Urteil des OLG Köln vom 05.05.2008

OLG Köln: vergütung, verfügung, gerichtsgebühr, armut, entstehung, erlass, bedürftigkeit, prozess, absicht, beratung

Oberlandesgericht Köln, 17 W 57/08
Datum:
05.05.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
17. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
17 W 57/08
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 84 O 61/07
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Kostenfestset-
zungsbeschluss des Rechtspflegers bei dem Landgericht Köln unter
Zurückweisung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu
gefasst:
Auf Grund des Beschlusses des Landgerichts Köln vom 5.7.2007 sind
von der Antragstellerin € 975,-- (in Worten: Euro
neunhundertfünfundsiebzig) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 03.08.2007 an
Rechtsanwältin Dr. K. gem. § 126 ZPO zu erstatten.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren: € 492,70.
G r ü n d e
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I.
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Im zugrundeliegenden Verfahren hat die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen
Verfügung begehrt, durch die der Antragsgegnerin der Verkauf von Spielscheinen an
Minderjährige untersagt werden sollte. Die Parteien haben das Verfahren am
13.06.2007 übereinstimmend für erledigt erklärt. Hierauf sind der Antragstellerin die
Kosten des Verfahrens durch Beschluss vom 5. Juli 2007 auferlegt worden.
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Der Antragsgegnerin war für das Verfahren vor dem Landgericht Prozesskostenhilfe
bewilligt und ihre Verfahrensbevollmächtigte beigeordnet worden. Unter dem
02.08.2007 beantragte diese Kostenfestsetzung. Ausgehend von einem Streitwert von
30.000,00 € begehrte sie den Ansatz einer Verfahrensgebühr (€ 985,40), einer
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30.000,00 € begehrte sie den Ansatz einer Verfahrensgebühr (€ 985,40), einer
Terminsgebühr (€ 909,60) sowie von Auslagen in Höhe von 20 €, insgesamt € 1.915,00.
Unter Abzug der ausgezahlten Prozesskostenhilfevergütung in Höhe von € 905,00
setzte der Rechtspfleger bei dem Landgericht mit Beschluss vom 22.10.2007 die
außergerichtlichen Kosten antragsgemäß fest.
Mit ihrer sofortigen Beschwerde wendet sich die Antragstellerin gegen die unterbliebene
Anrechnung einer außergerichtlichen Geschäftsgebühr nach §§ 13, 14, Nr. 2400 VV-
RVG in Verbindung mit Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG. Sie ist der Auffassung, auf die
Verfahrensgebühr müsse eine 0,65-Geschäftsgebühr aus dem Wert von 30.000,00 €
angerechnet werden. Es komme allein auf die Entstehung der Geschäftsgebühr an; dies
sei erfolgt. Ein Beratungshilfeantrag sei nicht gestellt; ansonsten müsse die hälftige
Anrechnung nach Nr. 2503 Abs. 2 VV RVG erfolgen. Soweit die Antragsgegner-
Vertreterin keine Gebühr von ihrer Mandantin fordere, gestehe sie den Tatbestand der
standeswidrigen Gebührenunterschreitung nach § 49b BRAO zu.
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Die Antragsgegnerin wendet ein, eine Geschäftsgebühr sei nicht entstanden; die
Verfahrensbevollmächtigte habe diese nicht berechnen dürfen, da sie wegen ihrer
Armut nicht geschuldet sei. Die Antragsgegnerin hätte eine Geschäftsgebühr auch nicht
bezahlen können. Sie habe Anspruch auf Beratungshilfe gehabt. Auf Grund der Eile sei
ein Berechtigungsschein nicht beantragt worden; man habe ihn auch deshalb nicht
beantragt, weil er lediglich eine verschwindend geringe Beratungshilfegebühr
eingebracht hätte.
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Der Rechtspfleger beim Landgericht Köln hat der sofortigen Beschwerde nicht
abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Zur Begründung hat
er ausgeführt, die Anrechnung im Kostenfestsetzungsverfahren sei nur dann beachtlich,
wenn die unterlegene Partei der obsiegenden Partei die Geschäftsgebühr bereits
erstattet habe oder aber die Geschäftsgebühr als materiell-rechtlicher
Schadensersatzanspruch tituliert sei.
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II.
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Die gemäß § 11 Abs. 1 RpflG in Verbindung mit §§ 104 Abs. 3 S. 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, 2
ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache nur geringen Erfolg.
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Entgegen der Auffassung der Antragstellerin kommt eine Anrechnung der
Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG, vorliegend nicht in Betracht. Zwar hat der
Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 22.01.2008 (VIII ZB 57/07) ausgeführt,
für eine Anrechnung sei ohne Bedeutung, ob die Geschäftsgebühr auf materiell-
rechtlicher Grundlage zu erstatten und ob sie unstreitig, geltend gemacht, tituliert oder
beglichen sei. Für die Anrechnung ist hiernach entscheidend, ob und in welcher Höhe
eine Geschäftsgebühr entstanden ist. Zu der Frage, ob in Fällen, in denen
Beratungshilfe bewilligt werden könnte, eine "fiktive" Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV
RVG) anzurechnen ist, verhält sich die Entscheidung des Bundesgerichtshofs indessen
nicht. Bei sinngemäßer Anwendung der tragenden Gründe des genannten Beschlusses
hat eine Anrechnung hier zu unterbleiben, denn ein Anspruch auf Erstattung einer
Geschäftsgebühr gegenüber ihrer Mandantin ist der Verfahrensbevollmächtigten nicht
entstanden. Zwar fällt eine Geschäftsgebühr für das Betreiben des Geschäfts, Nr. 2300
VV RVG grundsätzlich ohne weiteres an, so dass sie nach Auffassung des
Bundesgerichtshofs gem. Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG anzurechnen wäre.
Nr. 2300 VV RVG findet vorliegend aber keine Anwendung, da andere
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Gebührenvorschriften Vorrang genießen. Das sind hier die Vorschriften der
Beratungshilfe nach Abschnitt 5 (vgl. Gerold/Schmidt u.a. (Madert) Nr. 2300, 2301 Rz.
4).
Die Reglungen zur Beratungshilfe stehen hier der Anrechnung einer Geschäftsgebühr
auf die Verfahrensgebühr entgegen. Unstreitig ist die Verfahrensbevollmächtigte der
Antragsgegnerin zwar vorgerichtlich für diese tätig gewesen. Sie hat aber
unwidersprochen ausgeführt, die materiellen Voraussetzungen für die Bewilligung von
Beratungshilfe hätten vorgelegen. Eine Geschäftsgebühr habe die Bevollmächtigte
aufgrund der Armut ihrer Mandantin nicht in Rechnung gestellt. Diese Vorgehensweise
entspricht der gesetzlichen Regelung. § 44 RVG bestimmt, dass der Anwalt für die
Tätigkeit im Rahmen der Beratungshilfe eine Vergütung aus der Landeskasse erhält
und der Mandant persönlich nur die Beratungshilfegebühr nach Nr. 2500 VV (€ 10,--)
schuldet, für die keine Anrechnung stattfindet. Dem in Beratungshilfe tätig werdenden
Anwalt steht damit gegen den Rechtssuchenden – abgesehen von der Schutzgebühr
des VV 2500 – kein weiterer Vergütungsanspruch zu (vgl. Gerold/Schmidt u.a. (Madert),
VV 2500-2508, Rz. 24). Der Rechtsanwalt darf Beratungshilfe auch leisten, ohne dass
er die Vorlage eines Berechtigungsscheines abwartet. Wird der Berechtigungsschein
sodann nicht erteilt, entsteht dennoch kein Anspruch auf die Regelgebühren gegen den
Rechtsuchenden (vgl. Gerold/Schmidt u.a. (Madert), § 44 RVG Rz. 3; Schneider/Wolf, §
44 Rz. 26), denn es ist davon auszugehen, dass der Rechtssuchende Beratung und
Vertretung nur im Rahmen der Beratungshilfe begehrte.
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Unstreitig ist, dass bei Übernahme des Mandates in der Person der Antragsgegnerin die
Voraussetzungen für die Bewilligung von Beratungshilfe vorgelegen haben, § 1 BerHG.
Im Verfahren über den Erlass einer einstweiligen Verfügung ist der Antragsgegnerin
ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Damit erhielte ihre
Verfahrensbevollmächtigte bei entsprechender Antragstellung nach Nr. 2503 VV RVG
eine Beratungshilfe-Geschäftsgebühr als Festgebühr in Höhe von € 70,-- aus der
Staatskasse. Allein diese fiktive Gebühr unterliegt nach VV Nr. 2503 Abs. 2 RVG der
Anrechnung. Die Bevollmächtigte der Antragsgegnerin kann insoweit nicht zu Lasten
der an den internen Abreden zwischen den Parteien unbeteiligten Antragstellerin auf die
Geltendmachung der Geschäftsgebühr in Beratungshilfesachen gegenüber der
Landeskasse verzichten. Insbesondere darf es sich nicht zum Nachteil der
Antragstellerin auswirken, dass die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin den
Antrag auf Beratungshilfe nicht stellte, weil sie die zu erlangende Gebühr im Verhältnis
zum Aufwand für unzureichend erachtete.
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Eine Verpflichtung zur Anrechnung der allgemeinen Geschäftsgebühr aus VV Nr. 2300
folgt auch nicht aus § 9 BerHG. Hiernach geht zwar der Kostenersatzanspruch eines
Rechtssuchenden, der Beratungshilfe in Anspruch genommen hat, kraft Gesetzes in
Höhe der gesetzlichen Vergütung auf den Rechtsanwalt über. Der Senat verkennt nicht,
dass durch diese Vorschrift die Antragstellerin noch einem Erstattungsanspruch der
Prozessbevollmächtigten ausgesetzt sein könnte, wenn er besteht und die
Bevollmächtigte ihn – im eigenen Namen – geltend macht. Nach § 9 S. 3 BerHG darf der
Übergang aber nicht zum Nachteil des Rechtsuchenden geltend gemacht werden.
Entscheidend ist, dass dieser "Übergang" voraussetzt, dass der Anspruch
materiellrechtlich besteht, obwohl im Verhältnis zum Mandanten gerade kein Anspruch
des Bevollmächtigten existiert. Dieser "bemerkenswerte Vorgang" (vgl. Gerold/Schmidt
u.a. (Madert), Nr. 2500-2508 VV RVG Rz. 19) kann mit den Mitteln des
Kostenfestsetzungsverfahrens nicht geprüft werden. Die Vorschrift ist aus der Absicht
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des Gesetzebers zu erklären, dass der Gegner durch die Beratungshilfe gerade nicht
begünstigt werden soll (vgl. Gerold/Schmidt u.a. (Madert), Nr. 2500-2508 VV RVG Rz.
19). Ihr Sinn würde in sein Gegenteil verkehrt, wenn eine Anrechnung auch dann
erfolgte, wenn nicht feststeht, ob ein materiellrechtlicher Erstattungsanspruch
entstanden ist.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin hat die Vertreterin der Antragsgegnerin
durch die Nichtberechnung einer Geschäftsgebühr auch nicht gegen § 49b BRAO
verstoßen. Nach Abs. 1 S. 2 dieser Vorschrift darf ein Prozessbevollmächtigter nämlich
besonderen Umständen in der Person des Auftraggebers, insbesondere seiner
Bedürftigkeit, durch Nichterhebung von Gebühren Rechnung tragen.
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Die Kostenerstattung stellt sich nach allem wie folgt dar:
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die Antragsgegnerin hat angemeldet 1915,-- €
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hiervon abzusetzen: PKH-Vergütung 905,-- €
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weiter abzusetzen nach VV 2505 Abs. 2 35,--€
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Erstattungsanspruch 975,-- €.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 ZPO. Eine Ermäßigung der
Gerichtsgebühr (Ziff. 1812 KV-GKG) kam wegen des nur geringfügigen Obsiegens der
Antragstellerin nicht in Betracht.
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Die Zulassung der Rechtsbeschwerde folgt aus § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, Abs. 3 ZPO.
Die Rechtssache hat wegen der weitgehenden Folgen für die Kostenfestsetzung im
gerichtlichen Verfahren grundsätzliche Bedeutung und dient der Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung. Der Bundesgerichtshof hat sich zu der Frage, ob die
Gerichtsgebühr auch in den Fällen anzurechnen ist, in denen der Rechtsanwalt an der
Erhebung einer außergerichtlichen Gebühr gegenüber seinem Mandanten gehindert ist,
nicht geäußert. Im Hinblick auf das Verhältnis zwischen § 9 S. 3 BerHG und der
Anrechnungsvorschrift des Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG erscheint dies aber
geboten. Der Senat hält darüber hinaus die Rechtsprechung des BGH zur
Anrechenbarkeit der Geschäftsgebühr für nicht systemgerecht, denn sie trennt das
Vergütungsverhältnis entgegen dem Wortlaut und der Zielrichtung des Gesetzes nicht
vom Erstattungsverhältnis, in dem grundsätzlich nicht zu prüfen ist, wie das
Mandantenverhältnis zwischen der erstattungsberechtigten Partei und ihrem
Rechtsanwalt abgewickelt wird. Der Senat hält auch die Annahme des BGH, dass sich
die Verfahrensgebühr von vorneherein ermäßigt, für nicht zutreffend, denn eine
Anrechnung setzt schon begrifflich voraus, dass die Verfahrensgebühr zunächst in
vollem Umfang zur Entstehung gelangt. Es ist künftig damit zu rechnen, dass praktisch
in jedem Festsetzungsverfahren der Einwand erhoben wird, es sei ein
Anrechnungstatbestand gegeben. Ein Rechtsanwalt, der dies nicht zumindest
vorsorglich geltend macht, selbst wenn er über keine konkreten Erkenntnisse
hinsichtlich der vorprozessualen Tätigkeit des gegnerischen Anwalts verfügt, sähe sich
sonst dem Vorwurf ausgesetzt, die Interessen seiner Partei nicht hinreichend
wahrgenommen zu haben. Dies wird im Rahmen der Kostenfestsetzung künftig dazu
führen, dass Rechtspfleger und Beschwerdegericht Umstände zu berücksichtigen und
ggf. aufzuklären haben, die mit dem Gegenstand des Rechtsstreits und der hierdurch
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bedingten Gebühren nicht unmittelbar zu tun haben, sondern dem Prozess zeitlich und
sachlich vorgelagert sind. Nach welchen Kriterien dabei vorzugehen ist und ob die
Anrechnung auch in Fällen wie dem vorliegenden erfolgen muss, hat als offen zu gelten.