Urteil des OLG Köln vom 11.07.2002

OLG Köln: krasses missverhältnis, sittenwidrigkeit, bürge, darlehen, einkünfte, auszahlung, leistungsfähigkeit, verbürgung, zustand, geldsumme

Oberlandesgericht Köln, 13 U 56/02
Datum:
11.07.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
13. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 U 56/02
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 2 O 231/01
Tenor:
Der Antrag der Beklagten zu 1) vom 22.04.2002, ihr zur Durchführung
der Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 14.03.2002 -
2 O 231/01 - Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird zurückgewiesen.
G r ü n d e:
1
I.
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Das Landgericht hat die Beklagte zu 1) mit Schlussurteil vom 14.03.2002, auf das
hinsichtlich der weiteren Einzelheiten verwiesen wird, unter Klageabweisung im
Übrigen wie eine Gesamtschuldnerin mit dem durch Teilanerkenntnisurteil vom
26.07.2001 verurteilten und aus den notariellen Urkunden Urk.-Nr. /1996 Notar Dr. N. in
H. vom 18.12.1996 und Urk.-Nr. /1998 Notar Dr. N. in H. vom 22.01.1998 verpflichteten
Beklagten zu 2) zur Zahlung von 389.331,89 EUR (= 761.467,00 DM) nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 1 Diskontsatz-
Überleitungs-Gesetz seit dem 23.08.2000 verurteilt. Zur Begründung ist ausgeführt
worden, dass der Klägerin ein entsprechender Zahlungsanspruch gegen die Beklagte
zu 1) aus der am 28.10.1999 übernommenen Bürgschaftsverpflichtung gemäß den §§
607 Abs. 1, 765, 767 BGB zustehe. Zwar verstoße eine formularmäßige Ausdehnung
der Bürgschaft auf alle bestehenden, künftigen und bedingten Verbindlichkeiten aus der
bankmäßigen Geschäftsverbindung der D. GmbH & Co. KG mit der Klägerin gegen die
§§ 3, 9 AGBG. Rechtsfolge dieses Verstoßes sei jedoch nicht die Unwirksamkeit der
Bürgschaft, sondern nur deren Beschränkung auf die Verbindlichkeiten, die Anlass der
Verpflichtung gewesen seien. Anlass der Bürgschaftsverpflichtung sei im vorliegenden
Fall die Erhöhung des Kreditrahmens der D. GmbH & Co. KG auf 800.000,00 DM
gewesen. Da seinerzeit Kreditverbindlichkeiten in Höhe von 799.128,51 DM bestanden
hätten, sei die Bürgschaftsverpflichtung der Beklagten zu 1) in dieser Höhe wirksam
zustande gekommen. Dass die gewährten Kredite im Zeitpunkt der Erhöhung des
Kreditrahmens bereits ausgezahlt gewesen seien, stehe dem nicht entgegen. Auch sei
die Bürgschaft nicht wegen sittenwidriger finanzieller Überforderung gemäß § Abs. 1
BGB unwirksam, da die Beklagte zu 1) bereits den objektiven Tatbestand einer krassen
finanziellen Überforderung nicht hinreichend dargelegt habe. Ausweislich der von ihr im
September 1999 gegenüber der Klägerin abgegebenen Selbstauskunft habe die
Beklagte zu 1) im Zeitpunkt der Unterzeichnung der Bürgschaftserklärung über
Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 81.977,30 DM und Vermögen in
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Form von Haus- und Grundbesitz verfügt, das selbst bei Zugrundelegung der von der
Beklagten zu 1) berichtigten handschriftlichen Zahlen unter Berücksichtigung der
vorhandenen Grundstücksbelastungen einen Wert von 1.227.000,00 DM gehabt habe.
Die insoweit von der Beklagten zu 1) aufgestellte Behauptung, diese Angaben seien
unrichtig, da die Klägerin sie über den Wert des Grundstücks Z.straße getäuscht habe,
sei unsubstantiiert. Unabhängig vom Fehlen einer krassen finanziellen Überforderung
im allein maßgeblichen Zeitpunkt der Übernahme der Bürgschaft fehle es auch am
Vorliegen weiterer besonderer Umstände, aus denen sich eine Sittenwidrigkeit ergeben
könnte. Diese seien von der Beklagten zu 1) nicht dargelegt worden. Auch sei keine
Übersicherung der Klägerin gegeben gewesen. Da die durch die Bürgschaft gesicherten
Kredite im Zeitpunkt der Kündigung der Geschäftsbeziehung zur D. GmbH & Co. KG nur
noch in Höhe von 786.581,24 DM valutiert hätten, hafte die Beklagte zu 1) unter
Hinzurechnung der Vertragszinsen für den Zeitraum vom 01.04.-31.07.2000 von
2.210,97 DM bzw. 3.716,67 DM aus der von ihr übernommenen Bürgschaft für einen
Gesamtbetrag von 792.508,88 DM. Hiervon seien die seitens des Insolvenzverwalters
unstreitig gezahlten Beträge in Höhe von 5.059,68 DM, 6.014,96 DM und 19.967,24 DM
abzuziehen, so dass eine Restforderung von 761.467,00 DM verbleibe. Weitere Abzüge
habe die Beklagte zu 1) nicht schlüssig vorgetragen.
Nach Urteilszustellung am 20.03.2002 hat die Beklagte zu 1) mit einem am 22.04.2002
(Montag) bei Gericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag beantragt, ihr für eine
durchzuführende Berufung mit dem Antrag, unter Aufhebung des Urteils des
Landgerichts Köln vom 20.03.2002 - 2 O 231/01 - die Klage abzuweisen,
Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
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Sie ist der Ansicht, das Urteil beruhe sowohl auf Rechtsanwendungs- als auch auf
Verfahrensfehlern. Das Landgericht habe die Voraussetzungen verkannt, wann eine
Bürgschaft nach § Abs. 1 BGB unwirksam sei, und es zudem unterlassen, sie auf ihren,
nach Meinung der Kammer unzureichenden Vortrag hinzuweisen. So sei die von ihr
übernommene Ehegattenbürgschaft bereits wegen krasser finanzieller Überforderung
unwirksam, da sie mit ihren pfändbaren Einkünften nicht in der Lage gewesen sei, in
fünf Jahren ein Viertel der Hauptsumme abzudecken. Selbst wenn die Bürgschaft sie
nicht "krass", sondern nur "schlicht" überfordert habe, sei von einer Unwirksamkeit
auszugehen, da der weitere Umstand, dass das Darlehen bereits in erheblichem
Umfang ausgezahlt gewesen sei, die Sittenwidrigkeit begründen würde. Auch fehle es
an einem Anlasskredit, auf den das Bürgschaftsversprechen reduziert werden könne,
wenn die Stellung der Bürgschaft gar nicht Voraussetzung für die Auszahlung einer
bestimmten Geldsumme sei. Des weiteren könne aus den in ihrem Eigentum stehenden
Immobilien keine Geschäftserfahrung hergeleitet werden. Hinsichtlich der weiteren
Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Beklagten zu 1) vom 22.04.2002 (Bl. 287ff GA)
verwiesen.
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II.
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Dem Prozesskostenhilfeantrag der Beklagten zu 1) kann nicht stattgegeben werden, da
die von ihr beabsichtigte Berufung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg verspricht (§
114 ZPO).
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1. Zu Recht hat das Landgericht eine Haftung der Beklagten zu 1) gemäß den §§ 607
Abs. 1, 765, 767 BGB bejaht, da nicht von einer Unwirksamkeit der
streitgegenständlichen Bürgschaft vom 28.10.1999 gemäß § Abs. 1 BGB
ausgegangen werden kann. Hinsichtlich der Nichtigkeit einer sogenannten
Ehegattenbürgschaft kommt es für die Prüfung der Sittenwidrigkeit auf ein krasses
Missverhältnis zwischen dem Verpflichtungsumfang und der Leistungsfähigkeit
des dem Hauptschuldner nahestehenden Bürgen oder Mithaftenden an. Ein
solches Missverhältnis begründet, wenn der Hauptschuldner dem Bürgen oder
Mithaftenden auf Grund einer Ehe, eheähnlichen Partnerschafts-, engen
Verwandtschafts- oder Freundschaftsbeziehung emotional verbunden ist und sich
deshalb bei einer Bürgschafts- oder Mitschuldübernahme nicht von einer
rationalen Einschätzung des wirtschaftlichen Risikos leiten lässt, auch bei
geschäftsgewandten Personen ohne Hinzutreten weiterer Umstände die
widerlegliche tatsächliche Vermutung, dass das Kreditinstitut die emotionale
Beziehung zwischen dem Hauptschuldner und dem Bürgen oder Mithaftenden in
sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat (vgl. grundlegend: Nobbe/Kirchhof, BKR
2001, 5 ff).
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Angesichts der einschneidenden Rechtsfolgen setzt der BGH die Grenze für eine
krasse finanzielle Überforderung aber hoch an und sieht ein derartig wirtschaftlich
unvernünftiges Geschäft, bei dem die oben genannte Vermutung gerechtfertigt ist, erst
dann als gegeben an, wenn bei der Übernahme der Haftung davon auszugehen ist,
der Bürge oder Mithaftende werde mit Hilfe des pfändbaren Teils seines Vermögens
und Einkommens bei Eintritt des Sicherungsfalles voraussichtlich nicht einmal in der
Lage sein, die auf die Bürgschaft bzw. die mitübernommene Schuld entfallenden
laufenden Zinsen auf Dauer aufzubringen (Nobbe/Kirchhoff, a.a.O., S. 8 m.w.N.).
Einzusetzen hat der Bürge nicht sein ganzes Einkommen, sondern lediglich den
pfändbaren Teil seines Einkommens, da ihm wie jedem Schuldner nach den
gesetzlichen Schutzvorschriften zur Sicherung des Existenzminimums ein
unpfändbarer Teil des Einkommens verbleiben muss und ihm nicht angesonnen
werden kann, diesen zur Tilgung von Verbindlichkeiten zur Verfügung zu stellen
(Nobbe/Kirchhoff, a.a.O., S. 9). Einzubeziehen in die Beurteilung sind im übrigen nur
die eigenen Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Bürgen, und nicht die
seiner Familie, insbesondere nicht die des Hauptschuldners (BGH, Urteil vom
27.01.2000 - IX ZR 198/98 - NJW 2000, 1182, 1183; Urteil vom 14.11.2000 - XI ZR
248/99 - 2001, 815, 816). Hat der Bürge dagegen Vermögen, hat er dieses zu
verwerten, um die Schuld zu tilgen; dies gilt auch im Falle eines von ihm bewohnten
Hausgrundstücks (BGH, Urteil vom 26.04.2001 - IX ZR 337/98 - NJW 2001, 2466,
2467). Dingliche Belastungen auf Grundvermögen sind wertmindernd zu
berücksichtigen (Nobbe, Bankrecht - Aktuelle höchst- und obergerichtliche
Rechtsprechung, 1999, Rn. 1052; Nobbe/Kirchhoff, a.a.O., S. 9 f). Liegt (pfändbares)
Vermögen vor, welches den Betrag der Verpflichtung nicht abdeckt, so ist das
Vermögen bei der Beurteilung der krassen finanziellen Überforderung in der Weise in
die Berechnung einzubeziehen, dass zunächst der - gegebenenfalls um Belastungen
verminderte - Wert des Vermögensgegenstandes von der Bürgschaftsschuld
abzuziehen ist und die auf den verbleibenden Betrag entfallenden laufenden Zinsen
zu errechnen sind. Sodann muss geprüft werden, ob der Bürge diese Zinsen aus
seinem Einkommen aufzubringen vermag (Nobbe/Kirchhoff, a.a.O., S. 10).
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Soweit die Beklagte zu 1) im Gegensatz hierzu davon ausgeht, eine krasse finanzielle
Überforderung des Bürgen liege vor, wenn die pfändbaren Einkünfte des Bürgen
voraussichtlich nicht ausreichen, in fünf Jahren ein Viertel der Hauptsumme
abzudecken, ist darauf hinzuweisen, dass der IX. Senat des BGH diesen von ihm
zuvor vertretenen Maßstab mit Urteil vom 27.01.2000 - IX ZR 198/98 - (NJW 2000,
1182, 1183) ausdrücklich aufgegeben und sich der vom XI. Senat (vgl. Urteil vom
14.11.2000 - XI ZR 248/99 - NJW 2001, 815, 816 m.w.N.) vertretenen - oben
dargestellten - Auffassung zum Vorliegen einer krassen finanziellen Überforderung
eines Bürgen oder Mithaftenden angeschlossen hat.
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Ausgehend von diesen, vom BGH entwickelten Grundsätzen, denen auch der Senat
folgt (vgl. Urteil vom 30.01.2002 - 13 U 93/01 - ZIP 2002, 844), hat das Landgericht
eine krasse finanzielle Überforderung der Beklagten zu 1) im vorliegenden Verfahren
zu Recht verneint, indem es in zutreffender Weise für die Beurteilung der Einkommens-
und Vermögenssituation der Beklagten zu 1) von der im September 1999 gegenüber
der Klägerin abgegebenen Selbstauskunft (Bl. 90ff AH) ausgegangen ist. Unter
ausdrücklicher Versicherung, alle Angaben vollständig und wahrheitsgemäß gemacht
zu haben, hat die Beklagte zu 1) in dieser Selbstauskunft für 1999 nicht nur Einkünfte
aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 81.977,30 DM angegeben, sondern darüber
hinaus auch Vermögenswerte aus Grundbesitz, die für sich genommen bereits die
verbürgte Hauptforderung überstiegen. Soweit das Landgericht insoweit unter
Berücksichtigung der vorhandenen Grundstücksbelastungen selbst bei
Zugrundelegung der von der Beklagten zu 1) berichtigten handschriftlichen Zahlen von
einem Nettovermögen in Höhe von 1.227.000,00 DM ausgegangen ist, kann dies auch
unter Beachtung der nunmehr vorgebrachten Einwendungen nicht beanstandet
werden. Bei ihren jetzigen Angaben zum Wert der Grundstücke und der Valutierung
der jeweiligen Darlehen übersieht die Beklagte zu 1) zum einen, dass maßgeblicher
Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage einer möglichen Sittenwidrigkeit der
übernommenen Bürgschaft allein der Zeitpunkt der Bürgschaftserklärung ist, die die
Beklagte zu 1) am 28.10.1999 abgegeben hat. Soweit von ihr jetzt unter Bezugnahme
auf die Bewertung eines Maklers Ende 2000 für das Objekt E.weg 12 in S. bzw. unter
Vorlage eines Gutachtens des Sachverständigen Dipl. Ing. H.L. vom 26.06.2001 für
das Objekt Z.straße 34 in K. teilweise erheblich niedrigere Werte behauptet werden,
könnten diese nur dann bei der für die Frage einer krassen finanziellen Überforderung
anzustellenden Zukunftsprognose, ob der Bürge voraussichtlich bei Eintritt des
Sicherungsfalles in der Lage sein wird, die auf die Bürgschaft entfallenden laufenden
Zinsen aufzubringen, Beachtung finden, wenn diese Wertentwicklung seinerzeit bei
Übernahme der Bürgschaft vorauszusehen gewesen wäre. Dass dies hinsichtlich der
Grundstücke E.weg 12 in S. bzw. H.straße 347 in H. der Fall gewesen wäre, wird von
der Beklagten zu 1) nicht vorgetragen.
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Anders war die Situation nach dem eigenen Sachvortrag der Beklagten zu 1) bei dem
Grundstück Z.straße 34 in K., wo der von ihr selbst beauftragte Sachverständige Dipl.
Ing. M.M. in seinem Gutachten vom 19.07.1999 zur Erläuterung des im Ergebnis
festgehaltenen Verkehrswertes von 2,3 Mio. DM ausgeführt hatte, dass auftragsgemäß
nicht auf den bei der Besichtigung vorgefundenen Zustand abgestellt werde, "sondern
auf den mutmaßlichen Endzustand, d. h. auf den mängelfreien, fach- und
sachgerechten Zustand nach Beendigung der Baumaßnahme". Diese Maßnahmen
waren seinerzeit aber bereits geplant und sollten zeitnah ausgeführt werden, so dass
aufgrund der Erhöhung des Kreditrahmens für die D. GmbH & Co. KG auf insgesamt
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800.000,00 DM unter Befristung bis zum 30.03.2000 ein Sicherungsfall erst zu einem
Zeitpunkt zu erwarten war, in dem die noch ausstehenden Arbeiten schon ausgeführt
waren.
Weiter wird von der Beklagten zu 1) bei der nunmehr von ihr vorgenommenen
Bewertung ihres Grundvermögens nicht beachtet, dass nicht jedes Darlehen, das zur
Finanzierung eines Grundstücks aufgenommen wurde, im Rahmen der Überprüfung
einer krassen finanziellen Überforderung bei Übernahme der Bürgschaft vom
Grundstückswert abgezogen werden kann. Wertmindernd wirken sich allein dingliche
Belastungen aus, die einer Inanspruchnahme der zum Vermögen des Bürgen
gehörenden Grundstücke entgegenstehen. Dass aber weitere dingliche Belastungen
bestanden hätten, die bislang noch nicht berücksichtigt wurden, trägt die Beklagte zu
1) nicht vor. Aus diesem Grunde kann die Frage, inwieweit der erstinstanzliche Vortrag
der Beklagten zu 1) unsubstantiiert war bzw. ob der Vortrag nunmehr hinreichend
substantiiert ist, ebenso dahinstehen wie der Einwand, das Landgericht hätte die
Beklagte zu 1) trotz der bereits im Parallelverfahren 2 O 691/00 LG Köln erteilten
Hinweise hierauf nochmals im vorliegenden Prozeß besonders hinweisen müssen.
Reichte bereits das Vermögen der Beklagten zu 1) aus, um die von ihr als Bürgin
übernommene Haftung für einen voraussichtlichen Sicherungsfall abzudecken,
scheidet eine finanzielle Überforderung der Beklagten zu 1) zum Zeitpunkt der
Übernahme der Bürgschaft vom 28.10.1999 aus, ohne dass ihr damaliges pfändbares
Einkommen - das sie nunmehr selbst mit höchstens 3.300,00 DM angibt - in Relation
zu den auf die Bürgschaft entfallenden laufenden Zinsen gesetzt werden müsste.
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Im übrigen wäre selbst bei einer objektiven krassen finanziellen Überforderung der
Beklagten zu 1) als Bürgin und dem persönlichen Näheverhältnis zum Beklagten zu 2)
vorliegend nicht von der Vermutung auszugehen, dass sie sich nicht von einer
realistischen Einschätzung des wirtschaftlichen Risikos, sondern von ihrer
emotionalen Bindung zu ihrem Ehemann hat leiten lassen und die Klägerin dies in
sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat. Denn aufgrund der von der Beklagten zu 1)
abgegebenen Selbstauskunft über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse
hätte die Klägerin eine krasse finanzielle Überforderung nicht erkennen können, so
dass die oben aufgezeigte Vermutung als widerlegt anzusehen wäre. Auf diese
Selbstauskunft, die von der Klägerin gerade zu dem Zweck eingeholt worden war, sich
über die finanzielle Leistungsfähigkeit der Beklagten zu 1) zu informieren, durfte sich
die Klägerin angesichts der ausdrücklichen Versicherung der Richtigkeit und
Vollständigkeit der gemachten Angaben durch die Beklagte zu 1) verlassen.
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Kann aber nicht einmal von einer finanziellen Überforderung der Beklagten zu 1)
ausgegangen werden, kann dahin gestellt bleiben, ob das Haftungsrisiko der
Beklagten zu 1) nicht zusätzlich noch durch anderweitige Sicherheiten begrenzt
worden ist, die sie als Bürgin in rechtlich gesicherter Weise davor schützen, in einem
Maße in Anspruch genommen zu werden, das ihre finanzielle Leistungsfähigkeit krass
überfordert (vgl. BGH, Urteil vom 27.01.2000 - IX ZR 198/98 - NJW 2000, 1182, 1183;
Urteil vom 14.11.2000 - XI ZR 248/99 - 2001, 815, 816).
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1. Andere Umstände, aus denen sich eine Sittenwidrigkeit der von der Beklagten zu
1) übernommenen Bürgschaft vom 28.10.1999 ergeben könnte, sind nicht
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erkennbar. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst
vollumfänglich auf das landgerichtliche Urteil verwiesen. Insbesondere steht auch
der Einwand, dass die Darlehen, für die sich die Beklagte zu 1) verbürgt hat,
bereits in erheblichen Umfang ausgezahlt worden waren, der Wirksamkeit der
Bürgschaft nicht entgegen. Bereits § 765 Abs. 1 und 2 BGB zeigen, dass es für die
Wirksamkeit einer Bürgschaft nicht entscheidend darauf ankommt, ob die
Bürgschaft zu einem Zeitpunkt übernommen wird, in dem die Hauptverbindlichkeit
bereits durch Auszahlung des Kredits entstanden ist (§ 765 Abs. 1 BGB), oder ob
die Bürgschaft eine künftige Verbindlichkeit betrifft (§ 765 Abs. 2 BGB), wie dies
bei einer Verbürgung für eine noch nicht ausgeschöpfte Kreditlinie der Fall wäre.
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Entgegen der Ansicht der Beklagten zu 1) kann eine Sittenwidrigkeit auch nicht aus
dem Urteil des BGH in NJW 1996, 513ff (Urteil vom 02.11.1995 - IX ZR 22/94)
hergeleitet werden. Die in dieser Entscheidung festgestellte Nichtigkeit der Bürgschaft
nach § BGB basierte nicht allein auf der Tatsache, dass wesentliche Teile des Kredits
bereits an den Ehemann der dortigen Beklagten und Hauptschuldner ausgezahlt
waren, als eine Bürgschaft der Ehefrau gefordert wurde, sondern auf der zusätzlichen
Besonderheit, dass die Bank die dortige Beklagte nach deren Vortrag in eine seelische
Zwangslage gebracht hatte, weil die Mithaftungsübernahme unter Androhung einer
Rücknahme der Kreditzusage erst gefordert worden war, nachdem ein wesentlicher
Teil des Kredits bereits zum Aufbau des Unternehmens des Ehemannes der Beklagten
verwendet worden war, und weil die Bank von Anfang an entweder gewusst hatte,
dass die Beklagte keine Mithaftung für die Kredite übernehmen wollte oder dass die
Ausfallbürgin ihre Ausfallbürgschaft von einer Mitverpflichtung der Beklagten abhängig
machen würde, und die Bank dies dem Ehemann nicht mitgeteilt hatte (vgl. BGH,
a.a.O., NJW 1996, 513, 515). Dies ist jedoch eine mit der vorliegenden nicht
vergleichbare Fallgestaltung.
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Genauso wenig ist die Auszahlung einer bestimmten Geldsumme Voraussetzung für
die Anwendbarkeit der sogenannten Anlassrechtsprechung des BGH, die vom
Landgericht in der angegriffenen Entscheidung zutreffend dargestellt worden ist und
der sich auch der Senat anschließt. Rechtsfolge der Unwirksamkeit einer
formularmäßigen globalen Zweckerklärung nach § 9 Abs. 1 AGBG ist allein die
Beschränkung der Bürgenhaftung auf die im Wege einer ergänzenden
Vertragsauslegung objektiv zu ermittelnde Forderung, die Anlass der
Bürgschaftsübernahme war. Objektiver Anlass ist hierbei das aktuelle
Sicherungsbedürfnis des Gläubigers unter Wahrung des Verbots der
Fremddisposition. Sichert die Bürgschaft einen Tilgungskredit, bildet dieser - soweit er
im Zeitpunkt der Verbürgung (noch) besteht - den objektiven Anlass. Wird ein
Kontokorrentkredit besichert, tritt an die Stelle der Kreditschuld das im Zeitpunkt der
Verbürgung geltende Kreditlimit (BGH, Urteil vom 18.05.1995 - IX ZR 108/94 - NJW
1995, 2553, 2556). Da im vorliegenden Falle die Kreditforderungen der Klägerin gegen
die D. GmbH & Co. KG in Höhe von seinerzeit 799.128,51 DM Anlass für die von der
Beklagten zu 1) übernommene Bürgschaftsverpflichtung vom 28.10.1999 waren, spielt
es demnach keine Rolle, dass diese Forderungen bereits zuvor durch
Darlehensauszahlung entstanden waren (vgl. auch: BGH, Urteil vom 28.10.1999 - IX
ZR 364/97 - NJW 2000, 658).
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Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO).
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