Urteil des OLG Köln vom 12.07.2000

OLG Köln: verrenkung, unfallbegriff, kausalität, abend, unfallversicherung, vollstreckbarkeit, auflage, gesundheitsschädigung, aktivlegitimation, einwirkung

Oberlandesgericht Köln, 5 U 50/00
Datum:
12.07.2000
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 U 50/00
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 9 O 297/99
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 9. Zivilkammer des
Landgerichts Aachen vom 10.12.1999 - 9 O 297/99 - wird
zurückgewiesen. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens
zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
1
Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Die Klägerin dringt
auch mit ihrem in der Berufungsinstanz nunmehr geltend gemachten reduzierten
Anspruch nicht durch.
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Unbeschadet der vom Landgericht verneinten Frage der Aktivlegitimation der Klägerin
scheidet ein Anspruch der Klägerin bereits deshalb aus, weil es schon an den
Voraussetzungen des versicherten Unfallbegriffes fehlt. Gemäß § 1 AUB 96, der
deckungsgleich ist mit der entsprechenden Bestimmung der AUB 88, liegt ein Unfall
zum einen bei äußeren Einwirkungen vor, zum anderen auch bei einer auf einer
erhöhten Kraftanstrengung beruhenden Verrenkung oder Zerrung bzw. Zerreißung.
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Ein von außen auf den Körper wirkendes Ereignis liegt nicht vor bei einem nur inneren
Körpervorgang, wie z. B. einem Spontanbruch.
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Zwar können auch eigene Bewegungen des Verletzten Unfälle bewirken, nämlich dann,
wenn sie die Gesundheitsbeschädigung zusammen mit einer äußeren Einwirkung
ausgelöst haben, z. B. ein Stoss gegen ein Hindernis, Umknicken des Fußes an einer
Bordsteinkante oder infolge einer Bodenvertiefung, Auftreten auf eine Bodenunebenheit
oder ähnliches; der Unfallbegriff im Sinne der Versicherungsbedingungen ist hingegen
nicht erfüllt, wenn ausschließlich die gewollte Bewegung oder aber die unwillkürliche
ungeschickte Eigenbewegung eine Gesundheitsschädigung bewirken (vgl.
Prölss/Martin-Knappmann, VVG, 26. Auflage, Rdnr. 7 zu § 1 AUB 88 m.w.N.).
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Insoweit kommt es vorliegend auch nicht darauf an, ob die Klägerin gestolpert ist, wobei
insoweit allerdings bereits hier anzumerken ist, dass in der Tat der spätere Vortrag der
Klägerin hierzu mit ihrer eigenen ursprünglichen Schadensschilderung und der ihres
Lebenspartners nicht zu vereinbaren ist; die Klägerin hat jedenfalls nicht vorgetragen,
dass das Stolpern z. B. auf eine Bodenunebenheit oder eine andere äußere
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Gegebenheit zurückzuführen war; vielmehr handelte es sich, falls sie überhaupt
gestolpert sein sollte, um die Folge einer ungeschickten oder unvorsichtigen
Eigenbewegung ohne äußere Veranlassung.
Auch die Voraussetzungen der erweiterten Versicherungsschutzbedingung sind nicht
gegeben. Insbesondere ist seitens der Klägerin keine erhöhte Kraftanstrengung und
deren Kausalität für eine Verrenkung bzw. eine Zerreißung und Zerrung dargetan.
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Voraussetzung für eine erhöhte Kraftanstrengung ist ein erhöhter Einsatz von
Muskelkraft. Nicht ausreichend ist hingegen die Kraftanstrengung, die mit normaler
körperlicher Bewegung naturgemäß verbunden ist (vgl. Prölss/Martin-Knappmann a. a.
O., Rdnr. 24 m.w.N.).
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Ein Fall der letztgenannten Art ist aber vorliegend nur gegeben. Das Tanzen ist ein
normaler körperlicher Vorgang, der keineswegs einen gesteigerten körperlichen
Kraftaufwand erforderlich macht. Dass die Klägerin und ihr Partner "ausgelassen
getanzt" haben, bedeutet nicht etwa bereits, dass damit eine erhöhte Kraftanstrengung
verbunden gewesen wäre. Hüpfen und Drehen sind noch normale körperliche
Betätigungen, die keineswegs ein erhöhtes Maß an Muskeleinsatz erforderlich machen.
Es kann dahinstehen, ob z. B. bei Extremtänzen wie Rock'n Roll von einem erhöhtem
Kraft-/Muskelaufwand ausgegangen werden kann, denn einen dahingehenden
Sachverhalt hat die Klägerin nicht substantiiert vorgetragen. Ein erhöhter Kraftaufwand
liegt jedenfalls bei normalen Gesellschaftstänzen, wie sie auch bei
Karnevalsveranstaltungen normalerweise praktiziert werden - dazu noch in Gegenden,
die man nicht als Karnevalshochburgen bezeichnen kann - nicht vor bzw. ist nicht
erforderlich. Die Klägerin hat insoweit auch nur vorgetragen, es habe sich nicht um
einen ruhigen Tanz wie etwa einen Blues gehandelt; sie hat jedoch in beiden Instanzen
vermieden, zu sagen, welchen Tanz sie denn ausgeführt haben will. Hüpfen und
Drehen und auch ein Stolpern aufgrund einer ungeschickten Eigenbewegung sind nicht
geeignet, den Unfallbegriff auszufüllen.
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Gegen einen Extremtanz spricht auch die eigene Darstellung ihres Lebensgefährten,
des Versicherungsnehmers, der in seiner handschriftlichen Stellungnahme ausgeführt
hat, er sei am Abend des 11.01.1997 mit der Klägerin zur Fastnachtsveranstaltung
gegangen. Gegen 22:00 Uhr hätten sie "ganz normal miteinander getanzt". Plötzlich
habe die Klägerin sich das rechte Knie "verknickt oder verdreht". Dieser Schilderung
kann kein Anhaltspunkt für extremen Kraftaufwand im Rahmen des Tanzvorgangs
entnommen werden. Auch in der Schadensanzeige zur Unfallversicherung der Klägerin
selbst wird lediglich ausgeführt, dass sie sich "beim Fastnachtstanz das Bein verdreht"
habe. Auch dieser Schilderung sind keine Anhaltspunkte für einen erhöhten
Kraftaufwand zu entnehmen.
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Soweit die Klägerin im Schriftsatz vom 27.06.2000 weitergehend vorgetragen hat, ergibt
auch diese Darstellung keine neuen Gesichtspunkte. Sie hat dort lediglich behauptet, es
sei kein Standardtanz getanzt worden, sondern "ein sehr schwungvoller Tanz im
Freestyle, der Elemente von Rock'n Roll, Jive und Karnevalstanz aufgewiesen habe;
man könne ihn beschreiben als eine Aneinanderreihung schwungvoller, rhythmischer
und kraftvoller Bewegungselemente". Auch aus dieser Darstellung, die sich zudem in
keiner Weise insbesondere mit den vorangegangenen Schilderungen der Klägerin und
des Versicherungsnehmers selbst vereinbaren lässt, ergeben sich kein über das
normale Maß hinausgehender Kraftaufwand und insbesondere keinerlei
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Bewegungsabläufe, die einen solchen erhöhten Kraftaufwand nachvollziehbar plausibel
machen könnten. Insbesondere hat die Klägerin z. B. nicht etwa vorgetragen, dass sie
im Rahmen eine Rock'n Roll-Tanzes beispielsweise einen Überschlag gemacht und
sich dabei verletzt habe. Vor dem Hintergrund ihrer eigenen sehr allgemein gehaltenen
neuerlichen Schilderung und ihrer eigenen früheren Schadensschilderung sowie der
ihres Lebenspartners, des Versicherungsnehmers, sind Anhaltspunkte für einen
erhöhten Kraftaufwand und einer hierauf beruhenden Verletzung nicht ersichtlich.
Die Berufung der Klägerin war deshalb mit der Kostenfolge des § 97 ZPO
zurückzuweisen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziffer 10, 713
ZPO.
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Berufungsstreitwert und Wert der Beschwer der Klägerin: 5.600,00 DM
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