Urteil des OLG Köln vom 26.02.2002

OLG Köln: behandlungsfehler, fehlerhaftigkeit, gestaltung, privatpatient, krankenkasse, wahrscheinlichkeit, therapie, anpassung, anhörung, vollstreckbarkeit

Oberlandesgericht Köln, 5 U 128/02
Datum:
26.02.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 U 128/02
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 11 O 216/99
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 5. Juni 2002 verkündete Urteil
der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 11 O 216/99 - wird
zurückgewiesen.
Auf die Berufung der Beklagten wird das vorgenannte Urteil unter
Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert
und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 54,96 EUR nebst 4% Zinsen
seit dem 6. Juli 1999 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
1
I.
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Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäss § 540 Abs. 2 ZPO
i.V.m. § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
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II.
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Die zulässige Berufung der Beklagten ist zum Teil begründet.
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Dem Grunde nach hat das Landgericht dem Kläger zu Recht einen Anspruch auf
Schadensersatz wegen fehlerhafter Behandlung an der Krone des Zahnes 25
zugesprochen. Der Sachverständige Dr. S. hat nach Auswertung aller ihm zur
Verfügung stehenden Unterlagen (insbesondere auch einschl. der gutachterlichen
Stellungnahme von Prof. K.) mit überzeugender Begründung die Ansicht vertreten, die
Kaufläche habe nicht in der Weise, wie die Beklagte vorgegangen sei, gestaltet werden
dürfen. Der Einwand der Beklagten, bei der Begutachtung durch Prof. K. habe sich die
Fläche nicht mehr in ihrem ursprünglichen Zustand befunden, zieht schon deshalb nicht,
weil die Beklagte eingeräumt hat, dass sie die Kaufläche so, wie von Prof. K.
beschrieben, gestaltet hat. Die Rechtfertigung, die sie für diese Gestaltung anführt, war
bereits Gegenstand ihres erstinstanzlichen Vortrags und ist im Rahmen der
Begutachtung durch Dr. S. berücksichtigt worden. Die Beklagte setzt in ihrer
Berufungsbegründung der gutachterlichen Bewertung durch Dr. S. nur ihre eigene,
abweichende Auffassung entgegen. Das reicht nicht aus, um eine weitere
Sachaufklärung zu veranlassen. Auf die Begutachtung von Prof. K. kann sich die
Beklagte nicht stützen, weil seine Ausführungen widersprüchlich sind. Im
Beweissicherungsverfahren hatte er die Kaufläche noch als fehlerhaft bezeichnet,
wovon er dann in seiner Begutachtung in erster Instanz ohne nachvollziehbaren Grund
abgewichen ist. Bei dieser Sachlage ist es nicht zu beanstanden, dass das Landgericht
den Feststellungen von Dr. S. gefolgt und die Kauflächengestaltung als fehlerhaft
bezeichnet hat.
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Zu Unrecht hat das Landgericht dem Kläger jedoch insoweit einen materiellen
Schadensersatz in Höhe von 584,47 EUR zuerkannt und die Feststellung der
Ersatzpflicht für ggf. weiter anfallende Kosten für den Austausch der Krone an Zahn 25
ausgesprochen. Die Beklagte wendet zu Recht ein, dass dem Kläger insoweit lediglich
der von ihm selbst zu tragende Eigenanteil in Höhe von - nicht bestrittenen - 356,29 DM
(182,17 EUR) als Schadensersatz zusteht. Der Kläger ist als gesetzlich Versicherter
gehalten, den als erforderlich anzusehenden Kronenaustausch im Rahmen der
gesetzlichen Versicherung abzuwickeln; er kann sich nicht auf Kosten der Beklagten als
Privatpatient behandeln lassen. Da die insoweit anfallenden Kosten Folge eines
Behandlungsfehlers sind, steht der gesetzlichen Krankenkasse ein
Schadensersatzanspruch gegen den Kassenarzt zu; nach der Auffassung des BSG
(NJW 1984, 1422, 1423) handelt es sich insoweit um einen im öffentlichen Recht
verwurzelten Anspruch der Kasse gegen den Arzt (vgl. i.e. Schulin-Clemens, Handbuch
des Sozialversicherungsrechts, Band 1, § 36, Rdn. 27). Damit kommt es auf die Frage,
ob ein eventuell in der Person des Klägers entstandener Anspruch - worauf die Beklagte
in erster Instanz abgestellt hat - nach § 116 SGB X auf die Kasse übergegangen ist,
nicht mehr an. Aber selbst wenn man dies annimmt, wäre ein solcher Anspruch bereits
mit seinem Entstehen - das heisst vorliegend: mit der Fehl-behandlung - auf die
Krankenkasse übergegangen und könnte nicht vom Kläger geltend gemacht werden.
Dem Kläger steht mithin in jedem Fall nur der Eigenanteil in Höhe von 182,17 EUR zu.
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Dieser Betrag ist indessen durch die von der Beklagten erstmals in zweiter Instanz
erklärte Hilfsaufrechnung zu kürzen. Die Aufrechnung ist, soweit sie den vom Kläger zu
tragenden Eigenanteil an der Erstellung der Krone auf Zahn 25 betrifft, sachdienlich (§
533 Nr. 1 ZPO) und kann auf erstinstanzlich festgestellte Tatsachen gestützt werden (§
533 Nr. 2 ZPO). Der Kläger will die Rechnung lediglich deswegen nicht gegen sich
gelten lassen, weil die Leistung der Beklagten insoweit unbrauchbar und daher von ihm
nicht zu entlohnen sei. Damit kann er jedoch nicht gehört werden, denn bei
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unbrauchbarer Arbeit eines Zahnarztes, die Nachbesserungskosten auslöst, kann
entweder die Zahlung verweigert werden oder es können im Wege des
Schadensersatzes die weiter anfallenden Kosten geltend gemacht werden. Nachdem
der Kläger sich hier dafür entschieden hat, die Kosten für die Neuanfertigung der Krone
auf Zahn 25 zu verlangen, muss er die von der Beklagten berechneten Kosten
(Eigenanteil) entrichten. Diese betragen unstreitig 127,21 EUR, so dass dem Kläger
noch 54,96 EUR zustehen.
Die Hilfsaufrechnung der Beklagten mit einer zweiten nach ihrer Darlegung
offenstehenden Honorarforderung in Höhe von 247,05 EUR scheitert indes an § 533 Nr.
2 ZPO. Was Grundlage dieser Rechnung ist, ist von der Beklagten nicht substantiiert
vorgetragen. Der Kläger hat in Abrede gestellt, dass die Beklagte die insoweit
abgerechneten Kosten einer gnathologischen Behandlung ihm insgesamt als
Privatpatient aufbürden kann. Insoweit bedürfte es näheren - neuen - Sachvortrages der
Beklagten zur Aufrechnungsforderung, was in der Berufungsinstanz nicht zulässig ist.
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Dem Kläger stehen somit 54,96 EUR zu. Für eine darüber hinausgehende Feststellung
besteht kein zureichenden Anlass. Dass der Eigenanteil ggf. höher ausfallen kann, ist
weder dargelegt noch ersichtlich.
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III.
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Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.
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Dass die Beklagte die beim Kläger bestehende Myoarthropathie fehlerhaft behandelt
hat, steht nicht fest. Eine weitere Sachaufklärung ist auch unter Berücksichtigung des
ergänzenden Vorbringens des Klägers im Berufungsrechtszug nicht veranlasst.
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Soweit der Kläger rügt, die Beklagte habe vor Beginn der Behandlung nur eine
unzureichende Diagnostik vorgenommen, wird schon nicht deutlich, in welcher Weise
die vom Kläger geforderten zusätzlichen diagnostischen Maßnahmen sich auf die
Therapie der Myoarthropathie hätten auswirken können. Die Schienentherapie war
aufgrund der bestehenden Okklusionsprobleme ohne Zweifel indiziert. Das stellt der
Kläger selbst nicht in Frage. Wie die Okklusionsprobleme nach ggf. zu veranlassenden
zusätzlichen diagnostischen Maßnahmen anders als durch eine Schienentherapie
hätten angegangen werden können, legt der Kläger nicht dar. Etwaige diagnostische
Defizite sind deswegen für die tatsächlich durchgeführte und medizinisch notwendige
Schienentherapie nicht relevant geworden.
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Was die Schienentherapie als solche angeht, rügt der Kläger, die Aufbissschiene sei
fehlerhaft gewesen. Dem stehen indes die überzeugenden Feststellungen des zuletzt
herangezogenen Sachverständigen Dr. S. entgegen, der unter Berücksichtigung der
Ausführungen von Prof. K. eine Fehlerhaftigkeit der Schiene gerade nicht mehr sicher
feststellen konnte. Das entspricht letztlich auch den Feststellungen von Prof. K.. Der
Kläger stützt sich zu Unrecht auf dessen Feststellungen im Beweissicherungsverfahren.
Im Klageverfahren hat Prof. K. nämlich klargestellt, "dass es sich weder um eine falsche
Schiene noch um fehlerhafte Kontakte gehandelt haben kann", und zwar unter
Zugrundelegung des - unwiderlegten - Umstandes weitgehender Beschwerdefreiheit
nach Ende der Schienentherapie. Ausgehend davon - und hiermit setzt sich die
Berufung nicht auseinander - sind sichere Feststellungen zur Fehlerhaftigkeit der
Schiene nicht zu treffen. Es bleibt vielmehr dabei, dass sich aller Wahrscheinlichkeit
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nach im Laufe der Behandlung die Bisssituation verändert hat und diese nicht mehr
sicher beurteilbar ist. So hat sich in der Sache letztlich auch Prof. K. geäußert, wenn er
ausgeführt hat, dass die Schiene als Hilfsmittel während einer Behandlung einer
Myoarthropathie notwendigerweise ständig durch Anpassung und Korrektur in ihrer
Gestaltung variabel ist.
Auch hinsichtlich der von der Beklagten zugestandenen Einschleifmaßnahmen vor der
Schienentherapie sind Behandlungsfehler nicht feststellbar. Die Beklagte hat
eingeräumt, sie habe vor der Schienentherapie an den Zähnen 24 und 26
Einschleifmaßnahmen durchgeführt; sie hat dies bei ihrer Anhörung vor dem
Landgericht mit dem Vorliegen von Primärkontakten begründet. Der Sachverständige
Dr. S. hat dazu ausgeführt, Schleifmaßnahmen vor einer Schienentherapie seien
allenfalls in Ausnahmefällen medizinisch indiziert. Er hat es allerdings nicht
ausdrücklich beanstandet, dass die Beklagte Schleifmaßnahmen an den Zähen 24 und
26 vorgenommen hat, sondern er hat insoweit lediglich ausgeführt, er könne heute nicht
mehr nachvollziehen, ob jene Einschleifmaßnahmen vor dem Einsetzen der Schiene
sinnvoll gewesen seien. Damit ist ein Behandlungsfehler nicht bewiesen. Unabhängig
davon ist im übrigen nicht ersichtlich, inwieweit sich ein möglicherweise zu frühes
Einschleifen an den Zähnen 24 und 26 nachteilig für den Kläger ausgewirkt haben sollte
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Dass die Einschleifmaßnahmen nach der Schienentherapie fehlerhaft waren, steht
ebenfalls nicht fest. Auf eine mangelnde Diagnostik kann der Kläger sich nicht berufen.
Insoweit hat der Sachverständige Dr. S. weitergehende Maßnahmen (vor allem eine
erneute Funktionsanalyse) nur für den Fall gefordert, dass der Kläger vor Beginn der
Einschleiftherapie nicht schmerzfrei war. Das ist indes streitig und vom Kläger nicht zu
Beweis gestellt.
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Was die Schleiftheraphie angeht, behauptet der Kläger, die Beklagte habe die Zähne
14, 15, 16, 17, 22, 26, 27, 28, 36, 37, 47 und 48 umfangreich und gleichmäßig
heruntergeschliffen. Stattdessen hätte die Beklagte einen massiven Frühkontakt bei
Zahn 28 beseitigen müssen. Auch damit dringt der Kläger nicht durch. Schleifspuren
sind an einer Vielzahl von Zähnen festgestellt worden. Dass insoweit allerdings - wie
der Kläger jetzt erstmals vorträgt - gleichmäßig "heruntergeschliffen" wurde, hat keiner
der bislang tätigen Sachverständigen festgestellt oder gar moniert. Insoweit handelt es
sich um neuen, unbelegten Vortrag. Dass die Einschleiftherapie letztlich ohne Erfolg
geblieben ist, lässt nicht den Rückschluss auf ihre Fehlerhaftigkeit zu. Konkrete
Behandlungsfehler haben die Sachverständigen insoweit nicht feststellen können.
Soweit Perforationen (sei es neue, sei es verstärkte) vorgekommen sind, sind solche
nach den Ausführungen der Sachverständigen auch bei ordnungsgemäßem
Einschleifen nicht immer vermeidbar. Damit steht ein Behandlungsfehler nicht fest.
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Die Pulpa-Verletzung an Zahn 25 wird vom Kläger nicht mehr als behandlungsfehlerhaft
gerügt; auch werden aus der Behandlung des Zahnes 24 keine Folgen zu Lasten der
Beklagten mehr hergeleitet. Die Gestaltung der Kaufläche der Krone auf Zahn 25 war
zwar - wie dargelegt - behandlungsfehlerhaft und führt zu einer Schadensersatzpflicht
der Beklagten. Immaterielle Nachteile sind indes insoweit nicht substantiiert
vorgetragen, so dass dem Kläger ein Schmerzensgeldanspruch nicht zuerkannt werden
kann.
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Soweit der Kläger schließlich eine unzureichende Aufklärung über das Risiko von
Perforationen bei den Einschleifmaßnahmen rügt, trägt er selbst nicht einmal vor, dass
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ihn eine sachgerechte Aufklärung davon abgehalten hätte, die Maßnahmen durchführen
zu lassen, zumal er selbst die Behandlungsbedürftigkeit der Myoarthropathie
ausdrücklich einräumt.
IV.
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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 92 Abs. 2
Satz 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10,
713 ZPO.
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Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen
nicht vor.
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Berufungsstreitwert
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Berufung des Klägers: 12.387,40 EUR
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Berufung der Beklagten: 892,75 EUR
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13.280,13 EUR
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(s. Beschl. v. 18. Oktober 2002; zusätzlich ist die von der Beklagten erklärte
Hilfsaufrechnung mit 182,17 EUR berücksichtigt)
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