Urteil des OLG Köln vom 10.11.1999

OLG Köln: schweres verschulden, osteosynthese, versorgung, schmerzensgeld, zustand, gutachter, einwilligung, patient, medizin, kauf

Oberlandesgericht Köln, 5 U 162/97
Datum:
10.11.1999
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 U 162/97
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 11 0 442/95
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 6. August 1997 verkündete
Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 11 0 442/95 - wird
zurückgewiesen. Die Kosten der Berufung trägt der Kläger. Das Urteil ist
vorläufig vollstreckbar.
a) die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes
Schmerzensgeld nach dem Ermessen des Gerichts (Vorstellung des Klägers: DM 32.000,00)
nebst 4 % Zinsen aus DM 10.000,00 seit dem 16.10.1995 sowie weitere 4 % Zinsen für einen
über DM 10.000,00 hinausgehenden Schmerzensgeldbetrag seit dem 20. Dezember 1995 zu
zahlen,
b) festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger
jedweden materiellen Schaden zu ersetzen, der ihm zukünftig infolge der im M.hospital Aa.
am 19.04.1995 durchgeführten Operation seiner rechten Hand entstehen wird.
T a t b e s t a n d
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Der Kläger erlitt am 19. April 1995 Trümmerbrüche des vierten und fünften Fingers der
rechten Hand, die noch am selben Tag vom Beklagten zu 2) im Krankenhaus der
Beklagten zu 1) mittels Fixateur extern operativ versorgt wurden. Postoperativ zeigte
sich am 28. April 1995 eine Infektion am vierten Mittelhandknochen. Nach Abnahme des
Fixateur extern und Verheilung der Wunden erwiesen sich der vierte und fünfte Finger in
der Beweglichkeit erheblich eingeschränkt. Im August und Oktober 1995 versuchte der
Zeuge Dr. A. durch operative Eingriffe eine Verbesserung der Funktionsfähigkeit zu
erreichen, was nur unzureichend gelang.
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Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch. Er hat
Behandlungsfehler und unzureichende Aufklärung gerügt und, nachdem das
Landgericht die Klage zunächst durch Versäumnisurteil abgewiesen hatte, beantragt,
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unter Aufhebung des Versäumnisurteils die Beklagten als Gesamtschuldner zu
verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld nach dem Ermessen des
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Gerichts nebst 4 % Zinsen aus 10.000,00 DM seit dem 16. Oktober 1995 und vom
Restbetrag seit dem 20. Dezember 1995 zu zahlen sowie
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festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger
jedweden materiellen Schaden zu ersetzen, der ihm zukünftig infolge der im
M.hospital Aa. am 19.04.1995 durchgeführten Operation der rechten Hand entstehen
wird.
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Die Beklagten haben beantragt,
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das Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten.
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Sie sind den Vorwürfen entgegengetreten und haben die Schadensursächlichkeit des
Eingriffs bestritten.
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Das Landgericht hat nach Zeugenvernehmung und Einholung eines
Sachverständigengutachtens die Klage abgewiesen.
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Dagegen wendet sich der Kläger mit der Berufung. Er wiederholt und vertieft sein
erstinstanzliches Vorbringen und behauptet, die Verwendung eines Fixateur extern
habe bei den gegebenen Frakturen nicht dem Stand der Wissenschaft entsprochen,
vielmehr seien beide Finger durch Osteosynthese zu versorgen gewesen. Zudem sei
die Anbringung des Fixateurs mangelhaft erfolgt, auch die erforderliche Nachversorgung
sei nicht ausreichend gewesen.
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Über die in Betracht kommenden Alternativen der Osteosynthese und die mit dem
Fixateur verbundenen Risiken sei er nicht aufgeklärt worden; bei ordnungsgemäßer
Aufklärung hätte er sich gegen den Fixateur und für die Osteosynthese entschieden. Er
beantragt,
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das angefochtene Urteil abzuändern und
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Die Beklagten beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigen das angefochtene Urteil, wiederholen ihr erstinstanzliches Vorbringen
und behaupten, die Verwendung des Fixateurs habe als einzig mögliches Mittel dem
Stand der Wissenschaft entsprochen und sei ebenso wie die Nachbehandlung
ordnungsgemäß erfolgt. Über die Risiken und Alternativen sei der Kläger in der
erforderlichen Weise aufgeklärt worden.
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Wegen aller Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf Tatbestand und
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Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils sowie die im Berufungsrechtszug
gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung weiterer Sachverständigengutachten
und Vernehmung des Zeugen Dr. A.. Wegen des Ergebnisses wird auf die schriftlichen
Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. G./Dr. L. vom 26.08.1998 und 14.01.1999
sowie das Sitzungsprotokoll vom 04.10.1999 verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Berufung ist in der Sache nicht gerechtfertigt. Das Landgericht hat die
Klage mit Recht abgewiesen. Der Senat hat nach ergänzender Beweiserhebung keine
schadensursächlichen Behandlungsfehler feststellen können, was zu Lasten des
Klägers geht, der nach allgemeinen Grundsätzen die anspruchsbegründenden
Merkmale darzulegen und zu beweisen hat. Auch die Aufklärungsrüge verhilft der Klage
nicht zum Erfolg.
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1.
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Es ist nicht bewiesen, daß die Versorgung mittels Fixateur extern als veraltetes
Therapiekonzept medizinisch obsolet war und deshalb nicht mehr dem Stand der
Medizin entsprach, gar kontraindiziert war, wie der Kläger meint.
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Der erstinstanzlich hinzugezogene Sachverständige Prof. Dr. B. hat die Anlage eines
gelenküberbrückenden Fixateur extern (neben der Alternative einer
KirschnerdrahtOsteosynthese) für berechtigt erklärt, weil es sich um problematische
Frakturen im unmittelbar gelenknahen Bereich der Grundglieder handelte. Diese
Auffassung haben die Sachverständigen Prof. Dr. G./Dr. L. bestätigt und
wissenschaftlich eingehend begründet. Die Versorgung mittels Fixateur extern
repräsentiere "nach der medizinischen Datenlage und dem Stand der Forschung" ein
neben anderen Verfahren gleichberechtigtes Osteosyntheseverfahren, wenn instabile
Fingergliedtrümmerfrakturen mit Gelenksbeteiligung vorlägen, was hier gegeben war.
Dem hat auch der als Gutachter für den Kläger tätig gewesene Zeuge Dr. A. nicht
widersprochen (vgl. dessen Stellungnahme vom 13. November 1998).
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2.
28
Die gerichtlich hinzugezogenen Sachverständigen haben auch das nahezu senkrechte
Einbringen der Pins (dorsopalmar) in den Fingerknochen, bezogen auf den Zeitpunkt
der Versorgung im Jahre 1995, nicht als vorwerfbaren Verstoß gegen den zu wahrenden
medizinischen Facharztstandard bezeichnet. Dr. L. hat dies im Rahmen der mündlichen
Anhörung damit begründet (und belegt), daß es anerkannten Operationsempfehlungen
entsprach, die Pins dorsopalmar einzubringen. Die (zusätzliche) Schädigung von
Strecksehne und Gleitlager habe man in Kauf genommen, weil diese kompensierbar sei
und im Vordergrund die möglichst achsgerechte Einrichtung der Brüche gestanden
habe. Demgegenüber sei man heute generell der Auffassung, auch bei seitlicher
(diagonaler) Einbringung des Pins ohne Schädigung von Sehnen und/oder Gleitlager
sei eine gute Brucheinrichtung gewährleistet, was auch der Meinung des Zeugen Dr. A.
entspricht, der diese Variante bereits seit Ende der 70er Jahre praktiziert. Dem Senat
leuchtet der Vorteil der diagonalen Einbringung ohne weiteres ein, weil danach die
Beweglichkeit des Fingermittelgelenks erhalten bleibt, wie der Zeuge Dr. A. erläutert
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hat, während die zusätzliche Verletzung von Sehne und Gleitlager eher von
untergeordneter Bedeutung ist.
Rechtlich kommt es hierauf freilich nicht an, denn ob eine Behandlungsmaßnahme als
fehlerhaft zu qualifizieren ist, hängt vom Stand der Medizin zur Zeit ihrer Vornahme ab
(ex-ante-Sicht). Danach war das Vorgehen des Beklagten zu 2) aber nicht als Verstoß
gegen anerkannte Behandlungsregeln vorwerfbar.
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Im übrigen kommt es hierauf letztlich nicht einmal an. Selbst wenn das operative
Vorgehen zu beanstanden wäre, würde es doch am Nachweis der
Schadensursächlichkeit fehlen. Die Sachverständigen und auch der Zeuge Dr. A. haben
nicht ausschließen können, daß der desolate Zustand der Finger Folge der
Primärverletzung ist und nicht gerade auf dem dorsopalmaren Einbringen der Pins
beruht oder anders ausgedrückt, der unbefriedigende Zustand bei diagonalem
Einbringen nicht eingetreten, statt dessen eine völlige Wiederherstellung der
Funktionsfähigkeit, jedenfalls eine wesentliche Verbesserung derselben erreicht worden
wäre. Dr. A. hat in diesem Zusammenhang betont, es gehe darum, die optimale Chance
zu wahren. Damit ist die Schadensursächlichkeit nicht dargelegt.
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3.
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Schließlich sind auch keine schadensursächlichen Fehler im Zuge der postoperativen
Behandlung/Überwachung bewiesen. Die Sachverständigen Prof. Dr. B. und Prof. Dr.
G./ Dr. L. haben die Nachbehandlung anhand der Dokumentation kritisch gewürdigt und
keine Fehler oder Versäumnisse festgestellt. Da der Kläger die Feststellungen der
zweitinstanzlich hinzugezogenen Gutachter nicht (mehr) in Frage stellt, kann sich der
Senat eine weitere Begründung ersparen.
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4.
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Die Klage hat auch nicht aus dem Gesichtspunkt der eigenmächtigen und damit
rechtswidrigen Behandlung Erfolg, die (auch) dann anzunehmen ist, wenn die erteilte
Einwilligung mangels gehöriger Eingriffsaufklärung unwirksam ist.
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Die Risikoaufklärung ist im Streitfall nicht zu beanstanden. Der Kläger bestreitet selbst
nicht, daß er auf die Risiken: Blutungen, Infektionen, Wundheilungsstörungen,
Verletzung von benachbarten Strukturen (Gefäßen, Nerven), Thrombosen und Embolie
hingewiesen worden ist. Es liegt auf der Hand, daß es infolge solcher Komplikationen
zu bleibenden Dauerschäden, wie Bewegungseinschränkungen der verletzten Finger
und Versteifungen der Fingergelenke, kommen kann, wobei im übrigen offensichtlich ist,
daß solche Folgen häufig gerade unvermeidlich durch die Primärverletzung bedingt und
nicht Folgen des operativen Eingriffs sind, der gerade dazu dienen soll, solche zu
verhindern. Der Kläger behauptet denn auch selbst nicht, er würde eine operative
Versorgung der Trümmerbrüche abgelehnt, sich jedenfalls diesbezüglich in einem
erheblichen Entscheidungskonflikt befunden haben, wenn ihm gesagt worden wäre, es
könne ein Dauerschaden im dargelegten Sinne verbleiben. Ersichtlich geht es dem
Kläger auch gar nicht um die abstrakte Frage der Möglichkeit, daß ein Dauerschaden
verbleiben könnte, sondern darum, daß bei einer alternativen Versorgung mittels
Kirschnerdraht-Osteosynthese, über die er nicht aufgeklärt worden sei, dieses Risiko
geringer gewesen wäre, wie überhaupt diese Art der Therapie gefahrloser sei (so
Klageschrift, S. 7). Aber auch hiermit dringt er nicht durch.
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Zwar ist richtig, daß im Streitfall die Kirschnerdraht-Osteosynthese eine andere
geeignete, nach Angaben des Sachverständigen sogar wesentlich häufiger angewandte
Methode dargestellt hätte; eine Aufklärung über Behandlungsalter-nativen ist aber
grundsätzlich nur geboten, wenn konkret eine echte Alternative mit gleichwertigen
Chancen, aber andersartigen Risiken besteht (vgl. Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht,
8. Aufl., Rdn. 381). An letzterem fehlt es. Der Sachverständige Dr. L. hat ausgeführt, zu
einer Verletzung von Strecksehne und/oder Gleitlager könne es bei beiden Methoden
kommen. Umgekehrt seien Risiken und Erfolgschancen vergleichbar gut.
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Letztlich braucht dieser Gesichtspunkt aber nicht weiter vertieft zu werden, denn auch
insoweit fehlt es am Kausalitätsnachweis. Der BGH, dem der Senat folgt, verlangt in
ständiger Rechtsprechung, daß ein Patient, der seine Klage auf angebliche
Aufklärungsversäumnisse stützt, darlegt und beweist, daß er infolge des von seiner
Einwilligung nicht gedeckten Eingriffs einen Gesundheitsschaden erlitten hat (vgl. BGH
VersR 87, 667). Wie oben bereits dargelegt, kann aber nicht festgestellt werden, daß die
verbliebene Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Finger gerade auf der Art und
Weise des vom Beklagten zu 2) gewählten operativen Vorgehens beruht.
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Nur der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, daß er der Rechtsprechung
des OLG Jena (vgl. VersR 1998, 586), das bereits wegen der bei einer unterbliebenen
Aufklärung vorliegenden Mißachtung des Selbstbestimmunmgsrechts allein deswegen
ein Schmerzensgeld zuerkennt, nicht folgt. Der Sinn der Patientenaufklärung besteht in
erster Linie darin, den Patienten darüber bestimmen zu lassen, ob er die Risiken der
konkreten Heilbehandlung in Kauf nehmen will. Verwirklichen sich die Risiken, ohne
daß der Patient wirksam eingewilligt hat, wird Schadensersatz (auch Schmerzensgeld)
geschuldet, ansonsten nicht. Ob im Einzelfall wegen besonderer Umstände (grober
Verstoß gegen die Aufklärungspflicht, schweres Verschulden) etwas anderes gelten
kann, bleibt offen. Eine solche Fallgestaltung liegt hier ersichtlich nicht vor.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Wert der Beschwer für den Kläger: unter 60.000,00 DM.
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