Urteil des OLG Köln vom 26.02.2002

OLG Köln: wiedereinsetzung in den vorigen stand, begründung des urteils, fax, nachricht, verkehrsunfall, einspruch, entschuldigungsgrund, fürsorgepflicht, erlass, verfahrensmangel

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Oberlandesgericht Köln, Ss 45/02 (B) - 28 B -
26.02.2002
Oberlandesgericht Köln
1. Strafsenat
Beschluss
Ss 45/02 (B) - 28 B -
Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben. Die
Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die
Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht zurückverwiesen.
G r ü n d e
I.
Der Oberbürgermeister der Stadt K. hat gegen den Betroffenen durch Bußgeldbescheid
vom 15.12.2000 wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb
geschlossener Ortschaften um 53 km/h ein Bußgeld in Höhe von 300,00 DM festgesetzt
und ein Fahrverbot von 1 Monat verhängt. Das Amtsgericht Köln hat den Einspruch des
Betroffenen durch Urteil vom 16.07.2001 - 803 OWi 980/01- , dem Betroffenen zugestellt am
07.08.2001, gemäß § 74 II OWiG verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde
des Betroffenen vom 02.08.2001, die mit Schriftsatz vom 31.08.2001 begründet worden ist
und mit der geltend gemacht wird, er habe sein Ausbleiben in der Hauptverhandlung
genügend entschuldigt. Er habe am Vortag der Hauptverhandlung - einem Sonntag - auf
der Rückfahrt von P. nach K. bei einem Verkehrsunfall an seinem Krad einen
Reifenschaden erlitten, so dass die Fahrt nicht habe fortgesetzt werden können. Hiervon
sei sein Verteidiger noch am selben Abend per Fax unterrichtet worden. Da es seinem
Verteidiger am Montag nicht gelungen sei, telefonisch Kontakt mit dem Gericht
aufzunehmen, habe dieser um 8:50 Uhr per Fax dem Gericht von der Verhinderung
Mitteilung gemacht und um Terminsverlegung gebeten. In der Kopfzeile der Faxnachricht
habe sein Verteidiger auf die Dringlichkeit und die um 10:55 Uhr angesetzte
Hauptverhandlung hingewiesen. Ob das Fax dem Richter in der Sitzung um 10:55 Uhr
vorgelegen habe, gehe aus dem Urteil nicht hervor.
Den zugleich vom Betroffenen gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand hat das Amtsgericht durch Beschluss vom 05.11.2001 zurückgewiesen, seine
hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde ist durch Beschluss des Landgerichts vom
12.12.2001 verworfen worden.
II.
In der Sache hat die Rechtsbeschwerde (vorläufigen) Erfolg, indem sie gemäß §§ 353, 354
Abs. 2 StPO, 79 Abs. 3 S. 1 OWiG zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht (§ 79 Abs. 6 OWiG) führt.
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Nach §§ 337 Abs. 1 StPO, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG kann die Rechtsbeschwerde allein
darauf gestützt werden, dass das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruht. Das gilt
auch für die Anfechtung eines nach § 74 Abs. 2 OWiG ergangenen Verwerfungsurteils.
Das Urteil nach § 74 Abs. 2 OWiG beruht auf einer Gesetzesverletzung, wenn das Gericht
den Einspruch verwirft, obwohl der ausgebliebene Betroffene genügend entschuldigt ist.
Dabei kommt es nicht darauf an, ob er sich genügend entschuldigt hat, sondern ob ein
Entschuldigungsgrund vorliegt (BGHSt 17, 391 [396] = NJW 1962, 2020 [2021]; KG GA
1973, 29 [30]; Senat VRS 83, 444 [445]; NJW 1982, 2617 [jeweils zu § 329 StPO]; SenE v.
18.01.2000 - Ss 408/99 B -; Göhler a.a.O. Rn 31 m. w. Nachw.). Das Gericht hat seiner
Entscheidung alle in diesem Zeitpunkt erkennbaren Entschuldigungsgründe
zugrundezulegen und diese im Urteil zu erörtern (vgl. SenE v. 04.06.1999 - Ss 217/99 B - =
NStZ-RR 1999, 337 = VRS 97, 370 [371] m. w. Nachw.; SenE v. 11.01.2002 - Ss 503/01 B -
; vgl. zu § 329 StPO: OLG Saarbrücken NJW 1975, 1613, 1614 m. w. Nachw.; OLG Hamm
NJW 1963, 65; LR-Hanack, StPO, 25. Aufl., § 337 Rn 92; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO,
45. Aufl., § 329 Rn 48)
Das Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG muss grundsätzlich sämtliche Tatsachen,
die als Entschuldigungsgründe vorgetragen worden sind, sowie die Erwägungen des
Gerichts enthalten, die es veranlasst haben, das Ausbleiben des Betroffenen dennoch als
nicht entschuldigt anzusehen (BayObLG NZV 1996, 377; Senatsentscheidung NZV 1999,
264 = VRS 96, 451). Die Erörterung eines Entschuldigungsgrundes ist allenfalls dann
entbehrlich, wenn das Vorbringen von vornherein ungeeignet ist, das Fernbleiben im
Hauptverhandlungstermin zu entschuldigen, weil in solchen Ausnahmefällen das Urteil auf
der Nichterörterung nicht beruhen kann (vgl. Senatsentscheidung NStZ-RR 1999, 337 =
VRS 97, 370; SenE NZV 1999, 264 = VRS 96, 451). Letzteres scheidet hier aus, weil der
für das Fernbleiben mitgeteilte Entschuldigungsgrund - am Tag vor dem Termin bei der
Heimreise erlittener Verkehrsunfall im Ausland, aufgrund dessen das Fahrzeug nicht mehr
fahrbereit war - nicht von vornherein ungeeignet war, den Betroffenen als entschuldigt
anzusehen.
Da erfahrungsgemäss die Geschäftsstelle auch noch kurz vor dem Termin davon
verständigt wird, dass der Betroffene verhindert ist, gebietet es die richterliche
Fürsorgepflicht, dass der Tatrichter sich vor Erlass eines Verwerfungsurteils dort
(weitergehend KK OWiG-Senge, 2. Aufl., § 74 Rn 35, wonach auf den Eingang bei Gericht
abzustellen sei) erkundigt, ob eine Mitteilung vorliegt (BayObLG VRS 83, 56; Senat VRS
93, 357; OLG Frankfurt NJW 1974, 1151; OLG Stuttgart Justiz 1981, 288; ( vgl. Göhler,
OWiG, 12. Aufl. § 74 Rn 31) und auch dieses Vorbringen gegebenenfalls im Urteil erörtert.
Hiervon ausgehend ist die (lediglich formularmäßige) Begründung des Urteils, der
Betroffene sei ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben (§ 74 Abs. 2 OWiG), nicht
frei von Rechtsfehlern, weil das - dem Beschwerdevorbringen zufolge - vor der
Hauptverhandlung der Geschäftsstelle des Amtsgerichts telegrafisch übermittelte
Entschuldigungsvorbringen des Betroffenen im angefochtenen Urteil nicht gewürdigt
worden ist. Die Nichterörterung in dem angefochtenen Verwerfungsurteil lässt darauf
schließen, dass das Amtsgericht das Entschuldigungsvorbringen überhaupt nicht
berücksichtigt hat (vgl. SenE NZV 1999, 264), obwohl es hätte berücksichtigt werden
können und müssen.
Bei der Überprüfung, ob mit der zulässigen Verfahrensrüge zu Recht eine fehlerhafte
Vorgehensweise des Amtsgerichts geltend gemacht wird, hat das
Rechtsbeschwerdegericht im Wege des Freibeweises zu versuchen, den beanstandeten
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Verfahrensvorgang aufzuklären. Gelingt diese Aufklärung nicht, gilt an sich der Grundsatz,
dass eine Verfahrensrüge nur Erfolg haben kann, wenn die Tatsachen, die den
Verfahrensmangel ergeben, bewiesen sind (herrschende Meinung, vgl. BGH St 16, 167;
BGH VRS 29, 204; OLG Hamm NJW 1970, 70; OLG Frankfurt NJW 1974, 152; vgl. LR-
Hanack, 25. Aufl. 1999, § 337 Rn 76 m.w.N.). Abweichend davon ist allerdings jedenfalls
dann und insoweit, wie die Ursache für die Unaufklärbarkeit der Verfahrenstatsachen allein
in den Verantwortungsbereich des Gerichts fällt, davon auszugehen, dass das
Beschwerdevorbringen zutrifft (LR-Hanack a.a.O. Rn 72; Dahs/Dahs, Die Revision im
Strafprozeß, 6. Aufl., Rn 495). Dieses geht hier sinngemäß dahin, die das Fernbleiben
entschuldigende Nachricht sei so rechtzeitig bei Gericht eingegangen, dass sie noch vor
dem Termin zur Geschäftsstelle gelangt sei, so dass sie vom Tatrichter auch vor dem
Termin habe zur Kenntnis genommen werden können.
Aus dem Akteninhalt wird dieses Rügevorbringen allerdings nur teilweise, nämlich insoweit
bestätigt, als sich ergibt, dass die Faxnachricht des Verteidigers mit dem Fett-Aufdruck "Eilt!
Termin um 10:55 Uhr" ausweislich der auf ihr aufgedruckten Empfangszeile am Terminstag
um 08:51 Uhr bei Gericht eingegangen ist, während der Termin ausweislich des Protokolls
erst um 11:15 Uhr, also mehr als 2 1/4 Stunden später, begann. Wann die Nachricht
dagegen zur Geschäftsstelle gelangt ist und ob dies vor dem Termin der Fall war, lässt sich
den Akten nicht entnehmen, da versäumt worden ist, diesen Zeitpunkt zu dokumentieren.
Wegen des Zeitablaufs und der Vielzahl von Geschäftsvorgängen ist es auszuschließen,
dass die genaue Stunde des Eingangs der Nachricht bei der Geschäftsstelle nachträglich
im Wege des Freibeweises, etwa durch Einholung einer dienstlichen Äußerung,
zuverlässig aufklärbar ist. Wegen dieses allein in die Sphäre des Gerichts fallenden
Dokumentationsmangels und der darin begründeten Unaufklärbarkeit ist entsprechend der
Behauptung des Betroffenen davon auszugehen, dass die Mitteilung des Verteidigers, der
Betroffene sei infolge eines in Frankreich am Vortag erlittenen Verkehrsunfalls an der
Wahrnehmung des Termins gehindert, rechtzeitig vor dem Termin zur Geschäftsstelle
gelangt ist. Dann hätte sie aber auch vom Tatrichter berücksichtigt werden können und
müssen. Darauf, ob die Entschuldigung ihm "im Termin nicht vorlag", wie er in einem vier
Tage nach dem Termin gefertigten Vermerk festgehalten hat, und er deshalb keine
Kenntnis von ihr hatte, kommt es dagegen nicht an (vgl. KK OWiG-Senge, a.a.O., § 74 Rn
35).