Urteil des OLG Köln vom 25.02.2004

OLG Köln: sachliche zuständigkeit, abweichende meinung, schöffengericht, straftat, ausstattung, rechtsverletzung, vollzug, gefahr, untersuchungshaft, haftbefehl

Oberlandesgericht Köln, 2 Ws 79/04
Datum:
25.02.2004
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ws 79/04
Schlagworte:
Bestimmung des sachlich zuständigen Gerichts
Normen:
StPO § 14; § 19; § 209; GVG § 24
Tenor:
Das Amtsgericht - erweitertes Schöffengericht - Gummersbach ist für die
Durchführung des Hauptverfahrens über die öffentliche Klage der
Staatsanwaltschaft Köln vom 19.11.2003 - 112 Js 398/99 - zuständig.
G r ü n d e :
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I.
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Die Staatsanwaltschaft Köln hat am 19.11.2003 in dieser Sache Anklage zum
Amtsgericht - erweitertes Schöffengericht - Gummersbach erhoben. Den Angeklagten
wird vorgeworfen, im Herbst 1998 in insgesamt zwölf Fällen, an denen nicht jeweils alle
Angeklagten beteiligt waren, Kapitalanleger durch falsche Versprechungen über
Gewinnerwartungen betrogen zu haben. Der Schaden soll sich auf insgesamt 2,7 Mio.
DM belaufen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anklageschrift Bezug genommen.
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Das Amtsgericht hat die Akten durch Beschluss vom 09.01.2004 gemäß § 209 Abs. 2
StPO dem Landgericht in Köln vorgelegt. Dieses hat durch Beschluss vom 26.01.2004
(107 - 7/04) die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren vor
dem Amtsgericht - erweitertes Schöffengericht - Gummersbach eröffnet. Das Landgericht
hat dabei seine eigene Zuständigkeit mit folgender Begründung verneint:
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"Die Zuständigkeit der Kammer ist nicht gegeben. Eine solche käme
vorliegend nur unter dem Gesichtspunkt der besonderen Bedeutung des
Falles in Betracht, § 24 I Nr. 3 GVG. ... Das Ausmaß der Rechtsverletzung und
die Auswirkungen der Straftat sind vorliegend nicht außergewöhnlich. Ein
Betrugsschaden von insgesamt 2,5 Millionen DM bei 11 Anlegern ist
verglichen mit anderen Anlagebetrügereien vom Ausmaß der
Rechtsverletzung oder den Auswirkungen der Straftat her nichts besonderes.
Das Interesse der Öffentlichkeit an dem Fall, das ebenfalls die besondere
Bedeutung des Falles begründen kann, wird aus denselben Gründen nicht
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besonders hoch sein, zumal die angeklagten Taten bereits vier Jahre
zurückliegen und auch keine prominenten Zeitgenossen beschuldigt werden
oder als Verletzte gelten. Es ist auch nicht ersichtlich, dass etwa schwierige
Rechtsfragen einer alsbaldigen höchstrichterlichen Klärung zugeführt werden
müssten. Nicht ausschlaggebend kann sein, inwieweit das Schöffengericht
von seiner personellen Ausstattung her in der Lage ist, die Hauptverhandlung
einer zügigen Erledigung zuzuführen. Der Umfang der Sache ist in § 24 I Nr. 3
GVG im Gegensatz zu § 29 II und § 76 II GVG nicht als Kriterium dafür
aufgeführt, dass die Staatsanwaltschaft eine Sache vor dem Landgericht
anstatt vor dem (erweiterten) Schöffengericht anklagen soll."
Das Amtsgericht hat die Akten nunmehr in entsprechender Anwendung der §§ 14, 19
StPO dem Oberlandesgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Es
hält die Entscheidung des Landgerichts unter keinem Gesichtspunkt für vertretbar. Zur
Begründung wird ausgeführt:
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"Eine besondere Bedeutung der Sache im Sinne von §§ 24 Abs. 1 Nr. 3, 74
Abs. 1 Satz 2 GVG folgt vorliegend daraus, dass sie sich aus tatsächlichen
und rechtlichen Gründen aus der Masse der durchschnittlichen Strafsachen
nach oben heraushebt; sie ergibt sich zudem aus dem Ausmaß der
Rechtsverletzung und den Auswirkungen der Straftat, ferner - dies im Hinblick
auf die knappen Ressourcen der Rechtspflege - auch aus dem tatsächlichen
großen Umfang der Sache, nämlich hinsichtlich der Beweisaufnahme und der
Beweiswürdigung und der Erwartung einer außergewöhnlich langen
Verhandlungsdauer. Es ist im öffentlichen Interesse geboten, die Sache vor
die leistungsfähigere Große Strafkammer zu bringen. Die Belastung des
erweiterten Schöffengerichts Gummersbach läuft wegen der Verzögerung im
täglichen Geschäftsbetrieb nach Auffassung des Gerichts der Intention des
Gesetzgebers zuwider. Hinzu kommt im konkreten Einzelfall der Umstand,
dass der Beisitzer des erweiterten Schöffengerichts Gummersbach, ...,
gegenwärtig als Vorsitzender des Schöffengerichts eine weitere, (zunächst)
auf zwölf Verhandlungstage mit 52 z. T. ausländischen Zeugen (Az. 10b Ls
19/03) verhandelt, wobei diese nunmehr Haftsache und das Ende des
Verfahrens offen ist. Die Eröffnung des vorliegenden Verfahrens vor dem
Amtsgericht Gummersbach erscheint daher sachfremd."
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II.
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Die Vorlage gibt dem Senat keine Veranlassung, eine (abweichende) Bestimmung des
zuständigen Gerichts zu treffen. Der Gewährung rechtlichen Gehörs bedarf es hierbei
nicht, weil die Verteidigung zur Zuständigkeitsfrage ebenfalls keine abweichende
Meinung vertreten hat.
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1. Der Senat lässt offen, ob die Vorlage überhaupt zulässig ist und er an seiner
diesbezüglichen früheren Rechtsprechung (Beschluss vom 13.05.2003 - 2 Ws 333/03-
und Beschluss vom 01.07.2003 - 2 Ws 403/03 -) uneingeschränkt festhält. Die
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, in denen eine entsprechende Anwendung der
§§ 14, 19 StPO auf negative sachliche Zuständigkeitsstreitigkeiten bejaht wird, stehen
jeweils unter der Einschränkung, dass kein anderer Ausweg gegeben sein darf und
deshalb die Gefahr des Stillstandes des Verfahrens bestehen würde (BGHSt 18, 381,
384; BGHSt 45, 26, 28 = NStZ 1999, 524 (LS) m. Anm. Franke; Meyer-Goßner, StPO,
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46. Aufl., 2003, § 14 Rdnr. 2; Weidemann, wistra 2000, 45, 46f.). In einem Fall, in denen
das höherrangige der beiden Gerichte die Möglichkeit hatte, eine auch das andere
Gericht bindende Entscheidung zu treffen, hat er die analoge Anwendung der §§ 14, 19
StPO ausdrücklich verneint (BGHSt 31, 183f.). Ein solcher Fall liegt hier aber vor, denn
das Landgericht konnte gemäß § 209 Abs. 1 StPO das Hauptverfahren vor dem
Amtsgericht eröffnen. Dieser Beschluss ist bindend; dies würde nach herrschender
Meinung sogar dann gelten, wenn er objektiv willkürlich wäre (BGHSt 45, 58, 62 = JZ
2000, 213 m. Anm. Bernsmann; Rieß, in: Löwe/Rosenberg, Großkommentar zur StPO,
25. Aufl., 2001, § 209 Rdnr. 29; Julius, in: Heidelberger Kommentar zur
Strafprozessordnung, 3. Aufl., 2001, § 209 Rdnr. 4).
2. Die Vorlage ist jedenfalls unbegründet, denn die Entscheidung des Landgerichts, die
Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht - erweitertes Schöffengericht - Gummersbach
zu eröffnen, ist vertretbar und damit nicht willkürlich. Das Landgericht hat sich bei der
Beurteilung der Frage, ob das Verfahren besondere Bedeutung i. S. des § 24 Abs. 1 Nr.
3 GVG hat, an den in der Rechtsprechung und dem Schrifttum hierzu entwickelten
Kriterien orientiert und deren Vorliegen verneint. Dies ist nach Auffassung des Senats
zumindest vertretbar. Weder die Schadenshöhe noch sonstige Umstände der
angeklagten Taten heben diese so deutlich aus der Masse der durchschnittlichen
Strafsachen heraus, dass deswegen eine Anklageerhebung vor dem Landgericht
unabweisbar geboten gewesen wäre. Dies folgt auch aus den Überlegungen der
Staatsanwaltschaft, die zur Anklageerhebung vor dem erweiterten Schöffengericht
geführt haben:
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"Diesseits wurde bei Anklageerhebung davon ausgegangen, dass angesichts
der langen Verfahrensdauer sowie der weit zurück liegenden Tatzeit ein
größeres Interesse der Öffentlichkeit an dem Verfahren auch unter
Berücksichtigung des hohen Schadens nicht mehr gegeben ist. Auch dürfte
nicht mit einer überlangen Verfahrensdauer zu rechnen sein, da die erfolgten
Einzahlungen der Geschädigten nicht bestritten wurden und die Geschädigten
nicht unbedingt zeugenschaftlich vernommen werden müssen." (Bl. 1329 d.
A.)
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3. Nicht von sachgerechten Erwägungen getragen und damit objektiv willkürlich
erscheint vielmehr die Vorlage durch das Amtsgericht Gummersbach an den Senat.
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a) Abgesehen von allgemeinen Ausführungen zu § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG, die nahezu
wörtlich aus der Kommentierung von Meyer-Goßner (§ 24 GVG Rdnr. 6) übernommen
wurden, wird insbesondere darauf abgestellt, dass das Verfahren die personellen
Ressourcen des Amtsgerichts Gummersbach überfordert. Die Frage, ob ein bestimmtes
Gericht personell besser als ein anderes in der Lage ist, ein Verfahren durchzuführen, ist
für die Beurteilung der sachlichen Zuständigkeit jedoch ohne Bedeutung. Hierauf hatte
das Landgericht zu Recht bereits in seiner Eröffnungsentscheidung hingewiesen.
Anderenfalls läge es in der Hand der Justizverwaltung, durch die Zuweisung von
Personal den gesetzlichen Richter i. S. des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG zu bestimmen. Nicht
die personelle Ausstattung eines Gerichtes begründet dessen sachliche Zuständigkeit,
sondern umgekehrt die sachliche Zuständigkeit erfordert eine entsprechende personelle
Ausstattung.
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b) Der Senat nimmt diese Entscheidung zum Anlass, das Amtsgericht Gummersbach
darauf hinzuweisen, dass unnötige Zuständigkeitsstreitigkeiten eine Vergeudung von
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Rechtsprechungsressourcen darstellen, die besser der Erledigung in der Sache
zugeführt würden. Das Amtsgericht hat im Jahr 2003 in einer Reihe von Fällen seine
Zuständigkeit zu Unrecht in Zweifel gezogen.
Die Vorlage, die zu den beiden eingangs erwähnten Senatsbeschlüssen geführt haben,
stammen vom Amtsgericht Gummersbach. In beiden Fällen war die Entscheidung des
Landgerichts, die Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Gummersbach zu eröffnen,
nicht zu beanstanden.
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In einigen weiteren Verfahren, mit denen der Senat im Rahmen von Haftentscheidungen
befasst wurde, hat das Amtsgericht darüber hinaus die Sache gemäß § 270 Abs. 1 StPO
an das Landgericht verwiesen. Dies war zumindest in einem Verfahren (90 Js 64/03 StA
Köln = HEs 114/03) nicht sachgerecht und führte dazu, dass der Senat den Haftbefehl
außer Vollzug setzte, weil ein weiterer Vollzug der Untersuchungshaft in absehbarer
Zeit unverhältnismäßig geworden wäre.
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