Urteil des OLG Köln vom 16.05.2007

OLG Köln: zahlungsunfähigkeit, aufrechnung, offensichtliches versehen, zugang, fristlose kündigung, einstweilige verfügung, juristische person, zahlungseinstellung, gesetzliche vermutung

Oberlandesgericht Köln, 2 U 118/03
Datum:
16.05.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 U 118/03
Vorinstanz:
Landgericht Bonn, 11 O 151/01
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 24. Juni 2003 verkündete
Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bonn - 11 O
151/01 - teilweise geändert und unter Berücksichtigung des Teilbe-
schlusses des Senats vom 3. März 2004 - 2 U 118/03 -, des
Schlussurteils des Senats vom 9. Juni 2004 - 2 U 118/03 -, des
Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Oktober 2004 - 1
BvR 786/04 - sowie des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 23.
November 2006 - IX ZR 141/04 - insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 17.516.283,96 € nebst Zinsen
in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus
12.741.174,50 € für die Zeit vom 15. Juni 2001 bis zum 12. März 2004,
aus weiteren 2.172.714,99 € für die Zeit vom 12. Juni 2001 bis zum 12.
März 2004, aus weiteren 1.464.191,21 € für die Zeit vom 21. Juni 2001
bis zum 12. März 2004 sowie aus weiteren 1.138.203,25 € für die Zeit
vom 12. Juli 2001 bis zum 12. März 2004 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist,
soweit der Kläger von der Beklagten die Zahlung von Zin-sen in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 17.516.283,96 € für
die Zeit ab dem 13. März 2004 beansprucht hat.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten des gesamten Rechtsstreits einschließlich des
Berufungsverfahrens sowie des Revisionsverfahrens vor dem
Bundesgerichtshof - IX ZR 141/04 - werden der Beklagten auferlegt.
Dieses Urteil ist wegen der Kostenentscheidung sowie der Verurteilung
der Beklagten zur Zahlung eines Betrages in Höhe von 7.248.079,94 €
nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für
die Zeit vom 15. Juni 2001 bis zum 12. März 2004 vorläufig vollstreckbar.
Im übrigen ist die Verurteilung der Beklagten bereits rechtskräftig.
Der Beklagten wird das Recht eingeräumt, die Zwangsvollstreckung
durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses
Urteils vorläufig vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der
Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils
beizutreibenden Betrages leistet.
G r ü n d e :
1
(Anstelle von Tatbestand und Entscheidungsgründen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO)
2
I.
3
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der U. AG (im Folgenden:
Schuldnerin) und begehrt von der Beklagten Zahlung in Höhe von 17.516.283,96 € auf
der Grundlage eines zwischen ihr und der Schuldnerin am 10./15. Juli 1998
geschlossenen Fakturierungs- und Inkassovertrags (vgl. Anlage K 1 zur Klageschrift
vom 15. Mai 2001).
4
Die Beklagte erbringt Dienstleistungen auf dem Gebiet der Telekommunikation. Die
Schuldnerin bot ebenfalls die Möglichkeit an, Telefongespräche zu führen. Durch den
oben genannten Fakturierungs- und Inkassovertrag war die Beklagte verpflichtet, die ihr
von der Schuldnerin gemeldeten Kommunikationsfälle den Kunden der Schuldnerin in
Rechnung zu stellen, das Entgelt zu kassieren und den Erlös an die Schuldnerin
abzuführen. Aus dem Abrechnungszeitraum vom 13. Februar bis 31. Mai 2001 stehen
insoweit unstreitig Forderungen der Schuldnerin gegen die Beklagte in Höhe von
34.258.873,65 DM (=
17.516.283,96 €)
Verfahren" offen. Dieser Betrag setzt sich aus 8 Teilforderungen zusammen:
5
Rechnung vom 28.02.2001 (Zugang: 12. März 2001): 6.483.492,30 DM
6
Rechnung vom 21. März 2001 (Zugang: 23. März 2001): 7.692.519,88 DM
7
Rechnung vom 2. April 2001 (Zugang: 05.04.2001): 10.743.559,15 DM
8
(Soweit in dem angegriffenen Urteil als Rechnungsdatum
9
der 30. März angeführt wird, handelt es sich um ein
10
offensichtliches Versehen, wie sich aus der Anlage K 4 c zur Klageschrift ergibt).
11
Rechnung vom 19.04.2001 (Zugang: 26.04.2001): 2.966.273,83 DM
12
Rechnung vom 7.05.2001 (Zugang: 08.05.2001): 1.283.187,33 DM
13
Rechnung vom 21. Mai 2001 (Zugang: 22. Mai 2001): 2.599.640,87 DM
14
Rechnung vom 11.05.2001: 264.068,23 DM
15
(Soweit in dem Klageerweiterungsschriftsatz des
16
Klägers vom 21.06.2001 als Rechnungsdatum der
17
"21.05.2001" aufgeführt ist, handelt es sich um ein
18
offensichtliches Versehen - siehe Anlage K 8)
19
Rechnung vom 7.06.2001 (Zugang: 11.06.2001): 2.226.132,06 DM
20
Gesamtforderung: 34.258.873,65 DM
21
Am
2. April 2001
über ihr Vermögen; dies ist der Beklagten noch am selben Tag bekannt geworden.
Soweit für den vorliegenden Rechtsstreit von Interesse, waren der Beklagten zwei der
oben genannten 8 Rechnungen noch
vor
zugegangen. Es handelt sich zum einen um die Rechnung vom 28. Februar 2001 über
einen Betrag in Höhe von 6.483.492,30 DM, die der Beklagten am 12. März 2001
zugegangen ist, sowie um die Rechnung vom 21. März 2001 über einen Betrag in Höhe
von 7.692.519,88 DM, die der Beklagten am 23. März 2001 zugegangen ist. Insoweit
ergibt sich ein Gesamtbetrag in Höhe von 14.176.012,18 DM (=
7.248.079,94 €
Gesamtsumme der
nach
beläuft sich auf eine Summe in Höhe von
10.268.204,02 €
2001 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und
der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Die Beklagte erklärte durch Schreiben vom
12. Juni 2001 sowie erneut durch Schreiben vom 7. September 2001 (vgl. Anlage B 14
zur Klageerwiderung vom 4. Oktober 2001) gegenüber den offenstehenden
Rechnungsbeträgen die Aufrechnung mit Gegenforderungen, die der Beklagten
unstreitig gegen die Schuldnerin aus einem Interconnection-Vertrag
(Zusammenschaltungsvereinbarung) zustehen. Insgesamt handelt es sich um
Forderungen in Höhe einer Gesamtsumme von
71.236.616,28 €
zunächst zur Insolvenztabelle angemeldet und durch das Schreiben vom 7. September
2001 für den Fall der Anerkennung der Aufrechnung durch den Kläger entsprechend
reduziert hat.
22
Mit der Klage begehrt der Kläger Zahlung der zu Gunsten der Schuldnerin noch
offenstehenden Rechnungen in Höhe des Gesamtbetrages von 17.516.283,96 €. Er hält
die Aufrechnung der Beklagten unter anderem deshalb für unwirksam, weil die Beklagte
die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung im Sinne des
§ 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO erlangt habe. Die Aufrechnungslage sei mit Zugang der
Rechnungen der Schuldnerin bei der Beklagten entstanden. Die Aufrechenbarkeit
ergebe sich – unter anderem – aus § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Durch erstinstanzlichen
Schriftsatz vom 15. Januar 2002 (vgl. Bl. 110 d. A.) hat der Kläger behauptet, dass die
Schuldnerin im Zeitpunkt des Eintritts der Aufrechnungslage zahlungsunfähig gewesen
sei. So weise die Bilanzübersicht zum 31. März 2001 Verbindlichkeiten in Höhe von
23
167.867.620,82 DM aus. Auch aus dem von ihm – dem Kläger – im Eröffnungsverfahren
erstellten Gutachten ergebe sich, dass die Schuldnerin erhebliche Verbindlichkeiten
nicht mehr habe begleichen können. Auf der Grundlage eines von dem Kläger bei
einem unabhängigen Wirtschaftsprüfer in Auftrag gegebenen Gutachtens sei die
Zahlungsunfähigkeit im Übrigen bereits im letzten Quartal 2000 eingetreten. Insoweit hat
der Kläger Bezug genommen auf ein Gutachten des Wirtschaftsprüfers E. vom 30.
Oktober 2001 (vgl. Anlage K 21 zu dem Schriftsatz des Klägers vom 15. Januar 2002).
Ausweislich dieses Gutachtens habe der Deckungsgrad zum 31. Dezember 2000
lediglich noch 51,88 % betragen. Für den 28. Februar 2001 weist das Gutachten einen
Deckungsgrad in Höhe von 29,30 % aus. Die Beklagte habe im Zeitpunkt des
Entstehens der Aufrechnungslage (Zugang der Rechnungen) auch positive Kenntnis
von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin gehabt. So seien ab Oktober 2000
massive Zahlungsschwierigkeiten aufgetreten. Die Entwicklung habe sich monatlich
verschärft, so dass sich zum Ende des 4. Quartals 2000 die fälligen Forderungen auf 50
Mio. DM summiert hätten. Im Zeitraum Januar bis März 2001 hätten sich die
Zahlungsrückstände auf insgesamt 97.448.462,78 DM erhöht. Der Kläger hat seinen
Vortrag durch Schriftsatz vom 27. August 2002 (vgl. Bl. 173 ff. d. A.) vertieft und insoweit
auf Gespräche zwischen Vertretern der Schuldnerin und der Beklagten im März 2001
verwiesen. Auch müsse die Korrespondenz der Schuldnerin mit der Beklagten,
insbesondere: Schreiben vom 19. März 2001 (Bl. 189 d. A.) sowie das
Kündigungsschreiben vom 30. März 2001 (vgl. Bl. 203 d. A.) berücksichtigt werden. Hier
werde die fristlose Kündigung mit der Begründung ausgesprochen, dass ein Betrag in
Höhe von 100 Mio. DM nicht habe beglichen werden können. Durch weiteren Schriftsatz
vom 20. Dezember 2002 (vgl. Bl. 408 ff. d.A.) hat der Kläger seinen Vortrag zu dem von
ihm behaupteten Verlauf der Verbindlichkeiten der Schuldnerin gegenüber der
Beklagten ab Oktober 2000 vertieft. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens
des Klägers wird auf die von ihm in der ersten Instanz vorgelegten Schriftsätze
verwiesen.
Der Kläger hat im ersten Rechtszug beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 17.516.283,96 € (34.258.873,65 DM)
zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank
aus 12.741.174,50 € (24.919.571,33 DM) seit Rechtshängigkeit der Klage (15.
Juni 2001) sowie 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen
Zentralbank aus 3.636.906,20 € (7.113.170,26 DM) seit dem 12. Juni 2001
und weitere 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der europäischen
Zentralbank aus 1.138.203,25 € (2.226.132,06 DM) seit dem 12. Juni 2001 zu
zahlen.
25
Die Beklagte hat beantragt,
26
die Klage abzuweisen.
27
Sie hat die Auffassung vertreten, die Klageforderung sei durch Aufrechnung erloschen.
Die Anfechtungsvoraussetzungen lägen nicht vor. Durch Schriftsatz vom 25. April 2002
(vgl. Bl. 162 d. A.) hat sich die Beklagte gegen die Behauptung des Klägers gewandt,
dass sie positive Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin gehabt habe.
Dies sei mit Nachdruck zu bestreiten. Durch Schriftsatz vom 16. September 2002 (vgl.
Bl. 260 d. A.) ist die Beklagte erneut der Behauptung des Klägers von der Kenntnis der
Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin entgegen getreten. Falsch sei die Behauptung des
28
Klägers, die Beklagte habe Kenntnis von einer plötzlichen Anhäufung der
Verbindlichkeiten der Insolvenzschuldnerin bei der Beklagten gehabt. Aufgrund der
Auflagen gemäß TKG, NZV und REGTP bestehe zwischen dem Bereich Carrier-
Service und der Buchhaltung der Beklagten eine sogenannte Chinese-Wall. Die
Beklagte sei von dem Insolvenzantrag völlig überrascht worden. Für die Beklagte sei die
Schuldnerin schon objektiv nicht zahlungsunfähig gewesen, sondern habe lediglich in
einer der Beklagten lästigen Art und Weise die ihr nach der
Zusammenschaltungsvereinbarung gewährten Zahlungsfristen unter Ausnutzung der
weiteren Fristen, innerhalb derer die Beklagte nicht relevant habe reagieren können,
ausgeschöpft. Auch subjektiv sei für die Beklagte die Schuldnerin nicht
zahlungsunfähig, sondern durchaus in der Lage gewesen, die bestehenden
Forderungen zu begleichen, wenn nur mit dem nötigen Nachdruck hieran erinnert
worden sei. Der ehemalige Vorstand der Schuldnerin habe noch im März 2001 den
Ausgleich der Rechnungen zugesagt. Auch im Rahmen der mit der jetzigen
Insolvenzschuldnerin und der Firma X. B. geführten Verhandlungen sei in den Wochen
vor dem 30. März 2001 noch mal bestätigt worden, dass auch die Firma X. B. über
liquide Mittel in Höhe von über 100 Mio. Dollar verfüge und die Verbindlichkeiten nach
Abschluss der nur noch an gewissen Formalien hängenden Übernahme der jetzigen
Insolvenzschuldnerin ausgeglichen würden. Durch weiteren Schriftsatz vom 18. Oktober
2002 (vgl. Bl. 339 f. d. A.) hat die Beklagte erneut geltend gemacht, der Kläger habe
nicht schlüssig die Kenntnis der Beklagten in Bezug auf das Bestehen der
Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin vorgetragen. Schließlich hat die Beklagte sich zu
der Zahlungsunfähigkeit bzw. zu dem Zahlungsverhalten der Schuldnerin erneut durch
Schriftsatz vom 3. Februar 2003 (vgl. Bl. 480 ff. d. A.) geäußert. In diesem Schriftsatz
werden zum einen diverse Mahnungen aus der ersten Jahreshälfte des Jahres 2000
vorgelegt. Hieraus ergebe sich, dass die Schuldnerin sich während der
Leistungserbringung als zahlungsunwillig erwiesen habe, "aus Sicht der Beklagten
nicht jedoch als zahlungsunfähig"(vgl. Bl. 482 d. A.). Dass seitens der "Beklagten"
(gemeint: Schuldnerin) schon seit Beginn des Jahres 2000 an den Tag gelegte
Verhalten habe deutlich gezeigt, dass die "Beklagte" (gemeint: die Schuldnerin)
zahlungsunwillig, nicht jedoch zahlungsunfähig gewesen sei (vgl. Bl. 486 d. A.). In dem
Schriftsatz heißt es sodann wörtlich weiter wie folgt (vgl. Bl. 488 f. d. A.):
"Die inhaltliche Richtigkeit der klägerseits vorgelegten
Wirtschaftsprüfergutachten stellen wir einschließlich der daraus vom Kläger
abgeleiteten Schlüsse und Behauptungen streitig. Dies gilt auch für etwaig
unberührt gebliebene Behauptungen des Klägers in seinem bisherigen
Vortrag.
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Es bleibt mithin auch dabei, dass die Beklagte weder am 19. März 2001 noch
am 30. März 2001 Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Fa. U. AG hatte,
die zudem selbst nur wegen "drohender Zahlungsunfähigkeit"
Insolvenzantrag gestellt hat;"
30
Schließlich hat die Beklagte erneut durch Schriftsatz vom 13. Mai 2003 (vgl. Bl. 569 d.
A.) darauf hingewiesen, dass sie nicht über die erforderliche positive Kenntnis der
angeblichen Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin verfügt habe. Dies sei nach
der durchgeführten Beweisaufnahme bewiesen. Entgegen der Auffassung des Klägers
habe sich keine signifikante Änderung des Verhaltens der Insolvenzschuldnerin aus
Sicht der Beklagten ergeben. Diese habe ohne Weiteres Forderungen in Höhe von 38
Mio. DM und 11 Mio. DM auflaufen lassen und erst nach Mahnung gezahlt (vgl. Bl. 579
31
d. A.).
Das Landgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme der Klage durch das
angegriffene Urteil in vollem Umfang stattgegeben. Im Rahmen der Begründung seiner
Entscheidung hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass der Zahlungsanspruch der
Schuldnerin nicht durch Aufrechnung erloschen sei, weil diese gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3
InsO in Verbindung mit § 130 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und Abs. 1 Nr. 2 InsO unzulässig sei.
Die Ausnutzung der Aufrechnungslage sei anfechtbar, da diese innerhalb der letzten
drei Monate vor Insolvenzantragstellung entstanden sei, die Schuldnerin zu diesem
Zeitpunkt zahlungsunfähig gewesen sei und die Beklagte die Zahlungsunfähigkeit
gekannt habe. Für die der Beklagte nach Insolvenzantragstellung zugegangenen
Rechnungen gelte dies schon deshalb, weil ihr die Antragstellung noch am selben Tag
bekannt geworden sei. Bei Zugang der früheren Rechnungen habe sie jedenfalls im
Sinne von § 130 Abs. 2 InsO Kenntnis von Umständen gehabt, die zwingend hätten auf
die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin schließen lassen. Die Zahlungsunfähigkeit
zum fraglichen Zeitpunkt sei nicht bestritten. Aufgrund des ebenfalls unstreitigen
Zahlungsverhaltens der Schuldnerin und des kontinuierlichen Anstiegs der
Verbindlichkeiten von Oktober 2000 bis Ende März 2001 von etwa 20.000.000,00 DM
auf gut 70.000.000,00 DM sei das Gericht davon überzeugt, dass die Beklagte
zumindest die von § 130 Abs. 2 InsO geforderte Kenntnis gehabt habe.
32
Einen von der Beklagten gestellten Tatbestandsberichtigungsantrag hat das
Landgericht durch Beschluss vom 7. Oktober 2003 zurückgewiesen. Die hiergegen
gerichtete sofortige Beschwerde hat der Senat durch Beschluss vom 14. November
2003 (2 W 107/03), auf den verwiesen wird, im Wesentlichen als unzulässig verworfen.
33
Gegen das ihr am 7. Juli 2003 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem am 22. Juli
2003 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt, die sie
durch einen am 7. Oktober 2003 – nach zwischenzeitlicher Verlängerung der
Berufungsbegründungsfrist bis zum 8. Oktober 2003 – bei dem Oberlandesgericht
eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tage begründet hat. Mit ihrer Berufung verfolgt
die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Wegen der Einzelheiten wird
insoweit auf die Berufungsbegründung der Beklagten vom 7. Oktober 2003 nebst der
beigefügten Anlagen (Bl. 919 ff. d.A.) Bezug genommen.
34
Die Beklagte hat insoweit zunächst beantragt,
35
das Urteil des Landgerichts Bonn vom 24. Juni 2003, Az: 11 O 151/01,
abzuändern und die Klage kostenpflichtig abzuweisen,
36
hilfsweise,
37
den Rechtsstreit unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das
Landgericht zurück zu verweisen,
38
höchst hilfsweise,
39
die Revision zuzulassen.
40
Der Kläger hat beantragt,
41
die Berufung zurückzuweisen, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, an
den Kläger 17.516.283,96 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus
12.741.174,50 € seit 15. Juni 2001, aus weiteren 3.636.906,20 € seit 22. Juni
2001 und aus weiteren 1.138.203,25 € seit dem 12. Juli 2001 zu zahlen.
42
Der Kläger hat das angegriffene Urteil bis auf einen geringen Teil des Zinsanspruches
verteidigt. Insoweit wird auf die Berufungserwiderung vom 29. Dezember 2003 (vgl. Bl.
1021 ff. d. A.) Bezug genommen.
43
Durch einstimmigen Teilbeschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO vom 3. März 2004, auf den
wegen der Einzelheiten verwiesen wird (Bl. 1243 ff. d.A.), hat der Senat – nach
vorangegangener Hinweiserteilung durch den hiermit in Bezug genommenen Beschluss
vom 14. Januar 2004 (Bl. 1089 ff. d.A.) – die Berufung der Beklagten zurückgewiesen,
soweit das Landgericht der Klage hinsichtlich des von dem Kläger geltend gemachten
Hauptanspruches stattgegeben hat. Die Beklagte hat daraufhin veranlasst, dass dem
Kläger die Hauptforderung bezahlt wurde. Der Betrag wurde dem Konto der Beklagten
am 12. März 2004 belastet und dem Konto des Klägers am 15. März 2004
gutgeschrieben. Daraufhin hat der Kläger den über den 14. März 2004 hinausgehenden
Zahlungsantrag bezüglich der Zinsen für erledigt erklärt. Die Beklagte hat der
Erledigungserklärung widersprochen.
44
Die Beklagte hat beantragt,
45
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen, soweit
über die Berufung nicht bereits durch den Teilbeschluss des Senats vom 3.
März 2004 entschieden worden ist.
46
Der Kläger hat beantragt (sinngemäß),
47
a) festzustellen, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat,
soweit er von der Beklagten die Verzinsung der Hauptforderung über den 14.
März 2004 hinaus beansprucht hat,
48
b) im Übrigen die Berufung auch über den Teilbeschluss des Senats vom 3.
März 2004 hinaus zurückzuweisen.
49
Die Beklagte hat beantragt,
50
auch den Feststellungsantrag des Klägers abzuweisen.
51
Durch Schlussurteil vom 9. Juni 2004, auf das wegen aller weiteren Einzelheiten Bezug
genommen wird (Bl. 1372 ff. d.A.), hat der Senat die Berufung der Beklagten auch
hinsichtlich des Kostenpunktes sowie wegen des Zinsanspruches weitgehend
zurückgewiesen und dem Erledigungsfeststellungsantrag des Klägers für die Zeit ab 13.
März 2004 stattgegeben sowie die Kosten des Berufungsverfahrens der Beklagten
auferlegt.
52
Auf die von der Beklagten gegen den Teilbeschluss des Senats vom 3. März 2004
eingelegte Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss
vom 1. Oktober 2004 – 1 BVR 786/04 – den Teilbeschluss des Senats insoweit
aufgehoben und das Verfahren an den Senat zurückverwiesen, als die Verurteilung die
53
der Beklagten vor dem 2. April 2001 zugegangenen Rechnungen der Schuldnerin
betrifft. Dabei handelt es sich um die Rechnung vom 28. Februar 2001 über
6.483.492,30 DM, zugegangen am 12. März 2001, und die Rechnung vom 21. März
2001 über 7.692.519,88 DM, zugegangen am 23. März 2001, zusammen
7.248.079,94
in Höhe eines Gesamtbetrages von
10.268.204,02 €
die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Auf die von dem Bundesgerichtshof zugelassene Revision der Beklagten hat der
Bundesgerichtshof das Schlussurteil des Senats vom 9. Juni 2004 durch Urteil vom 23.
November 2006 – IX ZR 141/04 - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als
54
- die Berufung der Beklagten zurückgewiesen worden ist, soweit diese vom
Landgericht zur Zahlung von 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus
7.248.079,94 € für die Zeit vom 15. Juni 2001 bis 12. März 2004 verurteilt
worden ist,
55
- festgestellt worden ist, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist,
soweit der Kläger von der Beklagten die Zahlung von 5 % Zinsen über dem
Basiszinssatz aus 7.248.079,94 € für die Zeit ab dem 13. März 2004
beansprucht hat.
56
Im Umfang der Aufhebung hat der Bundesgerichtshof die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den Senat
zurückverwiesen. Soweit das Schlussurteil hinsichtlich der Zinsentscheidung und der
Erledigungsfeststellung auf dem rechtskräftigen Teil des Teilbeschlusses des Senats
vom 3. März 2004 beruht, hat der Bundesgerichtshof die Revision der Beklagten
zurückgewiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das am 23. November 2006
verkündete Urteil des Bundesgerichtshofs Bezug genommen.
57
Die Beklagte hat durch weiteren Schriftsatz vom 1. März 2005 (vgl. Bl. 1732 ff. d. A.)
ergänzend vorgetragen. Bezogen auf die noch streitgegenständlichen Rechnungen vom
28. Februar 2001 und vom 21. März 2001 in Höhe von insgesamt 7.248.079,94 € fehle
es auch deshalb an den Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 InsO, weil auf
der Grundlage eines zwischenzeitlich bekannt gewordenen Gutachtens des
Wirtschaftsprüfers F. vom 23. August 2004 (vgl. Bl. 1744 ff. d. A.) die Schuldnerin zum
Zeitpunkt des Zugangs dieser Rechnungen weder zahlungsunfähig gewesen sei, noch
eine Kenntnis der Beklagten von einer angeblichen Zahlungsunfähigkeit bestanden
habe. Dieses im Auftrag der Staatsanwaltschaft erstellte Gutachten habe die Vermutung
der Richtigkeit für sich. Hiernach sei weder per 31. Dezember 2000 noch per Ende März
2001 überhaupt eine Zahlungsunfähigkeit bei der Schuldnerin eingetreten, da in Höhe
eventuell sich ergebender Liquiditätsunterdeckungen schon Ausgleichsposten in
gleicher Höhe zu aktivieren gewesen seien, die aus Finanzhilfezusagen der X. B. Inc.
resultierten. Es habe nämlich nach den Feststellungen des Gutachters eine harte
Patronatserklärung zugunsten der Insolvenzschuldnerin seitens der X. B. Inc.
bestanden. Es hätten sich deshalb allenfalls Zahlungsstockungen seitens der
Schuldnerin ergeben. Insoweit distanziere sich der Gutachter bewusst von dem ihm als
"Parteigutachten erkannten Gutachten des Wirtschaftsprüfers E.". Unterstützend zum
bisherigen Vortrag ergebe sich aus dem Gutachten auch, dass die Beklagte nicht über
die erforderliche Kenntnis der angeblichen Zahlungsunfähigkeit verfügt habe. Der
Gutachter komme zu dem Ergebnis, dass selbst die Organe der Gesellschaft frühestens
58
Gutachter komme zu dem Ergebnis, dass selbst die Organe der Gesellschaft frühestens
gegen Ende März 2001 überhaupt über eine Kenntnis einer eventuellen
Zahlungsunfähigkeit hätten verfügen können.
Die Beklagte beantragt,
59
das Urteil des Landgerichts Bonn vom 24. Juni 2003 – 11 O 151/01 –
abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit über die Berufung nicht bereits
durch den vom Bundesverfassungsgericht nicht aufgehobenen Teil des
Beschlusses des Senats vom 3. März 2004 und nicht bereits durch den vom
Bundesgerichtshof nicht aufgehobenen Teil des Schlussurteils des Senats
vom 9. Juni 2004 entschieden worden ist.
60
Der Kläger beantragt,
61
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen, soweit noch keine rechtskräftige
Entscheidung vorliegt.
62
Hinsichtlich des Zahlungsantrages bezüglich der Zinsen, welche über den 12. März
2004 hinaus verlangt worden sind, erklärt der Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache
für erledigt.
63
Die Beklagte widerspricht der Erledigungserklärung.
64
Der Kläger tritt mit Schriftsatz vom 18. Mai 2005 (Bl. 2104 ff. d.A.) der Ansicht der
Beklagten, dass sich das Fehlen der Zahlungsunfähigkeit und das Fehlen einer
entsprechenden Kenntnis der Beklagten aus dem nunmehr vorgelegten Gutachten des
Wirtschaftsprüfers F. ergebe, entgegen. Dieser Gutachter komme nur deshalb zu einer
von dem Gutachter E. abweichenden Beurteilung, weil er der Auffassung sei, dass die
"zugesagte Liquiditätshilfe der X. B. Inc." gleichsam als eine Patronatserklärung zu
berücksichtigen sei. Diese Auffassung sei jedoch rechtsirrig, weil weder die Aussicht auf
Realisierung der zugesagten Mittel binnen eines Zeitraums von spätestens 2 bis 3
Wochen hinreichend konkret gewesen sei, noch die benötigten Geldmittel binnen
dieses Zeitraumes von 2 bis 3 Wochen auch tatsächlich an den Schuldner zur
Auszahlung gelangt seien.
65
Die Beklagte hat durch Schriftsatz vom 12. Februar 2007 (Bl. 2373 ff. d.A.) ihr
tatsächliches und rechtliches Vorbringen vertieft. Sie habe zwischenzeitlich Kenntnis
davon erlangt, dass das Landgericht Marburg eine Klage des Klägers gegen die
Vorstandsmitglieder der Schuldnerin wegen u.a. angeblicher Insolvenzverschleppung
abgewiesen habe. Es werde beantragt, dem Kläger aufzugeben, das Urteil des
Landgerichts Marburg zu den Akten zu reichen. Der Kläger hat durch Schriftsatz vom 21.
März 2007 (Bl. 2669 ff. d.A.) auf den Schriftsatz der Beklagten erwidert und die
Klageabweisung durch das Landgericht Marburg bestätigt, derzeit laufe das
Berufungsverfahren. Die Beklagte ihrerseits hat durch Schriftsätze vom 27. März 2007
(Bl. 2778 ff.), vom 24. April 2007 (Bl. 2828 ff.) sowie vom 25. April 2007 (Bl. 2899 ff. d.A.)
ergänzend Stellung genommen. In dem Schriftsatz vom 24. April 2007 hat sie im
Anschluss an ihre Mitteilung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 28.
März 2007, wonach auch die im Schlussurteil des Senats vom 9. Juni 2004 zuerkannten
Zinsen bereits insgesamt an den Kläger gezahlt worden seien, den insoweit zwischen
den Parteien geführten außergerichtlichen Schriftverkehr vorgelegt und sich im übrigen
mit dem Vorbringen des Klägers in dessen Schriftsatz vom 21. März 2007
66
auseinandergesetzt. Der Senat hatte der Beklagten insoweit einen entsprechenden
Schriftsatznachlass eingeräumt. In dem ebenfalls nach der mündlichen Verhandlung
eingereichten Schriftsatz vom 25. April 2007 hat die Beklagte zudem die
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beantragt. Zur Begründung hat sie unter
Vorlage einer entsprechenden Urteilskopie darauf hingewiesen, sie habe "nunmehr
(erstmals) das Urteil des Landgerichts Marburg vom 1. Juni 2006 erhalten" und ihr sei
erstmals bekannt geworden, dass über die diesbezügliche Berufung des Klägers bereits
am 10. Mai 2007 vor dem Oberlandesgericht Frankfurt mündlich verhandelt werde. Das
Urteil des Landgerichts Marburg offenbare Informationen, die der Beklagten bislang
nicht vorgelegen hätten. Der Senat dürfe jedenfalls nicht ohne eigene Beweisaufnahme
gegen die Beklagte entscheiden. Im übrigen bestehe die Gefahr einer inhaltlich
widerstreitenden Entscheidung zu der anstehenden Entscheidung des OLG Frankfurt,
so das vorsorglich auch aus diesem Grunde die Zulassung der Revision beantragt
werde.
Die Akten 91 O 252/02 LG Köln = 2 U 123/04 OLG Köln lagen vor und waren
Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen aller weiteren Einzelheiten des
Sach- und Streitstandes wird auf den gesamten vorgetragenen Inhalt der zwischen den
Parteien in beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze einschließlich aller Anlagen
zu diesen Schriftsätzen, auf das Urteil des Landgerichts vom 24. Juni 2003, auf die
Beschlüsse des Senats vom 14. Januar 2004 und 3. März 2004, das Schlussurteil des
Senats vom 9. Juni 2004, auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 1.
Oktober 2004 (1 BvR 785/04 sowie auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23.
November 2006 (IX ZR 141/01) Bezug genommen.
67
II.
68
1. Soweit das Bundesverfassungsgericht in dem Beschluss vom 1. Oktober 2004 die
Verfassungsbeschwerde gegen den Teilbeschluss des Senats vom 3. März 2004 nicht
zur Entscheidung angenommen und soweit der Bundesgerichtshof in dem Urteil vom
23. November 2006 die gegen das Schlussurteil des Senats vom 9. Juni 2004 gerichtete
Revision der Beklagten zurückgewiesen hat, ist das Berufungsverfahren rechtskräftig
abgeschlossen. Zu entscheiden ist deshalb zum einen noch darüber, ob der Kläger von
der Beklagten einen Betrag in Höhe von 7.248.079,94 € nebst 5 % Zinsen über dem
Basiszinssatz hieraus für die Zeit vom 15. Juni 2001 bis 12. März 2004 verlangen kann.
Zum anderen ist Gegenstand des Berufungsverfahrens noch die Frage, ob der
Rechtsstreit – entsprechend der Erledigungserklärung des Klägers in der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat am 28. März 2007 - in der Hauptsache erledigt ist, soweit
der Kläger von der Beklagten die Zahlung von 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus
7.248.079,94 € für die Zeit ab dem 13. März 2004 beansprucht hat.
69
In dem insoweit noch anhängigen Umfang hat die Berufung keinen Erfolg, während dem
noch anhängigen Feststellungsantrag des Klägers stattzugeben ist. Der Senat hat den
Tenor zur Klarstellung und zur Vermeidung etwaiger Missverständnisse insgesamt unter
Berücksichtigung der zwischenzeitlich ergangenen Entscheidungen des Senats sowie
des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs insgesamt neu gefasst.
Hinsichtlich des Zinsanspruches hat der Senat – wie auch bereits in dem Schlussurteil
vom 9. Juni 2004 ausgeführt – die Tenorierung an der gesetzlichen Formulierung des §
288 Abs. 1 Satz 2 BGB ("fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz") ausgerichtet.
70
2. Der Kläger kann von der Beklagten die in den Rechnungen vom 28. Februar 2001
71
sowie vom 21. März 2001 aufgeführten Beträge in Höhe von insgesamt 7.248.079,94 €
verlangen. Da die Beklagte die (gesamte) Hauptforderung einschließlich des noch im
Streit befindlichen Betrages lediglich zur Abwendung der Zwangsvollstreckung gezahlt
hat, kommt der Zahlung keine Erfüllungswirkung i.S.d. § 362 Abs. 1 BGB zu (vgl. hierzu
nur Palandt/Grüneberg, BGB, 66. Aufl. 2007, § 362 Rdn. 12 m.w.Nw.). Der unstreitig
entstandene Zahlungsanspruch ist auch nicht durch die von der Beklagten durch die
Schreiben vom 12. Juni und 7. September 2001 erklärte Aufrechnung gemäß § 389
BGB erloschen. Die Aufrechnung ist gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO in Verbindung mit §
130 Abs. 1 Nr. 1 InsO unwirksam. Die Beklagte hat die Möglichkeit der Aufrechnung
durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt.
a) In rechtlicher Hinsicht nimmt der Senat zunächst auf die Ausführungen in dem
Teilbeschluss vom 3. März 2004 Bezug, soweit hierin der rechtliche Ausgangspunkt der
Anfechtbarkeit der Aufrechung und die Maßgeblichkeit des Zeitpunktes des Zuganges
der Rechnungen dargelegt worden sind. Der Senat hält hieran ebenso fest wie an den
übrigen Gründen, soweit sie nicht durch die Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts bzw. des Bundesgerichtshofs in Frage gestellt worden sind.
Dies gilt auch für das Fehlen eines Bargeschäfts i.S.d. § 142 InsO und die
Unbeachtlichkeit des Hinweises der Beklagten auf die §§ 55, 103 InsO. Insoweit hat der
Senat in dem Teilbeschlusses vom 3. März 2004 unter anderem ausgeführt:
72
aa) Für die Anwendbarkeit des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist es nicht erforderlich,
dass der Gläubiger die Aufrechnungslage selbst anfechtbar herbeigeführt hat.
Vielmehr genügt jede anfechtbare Ausnutzung einer auf sonstige Weise
entstandenen Aufrechnungslage (vgl. nur Eickmann in HK-InsO, 3. Aufl. 2003, §
96 Rdn. 10 m.w.N.). Es kommt deshalb entscheidend darauf an, ob eine
im Zeitpunkt des Entstehens der Aufrechnungslage
vor Verfahrenseröffnung nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 129 ff. InsO
anfechtbar wäre (in diesem Sinne auch Blersch in Breutigam/Blersch/Goetsch,
Insolvenzrecht, Stand 11. September 1998, § 96 Rdn. 11).
73
bb) Aus dem Vorstehenden folgt, dass eine Aufrechnung wegen anfechtbarer
Ausnutzung einer Aufrechnungslage gemäß § 130 Abs. 1 InsO unzulässig ist,
wenn
74
die Aufrechnungslage in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung
des Insolvenzverfahrens entstanden ist, der Schuldner zu diesem Zeitpunkt
zahlungsunfähig war und der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit
kannte (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO) oder
75
die Aufrechnungslage nach dem Eröffnungsantrag entstanden ist und der
Gläubiger zu diesem Zeitpunkt die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners oder
den Eröffnungsantrag kannte (§ 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO).
76
Vorliegend ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die
Aufrechnungslage jedenfalls nicht vor Zugang der Rechnungen der Schuldnerin
hier
der entscheidende Zeitpunkt für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 130
Abs. 1 Nr. 1 oder 2 InsO darstellt. Vor diesem Zeitpunkt standen die beiden
unstreitigen Forderungen noch nicht im Sinne des § 389 BGB zur Aufrechnung
geeignet gegenüber.
77
(1) Da es um die Aufrechungsmöglichkeit durch die Beklagte geht, kommt es
gemäß § 387 BGB neben der Frage, ab wann sie die ihr gebührende Leistung
von der Schuldnerin verlangen konnte, entscheidend darauf an, zu welchem
sie die ihr obliegende Leistung bewirken konnte
Hauptforderung
erfüllbar
erforderlich ist, dass die Hauptforderung – dies im Unterschied zu der zur
Aufrechung gestellten Gegenforderung – vollwirksam und fällig ist (vgl. nur
Palandt/Heinrichs, BGB, 63. Aufl. 2004, § 387 Rdn. 12). Etwas anderes ergibt
sich auch nicht aus der von der Beklagten in ihrem Stellungnahmeschriftsatz
vom 25. Februar 2004 zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGHZ
17, 19 [29 f.]), der der Senat folgt. Hierin heißt es, es genüge für die Zulässigkeit
der Aufrechung, dass der Schuldner zu ihrer Erfüllung berechtigt sei. Diese
"in aller Regel"
dann ein, wenn die Forderung entstanden sei.
78
(2) Vorliegend waren die Forderungen der Schuldnerin gegen die Beklagte aus
dem Fakturierungs- und Inkassovertrag jedenfalls nicht vor Rechnungszugang
erfüllbar. Dies ergibt sich nach Auffassung des Senats aus einer
interessengerechten Auslegung des Vertrages. Die Parteien hatten hierin eine
ausdifferenzierte Abwicklung der Abrechnung vereinbart. In einem dem Vertrag
beigefügten "Handbuch der Arbeitsabläufe zum Fakturierungsvertrag" wurden
die jeweiligen Arbeitsschritte im einzelnen festgelegt. Die Schuldnerin sollte
zweimal im Monat die von ihr gelieferten Kommunikationsfälle gegenüber der
Beklagten fakturieren. Vor diesem Hintergrund hätten Zahlungen der Beklagten
an die Schuldnerin vor Rechnungsstellung zu Schwierigkeiten im Rahmen der
Abrechnung führen und das im einzelnen ausdifferenzierte Abrechnungssystem
zwischen den Parteien durcheinanderbringen können. Hiernach war die
vor
Fälligkeit der Forderung
Rechnungszugang erfüllbar, da bereits durch die Rechnungsstellung als solche
auch bei der Schuldnerin die Grundlagen für die Abrechnung gelegt waren. Vor
der Rechnungsstellung sollte eine Erfüllung jedoch nicht möglich sein. Hiernach
sprechen die Besonderheiten der vorliegenden Vertragsgestaltung dafür,
Erfüllbarkeit der Hauptforderung erst mit Zugang der jeweiligen Rechnung
anzunehmen. Vor diesem Zeitpunkt fehlte es an einer Aufrechnungslage.
79
(3) Dem Senat erschließt sich nicht, warum er sich mit der – nicht
verallgemeinerungsfähigen - Bestimmung des aus den Besonderheiten der
vorliegenden Vertragsgestaltung abgeleiteten Zeitpunktes der Erfüllbarkeit der
Hauptforderung in Widerspruch zu der Vorschrift des § 95 InsO und der von der
Beklagten in ihrem Stellungnahmeschriftsatz zitierten höchstrichterlichen
Rechtsprechung setzen soll. Dass die von der Beklagten in der
Berufungsbegründung zitierte Entscheidung des Reichsgerichts RGZ 158, 207
[209]) einen anderen Sachverhalt betraf, ist bereits in dem Hinweisbeschluss
des Senats dargelegt worden.
80
nach
dem 2. April 2001
dem an diesem Tag gestellten Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens
81
§ 130 Abs.
1 Nr. 2 InsO
ausgeführt hat. Dies betrifft die oben aufgeführten Rechnungen der Schuldnerin
vom 02.04.2001, 19.04.2001, 07.05.2001, 11.05.2001, 21.05.2001 sowie vom
07.06.2001. Insgesamt beläuft sich die Forderungssumme auf einen Betrag in
10.268.204,02 €
Nr. 2 InsO sind erfüllt. Nach den – insoweit von der Beklagten nicht
angegriffenen - Feststellungen des Landgerichts hat die Beklagte unstreitig
noch am 2. April 2001 von der Stellung des Eröffnungsantrages Kenntnis
erlangt. Die Aufrechnung stellt deshalb eine nach dieser Vorschrift anfechtbare
Ausnutzung der entstandenen Aufrechnungslage dar und ist gemäß § 96 Abs. 1
Nr. 3 InsO unzulässig. Entgegen der Auffassung der Beklagten gibt es
vorliegend keine Gründe, die der Anfechtbarkeit entgegenstehen.
(1) Die Anfechtbarkeit ist zunächst nicht deshalb ausgeschlossen, weil die
Schuldnerin mit Zustimmung des Klägers in seiner damaligen Eigenschaft als
vorläufiger Insolvenzverwalter gegen die Beklagte eine einstweilige Verfügung
erlangt hat, durch die die Beklagte zur Wiederfreischaltung der Leitungen
verpflichtet wurde. Zutreffend ist insoweit lediglich, dass die Schuldnerin
aufgrund dieser Freischaltung in faktischer Hinsicht die Möglichkeit erhielt,
Verbindungen für ihre Kunden herzustellen und entsprechende Forderungen
gegen die Kunden zu erwerben, die die Beklagte lediglich zu fakturieren hatte.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Forderungen, die der Kläger in dem
vorliegenden Prozess geltend macht, der Beklagten gleichsam "aufgedrängt"
wurden, wie die Beklagte in der Berufungsbegründung ausführt. Die Beklagte
misst der Zustimmung des Klägers zu dem einstweiligen Verfügungsverfahren
der Schuldnerin eine Bedeutung bei, die ihr nicht zukommt. Wie der Senat in
dem den Parteien bekannten Urteil vom 17. Dezember 2003 in dem Verfahren 2
U 87/03 im einzelnen ausgeführt hat, konnte die Beklagte nicht darauf vertrauen,
die aufgrund der einstweiligen Verfügung erhaltenen Vorauszahlungen
behalten und mit ihren Forderungen aus der Zusammenschaltungsvereinbarung
verrechnen zu dürfen. Die Zustimmung des Klägers bezog sich alleine darauf,
dass die Beklagte die in dem Zusammenschaltungsvertrag vorgesehene
Vergütung (nur) insoweit erhalten sollte, als nach dem Antrag auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens noch eine Freischaltung der Leitungen zugunsten der
Schuldnerin vorgenommen wurde. Ebenso wie die Beklagte sich nicht darauf
verlassen konnte, die nicht verbrauchten Vorauszahlungen mit ihren aus der
Zusammenschaltungsvereinbarung begründeten Altforderungen verrechnen zu
können, gibt es auch keine Grundlage dafür, mit diesen Ansprüche die
Aufrechnung gegen die Klageforderung zu erklären. Soweit sich die Beklagte
deshalb auch in dem vorliegenden Verfahren insbesondere auf die
Entscheidung des Bundesgerichtshofs in ZIP 2003, 810 ff. beruft, rechtfertigt
dies keine abweichende Beurteilung. Wie bereits in dem angeführten Urteil in
der Sache 2 U 87/03 ausgeführt, missversteht die Beklagte die Entscheidung
des Bundesgerichtshofs, wenn sie ihr entnimmt, eine mit Zustimmung des
vorläufigen Insolvenzverwalters vorgenommene Rechtshandlung des
Schuldners sei lediglich bzw. ausnahmsweise dann anfechtbar, wenn der
Insolvenzverwalter durch den Gläubiger erpresst worden sei. An einer
derartigen Erpressung fehle es vorliegend, vielmehr seien dem Beklagten die
nach dem 2. April 2001 entstandenen Verbindlichkeiten aufgenötigt worden.
Eine derartige Aussage lässt sich der zitierten Entscheidung des
82
Bundesgerichtshofs jedoch nicht entnehmen. Der Bundesgerichtshof hat die
Möglichkeit, dass kein schutzwürdiges Vertrauen gebildet wurde, nicht auf den
Fall der Erpressung beschränkt. Vielmehr heißt es in der genannten
Entscheidung lediglich, dass eine Erfüllungshandlung des Schuldners
möglicherweise deswegen nicht gemäß § 130 InsO anfechtbar sei, weil der
Kläger als vorläufiger Insolvenzverwalter ihr zugestimmt habe (vgl. BGH, ZIP
2003, 810 [811]). Stimme der vorläufige Insolvenzverwalter einer Verfügung des
Schuldners zu, dürfe der Geschäftspartner möglicherweise darauf vertrauen,
dass eine bloß mittelbare Gläubigerbenachteiligung nicht zur Anfechtbarkeit
führe. Vorliegend konnte die Beklagte jedoch - wie bereits ausgeführt - nicht
darauf vertrauen, ihre ansonsten lediglich als einfache Insolvenzforderungen zu
begleichenden Ansprüche mit Hilfe der Aufrechnung befriedigen zu können.
In ihrem Stellungnahmeschriftsatz vom 25. Februar 2004 verweist die Beklagte
ergänzend darauf, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die
Fortführung des Betriebs eines insolventen Unternehmens nicht zu Lasten
einens einzelnen Gläubigers erfolgen dürfe. Gerade das sei vorliegend der Fall,
weil sie – die Beklagte - von der Schuldnerin aufgrund der einstweiligen
Verfügung in eine Schuldnerstellung gemäß § 15 Abs. 4 TKV gedrängt worden
sei. Es könne nicht angehen, dass die Insolvenzmasse auf dem Rücken eines
Gläubigers einseitig zu dessen Lasten gemehrt werde. Eine Verkürzung der
zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bestehenden Masse erfolge
demgegenüber nicht. Diese Argumentation überzeugt jedoch nicht: Die
Beklagte hat für die aufgrund der einstweiligen Verfügung erfolgte
Wiederfreischaltung der Leitungen die Vergütung erhalten, die ihr für die von ihr
in dem Freischaltungszeitraum erbrachten Leistungen vertraglich zustand. Mit
dem Entgelt wurden auch die Fakturierungsleistungen der Beklagten
abgegolten, die die Beklagte im Zusammenhang mit der Einziehung der
Forderungen der Schuldnerin gegen ihre Endkunden erbrachte. Bei der
gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise kann deshalb nicht die Rede
davon sein, dass die Insolvenzmasse einseitig zu Lasten der Beklagten
vermehrt würde, wenn man ihr die Aufrechungsmöglichkeit verweigern würde.
Es würde vielmehr – im Gegenteil – eine nicht zu rechtfertigende Privilegierung
der Beklagten gegenüber den übrigen Insolvenzgläubigern darstellen, wenn sie
mir ihrer Insolvenzforderung trotz der oben dargelegten beschränkten Tragweite
der einstweiligen Verfügung und Bestehen der Anfechtungsvoraussetzungen
die Aufrechung mit ihrer Insolvenzforderung erklären könnte.
83
(2) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den §§ 55, 103 InsO. Unmittelbar
sind diese Vorschriften ohnehin nicht anwendbar. Auch der Rechtsgedanke der
genannten Vorschriften steht der hier bejahten anfechtbaren Ausnutzung der
Aufrechungslage durch die Beklagte nicht entgegen. Der Kläger hat die
Forderungen der Schuldnerin gegen die Beklagte nicht "selbst geschaffen", wie
die Beklagte in der Berufungsbegründung ausführt. Durch die Zustimmung des
Klägers zum Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wurde die
Schuldnerin lediglich faktisch in die Lage versetzt, Forderungen gegen ihre
Kunden zu erwerben. Auch aus § 15 Abs. 4 TKV – die Vorschrift verpflichtet die
Beklagte zum Inkasso - lässt sich nicht entnehmen, dass die Aufrechnung der
Beklagten mit Altforderungen auch bei Vorliegen der
Anfechtungsvoraussetzungen uneingeschränkt zulässig sein soll. Es kommt
deshalb auf die - im Verhältnis zum erstinstanzlichen Rechtszug neuen -
84
Ausführungen der Beklagten zu den rechtlichen Befugnissen des Klägers im
Insolvenzeröffnungsverfahren nicht an. Der Senat hat aber trotz der
Ausführungen der Beklagten in dem Stellungnahmeschriftsatz vom 25. Februar
2004 aus den im Hinweisbeschluss ausgeführten Gründen Bedenken, ob die
Beklagte mit diesem neuen Vortrag im Berufungsverfahren überhaupt
zuzulassen ist. Dies kann jedoch im Ergebnis dahinstehen.
(3) Schließlich steht der Anfechtbarkeit auch nicht § 142 InsO entgegen. Nach
dieser Vorschrift ist eine Leistung des Schuldners, für die unmittelbar eine
gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt, nur unter den
Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar. Durch die Formulierung
"für die" bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass die Leistung mit der
Gegenleistung durch Parteivereinbarung verknüpft sein muss (vgl. BGHZ 123,
320 [328]; HK/Kreft, InsO, 3. Aufl. 2003, § 142 Rdn. 4; Kirchhof in MünchKomm.
zur InsO, 2002, 142 Rdn. 5). Eine solche Verknüpfung hat das Landgericht
vorliegend zutreffend verneint. Die Beklagte setzt als Gegenleistung für ihre
Leistung nicht das aus der Zusammenschaltungsvereinbarung von der
Schuldnerin geschuldete Entgelt ein, sondern will die Erfüllung ihrer
Entgeltforderung durch Aufrechnung gegen eine andere gegen sie gerichtete
Forderung der Schuldnerin bewirken. Dies genügt für § 142 InsO nicht. Etwas
anderes ergibt sich auch nicht aus § 15 Abs. 4 TKV.
85
dd) Soweit die Rechnungen der Schuldnerin vom 28. Februar 2001
(6.483.492,30 DM), zugegangen am 12. März 2001, sowie vom 21. März 2001
(7.692.519,88 DM) in Höhe eines Betrages von zusammen 14.176.012,18 DM =
7.248.079,94 €
des Insolvenzeröffnungsantrages) erfolgt, so dass auch die Aufrechnungslage
vor diesem Zeitpunkt entstanden ist und deshalb eine Anfechtbarkeit gemäß §
130 Abs. 1 Nr. 2 InsO ausscheidet. Hinsichtlich dieser Forderungen steht der
§ 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO
entgegen. Auch hiervon ist das Landgericht in der angegriffenen Entscheidung
zutreffend ausgegangen. Die mit der Berufung geltend gemachten und in dem
Stellungnahmeschriftsatz vom 25. Februar 2004 rechtlich vertieften
Einwendungen der Beklagten greifen nicht durch.
86
(1) Da es entsprechend den obigen Ausführungen für das Entstehen der
Aufrechnungslage auf den Zugang der Rechnungen bei der Beklagten
ankommt, ist die Vorschrift des § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO zunächst in zeitlicher
Hinsicht erfüllt. Die beiden genannten Rechnungen vom 28. Februar und 21.
März 2001 sind der Beklagten nach dem 2. Januar 2001 und daher innerhalb
des maßgeblichen 3-Monats-Zeitraums zugegangen.
87
.........
88
b) Nach der Überzeugung des Senats steht fest, dass die Schuldnerin im hier
maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Rechnungen am
12. bzw. 23. März 2001
auch unter Berücksichtigung der vom Bundesverfassungsgericht für eine erneute
Entscheidung gemachten Vorgaben
zahlungsunfähig
InsO war.
89
aa) Da der Senat nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht bereits
90
aufgrund des Tatbestandes des angegriffenen Urteils davon ausgehen darf, dass die
von dem Kläger behauptete Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin im hier maßgeblichen
Zeitpunkt zwischen den Parteien im erstinstanzlichen Verfahren unstreitig war und
bereits deshalb der Entscheidung zugrundezulegen ist, ist er – unter Außerachtlassung
des § 314 ZPO - gehalten, anhand der von der Beklagten in dem ersten Rechtszug
eingereichten Schriftsätze zu überprüfen, ob sie das Bestehen der Zahlungsunfähigkeit
bestritten hatte. Hiervon geht der Senat zugunsten der Beklagten insbesondere im
Hinblick auf die oben unter I. dieses Urteils wiedergegebenen Ausführungen in ihrem
Schriftsatz vom 3. Februar 2003 aus.
bb) Für den Senat steht fest (§ 286 ZPO), dass die Schuldnerin
spätestens am 12.
März 2001
wiedererlangt hat. Dies ergibt sich aus der von der Beklagten nicht widerlegten
Vermutung des §
17 Abs. 2 Satz 2 InsO
InsO gilt (vgl. BGHZ 149, 178 [184]; BGH Urteil vom 12. Oktober 2006 – IX ZR 228/03 -;
veröffentlicht u.a. in NZI 2007, 36 ff.).
91
(1) Gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO begründet die Zahlungseinstellung eine gesetzliche
Vermutung für die Zahlungsunfähigkeit, die von dem Prozessgegner – im
Anfechtungsprozess mithin von dem Anfechtungsgegner – zu widerlegen ist (vgl. BGH
NZI 2007, 36 [37]; HK-InsO/Kirchhof, 4. Aufl. 2006, § 17 Rn. 24). Zahlungseinstellung ist
dasjenige äußere Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise eine
Zahlungsunfähigkeit ausdrückt. Es muss sich deshalb mindestens für die beteiligten
Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass die Nichtzahlung trotz
Fälligkeit eines nicht unerheblichen Teils der Verbindlichkeiten gerade auf einem
objektiven Mangel an Geldmitteln beruht, der länger als drei Wochen andauert (vgl.
BGHZ 149, 178 [184 f.]; HK-InsO/Kirchhof, § 17 Rn. 24). Hierbei steht es der Annahme
einer Zahlungseinstellung nicht entgegen, wenn der Schuldner noch – u.U. sogar
beträchtliche – Zahlungen leistet. Vielmehr reicht die tatsächliche Nichtzahlung eines
erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten für eine Zahlungseinstellung aus. Dies
gilt auch dann, wenn tatsächlich noch geleistete Zahlungen beträchtlich sind, aber im
Verhältnis zu den fälligen Gesamtschulden nicht den wesentlichen Teil ausmachen (vgl.
BGH ZIP 2001, 2097 [2098]; BGH ZIP 2003, 1666 [1668]). Deshalb kann auch die
Nichtzahlung gegenüber einem einzigen Gläubiger ausreichen, wenn dessen
Forderung(en) von erheblicher Bedeutung ist/sind (vgl. BGHZ 149, 100 [198; siehe auch
Bork/Schoppmeyer, Handbuch des Insolvenzanfechtungsrechts, 2006, Teil 4, Kap. 7
Rdn. 76). Da die Zahlungseinstellung nicht verlangt, dass die Zahlungsunfähigkeit
allgemein nach außen in Erscheinung getreten ist, genügt es, wenn sie demjenigen
Gläubiger gegenüber erkennbar wird, der nunmehr Anfechtungsgegner ist (vgl. BGH ZIP
1985, 363 [364]; BGH ZIP 1995, 929 [930]; Schoppmeyer, a.a.O., Rdn. 76 m.w.Nw.).
92
(2) Ausweislich der von dem Kläger als Anlage K 42 vorgelegten Aufstellung (vgl. Bl.
425 d.A.) standen am 12. März 2001 alleine fällige Forderungen der Beklagten gegen
die Schuldnerin in Höhe von
43.124.923,14
ausweislich der als Anlage K 39 (vgl. Bl. 418 ff. d.A.) vorgelegten Aufstellung in ganz
beträchtlichem Umfang auch Forderungen der Beklagten enthalten, die bereits seit
längerem fällig waren und von der Schuldnerin bis zur Stellung des Insolvenzantrages
bzw. bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahren unbedient geblieben sind (vgl. zu der
Relevanz der bis zuletzt nicht beglichenen Verbindlichkeiten des Schuldners im
Rahmen der Vermutung des § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO auch BGH ZIP 2007, 36). Nimmt
93
man insoweit aus Vereinfachungsgründen nur die über einen Betrag in Höhe von
100.000,00 DM hinausgehenden, bis zuletzt nicht bedienten Forderungen in den Blick,
so handelt es sich um die seit dem 19. März 2000 fällige Forderung in Höhe von
500.000,00 DM (Pos. 11 der Liste), um die seit dem 4. November 2000 fällige Forderung
in Höhe von 435.682,69 DM (Pos. 67 der Liste), um die seit dem 2. Februar 2001 fällige
Forderung in Höhe von 10.440.000,00 DM (Pos. 83 der Liste) sowie die seit dem 24.
Februar 2001 fällige Forderung in Höhe von 9.264.447,23 DM (Pos. 87 der Liste). In der
Summe ergibt dies bereits Forderungen in Höhe eines Betrages von mindestens
20.640.129,92 DM
Beklagten zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt (12. März 2001) nicht nur kurzfristig
eingestellt hatte. Diese Zahlungseinstellung begründet die Vermutung der
Zahlungsunfähigkeit. Wie oben ausgeführt, ist es nach der vom Senat geteilten
Auffassung des Bundesgerichtshofs für das Eingreifen der Vermutung unerheblich, dass
die Schuldnerin während des hier streitgegenständlichen Zeitraumes im Hinblick auf
andere, ebenfalls fällige Forderungen, noch Zahlungen an die Beklagte erbracht hat.
Die hiernach vorliegende Zahlungseinstellung war der Beklagten auch bekannt. Nach
den insoweit protokollierten und ohne weiteres nachvollziehbaren Bekundungen des
von dem Landgericht vernommenen Zeugen H. ist in der Buchhaltung der Beklagten für
jeden einzelnen Carrier und damit auch über die Schuldnerin über eingehende
Zahlungen und noch bestehende Rechnungen gesondert Buch geführt worden.
(3) Von den vorstehend aufgeführten Verbindlichkeiten der Schuldnerin gegenüber der
Beklagten hat der Senat in tatsächlicher Hinsicht auszugehen. Dem steht nicht
entgegen, dass die Beklagte das von dem Kläger vorgelegte Zahlenmaterial insgesamt
bestritten hat. Gem. § 138 Abs. 2 ZPO hat sich jede Partei über die von dem Gegner
behaupteten Tatsachen zu erklären. Kommt der Gegner dieser Erklärungsobliegenheit
nicht nach, ist das Vorbringen des Prozessgegners – aus Rechtsgründen – als unstreitig
zu behandeln. So liegt der Fall hier: Dass die Beklagte gegen die Schuldnerin in dem
streitgegenständlichen Zeitraum überhaupt noch Forderungen hatte, wird auch von ihr
nicht bestritten. Dann hätte sie aber im Einzelnen darlegen müssen, in welchem Umfang
die in den Aufstellungen des Klägers aufgeführte Forderungen tatsächlich nicht bzw.
nicht mehr bestanden haben. Hieran fehlt es. Auch im Berufungsverfahren werden von
der Beklagten insoweit keine konkreten Einwendungen erhoben. Sie macht im Kern
geltend, es habe lediglich eine Zahlungsstockung bzw. eine bloße Zahlungsunwilligkeit
der Schuldnerin vorgelegen. Dass ihr – der Beklagten - die von dem Kläger im
einzelnen aufgeführten Forderungen tatsächlich nicht bzw. nur in einem geringeren
Umfang zustanden, wird von ihr nicht behauptet. Etwas Abweichendes ergibt sich
insoweit auch nicht aus dem von ihr in Bezug genommenen Gutachten des
Wirtschaftsprüfers F..
94
(4) Der Beklagten hätte es deshalb oblegen, die hiernach bestehende Vermutung der
objektiven Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin in dem hier streitgegenständlichen
Zeitraum zu widerlegen. Dies ist ihr indes nicht gelungen.
95
Sie macht insoweit geltend, die Schuldnerin sei lediglich zahlungsunwillig, objektiv aber
noch in der Lage gewesen, die noch ausstehenden Forderungen der Beklagten zu
begleichen. Wenn allerdings – wie hier – im fraglichen Zeitpunkt nicht unerhebliche
fällige Verbindlichkeiten bestanden haben, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr
beglichen worden sind, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der der
Senat folgt, regelmäßig von der Zahlungsunfähigkeit zu diesem Zeitpunkt auszugehen.
Etwas anderes gilt nur dann, wenn auf Grund konkreter Umstände, die sich nachträglich
96
verändert haben, damals angenommen werden konnte, der Schuldner werde
rechtszeitig, d.h. innerhalb von spätestens drei Wochen (vgl. hierzu grundlegend BGHZ
163, 134) in der Lage sein, die Verbindlichkeiten zu erfüllen (vgl. BGH NZI 2007, 36
[38]). Dies ist aber nur der Fall, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
zu erwarten war, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig
geschlossen würde (vgl. BGHZ 163, 134).
Soweit die Beklagte insoweit auf Finanzhilfezusagen der Firma X. B. verweist, die diese
gegenüber der Schuldnerin gemacht habe, vermag sie hiermit nicht durchzudringen.
Auch unter Berücksichtigung des von ihr mit Schriftsatz vom 1. März 2005 vorgelegten
Gutachtens des Wirtschaftsprüfers F. ergibt sich keine gegenüber den Ausführungen
des Landgerichts in dem angegriffenen Urteil abweichende Beurteilung.
97
Sämtliche Zahlungszusagen der Fa. X. B. standen unter der Bedingung, dass diese die
Mehrheit an der Schuldnerin erwarb. So heißt es etwa in der Veröffentlichung der Fa. X.
B. vom
Februar 2001,
Aussage beigefügt hatte, wörtlich wie folgt (Bl. 439 d.A.):
98
"Der Erwerb von U. ist ein wichtiger Bestandteil der Europastrategie von X. B..
Deshalb hat X. B. U. gegenüber zugesagt, die Finanzmittel zur Verfügung zu
stellen, die U. benötigt, um Liquiditätsengpässe aufgrund der derzeit schlechten
Ertragslage zu überbrücken und alle Maßnahmen zum Ausbau des Geschäfts
und Verbesserung der Ertragslage zu ergreifen. Diese Bereitschaft ist allerdings
davon abhängig, daß X. B. auch nach Ablauf der nachstehend eingeräumten
Nur wenn sichergestellt
ist
Europastrategie einzubinden, ist X. B. bereit, U. Finanzmittel zur Verfügung zu
stellen." (Hervorhebung durch den Senat)
99
Tatsächlich war diese Bedingung jedoch weder am 12. März 2001 erfüllt, noch ist es in
der Folgezeit zu dem Erwerb der Mehrheit der Aktien durch die Fa. X. B. gekommen, wie
sich auch dem von der Beklagten herangezognen Gutachten des Wirtschaftsprüfers F.
entnehmen lässt (vgl. Seite 171 f. des Gutachtens).
100
Ebensowenig lässt sich aus dem Verkaufsprospekt der Fa. X. B. aus November 2000
eine derart konkrete und sichere Zahlungszusage zugunsten der Schuldnerin
entnehmen, die die Schuldnerin in die Lage versetzte, sämtliche offenstehende
Verbindlichkeiten, die sie aus eigenen Mitteln nicht erfüllen konnte, spätestens
innerhalb von 3 Wochen zu tilgen. Wörtlich heißt es in dem von dem Wirtschaftsprüfer F.
zitierten Verkaufprospekt u.a. wie folgt (Bl. 1906 f. d.A.):
101
"WA ist der Meinung, dass vorhandenes Bargeld und kurzfristige Anlagen, laut
Kreditrahmen zur Verfügung stehende Fremdfinanzierung und zusätzlich
aufgrund des Verkaufs der verbleibenden Vermögenswerte der Anlagengruppe
erwartetes Bargeld WA mit ausreichenden finanziellen Ressourcen ausstatten
wird, um die Liquiditätsanforderungen von WA und der von ihm übernommenen
Unternehmen wenigstens in den nächsten 12 Monaten zu gewährleisten.
102
....
103
WA glaubt, dass das vorliegende Barvermögen, kurzfristige Finanzanlagen und
104
zusätzliche Barmittel, die aus dem Verkauf der verbleibenden Equipment-Group
Vermögenswerte erwirtschaftet werden, genügend finanzielle Mittel bieten
werden, um die Liquiditätserfordernisse von WA und TDF für mindestens die
nächsten 12 bis 18 Monate zu befriedigen."
In diesem Verkaufsprospekt werden lediglich eigene Einschätzungen ("ist der Meinung"
– "glaubt") der Fa. World Access wiedergegeben, die Verbindlichkeiten, die auf sie und
die von ihr übernommenen Unternehmen in den nächsten 12 bis 18 Monaten
zukommen, erfüllen zu können. Demgegenüber wurden hierdurch bereits dem Wortlaut
nach keine unmittelbaren und sofort durchsetzbaren Zahlungsansprüche der
Schuldnerin gegen die Fa. X. B. begründet. Abgesehen davon, dass eine Übernahme
der Schuldnerin durch die X. B. noch nicht stattgefunden hatte und die Schuldnerin
deshalb auch kein "übernommenes Unternehmen" im Sinne des Verkaufsprospekts
war, ist eine Prognose über die zukünftige Liquidität nicht gleichbedeutend mit einer
rechtlich verbindlichen Zahlungszusage. Soweit der Wirtschaftsprüfer F. in dem
Verkaufprospekt gleichwohl eine Zusicherung der Fa. X. B. gegenüber der Schuldnerin
in Gestalt einer sog. harten Patronatserklärung erblickt, der Schuldnerin die
notwendigen finanziellen Mittel für einen Zeitraum von 12-18 Monaten nach November
2000 zur Verfügung zu stellen, findet sich hierfür in dem Prospekt kein Anhaltspunkt. Es
handelt sich um eine fehlerhafte rechtliche Wertung des Sachverständigen, an die der
Senat nicht gebunden ist. Die Beantwortung der (Rechts-)Frage, wie eine bestimmte
Erklärung im Rechtsverkehr auszulegen ist, ist originäre Aufgabe des Gerichts.
105
Ohne die vermeintliche Finanzierungszusage des Fa. X. B. war die Schuldnerin jedoch
auch nach Auffassung des Wirtschaftsprüfers F., auf den sich die Beklagte beruft,
jedenfalls bereits Ende Dezember 2000 zahlungsunfähig und damit auch zu den
vorliegend maßgeblichen Zeitpunkten (12./23. März 2001). Er beanstandet an den
tatsächlichen
lediglich, dass in den von diesem ermittelten Zahlen die "zugesagte Liquiditätshilfe" der
Fa. X. B. nicht enthalten sei (s. S. 95 des Gutachtens). Dass Herr E. den Zeitpunkt der
Zahlungsunfähigkeit bereits auf Ende August 2000 datiert, beruht darauf, dass er –
zutreffend der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgend –
Zahlungsunfähigkeit bereits bei einer Unterdeckung von 10 % bejaht, während Herr F. –
entsprechend dem von der Staatsanwaltschaft erteilten Gutachtenauftrag – erst bei einer
Unterdeckung von 25 % von einer Zahlungsunfähigkeit ausgeht.
106
c) Die Anfechtungsvoraussetzungen des § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO liegen auch in
subjektiver
maßgeblichen Vertreter der Beklagten positive Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit
der Schuldnerin im März 2001 hatten. Die Mitarbeiter der Beklagten hatten zumindest
Kenntnis von solchen Umständen, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen
ließen. Dies steht gemäß
§ 130 Abs. 2 InsO
gleich. Im rechtlichen Ausgangspunkt beanspruchen die nachfolgend zitierten
Ausführungen des Senats in dem Teilbeschluss vom 3. März 2004 weiterhin Geltung:
107
(aa) Gemäß § 130 Abs. 2 InsO steht der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit die
Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit
schließen lassen. Bei dieser Regelung handelt es sich um eine –
unwiderlegliche
tatsächlichen Umstände kennt, aus denen bei zutreffender rechtlicher
Bewertung die Zahlungsunfähigkeit zweifelsfrei folgt, vermag er sich nicht mit
108
Bewertung die Zahlungsunfähigkeit zweifelsfrei folgt, vermag er sich nicht mit
Erfolg darauf zu berufen, dass er den an sich zwingenden Schluss von den
Tatsachen auf die Rechtsfolge selbst nicht gezogen hat (vgl. BGHZ 149, 185;
BGH ZIP 2003, 412; HK/Kreft a. a. O., § 130 Rdn. 26 m. w. N.). Dies entspricht
auch der von der Beklagten zitierten Entscheidung des OLG Düsseldorf (NZI
2003, 439 [440]), von der der Senat deshalb entgegen der Auffassung der
Beklagten nicht abweicht. Inhaltlich ist die Kenntnis von Umständen im Sinne
des § 130 Abs. 2 InsO zu bejahen, wenn sich ein redlich Denkender, der vom
Gedanken auf den eigenen Vorteil nicht beeinflusst ist, angesichts der ihm
bekannten Tatsachen der Einsicht nicht verschließen konnte, der Schuldner sei
zahlungsunfähig. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist vom Standpunkt
des redlichen Verkehrs aus, nach den normativen Maßstab redlich Denkender
zu beurteilen (vgl. BGHZ 133, 250 f.; HK/Kreft, a. a. O.; siehe auch OLG
Frankfurt, ZIP 2003, 1055 f.). Diese Grundsätze hat auch das Landgericht der
angegriffenen Entscheidung zugrundegelegt und in rechtlich nicht zu
beanstandender Weise die subjektiven Anfechtungsvoraussetzungen bejaht.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegen die Voraussetzungen des § 130 Abs.
2 InsO in der Person der Beklagten bzw. der für sie handelnden Vertreter vor.
109
aa) Nach dem aufhebenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts darf der Senat
allerdings nicht bereits aufgrund der entsprechenden Feststellungen in dem Tatbestand
des angefochtenen Urteils davon ausgehen, dass die von dem Kläger behauptete
signifikante Änderung des Zahlungsverhaltens der Schuldnerin ab Oktober 2000 im
ersten Rechtszug unstreitig gewesen ist. Auch insoweit ist der Senat vielmehr gehalten,
anhand der Schriftsätze zu überprüfen, ob und inwieweit die Beklagte die
entsprechende Behauptung des Klägers bestritten hat. Der Senat vermag den oben
wiedergegebenen Schriftsätzen jedenfalls zu entnehmen, dass die Beklagte behauptet
hat, dass auch bereits vor Oktober 2000 ein entsprechend zögerliches
Zahlungsverhalten der Schuldnerin festzustellen war und die Änderung im Oktober
2000 nach der Behauptung der Beklagten zumindest
nicht
vermag jedoch nichts daran zu ändern, dass der Beklagten die
Höhe
Verbindlichkeiten der Schuldnerin gegenüber der Beklagten im März 2001 bekannt war.
Darauf, dass zwischen den verschiedenen Abteilungen der Beklagten eine sogenannte
"Chinese-Wall" bestanden habe, kann sich die Beklagte nicht berufen. Sie muss sich
als juristische Person die von dem maßgeblichen Vertretern erlangte Kenntnis
insgesamt zurechnen lassen.
110
bb) Die Beklagte wusste, dass zu Lasten der Schuldnerin am 12. März 2001 – neben
den ohnehin fälligen Forderungen – Verbindlichkeiten in Höhe von über 20.000.000 DM
offen standen, die die Schuldnerin seit Monaten nicht beglichen hatte. Ausweislich der
von dem Kläger als Anlage K 42 zu dem Schriftsatz vom 20. Dezember 2002
vorgelegten Aufstellung, von der – wie vorstehend aufgezeigt - mangels gegenteiligen,
substantiierten Vortrages der Beklagten auszugehen ist, beliefen sich die fälligen
Verbindlichkeiten der Schuldnerin gegenüber der Beklagten am 12. März 2001 auf
einen Gesamtbetrag in Höhe von über 43 Mio. DM (vgl. Bl. 428 d.A.). Im Zeitpunkt des
Zuganges der zweiten hier relevanten Rechnung am 23. März 2001 waren die fälligen
Verbindlichkeiten sogar auf über 70 Mio DM angewachsen. Aufgrund welcher
Anhaltspunkte die Beklagte davon ausgehen konnte, dass auch sämtliche
Altforderungen binnen 3 Wochen getilgt würden, ist nicht ersichtlich. Dass der
Mutterkonzern der Schuldnerin als Möglichkeit in Aussicht gestellt hatte, die
Verbindlichkeiten der Schuldnerin im Zusammenhang mit einem Aktientausch zu
111
übernehmen, änderte nichts daran und war auch für die Beklagte ersichtlich, dass selbst
bei einer Übernahme der Schuldnerin
nicht innerhalb von 3 Wochen
Liquidität zugeführt würde.
cc) Dass der von der Staatsanwaltschaft beauftragte Wirtschaftsprüfer F. in seinem
Gutachten die Auffassung vertreten hat, dass den Vorstandsmitgliedern der Schuldnerin
eine entsprechende Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit vor April 2001 nicht vorgehalten
werden könne, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Insoweit verkennt die Beklagte den
Unterschied zwischen dem strafrechtlich erforderlichen Nachweis des Vorsatzes und
der nach zivilprozessualen Grundsätzen durchzuführenden Feststellung subjektiver
Tatbestandsvoraussetzungen bestimmter Normen. Der Unterschied zeigt sich etwa an
der vorliegend einschlägigen Vorschrift des § 130 Abs. 2 der Insolvenzordnung.
Hiernach steht die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit die Kenntnis von Umständen
gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen. Eine entsprechende
Vermutungs- bzw. Fiktionsregel lässt sich mit dem strafrechtlichen Schuldgrundsatz
nicht vereinbaren. Nach zivilrechtlichen Grundsätzen kommt es nicht darauf an, ob der
Gläubiger - vorliegend die Beklagte – den aus den ihm bekannten Tatsachen
zutreffenden Schluss gezogen hat. Aufgrund der Kenntnis der Beklagten von den oben
dargelegten objektiven Umständen konnte sie auch nicht auf Äußerungen von
Vorstandsmitgliedern der Schuldnerin gegenüber Vertretern der Beklagten, wonach
Zahlungsfähigkeit gegeben sei, vertrauen. Hierzu hat der Senat in dem Teilbeschluss
vom 3. März 2004 Folgendes ausgeführt, an dem er fest hält:
112
Insoweit vermag auch das Argument der Beklagten, es könnte nicht angehen,
ihr eine größere Kenntnis als den Vorstandsmitgliedern der Schuldnerin selbst
zuzurechnen, die nicht wegen Zahlungsunfähigkeit, sondern nur wegen
drohender Zahlungsunfähigkeit Insolvenzantrag gestellt hätten, nicht zu
überzeugen. Zunächst ist nicht auszuschließen, dass die Vorstandsmitglieder
die finanzielle Situation ihres Unternehmens besser dargestellt haben, als sie
tatsächlich war. Hierauf kommt es jedoch im Ergebnis nicht an. Selbst wenn die
Vorstandsmitglieder keine Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit ihres
Unternehmens gehabt haben sollten, besagt dies als solches nichts über den
Kenntnisstand der Beklagten im Sinne des § 130 Abs. 2 InsO von objektiven
Umständen, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen. Es
gibt keinen allgemein gültigen Grundsatz des Inhalts, wonach die Kenntnis
eines Gläubigers, dass ein Schuldner zu einem bestimmten Zeitpunkt
stets
Schuldners in dem fraglichen Zeitpunkt subjektiv davon überzeugt sind, noch
zahlungsfähig zu sein. Es kommt vielmehr auf die jeweilige Kenntnis des
Gläubigers in dem zur Entscheidung stehenden Einzelfall an. Vorliegend ist
aufgrund der konkreten Umstände
überzeugt, dass den maßgeblichen Mitarbeitern der Beklagten - ungeachtet des
Kenntnisstandes der Organe der Schuldnerin – entsprechende Umstände im
Sinne des § 130 Abs. 2 InsO bekannt waren.
113
.........
114
(ee) Die Erklärungen der Zeugen C.t und H., sie hätten keine Zweifel an der
Zahlungsfähigkeit der Schuldnerin gehabt, auch wenn X. B. keine
Zahlungsmittel erbringe, sind rechtlich unerheblich. Selbst wenn dies als
zutreffend unterstellt wird, kann hierdurch die entsprechend den obigen
115
Rechtsvermutung
widerlegt werden.
3. Der Schriftsatz der Beklagten vom 25. April 2007 gibt dem Senat keine Veranlassung,
die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen (§ 156 ZPO). Soweit die Beklagte hierin
auf Feststellungen in einem nunmehr erstmalig vorgelegten Urteil des Landgerichts
Marburg vom 1. Juni 2006 Bezug nimmt, handelt sich um neuen Vortrag, der gem. den
§§ 296 a, 525 ZPO unberücksichtigt bleiben muss. Der der Beklagten in der mündlichen
Verhandlung gem. § 283 ZPO eingeräumte Schriftsatznachlass sollte ihr (lediglich)
ermöglichen, zu dem etwaig neuen Vorbringen des Klägers in dessen Schriftsatz vom
21. März 2007 Stellung zu nehmen. Der Kläger hatte aber bereits in diesem Schriftsatz
unstreitig gestellt, dass das Landgericht Marburg eine von ihm wegen Verletzung
insolvenzspezifischer Pflichten gegen ehemalige Mitglieder des Vorstands erhobene
Klage abgewiesen habe. Dies stellt deshalb keinen neuen Vortrag dar. Da der
Beklagten die Klageabweisung ausweislich ihres Vorbringens in dem Schriftsatz vom
13. Februar 2007 spätestens zu diesem Zeitpunkt, der deutlich vor dem
Verhandlungstermin vor dem Senat am 28. März 2007 lag, bekannt war, hätte es
ihr
bzw. den sie vertretenden Prozessbevollmächtigten, deren Verschulden sie sich
zurechnen lassen muss (§ 85 Abs. 2 ZPO), im Rahmen einer sorgfältigen
Prozessführung oblegen, sich unmittelbar bei dem Landgericht Marburg um den Erhalt
dieses Urteils zu bemühen und den Inhalt des Urteils nebst etwaig neuen Tatsachen in
den hiesigen Prozess ordnungsgemäß und fristgerecht einzuführen, anstatt sich darauf
zu beschränken, von dem Kläger die Vorlage dieses Urteil zu verlangen. Der Umstand,
dass die Beklagte ausweislich den Ausführungen in dem Schriftsatz vom 25. April 2007
"nunmehr (erstmals) das Urteil des Landgerichts Marburg vom 01.06.2006" erhalten hat,
besagt nichts dazu, warum sie es nicht bereits früher hätte erhalten können. Etwaige
Hindernisse werden von ihr nicht mitgeteilt.
116
Auch der Umstand, dass die Beklagte nach den weiteren Ausführungen ihres
Schriftsatzes vom 25. April 2007 erstmals bekannt geworden sei, dass über die
Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Marburg bereits am 10. Mai
2007 vor dem Oberlandesgericht Frankfurt mündlich verhandelt werde, rechtfertigt die
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht. Insbesondere ist eine etwaige
Vorgreiflichkeit des Berufungsverfahrens vor dem Oberlandesgericht Frankfurt für das
hiesige Berufungsverfahren nicht ersichtlich bzw. dargetan. Es handelt sich um einen
anderen Streitgegenstand (Insolvenzverschleppungshaftung der Vorstandsmitglieder
der Schuldnerin) mit anderen Parteien. Dass sich in dem Verfahren vor dem
Oberlandesgericht Frankfurt möglicherweise in Teilbereichen vergleichbare tatsächliche
und/oder rechtliche Fragen stellen, stellt keinen Grund dafür dar, die Entscheidung in
dem vorliegenden Rechtsstreit, der entscheidungsreif ist, hinauszuschieben.
117
4. Hinsichtlich der noch zur Entscheidung stehenden Hauptsumme in Höhe eines
Betrages von 7.248.079,94 € kann der Kläger zusätzlich Zahlung von Zinsen in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für die Zeit vom 15. Juni 2001 bis zum
12. März 2004 als Rechtshängigkeitszinsen gemäß den §§ 291, 288 BGB
beanspruchen. Auch insoweit ist die Berufung der Beklagten unbegründet. Hierfür kann
dahinstehen, ob die Beklagte entsprechend ihrem Vorbringen in der mündlichen
Verhandlung sowie in dem nachgelassenen Schriftsatz vom 24. April 2007 einen
Zinsbetrag in Höhe von 3.526.314,67 € an den Kläger gezahlt hat. Selbst wenn dies der
Fall wäre, wäre hierdurch der Zinsanspruch des Klägers nicht gem. § 362 Abs. 1 BGB
erloschen, weil die behauptete Zahlung nur der Abwendung der Zwangsvollstreckung
118
aus einem noch nicht rechtskräftigen Titel erfolgte. Einer solchen Leistung kommt keine
Erfüllungswirkung zu (vgl. Palandt/Grüneberg, a.a.O., § 362 Rdn. 12 m.w.Nw).
Soweit der Kläger darüber hinausgehend ursprünglich auch für den 13. und 14. März
2004 eine Verzinsung begehrt hatte, ist die Klage bereits durch das insoweit nicht
aufgehobene Schlussurteil des Senats vom 9. Juni 2004 rechtskräftig abgewiesen
worden.
119
5. Da der Kläger ohne die Zahlung der Hauptsumme durch die Beklagte einen weiteren
Zinsanspruch auch ab dem
13.
Umfang in der Hauptsache erledigt. Da der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor
dem Senat nunmehr für die
ab diesem Zeitpunkt
Erledigungserklärung abgegeben hat, der die Beklagte widersprochen hat, hat auch der
in der einseitigen Erledigungserklärung liegende Feststellungsantrag des Klägers
Erfolg.
120
6. a) Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Da die
Berufung der Beklagten in dem noch anhängigen Umfang keinen Erfolg hat, sind ihr
auch die Kosten des Revisionsverfahrens aufzuerlegen.
121
b) Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre rechtliche
Grundlage in den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Einer Vollstreckbarkeitserklärung bedarf es
insoweit lediglich in Höhe eines Betrages von 7.248.079,94 € nebst Zinsen in Höhe von
5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für die Zeit vom 15. Juni 2001 bis 12. März
2004 sowie wegen der Kostenentscheidung. Die weitergehenden Ansprüche des
Klägers haben entweder keinen vollstreckungsfähigen Inhalt – dies bezieht sich auf die
Erledigungsfeststellung – oder sie sind bereits durch den insoweit nicht vom
Bundesverfassungsgericht aufgehobenen Teilbeschluss des Senats vom 3. März 2004
bzw. durch das insoweit vom Bundesgerichtshof nicht aufgehobene Schlussurteil des
Senats vom 9. Juni 2004 rechtskräftig beschieden und bedürfen deshalb keiner
Erklärung der vorläufigen Vollstreckbarkeit. Die Angabe der Gesamtsumme im Tenor
hat – wie bereits oben ausgeführt - lediglich eine klarstellende Funktion.
122
c) Die Voraussetzungen der Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO) sind
nicht erfüllt. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch bedarf es einer
Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung. Die hier maßgeblichen Fragen insbesondere der
Feststellung der Zahlungsunfähigkeit bzw. der Zahlungseinstellung sind in der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hinreichend geklärt. Die Zulassung der
Revision, weil nach der Einschätzung der Beklagten in deren Schriftsatz vom 25. April
2007 ein anderes Gericht (hier: das Oberlandesgericht Frankfurt a.M.) in einem anderen
Rechtsstreit mit einem anderen Streitgegenstand und anderen Parteien möglicherweise
in Zukunft auf der Grundlage des dortigen Sach- und Streitstandes eine von dem Senat
inhaltlich abweichende Entscheidung treffen könnte, sieht das Gesetz nicht vor. Im
Übrigen beruht die Beurteilung des Streitfalles nur auf einer Würdigung des Vorbringens
zu den konkreten Umständen des vorliegenden Einzelfalles.
123
Berufungsstreitwert: 17.516.283,96 €
124
Hierbei handelt es sich um den höchsten, für die Gerichtsgebühren maßgeblichen Wert.
Dass sich der Streitwert im Verlaufe des Berufungsverfahrens nach dem Teilbeschluss
125
des Senats vom 3. März 2004 auf den Zinsanspruch (bis 3.800.000,00 €) reduziert und
sich nach teilweiser Aufhebung des Teilbeschlusses des Senats durch das
Bundesverfassungsgericht wieder auf einen Hauptsachebetrag in Höhe von
7.248.079,94 € erhöht hat, ist für die Berechnung der Gerichtsgebühren irrelevant.