Urteil des OLG Köln vom 31.03.1993

OLG Köln (arbeitsunfall, pferd, bindungswirkung, verschulden, tätigkeit, original, entstehung, vorschrift, haftung, unfall)

Oberlandesgericht Köln, 26 U 54/92
Datum:
31.03.1993
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
26. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
26 U 54/92
Vorinstanz:
Landgericht Bonn, 13 O 381/91
Schlagworte:
TIERHALTERHAFTUNG; GEFÄHRDUNGSHAFTUNG;
GEFÄLLIGKEIT; HELFER
Normen:
BGB §§ 833, 847, 254; RVO §§ 539 II, 548, 636, 638, 658 II
Leitsätze:
1. Übernimmt jemand aus Gefälligkeit die Aufgabe, während der
Urlaubsabwesenheit eines Pferdehalters dessen Reitpferd durch Führen
am Führstrick zu bewegen und wird er hierbei durch das Pferd verletzt,
so kann ihm der Pferdehalter nach § 833 BGB zum Schadensersatz
verpflichtet sein. 2. An die endgültige Entscheidung der
Berufsgenossenschaft, daß es sich bei dem Schadensereignis nicht um
einen Arbeitsunfall im Sinne der §§ 548, 636 RVO handelt, sind die
Zivilgerichte grundsätzlich gebunden. 3. Zur Frage, ob die
Bindungswirkung bei der Möglichkeit abweichender
Tatsachenfeststellungen entfallen kann.
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 13. Zivilkammer des
Landgerichts Bonn vom 11. August 1992 - 13 O 381/91 - wird auf ihre
Kosten zurückgewiesen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung der Beklagten führt in der Sache
nicht zum Erfolg. Das Landgericht hat die Beklagte zu Recht zur Zah-lung von
Schadensersatz und Schmerzensgeld an die Klägerin gemäß §§ 833 Satz 1, 847
Abs. 1 BGB ver-urteilt. Die hiergegen mit der Berufung geführten Angriffe sind
jedenfalls im Ergebnis nicht geeig-net, eine Abänderung des angefochtenen Urteils
zu rechtfertigen.
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Allerdings mag zweifelhaft sein, ob es sich bei dem Schadensereignis vom 12.03.1990,
bei dem die Klägerin verletzt wurde, entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht
doch um einen Arbeitsunfall im Sinne der §§ 548, 636 RVO handelt. Der Kreis der
versicherten Tätigkeiten nach § 539 Abs. 2 RVO ist weit gefaßt. Für die Einordnung von
Tätig-keiten unter die genannte Vorschrift kommt es insbesondere nicht darauf an,
welche Gründe und Interessen den Handelnden bewogen haben und ob er eine
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Verpflichtung zum Tätigwerden übernommen hat. Letzteres zeigen deutlich die in der
Recht-sprechung aufgeführten Beispiele für versicherten Tätigkeiten, etwa die freiwillige
Pannenhilfe im Straßenverkehr.
Für die Einordnung der dem Schadensereignis zu-grundeliegenden Tätigkeit der
Klägerin mag es auch eine Rolle spielen, ob sie, wie sie im Rahmen des
vorliegenden Rechtsstreits vorgetragen hat, nur eine von mehreren Bekannten der
Beklagten war, die sich während deren Urlaubsabwesenheit gele-gentlich einmal um
das Pferd kümmern sollten, oder ob die Angaben der Klägerin in deren Schadensan-
zeige vom 20.03.1990 zutreffen. In dieser an die Haftpflichtversicherung der
Beklagten gerichteten Schadensanzeige hat die Klägerin ausgeführt:
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"... Das Pferd von Frau P. sollte während ihres Urlaubs täglich von mir bewegt
werden (20 Minuten führen am Führstrick)..."
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Einen derartigen Sachverhalt hat das Landgericht, wie die Berufung zu Recht
hervorhebt, seiner Ent-scheidung nicht zugrundegelegt. Ihm lag allerdings auch die
angeführte Schadensanzeige der Klägerin vom 20.03.1990 nicht im Original vor,
sondern nur in einer Ablichtung, in welcher eine entscheidende Textpassage ("von
mir") offensichtlich durch einen im Original an dieser Stelle befindlichen Textmar-ker
geschwärzt war.
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Dies alles kann aber dahinstehen, weil der Senat hinsichtlich der Frage, ob das
Schadensereignis vom 12.03.1990 ein Arbeitsunfall im Sinne der §§ 548, 636 RVO
war, an die negative Entschei-dung der Berufsgenossenschaft W. vom 09.11.1990
(Bl. 45 f.) gebunden ist. Die Bindungswirkung er-gibt sich, worauf die Klägerin
zutreffend hinge-wiesen hat, aus § 638 RVO. Der fragliche Bescheid der
Berufsgenossenschaft enthält eine Entscheidung im Sinne von § 638 RVO. Der
Bescheid ist in einem Verfahren nach der RVO, nämlich nach §§ 1583, 1569 a RVO
ergangen. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist § 638 RVO nicht auf die Fälle
be-schränkt, in denen eine positive Entscheidung im Sinne des Vorliegens eines
Arbeitsunfalls ergeht. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift ist vielmehr die
Entscheidung bindend, ob ein Arbeitsunfall vorliegt, womit auch eine negative
Entscheidung zu dieser Frage erfaßt ist. Der Be-scheid, der eine
Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, ist auch mangels Anfechtung als endgültig im
Sinne von § 638 RVO anzusehen.
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Soweit die Beklagte unter Berufung auf OLG Bam-berg, VersR 1976, 890 meint, eine
Bindungswirkung bestehe im vorliegenden Falle nicht, weil der Senat von dem
Bescheid der Berufsgenossenschaft abweichende Tatsachenfeststellungen treffen
könne, kann sie damit nicht durchdringen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der
Berufsgenossenschaft bei ihrer Entscheidung die bereits erwähnte Scha-
densanzeige der Klägerin an die Haftpflichtversi-cherung der Beklagten vom
20.03.1990 (Bl. 189 f.) vorlag oder nicht. Selbst wenn die Schadensanzeige nicht
vorlag, wofür die Begründung des Bescheides vom 09.11.1990 sprechen mag, kann
nicht davon ausgegangen werden, daß der Berufsgenossenschaft ein unzutreffender
Sachverhalt unterbreitet worden ist. Entscheidend ist insoweit, daß der Berufs-
genossenschaft ausweislich des Bescheides vom 09.11.1990 nicht nur ein von der
Klägerin, sondern auch ein von der Beklagten beantworteter Fragebo-gen und damit
auch deren Sachverhaltsschilderung vorgelegen hat. Daß diese Schilderung mit
ihrem jetzigen Tatsachenvorbringen nicht übereinstimmt, hat die Beklagte nicht
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vorgetragen.
Nach alledem kann sich die Beklagte nicht auf den Ausschluß ihrer Haftung nach §
636 Abs. 1 RVO be-rufen.
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Ohne Erfolg macht die Beklagte auch geltend, eine Tierhalterhaftung der Beklagten
sei ausgeschlos-sen, weil § 833 Satz 1 nach seinem Schutzzweck nicht eingreife.
Die hierzu in der Berufungsbe-gründung zitierte Rechtsprechung trifft auf den
vorliegenden Fall nicht zu. Entscheidend ist, daß die Klägerin die
unfallverursachende Tätigkeit nicht "vorwiegend im eigenen Interesse" ausgeübt hat,
sondern um der Beklagten gefällig zu sein. In einem solchen Fall ist für einen
Ausschluß der Haftung nach § 833 Satz 1 BGB kein Raum (vgl. auch BGH NJW
1992, 2474 ff (2475); Palandt/Thomas, BGB, 52. Aufl. 1993, Randnote 1 zu § 833).
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Die Klägerin muß sich auch nicht ein Mitverschul-den an der Entstehung des
Schadens entgegenhalten lassen. Dabei kann es dahinstehen, ob der Klägerin im
Hinblick auf deren größere Einfluß- und Auf-klärungsmöglichkeiten in Bezug auf die
Schadens-entstehung entsprechend den Beweislastregeln des § 834 BGB der
Beweis dafür obliegt, daß der Scha-den nicht durch ihr Verschulden entstanden ist
(vgl. zur Beweislastverteilung auch BGH, a.a.O., Seite 2474 f unter III.). Denn nach
der Beweisauf-nahme ist davon auszugehen, daß der Klägerin ein schuldhaftes
Verhalten nicht vorgeworfen werden kann. Daß das Führen des Pferdes mit einem
Stall-halfter an einem Strick nicht als Sorgfaltsverstoß angesehen werden kann, hat
schon das Landgericht aufgrund der überzeugenden Ausführungen des Sach-
verständigen Leuchten zutreffend festgestellt. Ein anderer Sorgfaltsverstoß der
Klägerin ist auch von der Beklagten nicht behauptet worden. Für fehlen-des
Verschulden der Klägerin spricht im übrigen der Beweis des ersten Anscheins. Der
Zeuge J. hat zwar den eigentlichen Unfall nicht beobachten können, weil er sich in
diesem Moment in einer von der Klägerin abgewandten Position befand. Er hat aber
die Klägerin bis unmittelbar vor dem Unfall etwa 10 Minuten lang beim Führen des
Pferdes gese-hen, ohne daß sich irgendetwas Auffälliges gezeigt hätte. Es spricht
daher alles dafür, daß der Un-fall durch ein plötzliches, willkürliches Verhal-ten des
Pferdes verursacht wurde.
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Schließlich ist das angefochtene Urteil auch hin-sichtlich der Bemessung des
Schmerzensgeldes nicht zu beanstanden. Soweit die Beklagte hierzu geltend macht,
das Landgericht habe nicht berücksichtigt, daß die Eintrittspflicht des Tierhalters nicht
auf deliktischem Verschulden beruhe, trifft dieser Vorwurf ausweislich der
Entscheidungsgründe nicht zu. Auch dem Senat erscheint der ausgeurteilte Be-trag
angemessen.
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Die Berufung war nach alledem mit den prozessualen Nebenentscheidungen aus §§
97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO zurückzuweisen.
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Streitwert für die Berufung: 6.226,46 DM
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