Urteil des OLG Köln vom 16.01.2004

OLG Köln: gegen die guten sitten, werbung, lege artis, epilepsie, vergleich, medikament, arzneimittel, behandlung, verkündung, verkehr

Oberlandesgericht Köln, 6 U 129/03
Datum:
16.01.2004
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 U 129/03
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 31 O 407/03
Tenor:
Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das am 28.08.2003
verkündete Urteil der 31. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 31 O
407/03 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist mit seiner Verkündung rechtskräftig.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a
Abs. 1 Satz 1, 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO abgesehen.
B e g r ü n d u n g :
1
Die Berufung ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg, weil das Landgericht der
Antragsgegnerin im Ergebnis zu Recht untersagt hat, es zukünftig zu unterlassen, im
geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken in der konkreten Verletzungsform für
den Vertrieb ihrer in den angegriffenen Werbungen näher bezeichneten Arzneimittel "G.
H." (im folgenden auch nur noch: "G." genannt) mit einer vergleichenden
Gegenüberstellung der Apothekenabgabepreise von G. einerseits und des von der
Antragstellerin hergestellten und vertriebenen Arzneimittels "N." andererseits zu werben
und/oder wie ebenfalls nachstehend wiedergeben mit den Aussagen
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"Preisvorteil von bis zu 15%
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im Vergleich zu N."
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und/oder
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"bis zu 15% Preisvorteil
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im Vergleich zu N."
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und/oder
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"N. zu teuer?
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Wir haben was dagegen."
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und/oder
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"Kein generisches
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G.?
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Wir haben was dagegen."
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zu werben:
15
pp.
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In rechtlicher Hinsicht kann offen bleiben, ob - wie das Landgericht es angenommen hat
- der unzweifelhaft vorliegende Werbevergleich gegen die guten Sitten im Sinne von § 1
UWG verstößt, weil er sich möglicherweise nicht auf Waren für den gleichen Bedarf oder
dieselbe Zweckbestimmung im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 UWG bezieht. Das ist
deshalb nicht unproblematisch, weil § 2 Abs. 2 Nr. 1 UWG nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs (vgl. u.a. BGHZ 139, 378 ff. = GRUR Int. 1999, 453 ff. = WRP
1999, 414 ff. = NJW 1999, 948 ff. = MDR 1999, 820 ff. "Vergleichen Sie") dann nicht
anwendbar ist, wenn die miteinander verglichenen Produkte zwar nicht vollkommen
gleich, aber funktionsidentisch sind, und aus Sicht der angesprochenen Verbraucher
das eine Produkt als Substitutionsprodukt des anderen in Betracht kommt. Obschon -
worauf zurückzukommen sein wird - G. im Verhältnis zu N. nur über eine eingeschränkte
Zulassung verfügt, ist diese Frage nicht ohne weiteres in die eine oder andere Richtung
zu beantworten, weil beide Medikamente bei der Behandlung von Epilepsie-Kranken
zum Einsatz kommen und deshalb möglicherweise nicht davon gesprochen werden
kann, aus der Sicht des angesprochenen Verkehrs seien die miteinander verglichenen
Waren nicht substituierbar. Denn andernfalls wäre auch eine in der Sache nicht aus
sonstigen Gründen unlautere Werbung der Antragsgegnerin unter Umständen als
Verstoß gegen § 2 Abs. 2 Nr. 1 und auch § 1 UWG zu beanstanden, in der
unmissverständlich darauf hingewiesen würde, dass G. gegenüber N. nur eine
eingeschränkte Zulassung besitzt und dass ein Preisvorteil allenfalls für diesen
eingeschränkten Zulassungsbereich existiert. Darauf kommt es indes nicht an, und zwar
deshalb nicht, weil die mit dem Verfügungsantrag angegriffene Werbung der
Antragsgegnerin den angesprochenen Verkehr in relevanter Weise in die Irre führt und
folglich gemäß § 3 UWG zu unterlassen ist. Eine - wie hier - im Sinne des Art. 3 a) Abs.
1 lit. a) der Richtlinie 97/95 EG irreführende vergleichende und dann gemäß § 3 UWG
zu unterlassende Werbung braucht ein Mitbewerber des Werbenden nicht
hinzunehmen.
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Die Antragsgegnerin gibt dem Arzt, der die ihm zur Verfügung gestellten
Werbeunterlagen liest, mit ihren vorstehend wiedergegebenen Werbungen jeweils an
die Hand, ihr G. sei ein generisches Arzneimittel, das in jeder Hinsicht dem
Fertigarzneimittel N. der Antragstellerin gleichwertig, aber 15% billiger sei. Das folgt
unmittelbar aus den Werbeaussagen selbst. Denn dort heißt es hinter der einleitend
gestellten Frage
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"Kein generisches G.?"
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man habe was dagegen, und zwar G. H., mit dessen Verordnung gehe im Vergleich zu
N. ein Preisvorteil von bis zu 15% einher. Dabei macht es keinen Unterschied, ob - wie
das in der aus Seite 7 dieses Urteils ersichtlichen Werbung der Antragsgegnerin der
Fall ist - N. direkt in der Kopfzeile
20
"N.
(r)
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Wir haben was dagegen."
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mit roter unterlegter Schrift genannt wird oder ob der Bezug zu dem Medikament "N."
erst dadurch hergestellt wird, dass auf die Existenz des von der Antragsgegnerin
hergestellten und vertriebenen Generikums und dann von einem 15%-igen Preisvorteil
im Vergleich zu N. die Rede ist. In dem einen wie in dem anderen Falle lesen die von
der Werbung der Antragsgegnerin angesprochenen Ärzte die Aussage nämlich jeweils
dahin, die Antragsgegnerin biete nunmehr ein generisches Arzneimittel unter der
Bezeichnung "G. H." an, das in jedweder Hinsicht N. entspreche, aber nicht so teuer,
sondern 15% billiger sei. Diese Aussage ist so, wie sie verstanden wird, falsch.
Zwischen den Parteien ist nämlich unstreitig, dass G. H. im Vergleich zu dem
Medikament N. der Antragstellerin einen nur eingeschränkten Indikationsumfang hat. N.
darf nämlich bei bestimmungsgemäßer Verwendung sowohl in der Monotherapie als
auch in der Zusatztherapie von Epilepsie bei Erwachsenen und Kindern sowie zur
Behandlung neuropatischer Schmerzen im Erwachsenenalter eingesetzt werden,
während "G. H." nur zur Verwendung bei neuropatischem Schmerz und bei der
Epilepsie nicht zur Monotherapie, sondern ausschließlich zur Zusatztherapie
zugelassen ist. Der behandelnde Arzt wird aber jedenfalls in aller Regel eine
antiepileptische Behandlung als Monotherapie beginnen, und zwar deshalb, weil bei
der Mehrzahl aller Epilepsie-Patienten mit nur einer medikamentösen Therapie
Anfallsfreiheit erzielt werden kann, und die Zusatztherapie insoweit Risiken in sich birgt,
als durch die Einnahme unterschiedlicher Wirkstoffe auch die Gefahr von
unerwünschten Wechsel- und Nebenwirkungen wie Benommenheit, Müdigkeit,
Schwächegefühl, Ataxie, Kopfschmerzen, Doppelbilder und Zittern steigt und deshalb
vermehrt Nebenwirkungen auftreten können. Die kombinierte Einnahme von
Antikonvulsiva der vorliegenden Art birgt zudem den Nachteil in sich, dass Interaktionen
zwischen den verschiedenen Medikamenten zu verzeichnen sein und unerwünschte
Nebenwirkungen unter Umständen nicht eindeutig einem Medikament zugeordnet
werden können. Ein Arzt, der lege artis handelt, wird deshalb seinem Patienten, dessen
Epilepsieerkrankung er festgestellt hat, zu Zwecken der Monotherapie niemals G. H.,
sondern ein zur Monotherapie zugelassenes Antikonvulsivum verordnen. Das wird er
unabhängig davon tun, ob er - wie das Landgericht es angenommen hat - überdies
befürchten muss, dass die gesetzlichen Krankenkassen die Erstattung der für G. H.
aufgewendeten Kosten verweigern könnten.
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Suggeriert die Werbung der Antragsgegnerin dem Arzt demgemäss der Wahrheit
zuwider, G. H. könne N. zu 100% ersetzen, sei aber 15% billiger, kann der insbesondere
im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerten Auffassung der
Antragsgegnerin, der behandelnde Arzt wisse im Zweifel, wofür N. zugelassen sei,
außerdem werde er in ihrer Werbung hinreichend über das nur eingeschränkte
Indikationsgebiet von G. H. aufgeklärt, nicht beigepflichtet werden. Zunächst spricht
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nichts dafür, insbesondere kein Lebenserfahrungssatz, dass die von der Werbung der
Antragsgegnerin angesprochenen Mediziner stets das genaue Indikationsgebiet des in
der Werbung angesprochenen N. vor Augen haben und damit wissen könnten, dass N.
im Verhältnis zu G. H. über eine weitergehende Zulassung verfügt. Nähere
Ausführungen hierzu erscheinen dem Senat entbehrlich, weil die insoweit
darlegungspflichtige Antragsgegnerin ihren diesbezüglich abweichenden
Tatsachenvortrag nicht glaubhaft gemacht hat. Ihre Werbung klärt den angesprochenen
Arzt jedenfalls nicht bzw. nicht hinreichend auf. In der in der Ärztezeitung vom
03.06.2003 geschalteten Anzeige (Anlage AST 3 zur Antragsschrift, Seite 7 dieses
Urteils) und in der für G. H. verteilten Werbekarte (Anlage AST 2, Seite 6 dieses Urteils)
findet sich kein Wort über eine im Verhältnis zu N. nur eingeschränkte Zulassung.
Lediglich auf der Innenseite des als Anlage AST 1 (Seite 5 dieses Urteils) zu den Akten
gereichten Werbefolders findet sich an einer Stelle ein Hinweis darauf, dass G. H. im
Verhältnis zu dem in Bezug genommenen N. nur eine eingeschränkte Zulassung
aufweisen könnte. Auf der Innenseite heißt es nämlich bezüglich G. H., dieses habe
bestimmte Vorteile, es werde bei neuropatischem Schmerz und
"bei Epilepsie (zur Zusatztherapie)"
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eingesetzt, der Preisvorteil im Vergleich zu N. betrage bis zu 15%. Dass dieser an
versteckter Stelle befindliche Hinweis den von der Werbung der Antragsgegnerin
angesprochenen Arzt nicht hinreichend darüber aufklärt, dass G. H. bei
bestimmungsgemäßer Verwendung nicht bei der primär in Betracht zu ziehenden
Monotherapie, sondern nur bei der Zusatztherapie zum Einsatz kommen darf, hält der
Senat für offensichtlich. Er kann schon wegen seiner konkreten Ausgestaltung und
Platzierung leicht überlesen werden, weil der angesprochene Arzt durch die Titelseite
des Werbefolders und durch die optische Hervorhebung der Aussage, im Vergleich zu
N. biete G. H. einen Preisvorteil von bis zu 15%, darauf eingestimmt ist, dass G. H. und
N. in jeder Hinsicht gleichwertige Medikamente seien. Auch derjenige Arzt, der
gleichwohl den Hinweis
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"bei Epilepsie (zur Zusatztherapie)"
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zur Kenntnis nimmt, wird nicht hinreichend aufgeklärt. Denn dazu müsste jeder Arzt
wissen, dass das in bezug genommene N. anders als G. H. bei Epilepsie nicht nur zur
Zusatztherapie, sondern auch und gerade zur Monotherapie eingesetzt wird.
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Das dieses Wissen bei den behandelnden Ärzten ohne weiteres als bekannt
vorausgesetzt werden kann, ist nicht anzunehmen und nicht glaubhaft gemacht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Das Urteil ist gemäß § 542 Abs. 2
Satz 1 ZPO mit seiner Verkündung rechtskräftig.
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