Urteil des OLG Köln vom 15.07.1997

OLG Köln (kläger, veröffentlichung, schutz der persönlichkeit, persönliche freiheit, verhalten, verletzung, zeitschrift, eingriff, person, persönlichkeitsrecht)

Oberlandesgericht Köln, 15 U 215/96
Datum:
15.07.1997
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
15. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
15 U 215/96
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 28 O 156/96
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 9. Oktober 1996 verkündete
Schlußurteil der 28. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 28 O 156/96 -
abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. Die Anschlußberufung des
Klägers gegen das vorgenannte Urteil wird zurückgewiesen. Die Kosten
des Rechtsstreits I. Instanz haben der Kläger zu 3/5 und die Beklagten
zu 2/5 zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem
Kläger auferlegt. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg, während die
Anschlußberufung des Klägers - soweit diese nach der übereinstimmenden teilweisen
Erledigungserklärung weiter verfolgt wird - unbegründet ist.
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Die Klage war abzuweisen. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Geldentschädigung
wegen der Veröffentlichung eines Nacktfotos von ihm in dem Läufermagazin "S.",
Ausgabe 3/96 vom März 1996, nicht zu.
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Die besonderen Voraussetzungen, unter denen die Rechtsprechung bei einer
Verletzung des Persönlichkeitsrechts zum Ausgleich des immateriellen Schadens eine
Geldentschädigung gewährt, sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
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Nach ständiger Rechtsprechung steht dem Opfer einer Verletzung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts ein Anspruch auf eine Geldentschädigung zu, wenn es sich um
einen schwerwiegenden Eingriff handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer
Weise befriedigend ausgeglichen werden kann. Ob eine Verletzung des
Persönlichkeitsrechts vorliegt, die die Zahlung einer Geldentschädigung erfordert, hängt
insbesondere von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, ferner von Anlaß und
Beweggrund des Handelnden sowie von dem Grad seines Verschuldens ab (vgl. BGH
NJW 1995, 861, 864 m.w.N.).
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Unter Berücksichtigung aller Umstände stellt sich die Veröffentlichung des Nacktfotos in
der Läuferzeitschrift als ein nicht so schwerwiegender Eingriff in das
Persönlichkeitsrecht des Klägers dar, daß das unabweisbare Bedürfnis bestünde, ihm
wenigstens einen gewissen finanziellen Ausgleich für die erlittene ideelle
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Beeinträchtigung zu gewähren.
Dem Kläger ist einzuräumen, daß die Beklagten zu 1) und 2) durch die Veröffentlichung
des Nacktfotos bzw. die Beklagten zu 3) und 4) durch die Weitergabe des Fotos an die
Beklagte zu 1) zum Zwecke der Veröffentlichung das Recht des Klägers am eigenen
Bild verletzt und damit zugleich rechtswidrig und schuldhaft in sein Persönlichkeitsrecht
eingegriffen haben (§§ 22 KUG, 823 Abs. 1, 840 BGB, Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1
Grundgesetz).
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Der Kläger hatte in die Verbreitung des Fotos nicht eingewilligt. Auch lag keine
stillschweigende Einwilligung darin, daß er in der Öffentlichkeit nackt am Strand
gelaufen ist.
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Die Beklagten wenden mit der Berufung im wesentlichen ein, die Veröffentlichung sei
auch gegen den Willen des Klägers gemäß Artikel 5 Grundgesetz erlaubt, weil die
Veröffentlichung einem berechtigten Informationsinteresse der Öffentlichkeit Rechnung
trage. Es werde darauf aufmerksam gemacht, daß man seine persönliche Freiheit nicht
ungeachtet der Empfindungen seiner Mitmenschen und ohne Rücksicht auf die
Landessitten ausüben dürfe. Das Verhalten des Klägers widerspreche eklatant dem
Anstands- und Sittlichkeitsdenken der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung in
Spanien, aber auch in Deutschland.
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Die Freiheitsrechte des Artikel 5 Abs. 1 Grundgesetz finden nach Artikel 5 Abs. 2
Grundgesetz ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den
gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der
persönlichen Ehre. Zu den allgemeinen Gesetzen zählen die §§ 22, 23 KUG, die nach
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (NJW 1973, 1226, 1228 - Lebach-
Fall) den Anforderungen des Artikel 5 Abs. 2 Grundgesetz entsprechen. Damit ist die
Veröffentlichung nur erlaubt, wenn die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 KUG erfüllt
sind. Hier kommt allein § 23 Abs. 1 Ziffer 1 KUG in Betracht. Um ein Bildnis aus dem
Bereich der Zeitgeschichte handelt es sich aber auch nach dem Vortrag der Beklagten
nicht. Der Kläger als Abbildungsgegenstand ist weder absolute noch relative Person der
Zeitgeschichte. Nach seinem Vorbringen ist er zwar "in der Läufer- und Sportszene sehr
wohl eine bekannte Größe". Die von ihm in der Klageschrift aufgeführten sportlichen
und organisatorischen Leistungen, die im übrigen einige Jahre zurückliegen, dürften
aber kaum geeignet sein, ihn in bezug auf seine sportliche Betätigung als in das
Blickfeld der Öffentlichkeit getreten anzusehen und anzunehmen, daß insoweit ein
sachentsprechendes Informationsinteresse besteht. Auch die Parteien gehen nicht
davon aus, daß der Kläger als Sportler derart bekannt ist, daß er allein deshalb als
relative Person der Zeitgeschichte zu behandeln wäre.
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Entscheidend war daher nur, ob der Kläger sich durch die Strandläufe auf Fuerteventura
derart auffällig verhalten hat, daß er allein deswegen zur relativen Person der
Zeitgeschichte geworden ist. Hiervon kann aber auch nach dem Beklagtenvortrag nicht
ausgegangen werden. Der Kläger ist unbekleidet regelmäßig zwischen 6 und 14 km in
eine Richtung an einem Strand entlang gelaufen, an dem FKK geduldet wird. Dort
sonnten, badeten und spielten sowohl bekleidete als auch unbekleidete Personen. Der
Kläger lief unmittelbar am Wasser entlang, was bei Flut auch bedeuten mag, daß er die
am Strand liegenden Personen in geringer Entfernung passierte. Aus welchen Gründen
er mit diesem Nacktjoggen das Anstands- und Sittlichkeitsgefühl der Menschen am
Strand oder der Inselbevölkerung mehr verletzt haben soll als die dort nackt badenden,
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sonnenden oder spielenden Menschen, haben die Beklagten nicht substantiert
vorgetragen. Indem der Kläger am Strand entlang gelaufen ist, hat er sich nicht
provokativer einer breiten Öffentlichkeit zur Schau gestellt als die übrigen Personen, die
sich dort aufgehalten haben. Auch diese haben sich nicht "auf abseits gelegene
verschwiegene Stellen zurückgezogen" (vgl. Beklagtenvortrag Blatt 103 d. A.). Mithin ist
nicht erkennbar, daß sich das Laufen des Klägers so sehr von dem Verhalten der
übrigen unbekleideten Personen am Strand unterschieden hat, daß alleine aufgrund
seiner Verhaltensweise ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit entstanden wäre.
Die Veröffentlichung des Nacktfotos könnte nur dann nicht als widerrechtlich im Sinne
von § 823 Abs. 1 BGB angesehen werden, wenn innerhalb der Spannungslage
zwischen dem in Artikel 2 Abs. 1 i. V. m. Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz garantierten
Schutz der Persönlichkeit und der freien Berichterstattung durch die Beklagte zu 1)
gemäß Artikel 5 Abs. 1 Grundgesetz im Streitfall dem Publikationsinteresse trotz der
nach Artikel 5 Abs. 2 Grundgesetz zu beachtenden Schranke durch die
verfassungskonform auszulegende Vorschrift des § 22 KUG der Vorrang einzuräumen,
der Konflikt zwischen den verfassungsrechtlich geschützten Interessenbereichen der
Parteien also zu Gunsten der Beklagten zu lösen wäre (vgl. BGH NJW 1985, 1617,
1618). Die Güterabwägung zwischen den widerstreitenden Interessen der Parteien führt
aber dazu, daß dem Recht des Klägers zur alleinigen Bestimmung über die
Veröffentlichung seines Fotos Vorrang vor dem Publikationsinteresse beizumessen ist.
Durch die Veröffentlichung wird jedenfalls in den engeren Bereich der Privatsphäre des
Klägers und sein Recht eingegriffen, selbst darüber zu bestimmen, wer ihn in
unbekleidetem Zustand sieht. Dieses Recht ist nicht etwa deshalb weniger
schutzwürdig, weil sich der Kläger durch sein Verhalten in gewissem Umfang selbst der
Öffentlichkeit zur Schau gestellt hat. Die Öffentlichkeit am Strand, die jedenfalls zum Teil
auch aus unbekleideten Personen bestand, ist eine andere als die der Leser des
Läufermagazins "S.". Das Anliegen der Beklagten, auf einen nach ihrer Auffassung
bestehenden Mißstand hinzuweisen, rechtfertigt nicht die Veröffentlichung eines Fotos
vom Kläger, auf dem dieser zu erkennen ist. Daher kommt es in diesem Zusammenhang
auch nicht darauf an, daß die Veröffentlichung nicht zur Absatzsteigerung oder aus
Sensationslust erfolgt ist.
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Die Beklagten haben sämtlich zumindest fahrlässig gehandelt, da sie nicht von einer
Zulässigkeit der Veröffentlichung des Nacktfotos ohne Einwilligung des Klägers
ausgehen durften und sich rechtlich beraten lassen mußten, wenn ihnen die Rechtslage
zweifelhaft erschien. Keineswegs hatten sie Veranlassung, davon auszugehen, daß der
mit Sonnenbrille abgebildete Kläger auf dem Foto nicht erkannt werde.
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Die Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers ist jedoch nicht als so
schwerwiegend anzusehen, daß die Zubilligung einer Geldentschädigung zum Zwecke
der Genugtuung für den erlittenen widerrechtlichen Eingriff gerechtfertigt wäre.
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Der Kläger begründet die Schwere der Persönlichkeitsrechtsverletzung in erster Linie
damit, daß er in den ihm bekannten Läuferkreisen, in denen das Läufermagazin "S."
bezogen wird, wegen des Nacktfotos und des in der Bildunterschrift auszugsweise
abgedruckten Spottgedichts "Let him swing" ("Rhythmisch schwang er seine Beine -
und im Takt schwang auch der Kleine") wiederholt "gehänselt" worden ist und auch
heute noch - z. B. auf Laufveranstaltungen "gehänselt" und verunglimpft wird.
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In die Abwägung aller zu berücksichtigenden Umstände war aber auch einzubeziehen,
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daß der Kläger regelmäßig seit 1982 - bis zum Frühjahr 1996 insgesamt 28 mal - bei
mehrwöchigen Aufenthalten auf Fuerteventura täglich unbekleidet - mit Ausnahme von
Sonnenbrille, Sportschuhen, Armbanduhr und Pulsmesser - Trainingsläufe von 6 bis zu
14 Kilometern am öffentlichen Strand in eine Richtung absolviert, die er ca. 1000 Meter
von einem Ferienclub entfernt beginnt. Er ist damit im Laufe der Jahre einer relativ
breiten Öffentlichkeit bekanntgeworden, wie sich auch daran zeigt, daß er - neben
seiner Ehefrau - 57 Zeugen namentlich benannt hat, die bekunden können, daß an
seinem Verhalten niemand Anstoß genommen hat. Daß er selbst es auch als "normal"
bezeichnet, auf Fuerteventura nackt zu laufen und dabei von Inselbewohnern und
Touristen beobachtet zu werden, belegt, daß er sich durch die von einem breiteren
Publikum wahrgenommene Nacktheit nicht in seiner Intimsphäre beeinträchtigt fühlt.
Wenn er sich auch einer anderen Öffentlichkeit präsentiert hat als dem Leserkreis der
Zeitschrift "S.", die eine Auflage von ca. 18 000 Exemplaren hat, so mußte er doch damit
rechnen, daß im Laufe der 15 Jahre auch Leser des Läufermagazins auf Fuerteventura
Urlaub machten und ihn dort unbekleidet trainieren sahen. Dies hat er aber bewußt in
Kauf genommen.
Zu berücksichtigen war ferner, daß die Veröffentlichung der Abbildung weder als
anstößig noch als obszön zu beurteilen ist. Das Bild zeigt vielmehr einen sportlich
trainierten, wohlgeformten Körper in Läuferhaltung. Den Begleittext zu der Abbildung
muß der Kläger als zulässige Meinungsäußerung hinnehmen.
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Entscheidend war darüber hinaus, daß sich für den Leser der Zeitschrift die Abbildung
nur bei genauem Hinsehen als Nacktfoto darstellt, da infolge der Handhaltung und
dadurch bedingten Schattenbildung ein Unterschied zu einem mit einer Badehose
bekleideten Körper kaum festzustellen ist. Jedenfalls sind auf der Abbildung die
primären Geschlechtsmerkmale des Klägers nicht zu erkennen.
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Eine Verletzung der Privatsphäre des Klägers in besonders schwerer Weise und damit
ein schwerwiegender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers, der unter dem
Gesichtspunkt der Genugtuung (vgl. BGH NJW 1995, 861, 865) eine
Geldentschädigung erforderte, kommt nach alledem nicht in Betracht (vgl. auch OLG
München AfP 1986, 69).
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Dies gilt auch unter Berücksichtigung einer weiteren Veröffentlichung des gleichen
Fotos in der Zeitschrift "Info C." vom 11.04.1996 im Rahmen des Abdrucks eines
Leserbriefes der Beklagten zu 3) und 4). Auf dieser - kleineren - Schwarz-Weiß-
Abbildung ist der Kläger kaum zu identifizieren. Im übrigen gehört der Leserkreis dieses
deutschsprachigen Wochenmagazins zu derjenigen Öffentlichkeit, der sich der Kläger
bei seinen regelmäßigen Trainingsläufen bewußt gezeigt hat.
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Schließlich war zu berücksichtigen, daß die Veröffentlichung im Läufermagazin "S." von
der Größe und Plazierung der Abbildung her in Verbindung mit dem - spöttischen -
Begleittext nicht zur Absatzsteigerung oder Befriedigung einer Sensationslust geeignet
ist. Aus der Sicht der Beklagten sollte sie der Aufdeckung eines Mißstandes dienen und
ein dem Anstands- und Sittlichkeitsdenken der Inselbevölkerung widersprechendes
Verhalten anprangern. Dieses Interesse wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß nur ein
Ausschnitt des Fotos veröffentlicht wurde und die an den Bildrändern abgebildeten
Nacktbadenden nicht zu erkennen sind.
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Keineswegs hat die Beklagte zu 1) durch die Veröffentlichung eines Beitrags unter dem
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Titel "Moskitos lieben Läufer" in dem Heft 12/96 der Zeitschrift "S." die
Persönlichkeitsrechtsverletzung des Klägers weiterhin "ausgebeutet", wie der Kläger
meint. Dieser Artikel enthält keinerlei Hinweise auf den Kläger. Das gilt auch für den
vom Kläger in der Berufungserwiderung zitierten Satz, der eine Warnung vor Moskitos
an insbesondere Nacktläufer und Exhibitionisten enthält.
Für seine - bestrittene - Behauptung, die Beklagten präsentierten das beanstandete Foto
des Klägers im Internet, hat der Kläger keinen Beweis angeboten.
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Schließlich war eine Geldentschädigung nicht aus dem Gesichtspunkt der Prävention
(vgl. BGH a.a.O.) geboten. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß eine nochmalige
Veröffentlichung des streitgegenständlichen oder eines anderen Nacktfotos vom Kläger
vorgesehen war.
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Auf die Berufung der Beklagten war daher das angefochtene Urteil entsprechend
abzuändern, während die Anschlußberufung des Klägers als unbegründet
zurückzuweisen war.
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Die Kostenentscheidung ergeht nach §§ 91, 91 a, 100 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung
über die Kosten der I. Instanz war unter Berücksichtigung der entsprechenden
Ausführungen im angefochtenen Urteil abzuändern. Die Kosten des
Berufungsverfahrens waren dem Kläger in Anwendung des Rechtsgedankens des § 93
ZPO auch insoweit aufzuerlegen, als die Parteien hinsichtlich des Auskunftsanspruchs
den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben. Denn
die insoweit in Anspruch genommenen Beklagten zu 3) und 4) hatten zur Erhebung der
Auskunftsklage keine Veranlassung gegeben; vielmehr haben sie die begehrte Auskunft
sofort nach ihrer Geltendmachung erteilt.
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Streitwert für das Berufungsverfahren: 11.000,00 DM (Berufung: 3.000,00 DM;
Anschlußberufung: 7.000,00 DM + 1.000,00 DM für den Auskunftsanspruch).
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