Urteil des OLG Köln vom 23.01.2008

OLG Köln: haftbefehl, untersuchungshaft, schöffengericht, vergewaltigung, vollzug, inhaftierung, fluchtgefahr, verspätung, datum, erlass

Oberlandesgericht Köln, 2 Ws 33/08
Datum:
23.01.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ws 33/08
Leitsätze:
1. Nach Aufhebung eiens früheren, bereits außer Vollzug gesetzten
Haftbefehls liegt im Erlass eines neuen haftbefehls wegen desselben
Tatvorwurfs sachlich eine Anordnung nach§ 166 Abs. 4 StPO, die nur
unter den dort bezeichneten Voraussetzungen zulässig ist.
2. Die Verurteilung auch zu einer empfindlichen Freiheitsstrafe (hier: von
3 Jahren, 6 Monaten) stellt einen neu hervorgetretenen Umstand nach§
166 Abs. 4 Nr. 3 StPO nicht dar, wenn bei Aufhebung des früheren
Haftbefehls eine bestimmte Straferwartung nicht im Raum stand.
Tenor:
Der Haftbefehl des Landgerichts Köln vom 18.12.2007- 102-44/07 - wird
aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten darin
entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
G r ü n d e :
1
I.
2
Das Landgericht Köln hat gegen den Angeklagten mit – nicht rechtskräftigem – Urteil
vom 20.12.2007 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch einer
Schutzbefohlenen eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren 6 Monaten verhängt. Gegen den auf
freiem Fuß befindlichen Angeklagten hat die Strafkammer am 18.12.2007 - dem ersten
Hauptverhandlungtag, zu dem der Angeklagte verspätet erschienen war - Haftbefehl
erlassen, aufgrunddessen er sich seither in Untersuchungshaft befindet.
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Wegen der Tat, die Gegenstand der Verurteilung wie auch des Haftbefehls ist
(Vergewaltigung der eigenen zur Tatzeit am 27.03.2004 16-jährigen Tochter), war
bereits am 29.03.2004 durch das Amtsgericht Köln Haftbefehl ergangen,
aufgrunddessen der Angeklagte am selben Tage in Untersuchungshaft genommen
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wurde. Am 20.04.2004 wurde der Angeklagte unter einer Meldeauflage und Anordnung
eines Kontaktverbotes von der Untersuchungshaft verschont, nachdem zuvor die
Staatsanwaltschaft eine am 30.03.2004 zum Landgericht erhobene Anklage
zurückgenommen hatte. Nachdem die Meldauflage mit Beschluss des
Ermittlungsrichters vom 17.11.2004 abgemildert worden war, hob das Schöffengericht
Köln, bei dem am 20.01.2006 erneut Anklage erhoben worden war, den Haftbefehl mit
Beschluss vom 07.05.2007 "im Hinblick auf die lange Verfahrensdauer" auf. In der
Hauptverhandlung vom 20.08.2007 beschloß das Schöffengericht wegen nicht
ausreichender Strafgewalt die Verweisung der Sache an das Landgericht, das – wie
eingangs dargestellt – am 18.12.2007 (erneut) Haftbefehl erließ, gegen den der
Angeklagte mit Verteidigerschriftsatz vom 08.01.2008 Beschwerde eingelegt hat, der die
Strafkammer mit Beschluss vom 09.01.2008 nicht abgeholfen hat.
II.
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Die gem. § 304 Abs. 1 StPO zulässige Beschwerde ist begründet. Der Haftbefehl vom
18.12.2007 kann keinen Bestand haben. Das Landgericht hat nicht bedacht, dass ein
neuer Haftbefehl mit Rücksicht auf den aufgehobenen früheren Haftbefehl nur unter den
Voraussetzungen des § 116 Abs. 4 StPO hätte ergehen dürfen. Es entspricht ganz
allgemeiner Auffassung, der auch der Senat folgt, dass bei Aufhebung eines außer
Vollzug gesetzten Haftbefehls im Erlaß eines neuen Haftbefehls sachlich eine
Anordnung nach § 116 Abs. 4 StPO liegt, die nur unter den dort bezeichneten
Voraussetzungen zulässig ist (vgl Senat 03.01.97, StV 97,139; 09.10.07 – 2 Ws 535/07;
Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 116 Rndnr. 22 m.w.N.)
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Daran fehlt es hier. Ein Widerrufsgrund iSd § 116 Abs. 4 StPO ist in dem Haftbefehl
nicht angegeben und ergibt sich auch sonst nicht aus den Akten. Die Verspätung des
Angeklagten am 1. Hauptverhandlungstag gibt in dieser Beziehung nichts her und hätte
allenfalls Anlaß für einen Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO gegeben.
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Sämtliche anderen vom Landgericht für die Annahme der Fluchtgefahr angeführten
Gesichtspunkte waren seit langem bekannt. Auch die Verurteilung kann die erneute
Inhaftierung des Angeklagten nicht rechtfertigen. Ein neu hervorgetretener Umstand iSv
§ 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO kann darin schon deswegen nicht gesehen werden, weil die
Strafkammer den Haftbefehl bereits vorher erlassen hat. Davon abgesehen trägt auch
die Begründung des Landgerichts nicht, der Angeklagte habe lediglich mit einer
Bewährungsstrafe gerechnet. Mit einer Verurteilung entfällt die durch die
Haftverschonung (bzw. hier durch die Aufhebung des Haftbefehls) begründete
Vertrauensgrundlage nur, wenn es zu einer weit höheren Strafe kommt als bei der
Verschonung erwartet. Davon kann hier nicht die Rede sein. Keine der früheren
Haftentscheidungen enthält zur Straferwartung irgendwelche Ausführungen. Davon
abgesehen mußte sich der Angeklagte nach Aufhebung des früheren Haftbefehls eher
auf eine höhere Strafe einrichten, nachdem das Schöffengericht das Verfahren wegen
nicht ausreichender Strafgewalt an das Landgericht verwiesen hatte. Gleichwohl hat er
sich dem Verfahren gestellt, wobei anzumerken bleibt, dass die ausgeurteilte Strafe
noch in die Strafgewalt des Schöffengerichts gefallen wäre.
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Hiernach war der Haftbefehl mit der sich aus entsprechender Anwendung des § 467
StPO ergebenden Kostenfolge aufzuheben.
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