Urteil des OLG Köln vom 13.12.1985

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Oberlandesgericht Köln, Ss 756/85
Datum:
13.12.1985
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
Ss 756/85
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den getroffenen Feststellungen
aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung
- auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Köln
zurückverwiesen.
Gründe:
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Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen einer vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit
gemäß § 18 Abs. 2 StVO zu einer Geldbuße von 300,- DM verurteilt. Mit der
Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene Verletzung formellen und materiellen Rechts.
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Die auf eine Verletzung des § 338 Nr. 8 StPO gestützte Verfahrensrüge greift durch. Die
Rüge ist ordnungsgemäß erhoben. Daß das Protokoll noch nicht fertiggestellt war, als
die Verfahrengrügen erhoben wurden, berührt die Zulässigkeit der Rüge nicht (vgl. OLG
Karlsruhe NJW 1980, 716). Solange das Protokoll nicht fertiggestellt war, durfte das
Urteil nach § 273 Abs. 4 StPO nicht zugestellt werden: eine gleichwohl erfolgte
Zustellung konnte die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist nicht in Gang setzen (vgl.
BGHSt 27, 80 = NJW 1977, 541). Eine vor Fristbeginn formgerecht vorgenommene
Rechtsbeschwerdebegründung bleibt aber wirksam (vgl. Kleinknecht/Meyer, StPO, 37.
Aufl., § 345 Rdnr. 3).
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Die Rechtsbeschwerdebegründung entspricht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2
StPO. Sie trägt auch - was bei der Rüge der Verletzung des § 338 Nr. R StPO
notwendig ist, (BGH bei Spiegel DAR 1982, 206) - Tatsachen vor, aufgrund welcher die
Möglichkeit des Beruhens geprüft werden kann.
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Bei der Beurteilung der Verfahrensrüge ist allerdings - entgegen der Auffassung der
Rechtsbeschwerde - nicht von dem Wortlaut des Protokolls auszugehen, den die
Protokollführerin zunächst gewählt hatte, sondern von der berichtigten Form des
Protokolls, da die Sitzungsniederschrift erst in dieser Form fertiggestellt wurde. Die
Sitzungsniederschrift ist nicht fertiggestellt, wenn der Vorsitzende den vom
Protokollführer verfaßten und unterschriebenen Entwurf erst unterzeichnet, nachdem er
seinerseits ohne Abstimmung mit dem Protokollführer und ohne dessen Wissen daran
eine sachliche Änderung vorgenommen hat (BayObLG VRS 69, 139). Bei Änderungen
oder Ergänzungen des vom Urkundsbeamten gefertigen Protokollentwurfs durch den
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Vorsitzenden ist deren Genehmigung durch den Urkundsbeamten herbeizuführen: erst
wenn diese Genehmigung, die nach Inhalt und Zeitpunkt aktenkundig gemacht werden
muß, erfolgt ist, ist das Protokoll fertiggestellt (vgl. OLG Köln, 3. Strafsenat, Beschl. v.
9.6.1980 - 3 Ss. 398-399/80 -, Beschl. v. 17.8.1982 - 3 Ss 588/82 - und Beschl. v.
30.11.1982 - 3 Ss 272/82). Folglich wurde im vorliegenden Fall die Sitzungsniederschrift
erst mit der Genehmigung der Änderungen durch den Protokollführer am 5.9.1985
fertiggestellt.
In der fertiggestellten Sitzungsniederschrift heißt es: "Rechtsanwalt O. möchte den
Beweisantrag zu Protokoll diktieren.
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b.u.v.
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Der Beweisantrag zu Protokoll des Gerichts wird vom Gericht nicht entgegen
genommen. Der Verteidiger wird darauf hingewiesen, daß eine Beweisanregung
mündlich gestellt werden kann."
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Diese Verfahrensweise des Amtsgerichts war rechtsfehlerhaft und stellte eine
unzulässige Beschränkung der Verteidigung i.S.d. § 338 Nr. 8 StPO dar. Eine
unzulässige Beschränkung der Verteidigung kann auch vorliegen, wenn keine den
Schutz des Angeklagten bezweckende besondere Norm des Strafverfahrensrechts
verletzt wurde (OLG Köln NJW 1980, 302). Zwar hat der Verteidiger keinen Anspruch
darauf, einen Beweisantrag in das Protokoll der Hauptverhandlung zu diktieren (OLG
Hamm JMBINW 1970, 251; BayObLG bei Rüth DAR 1979, 240: Alsberg/Nüse/Meyer,
Der Beweisantrag im Strafprozeß, 5. Aufl., Seite 400: Gollwitzer in Löwe-Rosenberg,
StPO, 23. Aufl., § 244 Rdnr. 82; KMR - Paulus, § 244 Rdnr. 377: Dahs-Dahs, Die
Revision im Strafprozeß, 3. Aufl., Rdnr. 248). Das Amtsgericht hat aber nicht nur
abgelehnt, den Beweisantrag in das Protokoll diktieren zu lassen; es hat vielmehr durch
Beschluß abgelehnt, einen Beweisantrag zu Protokoll des Gerichts entgegen zu
nehmen, und darauf hingewiesen, daß lediglich eine Beweisanregung mündlich gestellt
werden könne. Die Ablehnung der Entgegennahme eines mündlich vorzutragenden
Beweisantrags durch Gerichtsbeschluß ist eine unzulässige Beschränkung der
Verteidigung, und zwar in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt, also ein
Revisionsgrund i.S.d. § 338 Nr. B StPO (OLG Hamm a.a.O.). Grundsätzlich werden
Beweisanträge in der Hauptverhandlung mündlich gestellt (Gollwitzer a.a.O.; KMR-
Paulus a.a.O.). Das Gericht darf zwar auf eine schriftliche Formulierung des
Beweisantrags hinwirken (Dahs-Dahs a.a.O.). Es darf aber die Entgegennahme eines
Beweisantrags nicht von einer schriftlichen Formulierung abhängig machen (BayObLG
a.a.O.; KK - Herdegen, § 244 Rdnr. 52). Es hat den Beweisantrag mit seinem vollen
Inhalt zu protokollieren (Alsberg/Nüse/Meyer a.a.O.).
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Gegen diese Grundsätze hat das Amtsgericht verstoßen. Es kann nicht ausgeschlossen
werden, daß das Urteil auf diesem Fehler beruht, da der Verteidiger möglicherweise -
wie er in der Rechtsbeschwerdebegründung vorgetragen hat - andernfalls einen
Beweisantrag zu Protokoll gegeben hätte, der zu anderen Feststellungen geführt haben
könnte.
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Für die neue Hauptverhandlung wird darauf hingewiesen, daß der Tatrichter, wenn er zu
Lasten des Betroffenen Voreintragungen verwertet, nähere Angaben zu den
Vorverurteilungen machen muß, damit das Rechtsbeschwerdegericht ihre
Verwertbarkeit im Hinblick auf eine mögliche Tilgungsreife und einen prognostischen
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Aussagewert überprüfen kann (vgl. OLG Düsseldorf VRS 63, 469; 64, 61, 68, 65; OLG
Koblenz VRS 64, 215; OLG Köln, 3. Strafsenat, Beschl. v. 31.8.1983 - 3 Ss 518/83).