Urteil des OLG Köln vom 10.03.1999

OLG Köln (ddr, kläger, anwendung des rechts, zgb, unrichtige auskunft, bundesrepublik deutschland, vaterschaft, verletzung, intimsphäre, 1995)

Oberlandesgericht Köln, 2 U 99/98
Datum:
10.03.1999
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 U 99/98
Vorinstanz:
Landgericht Bonn, 3 O 350/97
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 3. Zivilkammer des
Landgerichts Bonn vom 11. August 1998 - 3 O 350/97 - abgeändert und
wie folgt neu gefaßt: Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger hat die
Kosten beider Instanzen des Rechtsstreits zu tragen. Dieses Urteil ist
vorläufig vollstreckbar.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
1
Die Berufung der Beklagten ist zulässig. In der Sache hat sie Erfolg.
2
I.
3
Der Kläger kann aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt von der Beklagten Ersatz des
von ihm in der Vergangenheit an das Kind D. H. geleisteten Unterhalts verlangen.
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1.
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Die Beklagte ist nicht gemäß § 826 BGB verpflichtet, an den Kläger Schadensersatz zu
zahlen.
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a)
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Diese Vorschrift kommt für die von dem Kläger ab April 1988 erbrachten Zahlungen in
Betracht. Das vorliegend nach dem Klagevortrag geltend gemachte deliktische
Verhalten der Beklagten war nicht bereits vor der Wiedervereinigung am 3. Oktober
1990 bzw. der Übersiedelung der Beklagten in das Bundesgebiet im März 1988
vollständig abgeschlossen mit der Folge, daß gemäß der Übergangsregelung des Art.
232 § 10 EGBGB insgesamt das Recht der DDR anzuwenden wäre. Vielmehr handelt
es sich bei der vorgetragenen Schädigung gegebenenfalls um ein Dauerdelikt mit
identifizierbaren Teilakten (jeweils Duldung der monatlichen bzw. halbjährlichen
Überweisungen der Unterhaltsbeträge), so daß hinsichtlich der Anwendbarkeit des
maßgeblichen Rechts auf den Zeitpunkt des jeweiligen Schadenseintritts abzustellen
ist. Somit kann der Kläger eine Schadensersatzverpflichtung der Beklagten für die von
ihm in dem Zeitraum des gemeinsamen Aufenthaltes auf dem Gebiet der früheren DDR
(bis März 1988) erbrachten Leistungen nur auf die Vorschriften des Zivilgesetzbuchs der
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DDR stützen, während für den späteren Zeitraum das Bürgerliche Gesetzbuch
heranzuziehen ist.
b)
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Der Umstand, daß die Beklagte den Mehrverkehr mit dem Zeugen N. nicht von sich aus
offenbarte und damit den Kläger in den Glauben ließ, das Kind stamme von ihm, war
keine sittenwidrige, schädigende Handlung im Sinne von § 826 BGB. Es besteht nach
der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland keine schadensersatzrechtlich
sanktionierte Pflicht, einem Lebensgefährten einen Geschlechtsverkehr mit einem
Dritten mitzuteilen. Vielmehr müssen zusätzlich zu der fehlenden Offenlegung
besondere Umstände hinzutreten, nur das Verhalten als sittenwidrig erscheinen zu
lassen. Diese können beispielsweise darin liegen, daß eine Kindesmutter Zweifel des
vermeintlichen Vaters hinsichtlich der Abstammung durch unzutreffende Angaben oder
ausdrückliches Leugnen eines Mehrverkehrs zerstreut hat bzw. der Status eines Kindes
arglistig erschlichen worden ist (vgl. Staudinger/Oechsler, BGB, 13. Auflage 1998, § 826
Rdnr. 451). So hat das Oberlandesgericht Karlsruhe in einer Entscheidung aus dem
Jahre 1991 (NJW-RR 1992, 515) die Voraussetzungen des Schadensersatzanspruches
gemäß § 826 BGB für einen Fall bejaht, in dem die dort beklagte Kindesmutter dem
Scheinvater auf ausdrückliches Nachfragen erklärt hatte, nur er komme als Vater in
Betracht. Zudem hatte sie bewußt wahrheitswidrig gegenüber dem Jugendamt
präzisierend angegeben, sie habe während der gesetzlichen Empfängniszeit nur zu
dem dortigen Kläger intime Beziehungen unterhalten.
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Ein derartiges Verhalten der Beklagten ergibt sich weder aus dem unstreitigen
Sachverhalt noch aus dem Vortrag des Klägers. Der Beklagten kann gerade nicht
vorgeworfen werden, sie habe grob fahrlässig in dem Bewußtsein der möglichen
Schädigung über die Frage von Geschlechtsverkehr mit anderen eine unrichtige
Auskunft erteilt. Der Kläger zeigt selbst nicht auf, vor oder nach der Geburt gegenüber
der Beklagten jemals Zweifel an seiner Vaterschaft geäußert zu haben. Auch ist nicht
ersichtlich, daß der Kläger bei der Abgabe des objektiv unrichtigen
Vaterschaftsanerkenntnisses und den sich hieran anschließenden Unterhaltszahlungen
jeweils dadurch hätte leiten lassen, daß die Beklagte ihm schon während der
Schwangerschaft oder in der Zeit danach auf entsprechendes Befragen jeweils
versichert hätte, innerhalb der Empfängniszeit nur mit ihm geschlechtlich verkehrt zu
haben. Ebensowenig gibt es konkrete Angaben dazu, daß die Beklagte etwa durch ihr
Verhalten den Kläger in der irrigen Annahme seiner Vaterschaft bestärkt hat.
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Letztlich ist der Kläger nur dadurch getäuscht worden, daß die Beklagte trotz des ihr
bekannten Mehrverkehrs die Frage der Vaterschaft nicht von sich aus aufgeworfen hat.
Dies erfüllt indes bereits deshalb nicht die Voraussetzungen des § 826 BGB, weil nicht
festgestellt werden kann, daß die Beklagte vor der Einholung des
Blutgruppengutachtens positiv wußte bzw. hinreichende Anhaltspunkte dafür hatte, daß
der Kläger nicht der Kindesvater war. Die Tatsache, daß die Beklagte in der
gesetzlichen Empfängniszeit Geschlechtsverkehr mit dem Zeugen N. hatte, läßt nicht
automatisch den Schluß darauf zu, ihr selbst müßten an der Vaterschaft des Klägers
berechtigte Zweifel gekommen sein. Entgegen der Auffassung des Landgerichts in dem
angefochtenen Urteil sind weder nach dem Sachvortrag des Klägers noch nach dem
unstreitigen Sachverhalt Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß die Beklagte als eine "mit
beiden Beinen auf der Erde stehende, praktisch denkende und geistig keineswegs
zurückgebliebene Frau" hätte erkennen können, daß die Verhütungsmaßnahmen beim
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Verkehr mit dem Zeugen N. unzureichend waren. Insoweit traf die Beklagte hinsichtlich
der Vaterschaft auch keine erhöhte Nachforschungspflicht.
Die Entgegennahme der Unterhaltszahlungen erfüllt ebenfalls nicht die
Voraussetzungen einer sittenwidrigen Schädigung i.S.d. § 826 BGB. Die Beklagte
handelte insoweit als gesetzliche Vertreterin in berechtigter Wahrnehmung der ihr
anvertrauten Kindesinteressen (vgl. allgemein: BGH NJW 1990, 706 ff. (708)).
Schließlich ergeben sich keine Anhaltspunkte für ein etwaiges kollusives
Zusammenwirken zwischen der Beklagten und dem tatsächlichen Kindesvater.
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c)
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Eine Schadensersatzpflicht der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB
scheidet ebenso aus. Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, daß nach dem
Sachvortrag des Klägers der Beklagten keine durch bewußte Täuschung bewirkte
schädigende Einwirkung auf die Vermögenslage des Klägers vorzuwerfen ist.
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2.
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Der vom Kläger geltend gemachte Schadensersatzanspruch für die von ihm zwischen
1984 bis März 1988 erbrachten Unterhaltszahlungen in Höhe von umgerechnet 940,00
DM ist gemäß Art. 232 § 10 EGBGB nach dem materiellen Recht der ehemaligen DDR
zu beurteilen.
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Dem Kläger steht indes kein Schadensersatzanspruch aus § 330 ZGB/DDR zu. Nach
dieser Vorschrift ist derjenige, der unter Verletzung ihm obliegender Pflichten
rechtswidrig einen Schaden verursacht, zum Ersatz dieses Schadens verpflichtet.
Vorrangige Rechtspflicht in diesem Sinne ist die in § 324 ZGB/DDR statuierte Pflicht zur
Vermeidung von Schäden an Leben und Gesundheit anderer sowie an sozialistischem
oder persönlichem Eigentum der Bürger. Weitere Pflichten, deren Verletzung einen
Schadensersatz nach § 330 ZGB/DDR zu begründen vermag, ergaben sich aus den
speziellen Vorschriften des Zivilrechts der DDR, deren strafrechtlich normierten
Pflichten und darüber hinaus aus anderen Bereichen der Rechtsordnung (vgl.
Kommentar zum Zivilgesetzbuch der DDR, 2. Auflage 1985, § 330 Anm. 1; BGH, NJW
1995, 254 [253]). Insoweit konnte eine Schadenszufügung auch durch Unterlassung
eintreten, wobei indes stets zu prüfen ist, ob eine Rechtspflicht zum Handeln bestand
(Kommentar zum ZGB, a.a.O., Anm. 2).
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Die Voraussetzungen einer Pflichtverletzung sind vorliegend nicht gegeben.
Insbesondere kann sich der Kläger nicht darauf berufen, daß es - so sein Vortrag - nach
DDR-Recht zu den Pflichten jeder Kindesmutter gehörte, den in Vaterrolle
Unterhaltszahlenden über jeden Mehrverkehr aufzuklären. Eine entsprechende
Verpflichtung der Kindesmutter - wenn sie tatsächlich nach DDR-Recht bestanden
haben sollte - kann nicht zur Begründung eines Schadensersatzanspruches
herangezogen werden.
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Zwar hat die gebotene Auslegung und Anwendung von Vorschriften des Zivilrechts der
DDR unter Berücksichtigung der damaligen dortigen Rechtspraxis zu erfolgen. Das für
"Altfälle" fortwirkende Recht ist grundsätzlich so anzuwenden, wie es von den Gerichten
der DDR ausgelegt worden wäre. Die Anordnung der partiellen Fortgeltung des
Altrechts soll die Betroffenen in dem damals geltenden Rechtszustand belassen (BGH,
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NJW 1993, 2531; NJW 1995, 256 [257]). Die Übernahme der Rechtsvorschriften der
ehemaligen DDR und der zu ihrer Anwendung entwickelten Grundsätze gelten jedoch
nicht ohne Schranken. Bestimmungen und Auslegungsgrundsätze, die von spezifisch
sozialistischen Wertungen und Rechtsmaximen geprägt sind, bleiben unberücksichtigt
(BGH, NJW 1993, 2531). Im übrigen muß bei der Auslegung und Anwendung des
Rechts der ehemaligen DDR geprüft werden, ob die Rechtsanwendung, wie sie im
konkreten Fall auf der Grundlage der Rechtspraxis der DDR vorzunehmen wäre, zu
einem Ergebnis führen kann, das mit den Grundrechtsgarantien und den tragenden
verfassungsrechtlichen Wertungen des Grundgesetzes in Einklang steht (BGH NJW
1995, 256 [258]). Insoweit ist das Grundgesetz nicht nur für das auf der Grundlage des
Art. 9 EinigungsV fortgeltende DDR-Recht maßgebend; vielmehr sind auch diejenigen
gesetzlichen Vorschriften der ehemaligen DDR, die nur noch bei der Beurteilung
abgeschlossener "Altfälle" heranzuziehen sind, an den Grundrechsgarantien und den
grundlegenden Wertungen der Verfassungsordnung des Grundgesetzes zu messen
(BGH, NJW 1993, 2531 [2532] m.w.N.; BGH, NJW 1995, 256 [258]).
Bei Anwendung dieser Grundsätze ist die allgemeine Verpflichtung einer Kindesmutter,
in jedem Fall dem vermeintlichen Kindesvater einen Mehrverkehr zu offenbaren, mit der
Grundrechtsordnung und dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar und kann daher nicht
als eine Pflicht herangezogen werden, deren Verletzung eine
Schadensersatzberechtigung nach § 330 ZGB/DDR auslösen kann. Eine solche
umfassende, uneingeschränkte Mitteilungspflicht könnte erhebliche Interessenkonflikte
auslösen. Die Kindesmutter wäre gezwungen, auch ohne konkrete Nachfrage, ihre
Intimsphäre zur Zeit der Empfängnis offenzulegen. Hierbei bestünde die Gefahr, daß die
Kindesmutter durch eine solche Offenbarung die intakten Verhältnisse der eigenen
Familie/Lebensgemeinschaft, aber auch unter Umständen diejenigen des tatsächlichen
Kindesvaters erheblich störte bzw. gefährdete.
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Eine entsprechend weitreichende Verpflichtung, die in den persönlichen Bereich der
Mutter eines nichtehelichen Kindes eindringt und ihr die Offenbarung intimster
Verhaltensweisen abfordert, ist mit den verfassungsrechtlichen Grundsätzen nicht
vereinbar. Es muß deshalb grundsätzlich der persönlichen Entscheidung der
Kindesmutter überlassen bleiben, ob sie - ohne weiteres Nachfragen des vermeintlichen
Vaters - von sich aus einen Mehrverkehr einräumt. In diese Entscheidungsfreiheit darf
nicht dadurch eingegriffen werden, daß allein an die fehlende Aufklärung
Schadensersatzansprüche geknüpft werden. Hierdurch würde die Kindesmutter in ihrer
von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Privatsphäre verletzt. Das
verfassungsrechtlich gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt den
engeren persönlichen Lebensbereich und die Erhaltung seiner Grundbedingungen
(BVerfG, NJW 1980, 2070; BVerfG, NJW 1989, 891; BVerfG, NJW 1997, 1769). Es
umfaßt unter anderem die Wahrung der Privat- und Intimsphäre (BVerfG, NJW 1969,
1707; BVerfG, NJW 1980, 2070 [2071]; BVerfG, NJW 1993, 2365; BVerfG, NJW 1997,
1769). Dazu gehören der familiäre Bereich und die persönlichen, auch die
geschlechtlichen Beziehungen zu einem Partner (BVerfG, NJW 1970, 555; BVerfG,
NJW 1997, 1769; Sachs/Murswiek, GG, 2. Auflage 1999, Art. 2 Rdnr. 69; Dreier, GG,
1996, Art. 2 I Rdnr. 25 m.w.N. in FN. 85, Rdnr. 51). Darüber hinaus schützt das
allgemeine Persönlichkeitsrecht die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu
entscheiden, inwieweit und gegenüber wem er persönliche Lebenssachverhalte
offenbart (BVerfG, NJW 1983, 2766; BVerfG, NJW 1997, 1769). Hierzu gehört auch die
Entscheidung darüber, inwieweit eine Kindesmutter bekannt werden lassen will, wer der
Vater ihres Kindes ist (BVerwG, NJW 1971, 70).
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Zwar gilt das Grundrecht auf Wahrung der Intimsphäre nicht absolut. Vielmehr hat der
einzelne Bürger, soweit nicht in den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung
eingegriffen wird, die Einschränkungen hinzunehmen, die im überwiegenden
Allgemeininteresse oder im Hinblick auf grundrechtlich geschützte Interessen Dritter
unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit geboten sind (BVerfG, NJW 1997, 1769).
Das gilt auch für die Abwägung des jeweils aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrechts
hergeleiteten Rechts des nichtehelichen Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung und
des Rechts der Kindesmutter auf Intimsphäre. Eine solche Einschränkung setzt jedoch
die konkrete Interessenabwägung etwaiger kollidierender Grundrechtspositionen
voraus, die indes bei der von dem Kläger aufgezeigten uneingeschränkten
Mitteilungspflicht nicht vorgenommenen wird.
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Ebensowenig kann der Kläger einen Schadensersatzanspruch gemäß § 330 ZGB/DDR
mit einer Verletzung von Vorschriften des Strafgesetzbuches der DDR (StGB/DDR)
begründen. Die entsprechenden Voraussetzungen eines strafbaren Verhaltens,
insbesondere eines Betruges gemäß § 159 StGB/DDR, werden, wie vorstehend bereits
erörtert, von dem Kläger nicht aufgezeigt.
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3.
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Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung gemäß §§ 812 ff BGB oder § 356
ZGB/DDR können, unabhängig von der Frage, inwieweit vorliegend wegen des
Verbrauchs der gezahlten Geldbeträge § 818 Abs. 3 BGB oder § 357 ZGB/DDR
eingreift, allenfalls unmittelbar von dem Sohn der Beklagten als Empfänger der
Leistungen (so § 356 Abs. 1 ZGB/DDR) geltendgemacht werden. Nur in diesem
Verhältnis besteht nach Zahlung auf eine Nichtschuld eine Bereicherungslage (vgl.
allgemein: BGHZ 78, 201 [203]; BGH, FamRZ 1981, 764 [764]).
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II.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige
Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Streitwert des Berufungsverfahrens: 19.330,61 DM
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Beschwer des Klägers: Unter 60.000,00 DM
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