Urteil des OLG Köln vom 30.09.1994

OLG Köln (stpo, bundesrepublik deutschland, überwiegende wahrscheinlichkeit, haftbefehl, tatverdacht, beweiswert, person, last, stgb, ausland)

Oberlandesgericht Köln, 2 Ws 447/94
Datum:
30.09.1994
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ws 447/94
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 105 Qs 585/94
Tenor:
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben. Damit ist der Haftbefehl
des Amtsgerichts Köln (502 Gs 2935/94) vom 20. Mai 1994 wieder in
Kraft. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beschuldigte zu
tragen.
G r ü n d e
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I.
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Der Beschuldigte wurde am 8. Juni 1994 festgenommen und befand sich seit diesem
Tage in Untersuchungs-haft aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Köln (502 Gs
2935/94) vom 20. Mai 1994.
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In diesem Haftbefehl werden ihm Verbrechen und Ver-gehen gemäß §§ 249, 250
Abs. 1 Nr. 1, §§ 253, 255, § 239 und §§ 223, 223 a StGB zur Last gelegt, die am 5.
Juli 1993 bei dem bewaffneten Überfall einer Gruppe türkischer Straftäter auf den "O.
Club" in D. begangen worden sein sollen.
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Auf die Haftbeschwerde des Beschuldigten vom 27. Juli 1994 hat die 5. große
Strafkammer des Landgerichts Köln mit Beschluß vom 31. August 1994 den
vorgenannten Haftbefehl aufgehoben; der Beschuldigte wurde aus der
Untersuchungshaft ent-lassen.
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Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde der
Staatsanwaltschaft vom 2. September 1994.
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II.
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Die gemäß § 310 Abs. 1 StPO statthafte und auch sonst zulässige weitere
Beschwerde ist begründet.
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Der Beschuldigte ist der ihm zur Last gelegten mittäterschaftlichen (§ 25 Abs. 2 StGB)
Beteiligung an dem Überfall auf den "O. Club" in Düsseldorf vom 5. Juli 1993
dringend verdächtig.
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Der dringende Tatverdacht ergibt sich insbesondere aus den im Ermittlungsverfahren
getätigten Bekun-dungen der Zeugen A. M., A.T. und K. R.. Während allerdings die
Zeugen T. und R. nur eine Ähnlich-keit des von ihnen wahrgenommenen
Tatbeteiligten mit der bei der Wahllichtbildvorlage auf Bild Nummer 6 abgebildeten
Person (dem Beschuldigten F. K.) bekundet haben, ist sich die Zeugin M. bei ihrer
Vernehmung vom 7. März 1994 "hundertprozentig sicher" gewesen, daß die auf Bild
6 gezeigte Person (der Beschuldigte) bei dem Überfall dabei war. Die Zeugin hat
auch weitere Einzelheiten bekundet, anhand derer sie sich gerade an die Person des
Be-schuldigten zu erinnern vermag.
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Von gewissem Gewicht sind zwar die Überlegungen der Strafkammer in dem
angefochtenen Beschluß (und auch in dem Nichtabhilfebeschluß vom 20. September
1994), wonach es Bedenken begegnet, daß seitens der Ermittlungsbehörden die
beantragte Wahlgegen-überstellung bislang nicht erfolgt ist. In der Tat erscheint der
Vermerk des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen vom 27. Juli 1994 wenig
nach-vollziehbar, wonach es nicht möglich gewesen sei, die für eine
Wahlgegenüberstellung erforderlichen türkischen Vergleichspersonen in
ausreichender Zahl (fünf) zu finden, und wonach der Beweiswert einer zum jetzigen
Zeitpunkt durchgeführten Gegenüber-stellung trotz vorheriger Lichtbildvorlagen
äußerst gering sei. Auch bei türkischen Straftätern werden Wahlgegenüberstellungen
häufig vorgenommen; eine Wahlgegenüberstellung kann auch gerade wegen des
nunmehr schon längeren Zeitablaufs seit der ersten Wahllichtbildvorlage sehr wohl
Beweiswert haben. Jedoch hat der Beschuldigte auf eine Wahlgegenüber-stellung im
Vorverfahren zum Zwecke der Identifi-zierung keinen prozeßrechtlichen Anspruch
(vgl. Pelchen in Karlsruher Kommentar, StPO, 3. Aufl., § 58 Rdnr. 6;
Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 58 Rdnr. 8); das Unterbleiben der
Wahlgegenüberstellung kann allenfalls - in oder nach der Hauptverhandlung - als
Verletzung der Auf-klärungspflicht gerügt werden (vgl. Pelchen in KK, § 58 Rdnr. 12).
Läßt also das Unterlassen der Wahl-gegenüberstellung die bisherigen
Beweisergebnisse nicht als unverwertbar erscheinen, so ergibt sich der Beweiswert
insbesondere der Aussage der Zeugin M. und damit der dringende Tatverdacht
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gegen den Beschuldigten aus den detaillierten Einzelheiten der Bekundung dieser
Zeugin vom 7. März 1994; zudem hat die Zeugin Angaben, die auf die Tatbeteiligung
des Beschuldigten schließen lassen, auch schon un-mittelbar nach der Tat am 9. Juli
1993 gemacht; auf den Angaben dieser Zeugin beruht auch die den Be-schuldigten
betreffende Phantomzeichnung.
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In Verbindung mit Einzelheiten aus der Auswertung der richterlich angeordneten
Telefonüberwachung (im einzelnen Vermerk des Landeskriminalamts Nord-rhein-
Westfalen vom 29. Juli 1994) ist jedenfalls nach dem derzeitigen Sachstand das
Vorliegen eines dringenden Tatverdachts im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO
anzunehmen. Dieser dringende Tatver-dacht wird auch durch sonstige - von der
Strafkam-mer angenommene - Widersprüchlichkeiten von Zeugen-aussagen in
Detailfragen derzeit nicht entkräftet.
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Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO (während
allerdings für den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr keine hinreichend bestimmten
Tatsachen ersichtlich sind; die in dem Haftbefehl vom 20. Mai 1994 angenommene
"krimina-listische Erfahrung" genügt den Anforderungen des § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO
- wonach auf konkretes Ver-halten des Beschuldigten abzustellen ist - nicht). Der
Beschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung eine hohe Freiheitsstrafe zu erwarten.
Er ist tür-kischer Staatsangehöriger. Zwar ist er verheiratet und hat zwei Kinder; auch
seine Geschwister haben wie er selbst ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik
Deutschland. Dennoch verfügt der Beschuldigte über die Tätergruppe, der er nach
dem derzeit beste-henden dringenden Tatverdacht angehört, über gute Beziehungen
ins Ausland. Insbesondere das Verhalten seines Bruders K. K. - der einer der
Hauptbeschul-digten in dem vorliegenden Verfahrenskomplex ist und der sich
dennoch zeitweise in der Türkei auf-gehalten hatte - zeigt, daß es dem
Personenkreis, zu dem der Beschuldigte gehört (also auch ihm selbst) unschwer
möglich ist, sich in die Türkei zu begeben. Verbindungen ins Ausland bestehen auch
über die Freundin seines Bruders K. K., die aus der tschechischen Republik stammt.
In Würdigung all dieser Umstände besteht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit
dafür, daß sich der Beschuldigte im Falle seiner Freilassung dem weiteren Verfahren
- nachdem der dringende Tatverdacht nunmehr wieder bestätigt worden ist - durch
die Flucht entziehen wird.
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Minder schwere Maßnahmen gemäß § 116 Abs. 1 StPO sind aus den vorgenannten
Gründen nicht angezeigt. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist ange-sichts der
hohen Straferwartung gewahrt. Insbeson-dere steht - entgegen dem Schriftsatz des
Vertei-digers Dr. Tondorf vom 1. September 1994 - dem
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht der Umstand der bislang nicht durchgeführten
Wahlgegenüberstellung entgegen, da zum Ob und Wie einer solchen Wahlge-
genüberstellung keine Bindung der Ermittlungsbehör-den besteht.
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Tritt somit der Haftbefehl vom 20. Mai 1994 wieder in Kraft, so wird allerdings die
Staatsanwaltschaft - spätestens bei etwaiger Anklageerhebung - auf dessen
Berichtigung hinzuwirken haben: Die dem Beschuldigtem zur Last gelegte Tat fand
nicht "im August 1993", sondern am 5. Juli 1993 statt; sie geschah auch nur in
Düsseldorf, weitere "in Köln....und anderen Orten" begangene Taten sind nicht
Gegenstand des Haftbefehls; auch das Verhält-nis der Tatvorwürfe zu §§ 249, 250
und §§ 253, 255 StGB wird zu klären sein.
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Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechen-den Anwendung des § 465 Abs.
1 StPO.
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