Urteil des OLG Köln vom 15.10.1990

OLG Köln (elterliche gewalt, msa, elterliche sorge, getrennt leben, zgb, gewalt, zuständigkeit, antrag, person, vater)

Oberlandesgericht Köln, 16 W 55/90
Datum:
15.10.1990
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
16. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
16 W 55/90
Vorinstanz:
Amtsgericht Euskirchen, 17 C 76/90
Tenor:
I. Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß der Antrag
der Antragstellerin zurückgewiesen wird.
Die Gerichtskosten tragen die Parteien je zur Hälfte.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
II. Der Antragstellerin wird unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. M. in
L. für das
Beschwerdeverfahren ratenfreie Prozeßkostenhile bewilligt.
G r ü n d e
1
Das zuIässige Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.
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Der Antrag der Antragstellerin, ihr für die Dauer des Getrenntlebens die elterliche Sorge
über das gemeinsame Kind Z. (geb. am 22.09.1986) zu übertragen, ist unzulässig.
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Es fehlt nämlich an der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte. Diese richtet
sich nach dem Minderjährigenschutzabkommen (MSA). Nach Art. 1 MSA sind die
Gerichte des Staates, in dem der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat,
vorbehaltlich der Bestimmungen der Art. 3, 4 und 5 Abs. 1 MSA, dafür zuständig,
Maßnahmen zum Schutze der Person und des Vermögens des Minderjähriqen zu
treffen. Dabei ist die Regelung der elterlichen Sorge unumstritten eine
Schutzmaßnahme im Sinne des Art. 1 MSA (vql. BGHZ 67/255).
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Gem. Art. 263 des türkischen ZGB (die Parteien und der Sohn Z. sind Türken) liegt
jedoch ein Gewaltverhältnis im Sinne des Ar t. 3 MSA vor, so daß nach dem Vorbehalt
in Art. 1 MSA deutsche Gerichte unzuständig sind, da auch die Voraussetzungen des
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Art. 8 MSA - eine ernsthafte Gefährdung der Person oder des Vermögens des
Minderjährigen - nicht gegeben sind (vgl. BGHZ 60/68, 69; SenE vom 24.10.1988 - 21
UF 189/88). Nach Art. 263 türkisches ZGB steht bei Meinungsverschiedenheiten der
Eltern die Entscheidung über die elterliche Gewalt dem Vater zu. Diese hat der
Antragsgegner (Vater) dahingehend ausgeübt, daß er die elterliche Gewalt für sich
beansprucht. Art. 263 türkisches ZGB wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß die
Parteien getrennt leben. In die elterliche Gewalt kann nach türkischem Recht zwar unter
den mit § 1666 BGB vergleichbaren Voraussetzungen, nicht aber durch eine
Sorgerechtsregelung während des Getrenntlebens der Eltern ohne förmliche Trennung
von Tisch und Bett eingegriffen werden (Art. 272 ff., 148 türkisches ZGB; OLG Stuttgart
in NJW 1985/566 m. w. N.).
Da demnach ein Gewaltverhältnis im Sinne des Art. 3 MSA vorliegt und auch Art. 8 MSA
nicht einschIägig ist, sind die deutschen Gerichte unzuständig.
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Dabei übersieht der Senat nicht die gegenteilige Ansicht des OLG Stuttgart (a.a.O.), die
in diesen Vorschriften nur die Anerkennung des ex~lege Gewaltverhältnisses bei der in
der Zuständigkeit des Art. 1 MSA zu treffenden Sachentscheidung fordert. Indes ist der
Wortlaut des Art. 1 MSA in dieser Frage eindeutig. Auch sind die praktischen Bedenken
dieser Ansicht nicht zwingend, weil im Notfall die deutschen Gerichte nach Art. 8 MSA
eingreifen können. Ein darüberhinausgehendes Bedürfnis, entgegen der klaren
gesetzlichen Regelung die Zuständigkeit zu bejahen, besteht nicht.
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Eine ernsthafte Gefährdung des Kindes Z. im Sinne von Art. 8 MSA ist nicht ersichtlich,
wenn das Sorgerecht entsprechend dem ex-lege Gewaltverhältnis beim Antragsgegner
verbleibt. Gründe, die es nach deutschem Recht rechtfertigen würden, dem
Antragsgegner das Sorgerecht zu entziehen (das wäre ein Fall des Art. 8 MSA), sind
nicht ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 13 a FGG.
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Trotz ihres Unterliegens war der Antragstellerin gem. § 119 ZPO (in Verbindung mit § 14
FGG) für das Beschwerdeverfahren ratenfreie Prozeßkostenhilfe zu bewilligen.
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Beschwerdewert: 5.000,-- DM.
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