Urteil des OLG Köln vom 19.11.1992

OLG Köln (treu und glauben, ungerechtfertigte bereicherung, kenntnis, vvg, leistung, blutprobe, bearbeitung, entschädigung, rückzahlung, bak)

Oberlandesgericht Köln, 5 U 146/92
Datum:
19.11.1992
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 U 146/92
Normen:
VERSICHERUNG; RÜCKFORDERUNG; UNGERECHTFERTIGTE
BEREICHERUNG; KENNTNIS DER NICHTSCHULD; VVG § 61,; BGB
§ 814; OLGR 93, 040;
Leitsätze:
1. Eine Blutalkoholkonzentration von 1,32 Promille begründet in der
Kaskoversicherung den Vorwurf grobfahrlässiger Herbeiführung des
Versicherungsfalles.
2. Eine gezahlte Versicherungsleistung kann der Kaskoversicherer gem.
§§ 812 ff. BGB zurückfordern, es sei denn, er hatte positive Kenntnis von
der Blutalkoholkonzentration; Kenntnis davon, daß eine
Blutuntersuchung beim Versicherungsnehmer durchgeführt wurde,
genügt nicht.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
1
Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung hat auch in der Sache selbst Erfolg.
2
Das Landgericht hat zu Unrecht die Klage abgewiesen. Der Klägerin steht gegen die
Beklagte gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB ein Anspruch auf Rückzahlung der wegen
des Schadensereignisses vom 3.02.1991 gezahlten Kaskoentschädigung zu, da die
Beklagte insoweit auf Kosten der Klägerin ungerechtfertigt bereichert ist. Unstreitig war
die Klägerin nach der tatsächlichen Sach- und Rechtslage nicht zur Leistung der
Kaskoentschädigung verpflichtet, da die Beklagte den Schaden an ihrem versicherten
Fahrzeug im Zustand der absoluten Fahruntüchtigkeit und damit gemäß § 61 VVG den
Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt hat, so daß es für die Erbringung der
Entschädigungsleistung an einem rechtlichen Grund mangelte. Dies hat das
Landgericht auch zutreffend erkannt. Soweit es den Bereicherungsanspruch der
Klägerin deshalb verneint hat, weil dieser nach § 814 BGB wegen einer Leistung in
Kenntnis der Nichtschuld ausgeschlossen sei, jedenfalls aber dem Grundsatz von Treu
und Glauben widerspreche, kann ihm nicht gefolgt werden.
3
Der Tatbestand des § 814 BGB kann nach dem Vorbringen der insoweit darlegungs-
und beweisbelasteten Beklagten nicht festgestellt werden. Es ist schon nicht
substantiiert dargelegt worden, daß der im Auftrag der Klägerin handelnde Kfz-
Sachverständige L. bei der Auszahlung der Entschädigungssumme Ende Februar 1991
überhaupt von der Tatsache der Entnahme einer Blutprobe bei der Beklagten zur
4
Feststellung einer Alkoholisierung zur Unfallzeit gewußt hat. Zwar war ihm bekannt, daß
die schriftliche Schadensanzeige eingereicht war, in der die Entnahme der Blutprobe als
solche mitgeteilt, deren Ergebnis aber als noch ausstehend bezeichnet worden war, es
ist aber schon nicht schlüssig dargetan, ob ihm selbst die Schadensanzeige vorgelegen
hat. Die Klägerin hat dies mit der plausiblen Erklärung bestritten, daß der
Sachverständige L. in Bonn tätig ist, während die Schadensanzeige der
Zweigniederlassung der Klägerin in Köln zugegangen ist, ohne daß die Beklagte dem
entsprechend plausible gegenteilige Tatsachen entgegengehalten hat. Letztlich mag
das aber auch dahinstehen. Gänzlich ohne Substanz ist jedenfalls die Behauptung der
Beklagten, der die Entschädigung auszahlende Kfz-Sachverständige L., auf dessen
Kenntnis es im Rahmen des § 814 BGB ankommt (vgl. Palandt/Thomas, BGB, 51. Aufl.,
Randnummer 7 zu § 814), habe bei der Auszahlung schon positive Kenntnis davon
gehabt, daß die Beklagte den Versicherungsfall aufgrund einer zur Unfallzeit
bestehenden absoluten Fahruntüchtigkeit mit der Folge der Leistungsfreiheit für die
Klägerin grob fahrlässig herbeigeführt hatte im Sinne von § 61 VVG. Davon kann schon
deshalb nicht ausgegangen werden, weil die Klägerin erst am 23.05.1991 durch die
Polizeidienststelle M. erfahren hat, daß die Blutprobe der Beklagten einen BAK-Wert
von 1,22 o/oo ergeben hatte (vgl. Blatt 19); für eine frühere Kenntniserlangung liegen
keinerlei Anhaltspunkte vor. Positive Kenntnis vom Tatbestand des § 61 VVG im
Zeitpunkt der Entschädigungszahlung wäre aber für eine Anwendung des § 814 BGB
erforderlich (vgl. nochmals Palandt/Thomas, a.a.O. Randnummer 3 zu § 814). Das
verkennt auch die Beklagte nicht (vgl. Seite 3/4 der Berufungserwiderung). Demgemäß
reichen blosse Anzeichen für eine Trunkenheitsfahrt aufgrund der Tatsache der
Entnahme einer Blutprobe als solche entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht
aus.
Derartige Anzeichen genügen nach Auffassung des Senats auch nicht, um einen
konkludenten Verzicht der Klägerin auf die Geltendmachung eines
Bereicherungsanspruchs oder den Einwand der Leistungsfreiheit nach § 61 VVG für
den Fall annehmen zu können, daß sich später eine entsprechend hohe BAK zur
Unfallzeit herausstellt. Eine solche Annahme wäre, auch aus der Sicht eines
verständigen Versicherungsnehmers, nur dann gerechtfertigt, wenn der betreffende
Sachbearbeiter des Versicherers bei der Auszahlung der Entschädigungssumme
aufgrund der ihm bekannten Tatsache, daß dem Versicherungsnehmer eine Blutprobe
entnommen wurde, ernsthaft in Erwägung gezogen hätte, daß möglicherweise eine BAK
ermittelt wird, die den Tatbestand des § 61 VVG begründet, und er sich darüber bewußt
hinweggesetzt hätte. Dafür ist aber nichts ersichtlich (wobei Zweifel hinsichtlich eines
Rückforderungsverzichts zu Lasten des Leistungsempfängers gehen, (vgl.
Palandt/Thomas, a.a.O., Randnummer 3 am Ende und 11 zu § 814).
5
Auch die Schreiben der Klägerin vom 14.03. und 2.07.1991 schließen den
Bereicherungsanspruch der Klägerin weder nach § 814 BGB noch gemäß § 242 BGB
aus. Mit ihnen wird lediglich mitgeteilt, daß die Bearbeitung des Schadensfalles mit
einer bestimmten Zahlung abgeschlossen sei. Sie haben demnach schon keine
"Leistung" im Sinne von § 814 BGB zum Inhalt. Entgegen der Auffassung des
Landgerichts kann ihnen auch nicht eine Art "Bestätigung eines nichtigen
Rechtsgeschäftes" entnommen und sie unter diesem Gesichtspunkt auch nicht als
erneute Vornahme der "Leistung" im Sinne von § 814 BGB gewertet werden. Der
Abschluß der Bearbeitung eines Schadensfalles schließt eine Wiederaufnahme der
"Bearbeitung" im Sinne einer Rückforderung der Leistung infolge einer Veränderung der
Tatsachenlage schon denkgesetzlich niemals aus; und die Mitteilung vom Abschluß der
6
Bearbeitung kann deshalb auch von einem verständigen Versicherungsnehmer
schlechterdings nicht als Erklärung dahingehend verstanden werden, er könne die
Entschädigung in jedem Falle unter allen Umständen behalten. Ein solches Verständnis
der Mitteilung vom Abschluß der Bearbeitung des Schadensfalles wäre wiederum
ausnahmsweise nur dann gerechtfertigt, wenn dem Verfasser des Schreibens - für den
Empfänger erkennbar - vor Augen gestanden hat, daß ein Rückzahlungsanspruch an
sich besteht. Dazu hat die Beklagte aber gleichfalls nicht substantiiert vorgetragen.
Da die Beklagte somit nicht zu Recht aufgrund der Schreiben vom 14.03. und 2.07.1991
davon ausgehen durfte, die Entschädigungssumme behalten zu dürfen, widerspricht die
Rückforderung der Entschädigung durch die Klägerin auch nicht Treu und Glauben.
7
Der von der Beklagten erhobene Einwand des Wegfalls der Bereicherung nach § 818
Abs. 3 BGB ist gleichfalls unbegründet. Die Klägerin hat in der Berufungsbegründung
dargelegt, daß ein Ersatzfahrzeug angeschafft worden sei, das drei Tage vor Ablauf der
zu Lasten der Beklagten verhängten Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis
zum Verkehr zugelassen worden ist, wenn auch auf den Namen des Ehemannes der
Beklagten, und daß für dieses Ersatzfahrzeug seitens der Kfz-Versicherung der bei der
Klägerin ursprünglich bestehende Schadensfreiheitsrabatt der Beklagten
zugrundegelegt worden ist. Aus diesem von der Beklagten in der Berufungserwiderung
nicht substantiiert in Abrede gestellten Vorgang läßt sich bei lebensnaher Betrachtung
der Schluß ziehen, daß die von der Klägerin rechtsgrundlos erbrachte
Entschädigungszahlung bei der Anschaffung des Ersatzfahrzeuges Verwendung
gefunden hat und damit ein Wegfall der Bereicherung nach § 818 Abs. 3 BGB nicht
eingetreten ist. Das Gegenteil wäre von der Beklagten darzulegen und nachzuweisen
gewesen. Die von ihr vorgetragene Verwendung der Entschädigungssumme zum Teil
für eine Reise der Beklagten selbst (hinsichtlich derer aber nicht schlüssig dargetan ist,
daß sie erst nach Erhalt der Entschädigung und nicht schon vorher gebucht worden ist)
und zum Teil für eine Schenkung an den Ehemann für eine von diesem schon länger
geplante Reise (der für diesen Fall nach § 822 BGB auf Rückzahlung in Anspruch
genommen werden könnte), ist angesichts des konkreten Vortrags der Klägerin zur
Anschaffung eines Ersatzfahrzeuges rechtlich nicht erheblich.
8
Nach alledem war der Berufung stattzugeben und die Beklagte zur Rückzahlung der der
Höhe nach unstreitigen Entschädigungssumme zu verurteilen. Auch der Zinsanspruch
der Klägerin war gemäß den §§ 286, 288 BGB in Verbindung mit § 287 ZPO
zuzuerkennen.
9
Die prozessualen Nebenentscheidungen über die Kosten und die vorläufige
Vollstreckbarkeit beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
10
Streitwert für das Berufungsverfahren und Wert der Beschwer für die Beklagte: 8.578,64
DM.
11