Urteil des OLG Köln vom 04.02.2009

OLG Köln: aussetzung, bewährung, auflage, steuerhinterziehung, untersuchungshaft, unternehmen, vollstreckung, familie, resozialisierung, härte

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
Aktenzeichen:
Oberlandesgericht Köln, 2 Ws 23/09
04.02.2009
Oberlandesgericht Köln
2. Strafsenat
Beschluss
2 Ws 23/09
I.
Der angefochtene Beschluss wird wie folgt abgeändert :
Die Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe aus
dem Urteil des Landgerichts Köln vom 15.12.2006 –109 -10/06-
wird mit Wirkung zum
6. Februar 2009
zur Bewährung ausgesetzt.
Die Bewährungszeit beträgt drei Jahre.
Der Verurteilte hat sich während der Bewährungszeit straffrei
zu führen.
Dem Verurteilten wird die Weisung erteilt, unter der Anschrift
J. Wohnung zu nehmen und die Strafvollstreckungskammer des
Landgerichts Bonn über jeden Wohnungswechsel während der
Bewährungszeit unverzüglich zu unterrichten.
Dem Verurteilten wird die Auflage erteilt, monatlich einen
Geldbetrag von 100,- € an das
Finanzamt T. auf das Konto Nr. XXX
bei der Bundesbank L., BLZ XXX
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zu zahlen, beginnend ab dem Monat März 2009.
I.
Die Zahlungen sind der Strafvollstreckungskammer des
Landgerichts Bonn zum Aktenzeichen 52 StVK 438/08
halbjährlich unaufgefordert nachzuweisen, erstmals zum
01.07.2009.
II.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dem
Beschwerdeführer hierin entstandenen notwendigen Auslagen
trägt die Staatskasse.
III.
Die Belehrung über die Bedeutung der Strafaussetzung ( § 268
a Abs. 3 StPO) wird dem Leiter der Justizvollzugsanstalt
F. übertragen.
G r ü n d e :
I.
Der Beschwerdeführer verbüßt derzeit im offenen Vollzug eine Gesamtfreiheitsstrafe von 3
Jahren, zu der ihn das Landgericht Köln am 15.12.2006 wegen Steuerhinterziehung in 71
Fällen und Anstiftung zur Steuerhinterziehung in 12 Fällen verurteilt hat. Nach den
Urteilsfeststellungen war der Beschwerdeführer von 1996 bis 2001 über mehrere Jahre als
Mitglied einer ganz überwiegend aus italienischen Staatsangehörigen bestehenden
Personengruppe in Umsatzsteuerhinterziehungen großen Ausmaßes in der Bauwirtschaft
verwickelt. Der von dem Verurteilten verursachte Umsatzsteuerschaden beläuft sich auf rd.
18 Mio DM.
Der Verurteilte hat die Hälfte der gegen ihn verhängten Strafe am 02.01.2009 verbüßt, zwei
Drittel würden am 04.07.2009 verbüßt sein, das Strafende ist für den 05.07.2010 vermerkt.
Der Verurteilte hat mit Verteidigerschriftsatz vom 14.10.2008 ein Halbstrafengesuch
gestellt, das die Strafvollstreckungskammer mit dem angefochtenen Beschluss nach
Anhörung des Verurteilten und Einholung einer Stellungnahme des Leiters der
Justizvollzugsanstalt F. abgelehnt hat.
Gegen diese ihm am 05.01.2009 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 06.01.2009
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bei dem Landgericht eingegangene und mit Verteidigerschriftsatz vom 01.02.2009
begründete sofortige Beschwerde des Verurteilten.
II.
Die gem. § 454 Abs. 3 Satz 1 StPO statthafte, nach § 311 Abs. 2 StPO fristgerecht
eingelegte sofortige Beschwerde ist begründet.
1. Die formellen Voraussetzungen für eine Halbstrafen-Aussetzung auf Grund besonderer
Umstände gem. § 57 Abs. 2 Nr.2 StGB liegen vor.
2. Abweichend von der Auffassung der Strafvollstreckungskammer hält der Senat die
Halbstrafen-Aussetzung auch in der Sache für gerechtfertigt.
a) Dem Verurteilten kann eine uneingeschränkt günstige Sozialprognose gestellt werden,
die in jedem Falle Voraussetzung einer Reststrafenaussetzung ist.
Der im Strafverfahren von Anfang an geständige Verurteilte hat bis zur Begehung der
abgeurteilten Taten ein straffreies Leben geführt. Er hat seit etwa 2003 gemeinsam mit
seiner Ehefrau – mit der er 5 mit gutem Erfolg noch in Schulausbildung bzw. bereits im
Studium befindliche Kinder hat – ein Messebau-Unternehmen aufgebaut, das die
Existenzgrundlage der Familie darstellt. Seiner Beschäftigung in dem Unternehmen konnte
der Verurteilte bald nach Haftantritt weiter nachgehen. Er hat sich nach Eintritt der
Rechtskraft des Urteils am 09.05.2007 und Gewährung eines Strafaufschubs bis
13.01.2008 am 14.01.2008 zum Strafantritt gestellt. Nach dem Führungsbericht des Leiters
der Justizvollzugsanstalt F. vom 10.11.2008 hat sich der Verurteilte den besonderen
Anforderungen des Offenen Vollzugs in allen Belangen gewachsen gezeigt. Die Haft hat
ihn beeindruckt, die Familie nimmt in seiner Lebensplanung die wichtigste Stelle ein. Der
Verurteilte scheint unter den Lebensabschnitt, in dem er die abgeurteilten Straftaten
begangen hat, einen glaubwürdigen Schlussstrich gezogen zu haben.
Zusammengefasst scheint der Verurteilte in allen wesentlichen Belangen gesellschaftlich
so gut integriert, dass es seiner Resozialisierung im Wortsinne nicht bedarf und demgemäß
das Risiko der Begehung weiterer Straftaten gering ist.
b) Darüber hinaus bejaht der Senat abweichend von der Auffassung der
Strafvollstreckungskammer auch besondere Umstände im Sinne des § 57 Abs. 2 Nr. 2
StGB.
Es muss sich dabei um solche Umstände handeln, die über die schon gestellte günstige
Sozialprognose hinaus eine Aussetzung der Hälfte der Strafe rechtfertigen können. Die von
der Rechtsprechung hierzu entwickelten Grundsätze, die auch der Senat vertritt (vgl. u.a.
SenE v. 01.08.2006 – 2 Ws 343/06 -), hat die Strafvollstreckungskammer in der
angefochtenen Entscheidung umfassend dargelegt; darauf wird zur Vermeidung von
Wiederholungen Bezug genommen.
c) Die Strafvollstreckungskammer hat bei der Abwägung der maßgeblichen Umstände u.a.
die von dem Verurteilten nicht zu verantwortende lange Verfahrensdauer erwähnt, aber die
Auffassung vertreten, diese sei bei der Urteilsfindung ausreichend berücksichtigt. Damit
werden aus Sicht des Senats die mit den Grundsätzen eines fairen Verfahrens nicht in
Einklang stehenden Besonderheiten des Verfahrensverlaufes jedoch nicht ausreichend
gewürdigt. Der Verurteilte befand sich vom 14.11.2001 bis zum 24.05.2002 in
Untersuchungshaft, von der er in der Folge unter Aufrechterhaltung des Haftbefehls
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lediglich verschont war. Nachdem immerhin am 19.02.2003 Anklage erhoben worden war,
vergingen ohne nennenswerte Förderung des Verfahrens bis zur 1. Hauptverhandlung, die
am 15.11.2005 mit der Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe endete, annähernd 3 ½
Jahre.
Die lange und außerordentlich belastende Ungewissheit über den Ausgang des
Verfahrens bestand auch nach der Verurteilung aus vom Beschwerdeführer nicht zu
vertretenden Gründen fort, nachdem der BGH auf die Revision der Staatsanwaltschaft das
Urteil vom 15.11.2005 aufhob, weil er die Verhängung einer Bewährungsstrafe als nicht
mehr schuldangemessen ansah. Wenngleich der Verurteilte sich hiernach nunmehr auf die
Verurteilung zu einer zu vollstreckenden Freiheitsstrafe einzustellen hatte, stellte doch die
von der Strafkammer im Urteil vom 15.12.2006 verhängte Freiheitsstrafe von 3 Jahren
einen vom Verurteilten wiederum nicht zu vertretenden Rückschritt für den zwischenzeitlich
erreichten Resozialisierungserfolg und zugleich eine Härte für die familiäre Situation dar.
Darauf hat die Strafkammer in den Strafzumessungsgründen mit Recht hingewiesen, die in
diesem Zusammenhang auch die besondere psychische Verletzbarkeit des damals 11-
jährigen Sohnes des Verurteilten hervorhob, der sich über längere Zeit in psychiatrischer
Behandlung befand.
Im Ergebnis sah sich der Verurteilte aufgrund des Urteils vom 15.12.2006 erstmals 7 Jahre
nach der letzten Straftat und mehr als 4 ½ Jahre nach der Entlassung aus der
Untersuchungshaft mit seiner erneuten Inhaftierung konfrontiert.
Damit ist es zu einer nicht mehr hinnehmbaren rechtsstaatswidrigen Verzögerung des
Verfahrens gekommen, die zusätzlich zur Berücksichtigung bei der Strafzumessung auch
eine Kompensation im Rahmen der Vollstreckung geboten erscheinen lässt.
d) Ins Gewicht fällt im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau daneben auch der
angegriffene Gesundheitszustand des Verurteilten, der – freilich erst im
Beschwerdeverfahren näher ausgeführt und durch Atteste belegt – seit längerem an
Tinnitussymptomen leidet und im Vorjahr zum wiederholten Male einen Hörsturz erlitten
hat, der ärztlich behandelt werden musste. Die gesundheitlichen Beschwerden stellen auch
eine zusätzliche Belastung der beruflichen Tätigkeit des Verurteilten dar, von dessen
persönlichem Einsatz der wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens weitgehend abhängt,
wie die Steuerberaterin in einer von der Verteidigung überreichten Stellungnahme
nachvollziehbar ausgeführt hat.
e) Der Senat hat schließlich auch bedacht, dass der Halbstrafentermin zum
Entlassungstermin bereits um 1 Monat überschritten und der 2/3-Termin bereits in 5
Monaten erreicht sein wird.
3. Der Senat hat die Bewährungszeit auf 3 Jahre festgesetzt, was er angesichts des in der
Höhe der verhängten Strafe zum Ausdruck gekommenen Tatunrechts für angemessen hält.
Zur Sicherstellung der Bewährungsaufsicht durch die Strafvollstreckungskammer wird der
Beschwerdeführer verpflichtet, jeden Wohnungswechsel anzuzeigen. Außerdem ist es aus
Sicht des Senats angebracht, dass der Bestand der Bewährung für den ansonsten von
einschränkenden Weisungen freien Beschwerdeführer fühlbar gemacht wird. Dem dient die
nach § 56 b Abs. 2 Nr. 2 StGB erteilte Auflage zu monatlichen Zahlungen von 100 € an das
Finanzamt, mit denen der Verurteilte einen angesichts der enormen Schadenshöhe
ohnehin nur einen symbolischen Beitrag zur Schadenswiedergutmachung leisten kann und
soll. Mit der monatlichen Zahlungsweise soll die Fühlbarkeit des Stehens unter Bewährung
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unterstrichen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht entsprechender Anwendung von § 476 Abs. 1 Satz 1
StPO.