Urteil des OLG Köln vom 16.07.1993

OLG Köln (wirtschaftliche betrachtungsweise, kläger, grunddienstbarkeit, grundstück, haus, bestellung, charakter, umstand, grund, wohnraum)

Oberlandesgericht Köln, 19 U 12/93
Datum:
16.07.1993
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
19. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
19 U 12/93
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 21 O 5O1/91
Tenor:
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil der 21. Zivilkammer des
Landgerichts Köln vom 19.11.1992 - 21 O 5O1/91 - wird auf ihre Kosten
zurückgewiesen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Berufung ist unbegründet.
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Zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Den Klägern steht der geltend
gemachte Anspruch aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Denn die Ausübung des
Wegerechts in der heutigen Form stellt keine rechtswidrige Beeinträchtigung der Rechte
der Kläger aus §§ 9O3 ff BGB dar, weil die Kläger aufgrund der eingeräumten
Dienstbarkeit zur Duldung der Nutzung verpflichtet sind.
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In dem Notarvertrag vom 25.O8.198O haben die Kläger den jeweiligen Eigentümern der
Parzelle Flur 39 Nr. 92 in R. entlangen der Grenze zur Parzelle Nr. 89 an der Parzelle
Nr. 738 in einer Breite von ca. 3 m ein unentgeltliches Geh- und Fahrrecht eingeräumt.
Dabei handelt es sich um eine Grunddienstbarkeit im Sinne der §§ 1O18 ff. BGB, die ein
umfassen-des Nutzungsrecht gewährt ohne Beschränkung auf einen bestimmten
Personenkreis oder eine bestimmte Nutzungsart. Es kann auch von Personen ausgeübt
werden, die zu den Eigentümern des herrschenden Grundstücks in besonderen
Beziehungen stehen, wie etwa Hausgenossen, Besuchern, Kunden, Mietern und
Pächtern (BGH DNotZ 71, 471). Nach der Rechtspre-chung des BGH ist dabei für die
Frage, zu welchen Zwecken und in welchem Umfang das Geh- und Fahr-recht ausgeübt
werden darf, nicht die bei Bestel-lung der Grunddienstbarkeit bestehende Nutzungsart
ausschlaggebend, sondern es kommt auf den der Verkehrsauffassung entsprechenden
und äußerlich für jedermann ersichtlichen Charakter des betreffenden Grundstücks an
und auf das Bedürfnis, von dem Wege-recht in diesem Rahmen Gebrauch zu machen.
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Schon im Zeitpunkt der Bestellung der Grunddienstbarkeit handelte es sich bei dem
herrschenden Grundstück der Beklagten um ein mit zwei Wohngebäu-den bebautes und
weiterhin bebaubares Grundstück, auf dem außer der Familie der Beklagten und zwei
Mietparteien im Haus Nr. 7 noch das Ehepaar G. mit zwei Kindern im Hause Nr. 6
wohnten. Das Wegerecht umfaßte diesen Personenkreis einschließlich sei-nes
gesamten Besucherverkehrs. Zur Bestellung der Grunddienstbarkeit war es auf Wunsch
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der Baubehörde gekommen anläßlich einer geplanten Ausbaumaßnahme betreffend
das Haus Nr. 7. Schon damals war abseh-bar, daß durch die Vergrößerung des Hauses
Nr. 7 der Wohnraum erweitert wurde, zunächst, um die Kinder der Beklagten besser
unterzubringen. Daß auf lange Sicht auch andere Personen die Räumlichkeiten nutzen
würden, wenn die Kinder das Haus verließen, war ebenfalls absehbar, da die Beklagten
bereits vorher Wohnraum vermieteten.
Seinerzeit wurde auch schon eine nicht unerhebliche Tierhaltung auf dem Grundstück
betrieben. Unstrei-tig wurden damals außer Hunden der ländlichen Umge-bung
entsprechend Schafe, Kälber, Schweine und Hüh-ner gehalten.
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Bei dieser Sachlage kann aus dem Umstand, daß nach Durchführung weiterer Um- und
Erweiterungsbauten am Hause Nr. 7 zahlenmäßig einige Personen mehr auf dem
Grundstück der Beklagten leben als zur Zeit der Bestellung, eine willkürliche, nicht
vorhersehbare Benutzungsänderung nicht hergeleitet werden. Der Charakter der
Nutzung als Wohngrundstück hat sich nicht verändert. Für das inzwischen verkaufte
Haus Nr. 6 ist eine andere Zugangsmöglichkeit geschaffen worden, so daß von den
regelmäßigen Benutzern des Weges im Bestellungszeitpunkt vier Personen weniger
Gebrauch davon machen. Auch der Umstand, daß für mehre Fahrzeuge
Unterstellmöglichkeiten geschaffen werden mußten, ändert nichts am
Nutzungscharakter. Es entspricht der allgemeinen technischen und wirt-schaftlichen
Entwicklung, daß mit zunehmender Moto-risierung ein größeres Verkehrsaufkommen
verbunden ist (vgl. BGH LM f 1O18 Nr. 25 u.a.).
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Soweit die Kläger darauf abstellen, daß das Haus Nr. 7 im Laufe der Jahre so erweitert
worden ist, daß ein Teil des Hauses mit einem Außeneingang auf der den Beklagten
ebenfalls gehörenden Nachbar-parzelle Nr. 91 liegt, für die das Wegerecht nicht bestellt
worden ist, führt auch dieser Umstand zu keinem anderen Ergebnis. Das gilt auch für
den Bau von sechs Garagenplätzen und drei Hundezwingern auf dieser Parzelle.
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Denn der Charakter des herrschenden Grundstücks selbst mitsamt seinen Aufbauten
ändert sich hier-durch nicht. Es liegt auch eine Überschreitung der
Nutzungsberechtigung nicht etwa darin, daß ein - verhältnismäßig geringfügiger und
untergeord-neter - Teil des Hauses sich auf die Nachbarpar-zelle erstreckt. Die ganz
überwiegende Bausubstanz liegt auf der Parzelle 92. Hat der Eigentümer eines
Grundstücks, für das eine Grunddienstbarkeit besteht, auf diesem und auf dem
benachbarten Grund-stück ein einheitliches Gebäude errichtet, so führt das nicht dazu,
daß die Ausübung des Wegerechtes unzulässig wird (BGHZ 44, 171, 176). Vielmehr
bemißt sich der Umfang der Berechtigung nunmehr nach dem Durchschnittsmaß aus
der Zeit vor der Ausdehnung unter Berücksichtigung des Fortschritts der Technik, soweit
dieser nicht eine wesentliche Mehrbelastung des dienenden Grundstücks zur Folge hat
(BGH a.a.O). Dabei ist eine wirtschaftliche Betrachtungsweise geboten. Die Nutzung
des Hauses als Wohnhaus mit Mietern hat sich durch den Anbau gegenüber den
früheren Verhältnissen zum Zeitpunkt der Bestellung des Wegerechts nicht nachhaltig
ver-ändert. Es ist lediglich eine andere Nutzungsauf-teilung erfolgt. Bewohner des
Hauses benutzen die Nachbarparzelle zum Abstellen der Fahrzeuge. Der auf der
Nachbarparzelle gelegene - gegenüber der Gesamtgröße des Hauses untergeordnete -
Hausteil wird von dem Personenkreis genutzt, der nach der Rechtsprechung von der
Grunddienstbarkeit mit um-faßt ist. Dabei macht es für die Berechtigung kei-nen
Unterschied, daß der Eingang zu diesem Grund-stücksteil nicht mehr über das auf dem
herrschen-den Grundstück gelegene Hausinnere erfolgt sondern durch die auf der
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Nachbarparzelle gelegene Tür. Die in den Hundezwingern befindlichen Rottweiler
gehö-ren den Beklagten, die sie dort versorgen.
Soweit die Beklagten eine Hundezucht betreiben, die zu Besuchen von
Kaufinteressenten führt, liegt ebenfalls keine nicht mehr hinnehmbare Bedarfsstei-
gerung vor. Nach den Gesamtumständen handelt es sich lediglich um eine
überschaubare Nebenerwerbs-quelle der Beklagten, die zudem nur dann zu einer
erhöhten Nutzung des Weges führt, wenn Welpen zum Verkauf stehen. Auch wenn, wie
die Kläger behaup-ten, gelegentlich von Bewohnern durch Annoncen Din-ge zum
Verkauf angeboten werden, steht dies nicht in Widerspruch zu dem unbeschränkt
eingeräumten Nutzungsrecht. Dafür, daß die von den Klägern ange-führten
Fleischlieferungen nicht nur der Versorgung der Bewohner und Tiere und einer
gewissen Bevorra-tung dienen, sondern mit ihnen ein Handel betrieben wird, fehlt es an
hinreichend konkretem Sachvor-trag. Die Lieferung von Lebensmitteln und Tiefkühl-kost
ist in der heutigen Zeit gerade auf dem Lande zu einer unverzichtbaren und
weitverbreiteten Ver-sorgungsleistung geworden. Derartige Vorgänge gehö-ren gerade
zur typischen Nutzungsart eines einge-räumten Wegerechts.
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Die gegenwärtige Nutzung des herrschenden Grund-stücks hält sich der Art nach in den
Grenzen der früheren Nutzung unter Berücksichtigung des techni-schen und
wirtschaftlichen Fortschritts und stellt keine unvorhersehbare und willkürliche
Benutzungs-änderung dar. Das gilt auch, wie oben dargelegt, hinsichtlich der
angrenzenden Parzelle und der dort in unmittelbarer Nähe befindlichen Einrichtungen.
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Soweit die Kläger im Berufungsverfahren Hilfsanträ-ge gestellt haben, die auf
Untersagung des Quell- und Zielverkehrs von und zur Nachbarparzelle Nr. 91 für die
Beklagten, ihre Mieter, Lieferanten und Kunden gerichtet waren, ist die Klage aus den
ge-nannten Gründen ebenfalls unbegründet.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 I, 7O8 Nr. 1O, 713 ZPO.
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Wert der Beschwer: 1O.OOO,OO DM
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