Urteil des OLG Köln vom 02.10.2009

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Oberlandesgericht Köln, 6 U 95/09
Datum:
02.10.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 U 95/09
Vorinstanz:
Landgericht Bonn, 14 O 18/09
Normen:
UWG §§ 4 Nr. 1 u. 3, 5, 7 Abs. 1 u. Abs. 2 Nr. 1 RiLi 2007/64 EG Art. 57
Tenor:
1.) Die Berufung des Klägers gegen das am 23. April 2009 verkündete
Urteil der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bonn - 14 O
18/09 - wird zurückgewiesen.
2.) Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
3.) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann jedoch die Voll-
streckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund
des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte
vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leistet.
4.) Die Revision wird zugelassen.
G R Ü N D E :
1
I.
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Der Kläger ist ein in die Liste gemäß § 4 UKlaG eingetragener Verband. Er begehrt von
der Beklagten, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung
festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu
sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, bei
Wettbewerbshandlungen an Verbraucher unaufgefordert Schreiben mit der Überschrift
"Unser goldenes Dankeschön für Sie: Die POSTBANK. VISA Card Gold 1 Jahr lang
kostenlos!", in dem eine auf den Namen des Verbrauchers ausgestellte Kreditkarte
"VISA" beigefügt ist, zu versenden, wenn dies geschieht, wie in dem als Anlage
beigefügten Schreiben. Die Anlage enthält folgendes Schreiben:
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Außerdem verlangt der Kläger Ersatz von Abmahnkosten in Höhe von 200 € nebst
Rechtshängigkeitszinsen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung
verfolgt der Kläger sein Begehren weiter; die Beklagte verteidigt das angefochtene
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Urteil.
Im Übrigen wird wegen des Sachverhalts gem. § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf den
Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
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II.
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Die Berufung hat keinen Erfolg.
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1. Der Kläger hat keinen Anspruch gemäß § 8 Abs. 1, 3, § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 1 UWG.
Denn das Anschreiben ist nicht geeignet, auf den Verbraucher unsachlichen Druck
auszuüben oder seine Entscheidungsfreiheit auf andere Weise unangemessen zu
beeinträchtigen.
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Ein Verstoß gegen § 4 Nr. 1 UWG ergibt sich entgegen der Auffassung des Klägers
nicht daraus, dass das streitgegenständliche Schreiben nicht geeignet ist, eine
"gesonderte Warnfunktion" im Hinblick auf die Gefahren des bargeldlosen
Zahlungsverkehrs zu entfalten. Der durchschnittlich informierte Verbraucher weiß um
die Funktionsweise einer Kreditkarte. Er ist mit bargeldlosem Bezahlen vertraut und sich
dessen bewusst, dass diese Zahlungsweise seine finanziellen Möglichkeiten nicht
erweitert. Eine Anlockwirkung, die dem Verbraucher eine rationale Entscheidung über
die Annahme des Angebots unangemessen erschwert, geht daher von einer Werbung
für eine Kreditkarte ohne besondere Warnung nicht aus. Dies gilt auch dann, wenn dem
Verbraucher die (noch nicht einsetzbare) Kreditkarte bereits in die Hand gegeben wird.
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Zu einer anderen Beurteilung führt es auch nicht, dass die Beklagte das Angebot als
"Dankeschön" bezeichnet und als eine Art Treueprämie dargestellt hat. Dem
durchschnittlich aufmerksamen Verbraucher wird der teilweise drucktechnisch
hervorgehobene, als "PS" angefügte Text am unteren Ende des Schreibens nicht
entgehen. Er wird aus der Formulierung, dass ihm der erste Jahresbeitrag in Höhe von
49 Euro geschenkt wird, entnehmen, dass für die Folgejahre dieser Jahresbeitrag zu
zahlen ist. Auch in dem Text wird hervorgehoben, dass die Kreditkarte einen
Jahresbeitrag kostet, den der Verbraucher nur im ersten Jahr und nur bei entsprechend
schneller Beantragung sparen kann. Dass der Verbraucher mit der Aktivierung der Karte
nicht etwa ein Geschenk annimmt, sondern eine rechtlich relevante Erklärung abgibt,
wird ihm zudem dadurch vor Augen geführt, dass er ein umfangreiches Formular u.a.
unter Angabe seiner Kontonummer und seines Nettoeinkommens (vgl. Anlage K 1)
ausfüllen muss, damit die Karte freigeschaltet wird. Ein unangemessener unsachlicher
Einfluss auf den Verbraucher entsteht auch nicht dadurch, dass dieses Formular in dem
Schreiben als "Freischaltungsauftrag" bezeichnet wird. Es ist bereits fraglich, ob der
Verkehr annehmen wird, ein einer Bank erteilter Auftrag wäre nicht mit einer
Kostenbelastung verbunden. Jedenfalls aber ergibt sich aus dem gesamten Inhalt des
Schreibens, dass es sich um ein kostenpflichtiges Angebot der Beklagten handelt. Ein
übertriebenes Anlocken oder eine Verschleierung des Umfangs und der Bedingungen
des gewährten Preisnachlasses (vgl. hierzu Hefermehl/Köhler/Bornkamm, 27. Aufl., § 4
Rdn. 1.95, 1.97 f.) kann daher nicht angenommen werden.
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2. Der Kläger kann sich auch nicht auf § 4 Nr. 3 UWG stützen. Aus den dargelegten
Gründen wird ein Verbraucher nicht verkennen, dass das streitgegenständliche
Schreiben darauf gerichtet ist, ihn zum Abschluss eines neuen, kostenverursachenden
Vertrages zu veranlassen. Der durchschnittlich informierte Verbraucher weiß, dass ein
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"Dankeschön" nicht stets ein reines Geschenk sein muss, sondern auch in einem
Preisnachlass bestehen kann; dass die Beklagte ihm nur einen solchen gewähren will,
wird dem Verbraucher bei durchschnittlicher Aufmerksamkeit nicht entgehen. Daran
ändert es nichts, dass das Schreiben im Rahmen einer bestehenden Vertragsbeziehung
versandt worden ist und auf diese ausdrücklich Bezug nimmt. Verbraucher sind daran
gewöhnt, dass ihre Vertragspartner sie nicht nur wegen des bestehenden
Vertragsverhältnisses anschreiben, sondern sie auch für weitere Produkte aus ihrem
Angebot gewinnen wollen. Zudem wird der Werbecharakter des Schreibens auch
dadurch für den Verbraucher leicht erkennbar, dass dem Anschreiben ein
werbetypisches Faltblatt beigefügt war (vgl. Anlage B 1 - Hülle Bl. 48).
Die Beklagte hat auch nicht dadurch gegen § 4 Nr. 3 UWG verstoßen, dass sie – wie
dies in der Berufungsverhandlung angeklungen ist – nicht bereits auf dem
Briefumschlag kenntlich gemacht hat, dass es sich um ein Werbeschreiben handelt. § 4
Nr. 3 UWG soll den Verbraucher nicht davon schützen, dass Werbung an ihn gelangt,
sondern davor, dass er eine scheinbar neutrale Äußerung nicht als Werbung erkennt.
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3. Auch ein Verstoß gegen § 5 UWG liegt nicht vor. Entgegen der Auffassung des
Klägers wird ein durchschnittlicher Verbraucher mit dem Begriff "Freischaltauftrag" nicht
eine rein technische Vollzugshandlung verbinden, sondern angesichts des weiteren
Inhalts des Schreibens und des auszufüllenden Formulars erkennen, dass er zu einem
neuen Vertragsschluss veranlasst werden soll. Auf die Ausführungen oben unter 1. wird
Bezug genommen.
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4. Schließlich hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Unterlassung aus § 8 Abs. 1, 3,
§ 7 Abs. 1 UWG, denn das streitgegenständliche Schreiben ist keine unzumutbare
Belästigung im Sinne des § 7 Abs. 1 UWG.
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Das Schreiben an sich stellt keine unzumutbare Belästigung dar. Für das Vorliegen der
Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG hat der Kläger nichts vorgetragen.
Außerhalb dessen Anwendungsbereichs ist die Versendung persönlich adressierter
Werbung mittels Brief jedoch grundsätzlich auch ohne vorherige Einwilligung des
Angeschriebenen zulässig. Der Eingriff in die Privatsphäre des Verbrauchers, der den
Brief entgegennehmen, prüfen und ggf. entsorgen muss, wiegt nicht so schwer, als dass
das Absatzinteresse der werbenden Wirtschaft und das Informationsinteresse der
Verbraucher dahinter zurücktreten müsste (Hefermehl/Köhler/Bornkamm, 27. Aufl., § 7
Rdn. 113). Der Werbende ist auch nicht gehalten, die Belästigung des Verbrauchers
dadurch geringer zu halten, dass er bereits auf dem Briefumschlag das Schreiben als
Werbung kennzeichnet, um es dem Verbraucher zu ermöglichen, den Brief ungelesen
zu entsorgen. Zwar ist ein Verbraucher, der Post von einem seiner Vertragspartner
erhält, gezwungen, diese zu öffnen und den Inhalt des Schreibens zumindest
oberflächlich zur Kenntnis zu nehmen. Diese Belästigung ist aber nicht unzumutbar (vgl.
auch Koch in: Ullmann jurisPK-UWG, 2. Aufl. 2009, § 7 UWG Rdn. 150 zur Zumutbarkeit
einer Belästigung durch Briefwerbung, die ein kursorisches Lesen erfordert). § 7 Abs. 2
Nr. 1 UWG kann insofern als Maßstab herangezogen werden. Nach dieser Vorschrift ist
Briefwerbung dann unzulässig, wenn der Verbraucher hartnäckig angeschrieben wird,
obwohl er dies nicht wünscht. Eine vergleichbare Belästigung ergibt sich bei einem
einmaligen Anschreiben durch den Vertragspartner auch dann nicht, wenn der
Verbraucher dieses Schreiben nicht bereits vor dem Öffnen als Werbung identifizieren
kann. Aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs "Briefwerbung" (BGHZ 60, 296 ff.)
kann der Kläger insofern nichts für sich herleiten. Der Bundesgerichtshof hat dort
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lediglich ausgesprochen, dass eine als Privatbrief getarnte Werbung unlauter sei; dies
ist hier jedoch – wie unter Ziff. 2 ausgeführt – nicht der Fall.
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch dann nicht, wenn der Werbebrief (im Rahmen
des datenschutzrechtlich Zulässigen) persönliche Daten des Verbrauchers enthält. Zwar
mag ein Verbraucher sich berechtigterweise veranlasst sehen, Werbung, aus der sich
ergibt, zu wem der Verbraucher Vertragsbeziehungen unterhält und welcher Art diese
sind, gesondert zu entsorgen. So ergibt sich aus dem angegriffenen Schreiben, dass der
angeschriebene Verbraucher Kunde der Beklagten ist. Es mag sein, wie dies der Kläger
in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, dass der Verbraucher den Schutz
dieser Information bei einer Entsorgung über den gewöhnlichen Haus- oder Papiermüll
nicht hinreichend gewahrt sieht. Auf der anderen Seite ist aber zu berücksichtigen, dass
sowohl Verbraucher als auch die werbende Wirtschaft ein erhöhtes Interesse an
zielgerichteter Werbung haben (vgl. auch Koch in: Ullmann jurisPK-UWG, 2. Aufl. 2009,
§ 7 UWG, Rdn. 150). Dass solche Werbung wirksamer ist als anonyme
Massenwerbung, ist nämlich auch darauf zurückzuführen, dass sie in größerem Maße
den Interessen des Verbrauchers Rechnung trägt. Das Interesse des Verbrauchers an
gezielter Information rechtfertigt es daher, ihm, wenn er an dem beworbenen Angebot
kein Interesse hat, die Last aufzubürden, das Werbeschreiben vor der Entsorgung
hinreichend unlesbar zu machen.
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Aus entsprechenden Erwägungen ergibt sich die Unzumutbarkeit der mit dem
Anschreiben verbundenen Belästigung auch nicht daraus, dass dem Schreiben eine auf
den Namen des Verbrauchers ausgestellte Kreditkarte beigefügt war. Dadurch erhöht
sich zwar der Entsorgungsaufwand, weil der Verbraucher die Kreditkarte – anders als
das Schreiben – nicht einfach zerreißen kann, sondern zur Schere greifen muss, um die
aus der Karte ersichtlichen Informationen "Kunde der POSTBANK." und "Name des
Verbrauchers" zu trennen und unkenntlich zu machen; zudem wird sich ein Verbraucher
zusätzlich dadurch veranlasst sehen, die Karte nicht unbeschädigt zu entsorgen, um zu
verhindern, dass diese in die falsche Hände gerät und mit ihr der Eindruck eines validen
Zahlungsmittels vermittelt werden kann. Der Senat verkennt auch nicht, dass die
Übersendung der vorbereiteten Kreditkarte für den Verbraucher nur geringe (rein
zeitliche) Vorteile mit sich bringt. Gleichwohl vermag der Senat darin, dass der
Verbraucher sich veranlasst sehen kann, die Karte zu zerschneiden, keine unzumutbare
Belästigung zu sehen. Dies gilt jedenfalls solange, wie von einer hartnäckigen
Ansprache des Verbrauchers mittels Übersendung einer solchen Karte auch nicht
entfernt die Rede sein kann. Es ist dem Verbraucher bei einer einmaligen Übersendung
einer solchen Karte zuzumuten, nicht nur das Schreiben zu zerreißen, sondern auch die
Karte zu zerschneiden.
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Die Unzumutbarkeit der durch das Anschreiben verursachten Belästigung folgt auch
nicht daraus, dass es sich um einen Fall ähnlich der Zusendung unbestellter Ware
handelte, denn eine solche ist jedenfalls nur dann eine unzumutbare Belästigung, wenn
damit die Erwartung des Absenders verbunden ist, dass der Verbraucher eine
Gegenleistung für diese Ware oder Dienstleistung erbringt oder die Ware zurücksendet
(vgl. Hefermehl/Köhler/Bornkamm, 27. Aufl., § 7 Rdn. 84 f.). Daran fehlt es hier, so dass
auch kein Fall der Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG bzw. des Anhangs I der
Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken vorliegt.
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Schließlich führt Art. 57 der Richtlinie 2007/64/EG ("Richtlinie 2007/64/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über
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Zahlungsdienste im Binnenmarkt) nicht zu einer anderen Beurteilung. Denn zum einen
war diese Richtlinie zum Zeitpunkt der Übersendung des Schreibens fristgemäß noch
nicht umgesetzt und daher unverbindlich. Zum anderen dient diese Richtlinie nicht dem
Schutz von Verbrauchern vor Belästigungen durch Werbung, sondern dem Schutz der
Zahlungsinstrumente; sie betrifft daher nur tatsächlich einsetzbare Zahlungsinstrumente.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung zur
vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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6. Die Revision war zur Fortentwicklung des Rechts zuzulassen, weil von Werbeformen
wie der angegriffenen vielfach Gebrauch gemacht wird und ihre wettbewerbsrechtliche
Zulässigkeit bisher nicht Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung war.
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7. Streitwert für das Berufungsverfahren: 15.000 €.
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