Urteil des OLG Köln vom 02.10.2000

OLG Köln: getrennt lebende ehefrau, dolus eventualis, haftbefehl, flucht, untersuchungshaft, haftgrund, verdunkelungsgefahr, auflage, tatverdacht, form

Oberlandesgericht Köln, 2 Ws 514/00
Datum:
02.10.2000
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ws 514/00
Schlagworte:
Untersuchungshaft; Verschonung
Normen:
StPO § 116; StPO § 112 Abs. 3
Tenor:
Die weitere Beschwerde wird mit folgender Maßgabe verworfen:
I.
Der Haftbefehl des Amtsgerichts Euskirchen vom 21. August 2000 - 6 Gs
479/00 - wird dahin abgeändert, dass an die Stelle des Tatvorwurfs des
versuchten Mordes, §§ 211, 22, 23 StGB, der des versuchten
Totschlags, §§ 212, 22, 23 StGB, tritt.
II.
Der Haftbefehl des Amtsgerichts Euskirchen vom 21. August 2000 - 6 Gs
479/00 wird unter folgenden Auflagen und Weisungen außer Vollzug
gesetzt:
1.Der Beschuldigte hat unter der Anschrift
F. Weg 3,xxxxx Z.,
Wohnsitz zu nehmen und einen eventuellen Wohnsitzwechsel der
Staatsanwaltschaft Bonn zu dem Aktenzeichen 90 Js 978/00
unverzüglich mitzuteilen.
2.Der Beschuldigte hat allen Ladungen in dieser Sache pünktlich Folge
zu leisten.
3.Der Beschuldigte hat jede persönliche - auch schriftliche -
Kontaktaufnahme zu der Zeugin G. H. zu unterlassen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie der dem Beschuldigten im
Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen trägt die
Staatskasse.
Gründe :
1
I.
2
Das Amtsgericht Euskirchen hat am 21. August 2000 gegen den Beschuldigten
Haftbefehl wegen versuchten Mordes erlassen.
3
Darin wird ihm vorgeworfen, am 18. August 2000 seine Ehefrau G. H. in der Absicht, sie
zu töten, in den hinteren Teil der Ladefläche seines mit Blumen dicht beladenen LKWs
gelockt, dort mit einer Holzlatte von hinten mehrfach gegen ihren Hinterkopf und Nacken
geschlagen, ihr mehrfach mit der Handkante mit voller Wucht gegen die Halsschlager
geschlagen, ihr anschließend Mund und Nase zugehalten, sie gewürgt und dabei
gerufen zu haben: "Das hast Du nun davon, Du Miststück. Jetzt bringe ich Dich um und
verbuddele Dich!"
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Das Amtsgericht hat diesen Haftbefehl nach vorläufiger Festnahme des Beschuldigten,
seiner Anhörung und weiteren Ermittlungen noch am selben Tag aufgehoben und zur
Begründung ausgeführt, nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen sei der dringende
Tatverdacht eines versuchten Tötungsdeliktes nicht gegeben. Der noch bestehende
dringende Tatverdacht einer Körperverletzung, des Verstoßes gegen das
Waffengesetzes, der Entziehung elektrischer Energie sowie des "Wasserbetruges"
decke nicht den Haftgrund des § 112 Abs.3 StPO. Anhaltspunkte für eine Flucht- oder
Verdunkelungsgefahr seien nicht gegeben.
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Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat die Strafkammer
den Haftbefehl mit Beschluss vom 25. August 2000 wieder in Kraft gesetzt. Der
Beschuldigte ist am selben Tag (erneut) in Untersuchungshaft genommen worden.
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Gegen den Beschluss der Strafkammer richtet sich die mit Schriftsatz des Verteidigers
vom 26. August 2000 eingelegte weitere Beschwerde, der die Kammer nicht abgeholfen
hat.
7
II.
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Die nach § 310 Abs. 1 StPO statthafte und auch sonst zulässige weitere Beschwerde
führt zur Abänderung des Haftbefehls und seiner Außervollzugsetzung in
entsprechender Anwendung des § 116 StPO.
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1.)
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Der Beschuldigte ist eines Verbrechens des versuchten Totschlags, strafbar gemäß §§
212, 22, 23 StGB, dringend verdächtig, nämlich des Versuchs, am 18. August 2000 in E.
seine von ihm getrennt lebende Ehefrau G. H. im Anschluss an einen zunächst verbal
geführten Streit durch Schläge mit einem Holzstab gegen Hinterkopf und Nacken, durch
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wuchtige Schläge mit der Handkante gegen die Halsschlagader sowie durch Würgen zu
töten.
a)
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Der dringende Tatverdacht des versuchten Totschlags ergibt sich aus der Aussage der
geschädigten Zeugin H., sowie dem weiteren bisherigen Ermittlungsergebnis. Soweit
der Beschuldigte den objektiven Tatablauf nicht ohnehin einräumt, wird seine
Einlassung nach dem derzeitigen Sachstand weitgehend widerlegt:
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aa) Die von der Zeugin H. geschilderte massive körperliche Gewaltanwendung durch
den Beschuldigten werden von diesem mit Ausnahme des Einsatzes einer Holzlatte
letztlich nicht bestritten. So will der Beschuldigte etwa Schläge mit der Handkante
jedenfalls nicht ausschließen ("Ich frage sie, was ist Handkante, was ist flache Hand?
Ich habe sie jedenfalls nicht bewußt mit der Handkante geschlagen").
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Soweit der Beschuldigte bestreitet, seine Frau mit einer Holzlatte geschlagen zu haben,
wird die Darstellung der Zeugin zum einen durch das Ergebnis der rechtsmedizinischen
Untersuchung bestätigt. Danach passt die am Hals der Geschädigten festgestellte
"Doppelstriemenkontur" zu einem "Schlag mit einem Schlagwerkzeug von rundem
Querschnitt". Eine ganz wesentliche Bestätigung erfährt die Aussage der Zeugin im
übrigen durch die am Tattag aufgenommene Erklärung des Zeugen J., der den Vorgang
aus seinem Fahrzeug heraus wahrgenommen hatte und nach eigener Einschätzung von
seinem Standort aus gut in die Ladefläche des LKW hinein sehen konnte. Der Zeuge
hat am Tatort erklärt, er glaube, "dass die Geschädigte mit einem längeren Gegenstand
im Bereich des Kopfes geschlagen" worden sei. (Eine Vernehmung dieses Zeugen
sowie des weiteren am Tatort anwesenden Zeugen B. ist den dem Senat vorgelegten
Akten - unverständlicherweise - nicht zu entnehmen).
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Was die Zeugin als Würgen beschreibt, wird vom Beschuldigten - wenn auch ebenfalls
in beschönigender Form ("Ich habe ihr" - so die berichtigte Fassung des
Vernehmungsprotokolls - "den Hals zugehalten, das ist alles") - eingeräumt. Insoweit
wird die Darstellung der Zeugin im übrigen durch das Ergebnis der
gerichtsmedizinischen Untersuchung indirekt bestätigt. Denn die festgestellten
flächenhaften Einblutungen der Bindehäute der Augäpfel lassen auf eine
stauungsbedingte Verursachung schließen, die typische Folge des Würgens ist. Dafür,
dass die Zeugin, wie sie angibt, bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt worden ist, spricht im
übrigen die Wahrnehmung des am Tatort gehörten Zeugen Berg, der "sah, wie eine
Frau total benommen und wackelig auf den Beinen in Richtung des Haupteingangs (des
HIT-Marktes) ging". Hiermit ist die Einlassung des Beschuldigten unvereinbar, seine
Frau habe sich lediglich Haare und Kleidung geordnet und sei "nicht unsicher, sondern
völlig normal" von der Ladefläche des Lkws zum Blumengeschäft im HIT-Markt
gegangen.
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bb) Die der Zeugin zugefügten Verletzungshandlungen - Schläge mit einem Holzstab
gegen den Kopf- und Nackenbereich, wuchtige Schläge mit der Handkante im Bereich
der Halsschlagader, Würgen am Hals - und deren zum Bruch eines
Halswirbelkörperdornfortsatzes führende Intensität waren objektiv geeignet, den Tod der
Zeugin herbeizuführen.
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cc) Die massive Gewalt, mit der der Beschuldigte gegen die Zeugin vorgegangen ist,
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begründet auch in subjektiver Hinsicht den dringenden Verdacht einer versuchten
Tötung mindestens in der Form des dolus eventualis, der billigenden Inkaufnahme des
Todes der Zeugin. Dieser Schluss steht nicht in Widerspruch zu der Einlassung des
Beschuldigten, es habe sich bei ihm "etwas angestaut", er sei dann "explodiert".
Zu diesem Zustand und der Art des Einschlagens auf die Zeugin würde im übrigen
durchaus die von ihr wiedergegebene Äußerung des Beschuldigten passen, ihr Mann
habe "heute wieder damit gedroht, sie umzubringen". Der Senat misst der Frage, ob
diese Äußerung nachgewiesen werden kann, nicht dieselbe Bedeutung bei wie das
Amtsgericht. Hinzuweisen ist aber darauf, dass die Zeugin diese Worte bereits in ihrer
ersten Befragung im Krankenhaus am 18. August 2000, also noch am Tattag,
wiedergegeben hat.
19
b)
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Der weitergehende dringende Verdacht eines versuchten Mordes lässt sich aus dem
derzeitigen Ermittlungsstand nicht herleiten.
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Wenn auch die Darstellung des Beschuldigten in vielen Belangen ersichtlich
beschönigend und in Einzelheiten widerlegt erscheint, wird seine Einlassung, der Tat
sei eine verbale Auseinandersetzung vorausgegangen, kaum zu widerlegen sein. Dass
der Beschuldigte geplant haben könnte, seine Frau - vor aller Augen - auf dem Parkplatz
eines großen Discounters zu töten, um die Leiche anschließend irgendwo "zu
verbuddeln", erscheint allzu unwahrscheinlich. Er musste, selbst wenn der Laderaum
des LKW einen gewissen Sichtschutz bot, damit rechnen, dass die Tat beobachtet
werden würde, etwa von Autofahrern, die, wie der Zeuge J., vor der Ampel an der -
vielbefahrenen - B 56 warten mussten. Die Tat erscheint unter diesen Umständen als
Spontantat, die darauf zurückzuführen ist, dass der Beschuldigte, wie er selbst sagt,
"explodiert" ist, für die sich Mordmerkmale indes nicht feststellen lassen.
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus sonstigen Umständen, die sich im Verlauf der
bisherigen Ermittlungen ergeben haben.
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So entzieht sich etwa die Aussage des Zeugen W., der Beschuldigte habe ihn dingen
wollen, seine Ehefrau zu töten, einer Bewertung. Die Ermittlungsbehörden sind durch
einen allzu gezielt erscheinenden anonymen Hinweis auf diesen Zeugen aufmerksam
gemacht worden. Kein anderer Zeuge hat nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis
entsprechende Äußerungen des Beschuldigten bestätigt, obwohl der angebliche
Anwerbungsversuch in aller Öffentlichkeit stattgefunden haben soll.
24
2.
25
Da der Beschuldigte eines versuchten Tötungsdelikts dringend verdächtig ist, liegt, wie
im Haftbefehl zutreffend angenommen und von der Strafkammer bestätigt, der Haftgrund
des § 112 Abs.3 StPO vor.
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Jedoch bedarf es des Vollzuges des Haftbefehls nicht, da weniger einschneidende
Maßnahmen im Sinne des § 116 StPO die Erwartung hinreichend begründen, daß der
Zweck der Untersuchungshaft auch durch sie erreicht werden kann:
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§ 112 Abs.3 StPO lässt die Anordnung der Untersuchungshaft auch dann zu, wenn ein
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Haftgrund nach § 112 Abs.2 StPO nicht besteht. Bei der gebotenen
verfassungskonformen Auslegung der Vorschrift ist der Erlass eines Haftbefehls jedoch
nicht unbeschränkt zulässig. Vielmehr müssen auch im Rahmen des § 112 Abs.3 StPO
Umstände vorliegen, die die Gefahr begründen, dass ohne Festnahme des
Beschuldigten die alsbaldige Aufklärung und Ahndung der Tat gefährdet sein könnte
(vgl. BVerfGE 19,342 = NJW 66, 243; BVerfG NJW 66,772; Senatsentscheidungen u.a.
vom 5.9.1994 - 2 Ws 399/94 = StV 94, 584, und vom 16.1.1996 - HEs 266/95-314 -).
Zwar werden in Fällen der Schwerkriminalität an diese, die Ermittlungen gefährdenden
Umstände keine allzu hohen Anforderungen gestellt. Ausreichen kann daher schon die
zwar nicht mit Tatsachen belegbare, aber nach den Umständen nicht ausschließbare
Flucht- oder Verdunkelungsgefahr oder die ernstliche Befürchtung, dass der Täter
ähnliche Taten begehen werde (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44.Aufl., § 112
Rdn.38 m.w.N.). Jedoch ist der Erlass eines Haftbefehls verfehlt, wenn eine Flucht des
Beschuldigten oder eine andere Handlung im Sinne des § 112 Abs. 2 StPO ganz
fernliegend ist. Demgemäß kommt auch in Fällen des § 112 Abs.3 StPO eine
entsprechende Anwendung des § 116 StPO in den Fällen in Betracht, in denen einer
Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr durch mildere Maßnahmen
begegnet werden kann.
Ein solcher Fall liegt hier vor:
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a)
30
Zunächst erscheint die Gefahr einer Flucht des Beschuldigten fernliegend. Er lebt fest
verwurzelt als - offenbar erfolgreicher - Geschäftsmann mit den beiden Kindern in
seinem Einfamilienhaus. Er hat auch dann keinen Versuch unternommen, sich dem
Verfahren zu entziehen, als die Staatsanwaltschaft gegen den den Haftbefehl
aufhebenden Beschluss des Amtsgerichts Beschwerde eingelegt hat. Seine Festnahme
erfolgte problemlos, als er nach Geschäftsschluss in sein Haus zurückkehrte.
Unbeschadet der Annahme des dringenden Tatverdachts ergeben sich aus dem
bisherigen Ermittlungsergebnis auch Umstände, die es aus der Sicht des die Tat
bestreitenden Beschuldigten nahelegen, sich der Hauptverhandlung zu stellen.
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Selbst wenn der Beschuldigte schon wegen des Verstosses gegen das
Kriegswaffenkontrollgesetz eine empfindliche Strafe zu erwarten hat, liegt der
Strafrahmen, von dem der Beschuldigte bei einem günstigen Ergebnis der
Hauptverhandlung ausgehen kann, in einem Bereich, der keinen Anlass für eine völlige
Aufgabe der bisherigen Existenz und der Bindung an die Kinder bietet.
32
b)
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Nicht im selben Maße fernliegend ist die Annahme, der Beschuldigte werde versuchen,
das Aussageverhalten der Zeugin zu beeinflussen. Jedoch kann der danach
bestehenden Verdunkelungsgefahr ebenso wie einer eventuellen Wiederholungsgefahr
durch die Auflage begegnet werden, jede Kontaktaufnahme zu der Zeugin zu
unterlassen.
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Dabei verkennt der Senat nicht, dass eine Reihe von Umständen geeignet sind,
Bedenken gegen die Berechenbarkeit des Beschuldigten hervorzurufen, etwa die
Vielzahl der in seinem Haus zum Teil offen aufbewahrten, zum Teil versteckten Waffen
oder der erhebliche Verdacht, der Beschuldigte habe das Fahrzeug eines Bekannten
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seiner Ehefrau mit einem Sprengsatz in Brand gesetzt.
Zu berücksichtigen ist andererseits, dass der Beschuldigte bisher strafrechtlich nicht in
Erscheinung getreten ist und sein Vorbringen glaubhaft erscheint, er habe jetzt eine
innere Distanz zur Trennung von seiner Frau gefunden. Dies und die (vorläufige)
Bewertung der Tat als Spontantat begründen die Erwartung, dass eine Tatwiederholung
durch die erteilte Auflage mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden
kann. Die Einhaltung der Bedingungen für die Haftverschonung liegt in seinem
ureigenen Interesse. Denn jeder Verstoß gegen die ihm erteilte Auflage, eine
persönliche Kontaktaufnahme zu seiner Ehefrau zu unterlassen, sich ihr also auch nicht
in irgendeiner Form zu nähern, hätte die Invollzugsetzung des Haftbefehls mit allen
nachteiligen Auswirkungen zur Folge. Seine Angaben bei der richterlichen Vernehmung
wie auch seine schriftliche Stellungnahme vom 7. September 2000 zum Rechtsmittel
der Staatsanwaltschaft sprechen dafür, daß sich der Beschuldigte dieser Situation
bewusst ist und sein Handeln danach einrichten wird.
36
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1
StPO. Mit der weiteren Beschwerde hat der Beschuldigte das ihm wesentliche Ziel der
Freilassung - das gleichermaßen mit dem hilfsweise gestellten Antrag auf
Außervollzugsetzung des Haftbefehls verfolgt worden ist, so dass die Anwendung des §
473 Abs. 4 StPO nicht angezeigt erscheint.
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