Urteil des OLG Köln vom 12.08.2009

OLG Köln (operation, aufklärung, verlust, eingriff, medizinische indikation, behandlung, zpo, brille, komplikationen, folge)

Oberlandesgericht Köln, 5 U 47/09
Datum:
12.08.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
5 U 47/09
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 25 O 164/07
Tenor:
werden die Parteien darauf hingewiesen, dass der Senat nach Beratung
erwägt, die Berufung durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs.2
ZPO zurückzuweisen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 522 Abs.2
Nr. 1 ZPO) und auch die weiteren Voraussetzungen gemäß § 522 Abs.2
Nr. 2,3 ZPO vorliegen.
I.
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Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Das angefochtene Urteil erweist
sich auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens als richtig. Die
Klageabweisung beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen
nach § 529 ZPO zugrundezulegende Tatsachen eine andere Entscheidung (§
513 Abs. 1 ZPO).
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Zu Recht und mit zutreffender Begründung, die sich der Senat in jedem Punkt
zu Eigen macht, hat die Kammer Schmerzensgeld- und
Schadensersatzansprüche (diese dem Grunde nach) der Klägerin wegen
unzureichender Aufklärung bejaht. Eine Aufklärung zur
Patientenselbstbestimmung muss grundsätzlich so erfolgen, dass dem
Patienten Tragweite und Konsequenzen des beabsichtigten Eingriffs vollständig
klar sind; er soll Art und Schwere des Eingriffs erkennen und richtig einordnen
können (vgl. nur beispielhaft BGH VersR 1990, 808). Bei einem allenfalls relativ
indizierten Eingriff muss der Arzt sorgfältig das Bedürfnis des Patienten, den
Eingriff durchführen zu lassen, den damit verbundenen Vorteil der Behandlung
in Relation zu dem damit eingetauschten Risiko ermitteln und mit dem Patienten
besprechen. Insbesondere ist klar und deutlich anzusprechen der Stellenwert
des eingetauschten Risikos gegenüber den Folgen einer Nichtbehandlung (vgl.
hierzu etwa BGH VersR 1980, 1145; BGH NJW 1981, 1319). Dies gilt etwa für
den Fall der rein kosmetischen Operationen, aber auch für andere Fälle hoher
Risiken bei zweifelhafter Operationsindikation. Um einen damit vergleichbaren
Fall handelt es sich vorliegend. Eine Laser-Operation am Auge zur Beseitigung
einer normalen Kurzsichtigkeit, die ohne weiteres auch durch das Tragen von
Kontaktlinsen oder einer Brille zu korrigieren ist, und für die eine weitergehende
medizinische Indikation nicht besteht, ist einer kosmetischen Operation im
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Hinblick auf die Anforderungen an die Aufklärung grundsätzlich vergleichbar
(bezeichnenderweise heißt es selbst im Prospekt der Beklagten, dass es sich
bei der LASIK-Behandlung nicht um die Behandlung einer Krankheit handele,
und deshalb auch keine Krankschreibung erfolgen könne). Hier ist besonders
umfassend aufzuklären (vgl. etwa OLG Düsseldorf VersR 2001, 374 für den Fall
einer Augenoperation). Verschlechterungsmöglichkeiten und ein Missverhältnis
bei dem Tauschrisiko müssen in aller Deutlichkeit angesprochen werden (BGH
VersR 1980, 1145; BGH NJW 1981, 1319; BGH NJW 1992, 2354; BGH NJW
1997, 1637; BGH NJW 1998, 1784). Dies gilt schon für eine Operation, wenn
beide Augen noch prinzipiell funktionstüchtig sind. Es gilt um ein Vielfaches,
wenn – wie hier - bereits ein Auge weitestgehend erblindet ist und die Operation
am anderen Auge durchgeführt werden soll. Hier stehen das Tauschrisiko eines
Verlustes des einzig verbliebenen Auges gegen den möglichen Heilerfolg
(nämlich künftig weitgehend, nicht einmal ausnahmslos, auf eine Brille
verzichten zu können) in einem besonders krassen Missverhältnis. Das muss
zwischen Arzt und Patient umfassend thematisiert sein. Es muss sicher
gewährleistet sein, dass dem Patienten die Risiken in aller Konsequenz vor
Augen stehen und er sich in vollem Bewusstsein des Tauschrisikos auf den
Eingriff einlässt. Dem Sicherheitsbedürfnis des Patienten muss ebenso
sorgfältig Rechnung getragen werden wie der Frage des für den Patienten
resultierenden Wertes der Behandlung. Hier hätte demnach konkret
angesprochen werden müssen, dass selbst dann, wenn nach aktuellem Befund
keine besonderen Anhaltspunkte für eine besondere Gefährdung vorliegen,
immer Komplikationen auftreten können, die dann zum endgültigen oder
weitgehenden Verlust des Augenlichtes führen könnten. Es hätte deutlich
angesprochen und diskutiert werden müssen, dass schon angesichts des
vorgerückten Alters der Patientin Erkrankungen auftreten könnten, die
andersartige Operationen nach sich ziehen könnten, und die ein Abwarten oder
einen Verzicht auf die LASIK-Operation sinnvoll machen könnten. Damit ist
nicht nur der Aspekt der alternativen Behandlungsmöglichkeit angesprochen
(konservativ statt operativ), über die stets aufzuklären ist, sondern auch und erst
recht der Aspekt eines sehr fraglichen dauerhaften Erfolges des operativen
Eingriffs.
Diesen Anforderungen wird die der Klägerin erteilte Aufklärung schon nach dem
eigenen Vorbringen der Beklagten bei weitem nicht gerecht. Im Rahmen seiner
persönlichen Anhörung hat der Beklagte zu 1) in wesentlichen ausgeführt, dass
der Klägerin – wie üblicherweise jedem Patienten - die Broschüre der Praxis
vorab zur Kenntnis gegeben worden sei, dass in einem ersten Gespräch
ausführlich über das Ziel der Behandlung und über die Vorteile der LASIK-
Operation gegenüber anderen möglichen Operationen (insbesondere
Linsenoperation) gesprochen worden sei, dass in einem "formalen"
Aufklärungsgespräch einige Stunden vor der eigentlichen Operation darüber
gesprochen wurde, als Folgen des Eingriffs etwa 6 Monate lang könnten ein
trockenes Auge oder Entzündungen oder Wundheilungsstörungen auftreten und
eventuell eine Nachoperation erforderlich werden. Diese Aufklärung, die auch
schriftsätzlich nicht eingehender dargestellt wurde, lässt schon eine der
Situation angemessene Darstellung der Risiken vermissen. Es war nicht damit
getan, "formal" (also routinemäßig) Risiken wie Entzündungen oder
Wundheilungsstörungen anzusprechen. Es ging darum, der Klägerin ein klares
und plastisches Bild von den möglichen Folgen von Komplikationen zu
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verschaffen, ihr klipp und klar zu sagen, dass sie, wenn sie Pech hatte, das
Augenlicht ganz einbüßen konnte. Da es sich um einen alles andere als
notwendigen medizinischen Eingriff handelte, bestand auch kein Grund, diese
Aufklärung besonders schonend vorzunehmen. Die möglichen Risiken wurden
auch nicht hinreichend präzise angesprochen. Unter "Wundheilungsstörungen"
und "Entzündungen" kann sich ein medizinischer Laie regelmäßig wenig
vorstellen. Vor allem aber fehlt es an einer individuellen, patientenbezogenen
(eben nicht nur "formalen") Aufklärung, die den (geringen) Nutzen des Eingriffs
in Relation zu möglichen (schweren) Risiken thematisierte und der Patientin
verdeutlichte, wie hoch das Tauschrisiko war. Dass der Klägerin zuvor die
Broschüre der Beklagten (die sich im übrigen nur am Rande mit etwaigen
Komplikationen befasst und keinerlei individuellen Einschlag hat) vorlag, und
dass sie ein Einverständnisformular unterschrieb, in dem eine Reihe von
möglichen Komplikationen aufgeführt war (die ihrerseits die schwerste denkbare
Folge ebenfalls nicht hinreichend deutlich werden ließen), ist ohne Bedeutung,
denn maßgeblich ist allein das, was Gegenstand des Aufklärungsgesprächs
war.
Soweit die Beklagten mit der Berufung geltend machen, es komme
entscheidend darauf an, dass sich im Rahmen der ordnungsgemäßen
Voruntersuchungen keine Kontraindikationen für die Operation ergeben hätten,
und dass es insbesondere keinerlei Hinweise auf die möglicherweise
vorliegende asymptomatische Map-Dot-Finger-Dystrophie gegeben habe, liegt
ihre Argumentation neben der Sache und ist ungeeignet, einen
Aufklärungsmangel entfallen zu lassen. Hätten sich solche Hinweise ergeben,
hätte definitiv eine Kontraindikation vorgelegen und den Beklagten wäre ein
Behandlungsfehler vorzuwerfen. Tatsache war, dass die Beklagten das Risiko
einer solchen Grunderkrankung nicht sicher ausschließen konnten, und dass
deshalb auf derartige potentielle Risiken hinzuweisen war.
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Nicht mit Erfolg können sich die Beklagten darauf berufen, dass der Klägerin
ihre "Einäugigkeit" bekannt gewesen sei und sie im Hinblick auf die daraus
resultierenden besonderen Risiken nicht aufklärungsbedürftig gewesen sei, so
dass sie die Folgen ihrer Entscheidung selbst zu tragen habe. Es ging gerade
nicht um das (abstrakte) Wissen, dass sie bei Verlust dieses einen Auges ihre
gesamte Sehfähigkeit verlieren würde, sondern um die Gefährlichkeit dieses
konkreten Eingriffs in Relation zu dem
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geringen persönlichen Nutzen. Dass die Klägerin diese Risikosituation
verlässlich einschätzen konnte und deshalb keiner weiteren Aufklärung bedurft
habe, behaupten die insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten
selbst nicht.
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Für eine hypothetische Einwilligung der Klägerin, für die die Beklagten
ebenfalls darlegungs- und beweispflichtig sind (BGHZ 90, 103 ff.), fehlt es schon
an einer hinreichenden, nachvollziehbaren Darlegung. Dass die Klägerin in
jedem Fall in den Eingriff eingewilligt hätte, lässt sich auch keinesfalls aus den
zitierten Äußerungen der Klägerin und des Zeugen I. entnehmen. Dass die
Klägerin letztlich zu der Operation entschlossen war, besagt nichts darüber, ob
sie ungeachtet einer deutlichen Aufklärung über die Gefahren an diesem
Entschluss festgehalten hätte. Ebenso wenig besagt die Äußerung des Zeugen,
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dass das weitere Tragen der Brille "keine Alternative" gewesen sei. Diese
Äußerung war ersichtlich nicht in dem Sinne gemeint, dass die Klägerin bereit
gewesen sei, jedes Risiko in Kauf zu nehmen, wenn sie nur ihre Brille (die sie
seit mehreren Jahrzehnten ohne Beschwerden trug) nicht mehr tragen müsse.
Sie war vielmehr in dem geschilderten Kontext zu sehen, dass sie von den
Möglichkeiten einer solchen Operation sehr angetan gewesen sei und sich nach
einem Gespräch, das sie von der vermeintlichen Harmlosigkeit der Operation
überzeugt habe, endgültig zu dieser entschlossen habe. Mit hypothetischer
Einwilligung hat das nichts zu tun. Im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung vom
4.6.2008 hat die Klägerin denn auch unmissverständlich und nachvollziehbar
zum Ausdruck gebracht, dass sie habe absolut sicher sein wollen, dass ihrem
einzigen gesunden Auge nichts passieren könne.
Die Kausalität zwischen dem mangels wirksamer Einwilligung rechtswidrigen
Eingriff und dem eingetretenen Gesundheitsschaden, der letztlich im Verlust der
Sehstärke des linken Auges von 0,8 auf 0,2 liegt, ist gegeben. Dass der
operative Eingriff vom 8.8.2006 der Auslöser eines Prozesses war, der über
wiederkehrende "Erosiones" der Hornhaut in Verbindung mit der in der Folge
diagnostizierten Map-Dot-Finger-Dystrophie zum angegebenen Verlust der
Sehfähigkeit führte, wird letztlich auch von den Beklagten nicht bestritten, ergibt
sich aber jedenfalls mit aller Eindeutigkeit aus den vorliegenden medizinischen
Behandlungsunterlagen und Gutachten (recht anschaulich im Gutachten des
Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung O. beschrieben: "Ab diesem
Zeitpunkt setzt eine unvermeidbare Dynamik ein, deren Ursache eine … nicht
erkannte chronische Erkrankung der Hornhaut ist…"). Dass dabei die
festgestellte Dystrophie eine maßgebliche Bedeutung für die
Krankheitsentwicklung erlangt hat, ist für die Frage der Kausalität ohne
Bedeutung. An der Kausalität ändert sich nichts dadurch, dass ein Schädiger
auf einen zum (besonderen) Schaden neigende Person trifft. Anders wäre es
nur, wenn die chronische Erkrankung der Klägerin unweigerlich und ohne jeden
Bezug zum erfolgten Eingriff durch die Beklagten zum gleichen Schaden geführt
hätte, wenn also die Operation weggedacht werden könnte, ohne dass sich am
Schadensverlauf etwas ändern würde. Das Vorliegen eines derartigen
hypothetischen Kausalverlaufs behaupten die Beklagten aber selbst nicht und
hierfür gibt es auch in den medizinischen Stellungnahmen keinerlei
Anhaltspunkt.
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Die Höhe des zuerkannten Schmerzensgeldes ist nicht zu beanstanden. Das
ihnen eingeräumte Ermessen haben die Richter der 25. Zivilkammer
sachgerecht und jedenfalls nicht zu Ungunsten der Beklagten ausgeübt.
Maßgeblich für die Bemessung ist das Ausmaß der Beeinträchtigungen,
insbesondere derjenigen, die für die weitere Lebensführung auf Dauer wirken.
Eindeutig im Vordergrund steht damit der weitgehende Verlust der Sehkraft, der
auf eine Restsehfähigkeit von nunmehr noch 0,2 auf dem linken Auge reduziert
ist. Für einen Menschen, der zuvor mit der noch vorhandenen Sehkraft eines
Auges von 0,8 bei entsprechender Korrektur durch eine Brille gut zurecht kam,
ist dieser Verlust denkbar einschneidend und gravierend. Zu vergleichen sind
derartige Fälle also nicht etwa mit Entscheidungen, bei denen der Geschädigte
ein Auge (fast) verloren hat, sondern mit solchen, bei denen die Folgen im
weitgehenden Verlust des gesamten Augenlichtes liegen. Für den Verlust eines
Auges wurde schon in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts ein
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Schmerzensgeld ausgewiesen, das die hier streitige Summe von 40.000.- € in
etwa erreichte (vgl. die zahlreichen Nachweise bei Jaeger/Luckey Stichwort
"Auge"), für vollständige Erblindung liegen die Summen ohne weiteres im
sechsstelligen Bereich. Die zuerkannte Summe kann damit als eher am unteren
Rand des Ermessensrahmens angesehen werden und rechtfertigt sich letztlich
nur damit, dass der Klägerin eben tatsächlich noch eine nicht ganz unerhebliche
Sehfähigkeit verblieben ist. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache,
dass die Klägerin mit (zum Schadenszeitpunkt) 65 Jahren nicht mehr ganz jung
ist (die meisten Vergleichsentscheidungen betreffen deutlich jüngere
Geschädigte), andererseits aber ein aktiver und ihr Leben selbst gestaltender,
im Wesentlichen unbeeinträchtigt lebender Mensch war. Die von ihr gegenüber
dem Gutachter geschilderten Folgen des weitgehenden Verlustes ihrer
Sehfähigkeit, nämlich dass sie nun nicht einmal mehr in der Lage sei, ihren
Haushalt zu führen, ihre Einkäufe zu tätigen und umfassend auf die Hilfe
anderer angewiesen sei, ist für den Senat unmittelbar glaubhaft. Sonstige
Beeinträchtigungen, wie etwa häufig schmerzende und tränende Augen, treten
gegenüber dem Verlust der Sehfähigkeit bereits deutlich in den Hintergrund.
Erst recht kommt es nicht auf die Frage an, ob weitergehende vorübergehende
Komplikationen oder Erkrankungen (etwa die Herpeserkrankung) oder Unfälle
(etwa der Sturz im Februar 2007) nachweislich Folge der Behandlung durch die
Beklagten sind oder nicht. Auf die Angemessenheit des zuerkannten
Schmerzensgeldes hat dies keinen Einfluss.
Der immaterielle Vorbehalt ist zu Recht ausgesprochen worden. Es genügt,
dass heute noch nicht vorhersehbare weitere Schäden an der Gesundheit
denkbar sind. Dies ist schon aufgrund der nicht fern liegenden Gefahr, weitere
Unfälle zu erleiden, die auf die verminderte Sehfähigkeit zurückzuführen sind,
der Fall. Gleiches gilt für die Möglichkeit von heute noch nicht abschätzbaren
Folgeeingriffen.
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Der Feststellungsantrag bezüglich materieller Schäden ist ebenfalls begründet.
Dass der Klägerin mit einiger Wahrscheinlichkeit für die Zukunft materielle
Schäden entstehen und für die Vergangenheit entstanden sein können (mehr
besagt der Tenor nicht), ist nicht zweifelhaft. Inwieweit die bislang geltend
konkret gemachten materiellen Schäden begründet sind, ist im Höheverfahren,
das noch vor dem Landgericht anhängig ist, zu entscheiden. Gleiches gilt für die
Frage, ob und inwieweit der Klägerin ein Haushaltsführungsschaden oder
schadensbedingte Mehraufwendungen entstanden sind.
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II.
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Die Beklagten haben Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen (§
522 Abs.2 Satz 2 ZPO).
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Köln, den 12.8.2009
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Oberlandesgericht, 5. Zivilsenat
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