus
führenden Fahrspur befindlichen Fahrzeuge zu behindern. "
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Mit der Revision des Angeklagten wird die Verlet-zung materiellen Rechts gerügt.
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Das Rechtsmittel hat (vorläufigen) Erfolg.
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Es führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der
Sache an die Vorin-stanz.
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Die bisherigen Feststellungen tragen den Schuld-spruch nicht.
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Sie belegen bereits keine "grob verkehrswidrig" und "rücksichtslos" falsche
Fahrweise des Ange-klagten im Sinne des objektiven Tatbestandes des § 315 c Abs.
2 Nr. 2 b StGB. Die grobe Verkehrs-widrigkeit bezeichnet ein besonders gefährliches
Abweichen vom pflichtgemäßen Verhalten, welches die Sicherheit des
Straßenverkehrs erheblich beeichträchtigt und nicht selten schwerwiegende Folgen
hat (vgl. Senatsentscheidung vom 6. No-vember 1979 - Ss 803/79 = StVE § 315 c
StGB Nr.9 und vom 26. November 1991 - Ss 530/91; Ja-gusch/Hentschel,
Straßenverkehrsrecht, 31. Aufl., § 315 c StGB Rdn. 25; Cramer in Schönke/Schröder,
StGB, 24. Aufl., § 315 c Rdn. 25, 26).
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Rücksichtslos handelt nur, wer sich im Straßenver-kehr im Bewußtsein seiner
Verkehrspflichten aus eigensüchtigen Gründen über diese hinwegsetzt oder wer sich
aus Gleichgültigkeit auf seine Pflichten als Fahrer nicht besinnt, Hemmungen gegen
seine Fahrweise in sich gar nicht aufkommen läßt und unbekümmert um die Folgen
seines Verhaltes drauflos fährt (Senatsentscheidung StVE, § 315 c StGB Nr. 9;
Jagusch/Hentschel, a.a.O., § 315 c StGB Rdn. 21; Cramer in Schönke/Schröder,
a.a.O.,§ 315 c Rdn. 27 m. w. N.).
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Durch diese Merkmale des objektiven Tatbestandes wird erreicht, daß nur solche
Verkehrsverstöße Vergehen sind, die sowohl im objektiven wie im subjektiven
Bereich aus der Menge der Verkehrs-zuwiderhandlungen heraus ragen (vgl. Cramer
in Schönke/Schröder, a.a.O., § 315 c Rdn.25). Die Be-urteilung dieser
Tatbestandmerkmale erfordert daher präzise Feststellungen zu den konkreten
Umständen des Einzelfalls (vgl. Cramer in Schönke/Schröder, a.a.O., § 315 c Rdn.
26, 27). Solche Feststellungen lassen sich den Gründen des angefochtenen Urteils
indes nicht zureichend entnehmen. Es fehlen Angaben zu den Abständen zwischen
dem PKW des Angeklagten und dem PKW des Zeugen M. während und nach dem
Einscheren des Angeklagten. Ebenso läßt sich den Gründen nicht zuverlässig
entnehmen, ob der Ange-klagte unmittelbar nach dem Einscheren seines Fahr-zeugs
bis zum Stillstand abgebremst hat oder ob er zunächst lediglich eine
Geschwindigkeitsreduzierung vorgenommen hat (vgl. UA Seite 5 Zeile 10, 11; Sei-te
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7, Zeile 17; Seite 10, Zeile 8, 9). Schließlich fehlen Feststellungen zu den vom
Angeklagten und dem Zeugen M. gefahrenen Gechwindigkeiten, insbe-sondere der
Geschwindigkeitsdifferenz. Die im Rah-men der Beweiswürdigung mitgeteilte
Bekundung des Zeugen M., er habe bereits eine Geschwindigkeit von 30 bis 40 km/h
gehabt, hätte im Hinblick darauf, daß der Zeuge nach seinem Anfahren an der
Ampelan-lage H./B. noch nicht einmal eine Wegstrecke von 80 m zurückgelegt hatte,
einer kritischen Prüfung bedurft.
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Das Fehlen ausreichender Feststellungen im vorbe-schriebenen Sinne ermöglicht
darüberhinaus nicht die Prüfung, ob als Folge des Fahrverhaltens des Angeklagten
eine konkrete Gefahr für "Leib oder Leben eines anderen oder Sachen von
bedeutendem Wert", die weitere tatbestandsmäßige Voraussetzung einer
Verurteilung nach § 315 c Abs. 1 StGB ist, eingetreten ist. Eine konkrete Gefahr liegt
nur vor, wenn der Eintritt eines Schadens wahrschein-licher ist als sein Ausbleiben;
erforderlich ist eine nach der allgemeinen Lebenserfahrung im Einzelfall zu
berurteilende naheliegende Gefahr, die auf einen unmittelbar bevorstehenden Unfall
hindeutet (Senatsentscheidung vom 19. März 1991 - Ss 63/91 = NJW 1991, 3291
m.N.). Ohne solche Feststellungen läßt sich nicht ausschließen, daß die Reaktionen
des Zeugen M. und der Zeugin B. auf das Fahrverhalten des Angeklagten
maßgeblich auf eigene Unaufmerksamkeit zurückzuführen sind.
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Hinsichtlich der inneren Tatseite hat das Landge-richt nach dem Zusammenhang der
Gründe die soge-nannte Vorsatz- Fahrlässigkeits- Kombination ange-nommen; (§
315 c Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 StGB; Vorsatz hinsichtlich der Tathandlung, fahrlässige
Verursa-chung der konkreten Gefahr), die als Vorsatztat zu behandeln ist. Vorsatz
hinsichtlich der Tathandlung erfordert die Feststellung, daß sich der Täter einer von
ihm ausgehenden naheliegenden Gefahr für anderen Personen oder fremde
Sachgüter von bedeutendem Wert bewußt gewesen ist (BayObLG St 82, 137, 139;
Cramer in Schönke/Schröder, a.a.O. § 315 Rdn. 34). Dazu fehlen im angefochtenen
Urteil konkrete Feststellungen.
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Im weiteren Verfahren wird das Tatgericht auch zu erwägen zu haben, ob die
Fahrweise des Angeklagten - im dichten Feierabendverkehr des Verkehrsknoten-
punktes B. der Großstadt K. - nicht auch die Folge einer falschen Beurteilung der
Verkehrslage oder einer gelegentlichen Unaufmerksamkeit sein kann (vgl.
Senatsentscheidung StVE § 315 c StGB Nr. 9 m. N.). In diesem Fall würde jedenfalls
das Merkmal der Rücksichtslosigkeit ausscheiden, daß eine ge-steigerte subjektive
Vorwerfbarkeit im Sinne einer "extrem" verwerflichen Verkehrsgesinnung beinhaltet
(vgl. Senatsentscheidung, a.a.O.).
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