Urteil des OLG Köln vom 29.10.1999

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Oberlandesgericht Köln, 6 U 93/99
Datum:
29.10.1999
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 U 93/99
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 81 O 37/99
Schlagworte:
"European Classics"
Normen:
MarkenG §§ 5, 15, 152; UWG §§ 16 a.F., 25, 1
Leitsätze:
1. Die Dringlichkeitsvermutung des § 25 UWG gilt auch für Ansprüche
aus dem Markengesetz. 2. Zur Frage des dringlichkeitsschädlichen
Zuwartens mit der Antragstellung im Verfügungsverfahren durch den
Antragsteller und der Widerlegung der Dringlichkeitsvermutung des § 25
UWG. 3. Die Angaben "European Classics" oder "European Classic" auf
Tonträgern (CD`s) sind rein beschreibend und mangels hinreichende
Unterscheidungskraft von Hause aus, d.h. ohne Verkehrsgeltung nicht
schutzfähig nach § 5 MarkenG; ihnen kommt grundsätzlich auch kein
Schutz nach § 1 UWG unter dem Gesichtspunkt des ergänzenden
wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes zu.
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das am 30.04.1999
verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts
Köln - 81 O 37/99 - geändert. Die einstweilige Verfügung der Kammer
vom 01.02.1999 - 81 O 37/99 - wird unter Zurückweisung des auf ihren
Erlaß gerichteten Antrags aufgehoben. Die Kosten des Verfahrens trägt
die Antragstellerin. Das Urteil ist mit seiner Verkündung rechtskräftig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
1
Die zulässige Berufung der Antragsgegnerin hat auch in der Sache Erfolg. Das
angefochtene Urteil ist zu ändern und der Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen
Verfügung zurückzuweisen, weil der geltend gemachte Unterlassungsanspruch der
Antragstellerin unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zusteht. Namentlich kommt zu
ihren Gunsten Werktitelschutz aus §§ 5 Abs. 3, 15 Abs. 2 MarkenG nicht in Betracht,
weil die Bezeichnung "European Classics" und/oder "European Classic" für eine Musik-
CD mit klassischen, europäischen Musikstücken rein beschreibend und damit nicht
schutzfähig ist.
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Nicht gefolgt werden kann allerdings der Auffassung der Antragsgegnerin, für das
Verfügungsbegehren fehle es bereits an der notwendigen Dringlichkeit. Die
Dringlichkeitsvermutung des § 25 UWG, die nach wohl überwiegender Meinung
3
(Nachweise bei Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 20. Auflage 1998, § 25 UWG
Rdnr. 5) gleichermaßen für Ansprüche aus dem Markengesetz gilt, ist nicht widerlegt.
Denn der Vortrag der Antragsgegnerin, die Antragstellerin habe bereits vor Januar 1999
von der als Verstoß gegen das Markengesetz und § 1 UWG gerügten
Verletzungshandlung Kenntnis gehabt, ist nicht gemäß § 936, 920 Abs. 2, 294 Abs. 1
ZPO hinreichend glaubhaft gemacht.
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats und einhelliger Auffassung in der
Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und dem juristischen Schrifttum (vgl. die
Nachweise bei Baumbach/Hefermehl, a.a.O., § 25 Rdnr. 13) geht die nach Maßgabe
des § 25 UWG zu vermutende Dringlichkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen
Verfügung dann verloren, wenn die antragstellende Partei trotz positiver Kenntnis der
Verletzungshandlung mit der Rechtsverfolgung zu lange wartet, indem sie den
Verletzter längere Zeit weder abgemahnt hat noch gegen ihn gerichtlich vorgegangen
ist. Denn wer in Kenntnis der maßgeblichen Umstände und ihm fortdauernd drohenden
Nachteile ohne überzeugenden Grund längere Zeit untätig geblieben ist und dadurch
die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs objektiv verzögert, hat damit offenbart,
dass es ihm mit dem erstrebten Verbot in Wirklichkeit nicht so eilig ist, als dass es ihm
nicht zugemutet werden könnte, dieses im Wege eines Hauptsacheverfahrens zu
erwirken (vgl. Baumbach/Hefermehl, a.a.O., § 25 Rdnr. 13 und Teplitzky,
Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, 7. Auflage, Kapitel 54 Rdnrn.24 und 28, jeweils mit
weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung und dem Schrifttum).
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Von einem solchen dringlichkeitsschädlichen Zuwarten der Antragstellerin kann im
Streitfall jedoch auch auf der Basis des Berufungsvorbringens der Antragsgegnerin nicht
ausgegangen werden. Soweit die Antragstellerin die Firma J.-C. mit anwaltlichem
Schreiben vom 22.12.1998 (Blatt 14 d.A.) darauf aufmerksam gemacht hat, diese Firma
habe von der Antragstellerin ein Angebot über die Produktion einer CD "European
Classics" erhalten, sich dann aber für einen Mitbewerber, die Antragsgegnerin,
entschieden, die der Firma J.-C. die "gleiche CD mit exakt der gleichen
Titelzusammenstellung" angeboten habe, bedeutet das nicht die positive Kenntnis der
Antragstellerin davon, dass die Antragsgegnerin diese CD auch unter der Bezeichnung
"European Classics" vertrieben hat. Jedenfalls hat die Antragstellerin ihrerseits durch
die Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung ihres Geschäftsführers (Blatt 25 d.A.)
glaubhaft gemacht, dass sie erst am 21.01.1999 von der Benutzung des identischen
oder doch fast identischen Bezeichnung "European Classic(s)" erfahren hat. Soweit die
Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang gerügt hat, mit einer weiteren
eidesstattlichen Versicherung, die Gegenstand eines Düsseldorfer Gerichtsverfahrens
gewesen sei, habe der Geschäftsführer der Antragstellerin Abweichendes an Eides statt
versichert, indem er ausgeführt habe, er habe erst Anfang Februar 1999 von der
Titelbenutzung erfahren, hat die Antragstellerin dies überzeugend und nunmehr im
übrigen von der Antragsgegnerin unbestritten erklärt, indem sie ausgeführt hat, im
Düsseldorfer Verfahren sei es um eine andere Frage gegangen, nämlich die, wann die
Antragstellerin positive Kenntnis von dem Vertrieb einer CD mit dem Titel "European
Classic(s)" durch die Firma J. C. erlangt hatte.
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Auch die von der Antragsgegnerin vorgelegte eidesstattliche Versicherung des Herrn
W.-D. C. vom 12.04.1999 (Blatt 127 d.A.) ist nicht geeignet, die Dringlichkeitsvermutung
zu widerlegen. Denn aus ihrem Inhalt erschließt sich nicht, woraus die Antragstellerin
bzw. ihr Geschäftsführer schon im April 1998 hätten folgern können, dass die
Antragsgegnerin von ihr im Markt angebotene CD's unter der Bezeichnung "European
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Classics" vertreiben würde.
In der Sache scheitert das Verfügungsbegehren aber daran, dass das Vorbringen der
Antragstellerin den gestellten Verfügungsantrag nicht rechtfertigt, folglich damit
unschlüssig ist.
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Die Vorschriften der nach § 152 Abs. 1 MarkenG seit dem 01.01.1995 anzuwendenden
§§ 5 Abs. 1 u. 3, 15 Absätze 1, 2 u. 4 MarkenG tragen das Unterlassungsbegehren nicht.
Zwar sind nach § 5 Abs. 1 MarkenG Werktitel, zu denen nach § 5 Abs. 3 MarkenG die
Namen oder besondere Bezeichnungen u.a. von Tonwerken zählen, geschützt. Der
Erwerb des Schutzes eines solchen Werktitels gewährt dem Inhaber gemäß § 15 Abs. 1
MarkenG ein ausschließliches Recht mit der Folge, dass er Dritte, die den geschützten
Werktitel oder ein ähnliches Zeichen im geschäftlichen Verkehr unbefugt in einer Weise
benutzen, die geeignet ist, Verwechslungen mit dem geschützten Werktitel
hervorzurufen, auf Unterlassung in Anspruch nehmen kann. Voraussetzung für den
ohne sachliche Änderung an die Stelle des § 16 Abs. 1 UWG a.F. getretenen § 5 Abs. 1
und 3 MarkenG (vgl. hierzu die amtliche Begründung zum Markenrechtsreformgesetz,
abgedruckt in: von Mühlendahl, Deutsches Markenrecht, Seite 137), ist jedoch, dass der
gewählte Titel nicht lediglich den Inhalt des Werkes bezeichnet, sondern bestimmt und
geeignet ist, das damit benannte Werk von anderen zu unterscheiden (vgl. hierzu
Althammer/Ströbele/Klaka, Markengesetz, 5. Auflage 1997, § 5 Rdnr. 16 sowie zur
inhaltsgleichen Regelung des § 16 UWG a.F. Großkommentar/Teplitzky, § 16 UWG
Rdnr. 70 und Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 17. Auflage 1993, § 16 UWG
Rdnr. 118 a, jeweils mit weiteren Nachweisen). Besitzt ein Werktitel von Haus aus, d.h.
ohne Verkehrsgeltung, eine wenn auch nur geringfügige Unterscheidungskraft,
rechtfertigt dies den Titelschutz mit dem Zeitpunkt der Ingebrauchnahme des Werktitels
(allgemeine Meinung; vgl. nur Althammer/Ströbele/Klaka und Baumbach/Hefermehl,
jeweils a.a.O.). An die den Titelschutz rechtfertigenden Voraussetzungen sind nach
allgemeiner Meinung nur relativ geringe Anforderungen zu stellen, weil sich der Verkehr
an mehr oder weniger farblose oder auch Bezeichnungen mit beschreibenden
Elementen gerade bei Titeln gewöhnt hat (statt vieler: Althammer/Ströbele/Klaka, a.a.O.,
mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung). Anders ist es dann, wenn der
gewählte Titel lediglich den Inhalt des Werkes bezeichnet, also rein beschreibend ist. In
diesem Fall ist der Werktitel nicht bestimmt und geeignet, das mit ihm benannte Werk
von anderen zu unterscheiden. So liegt es hier. Der Titel "European Classics" oder auch
"European Classic" wird vom Publikum, was die Mitglieder des Senats als Teil des
angesprochenen Verkehrs aufgrund eigener Sachkunde und Erfahrung zu beurteilen in
der Lage sind, ausschließlich als Inhaltsbezeichnung dergestalt verstanden, dass auf
diesem Tonträger, der CD, klassische Musikstücke europäischer Provenienz enthalten
sind. Anders als z.B. der Titel "Pizza ##blob##amp; Pasta" für ein Bildkochbuch mit
Rezepten für alle Arten italienischer Teigwaren, dem der Bundesgerichtshof die
namensmäßige Unterscheidungskraft zuerkannt hat (BGH GRUR 1991, 153, 154 -
"Pizza ##blob##amp; Pasta"-), weil der Titel trotz seines inhaltsbeschreibenden
Hinweises wie eine Phantasiebezeichnung aus zwei sprachlich verwandten
italienischen Worten wirke, erschöpft sich die auf einer CD abgedruckte Angabe
"European Classics" oder auch "European Classic" in den Augen des angesprochenen
Verkehrs in der inhaltsbeschreibenden Angabe, die ihm offerierte CD beinhalte
bekannte europäische Musikstücke klassischer Natur. Insoweit unterscheidet sich die
Angabe von ihrem Sinngehalt her nicht von beschreibenden und daher nicht
schutzfähigen Angaben wie z.B. "Deutsche Weihnachtslieder", "Rockmusik" oder
"Russische Volkslieder".
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Ist die von der Antragstellerin benutzte Bezeichnung "European Classics" ebenso wie
"European Classic" für einen Tonträger damit mangels hinreichender
Unterscheidungskraft nicht schutzfähig im Sinne des § 5 Absätze 1 und 3 MarkenG,
kommt es im übrigen in tatsächlicher Hinsicht nicht darauf an, wer im Streitfall von wem
welche Rechte abgeleitet haben will und wer für sich zu Recht in Anspruch nehmen
kann, "Erfinder" der Bezeichnung "European Classic(s)" zu sein.
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Ergänzender wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz aus § 1 UWG kommt zugunsten
der Antragstellerin im Streitfall nicht in Betracht. Entgegen der Auffassung des
Landgerichts vermag der Senat nicht zu erkennen, was die Antragsgegnerin sich erspart
haben soll, wenn sie eine CD, die beide Parteien nach ihrem übereinstimmenden
Sachvortrag von einer Drittfirma beziehen, die auch über die Titelrechte bezüglich der
auf der CD enthaltenen Musikstücke verfügt, zulässigerweise mit den gleichen Titeln,
aber anderem Cover unter der nicht schützenswerten Bezeichnung "European
Classic(s)" vertreibt. Die Tatbestände der offenen oder versteckten Anlehnung im Sinne
des § 1 UWG scheiden offensichtlich aus. Gleiches gilt für den Tatbestand der
vermeidbaren betrieblichen Herkunftstäuschung. Durch die Verwendung einer nach
dem Vorgesagten nicht schutzfähigen Kennzeichnung kann über die betriebliche
Herkunft nicht getäuscht werden. Im übrigen scheitert ein auf den Gesichtspunkt der
vermeidbaren Herkunftstäuschung geschützter Unterlassungsanspruch der
Antragstellerin aus § 1 UWG bereits daran, dass sie keine Tatsachen vorgetragen hat,
die den Rückschluss auf die wettbewerbliche Eigenart ihres Produkts, die
Verwechslungsfähigkeit der sich gegenüberstehenden Produkte etc. zulassen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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Das Urteil ist gemäß § 545 Abs. 2 ZPO mit seiner Verkündung rechtskräftig.
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