Urteil des OLG Köln vom 05.01.1996

OLG Köln (vater, tochter, wohl des kindes, zeitlich befristet, eltern, eingriff, entziehung, anordnung, trennung, jugendamt)

Oberlandesgericht Köln, 16 WX 5/96
Datum:
05.01.1996
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
16. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
16 WX 5/96
Normen:
BGB §§ 1666, 1666A;
Leitsätze:
Oberlandesgericht Köln, 16. Zivilsenat, Beschluß vom 05.01.1996 - 16
Wx 5/96 -. Die Entscheidung ist unanfechtbar.
Eingriff in das Erziehungsrecht der Eltern
BGB §§ 1666, 1666a Jeder staatliche Eingriff in das Erziehungsrecht der
Eltern muß so gering, zurückhaltend und behutsam, wie im Einzelfall nur
möglich, gehalten sein. Bevor wegen erzieherischen Fehlverhaltens der
Eltern die endgültige Trennung eines Kindes von seinen Eltern als der
denkbar stärkste Eingriff angeordnet wird, ist eine zeitweise Entziehung
der Personensorge und Trennung zu prüfen, um in Konfliktsituationen
die Chance zu eröffnen, daß die Spannungen - gegebenenfalls auch
durch Inanspruchnahme von Erziehungshilfe - sich beruhigen.
G r ü n d e
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Die gemäß §§ 27, 29 FGG statthafte und auch im übrigen zulässige weitere
Beschwerde des Vaters hat in der Sache keinen Erfolg, da die angefochtene
Entscheidung nicht auf einer Verletzung des Gesetzes beruht (§§ 27 FGG, 550 ZPO).
2
Das Landgericht hat die einstweilige Anordnung des Amtsgerichts vom 11.4.1995, dem
Vater die Personensorge für seine Tochter auf die Dauer von 9 Monaten zu entziehen,
zu Recht bestätigt.
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Im Zeitpunkt der Entscheidung des Amtsgerichts bestand ein dringendes Bedürfnis für
ein unverzügliches Einschreiten des Vormundschaftsgerichts, das ein Abwarten bis zur
Beendigung der notwendigen Ermittlungen nicht gestattete. Vielmehr erforderten die
vorläufigen Ermittlungsergebnisse eine sofortige Maßnahme zur Abwendung einer
drohenden Gefahr für das seelische Wohl der betroffenen Jugendlichen.
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Nach dem dem Vormundschaftsgericht bekannt gewordenen Sachverhalt, der im
wesentlichen vom Vater nicht bestritten wird, bestand der Verdacht einer konkreten
Gefährdung des Kindeswohls, die auf einem Mißbrauch des Sorgerechts durch den
Vater beruhte, und mußte eine mangelnde Bereitschaft oder Fähigkeit des Vaters zur
Gefahrabwendung angenommen werden.
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Das Vormundschaftsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß sich Barbara in
einer seelischen Zwangslage befand, die eine dringende Gefahr zumindest für ihr
seelisches Wohl darstellte, als sie das Jugendamt im Dezember 1994 um Inobhutnahme
bat. Sie wirkte zu dieser Zeit seelisch und körperlich sehr erschöpft. Die seinerzeit fast
16-jährige Jugendliche konnte es nicht länger ertragen, mit ihrem Vater die Ehebetten
im Schlafzimmer teilen zu müssen, keinerlei Möglichkeit zu haben, sich in der
gemeinsamen Wohnung ungestört zurückzuziehen, ferner, daß der Vater sämtliche sie
betreffenden Dinge bestimmte und regelte, sie einsperrte, keinen Besuch von Freunden
zuließ und ihr verbot, jedenfalls hin und wieder noch nach 18.00 Uhr außer Haus zu
sein.
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Dieses Verhalten des Vaters entspricht nicht der gesetzlichen Vorgabe eines
Erziehungsstils, der entwürdigende Erziehungsmaßnahmen verbietet (§ 1631 Abs. 2
BGB) und der die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu
selbständigem verantwortungsbewußtem Handeln zu berücksichtigen hat (§ 1626 Abs.
2 BGB). Mit wachsender Einsichtsfähigkeit und Reife des Kindes wird das elterliche
Erziehungsrecht durch das Grundrecht des Kindes auf freie Entfaltung der
Persönlichkeit (Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz) begrenzt. Mit dem gesetzlichen Leitbild
des § 1626 Abs. 2 BGB ist ein rein auf Gehorsam ausgerichteter und auf Unterwerfung
unter den Willen der Eltern abzielender autoritärer Erziehungsstil nicht zu vereinbaren
(vgl. Palandt-Diederichsen, § 1626 BGB Randziffer 20).
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Für die betroffene Jugendliche ist es - wie das Vormundschaftsgericht zutreffend
hervorgehoben hat - angesichts ihres Alters unzumutbar, mit dem Vater das Ehebett im
Schlafzimmer teilen zu müssen, weil dieser sich ohne erkennbaren Grund weigert, die
allein von ihm und der Tochter genutzte Zweizimmerwohnung in zwei Wohn-
/Schlafzimmer aufzuteilen oder sonst der Tochter einen abgeschlossenen eigenen
Schlafbereich einzurichten und der Tochter den für eine gesunde
Persönlichkeitsentwicklung erforderlichen eigenen Bereich und persönlichen Freiraum
zu schaffen, der es ihr ermöglicht, sich sowohl vom Vater zurückzuziehen als auch sich
mit Freunden zu treffen.
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Das hierin zum Ausdruck kommende autoritäre, die Tochter einengende und von der
Umwelt isolierende Erziehungsverhalten des Vaters ohne Rücksichtnahme auf die
berechtigten Bedürfnisse der Jugendlichen muß - ungeachtet seiner mit der Erziehung
verfolgten guten Absichten - als Sorgerechtsmißbrauch gewertet werden. Dies hat nichts
mit einer Schädigung seines Rufes zu tun. Auch das Amtsgericht hat in seinem
Beschluß keine ehrenrührigen Unterstellungen vorgenommen.
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Die zeitweise Entziehung der Personensorge und Trennung der Betroffenen von ihrem
Vater ist nach §§ 1666, 1666 a BGB zulässig, weil jedenfalls bisher andere Maßnahmen
nicht ausreichten, um die Gefahr für die Betroffene abzuwenden und der Vater mit dem
von seiner Tochter gewünschten Heimaufenthalt nicht einverstanden war. Die
Anordnung steht deshalb auch in Einklang mit Artikel 6 Grundgesetz.
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Das grundrechtlich geschützte Erziehungsrecht der Eltern ist wesentlich ein Recht im
Interesse des Kindes, wie sich schon aus dem Wortlaut des Artikel 6 Abs. 2 Satz 1
Grundgesetz ergibt. Dem entspricht es, daß mit abnehmender Pflege- und
Erziehungsbedürftigkeit sowie mit zunehmender Selbstbestimmungsfähigkeit des
Kindes die im Elternrecht wurzelnden Rechtsbefugnisse zurückgedrängt werden, bis sie
schließlich mit der Volljährigkeit des Kindes erlöschen (BVerfG NJW 1986, 1329, 1330).
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Jeder staatliche Eingriff in das Erziehungsrecht muß so gering, zurückhaltend und
behutsam wie im Einzelfall möglich ausfallen (vgl. OLG Karlsruhe NJW 1989, 2398,
2399). Die Trennung eines Kindes von seinen Eltern stellt den stärksten Eingriff in das
Elternrecht dar und darf deshalb nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit erfolgen.
Diesen Grundsatz hat das Vormundschaftsgericht beachtet, da aufgrund der
Uneinrichtigkeit und mangelnden Kooperationsbereitschaft des Vaters mildere Mittel zur
Gefahrenabwehr nicht ausreichten. Die betroffene Jugendliche hatte sich bereits im
Herbst 1993 an das Jugendamt gewendet und um Inobhutnahme gebeten. Nachdem sie
nach Vermittlung des Jugendamts nach Hause zurückgekehrt war, hat der Vater die
häusliche Situation nicht verändert, sondern seiner Tochter immer wieder vorgeworfen,
sich an das Jugendamt gewandt zu haben. Der Empfehlung, mit der Tochter gemeinsam
die Hilfe einer Erziehungsberatungsstelle in Anspruch zu nehmen, ist er nicht
nachgekommen. Auch bei den vor der amtsgerichtlichen Entscheidung geführten
Gesprächen mit dem Jugendamt hat der Vater die Probleme bagatellisiert und - im
Gegensatz zu seiner Tochter, die sich offensichtlich um eine Verbesserung ihres
Verhältnisses zum Vater bemüht - keine Kooperationsbereitschaft gezeigt, sondern
ausschließlich darauf beharrt, daß seine Tochter nach Hause zurückkehrt. Er geht von
einer familieninternen Problematik aus, die er und Barbara allein zu lösen hätten, bei
der Hilfe von außen unnötig sei.
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Unter diesen Umständen konnte die Personensorge zunächst zeitlich befristet entzogen
werden, um der Tochter die Möglichkeit zur Beruhigung ihrer Situation und dem Vater
die - von diesem allerdings bisher nicht genutzte - Chance zu geben, seine Haltung zu
überdenken und Hilfe von außen entgegenzunehmen.
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Die Anordnung ist auch solange gerechtfertigt, wie der Vater sich weigert, Änderungen
der Wohnsituation vorzunehmen sowie notwendige und geeignete helfende und
unterstützende Maßnahmen anzunehmen. Dazu gehört auch, daß er - anders als bisher
trotz wiederholter Ladungen - zu den vom Gericht anberaumten Anhörungsterminen
erscheint und im persönlichen Gespräch mit dem Vormundschaftsgericht zur Klärung
der Situation beiträgt. Zeigt er sich zur Mitwirkung an einer gemeinsamen Lösung des
Problems bereit, so wird zu prüfen sein, ob die Belassung der Personensorge beim
Vater davon abhängig gemacht werden kann, daß dieser zumindest die äußeren
Bedingungen schafft, die der Tochter eine Rückkehr in seinen Haushalt zumutbar
erscheinen lassen, - möglicherweise auch durch die Anmietung eines Appartements für
sie, wie er selbst mit Schreiben vom 9.8.1995 an das Landgericht angeregt hat -, daß er
ferner gegebenenfalls der Anordnung konkreter Erziehungsmaßnahmen nachkommt,
wozu auch die Auflage gehören kann, die Hilfe einer Erziehungsberatungsstelle in
Anspruch zu nehmen.
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Allerdings wird zu beachten sein, daß bloße Erziehungsfehler zur Rechtfertigung einer
weiteren Trennung von Tochter und Vater nicht ausreichen. Nicht jedes Versagen der
Eltern berechtigt den Staat, diese von Pflege und Erziehung ihres Kindes auszuschalten
oder gar selbst diese Aufgabe zu übernehmen (vgl. BVerfG, a.a.O.). Vielmehr setzen
Maßnahmen nach § 1666 a BGB ein schwerwiegendes Fehlverhalten und
entsprechend eine erhebliche Gefährdung des Kindeswohls voraus. So rechtfertigen
sich aus dem Generationenkonflikt ergebende Probleme in der Regel ebensowenig die
Entziehung der Personensorge wie nicht am Kindeswohl orientierte
Erziehungsmaßnahmen, sofern sie das Wohl des Kindes nicht nachhaltig gefährden.
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Deshalb wird das Vormundschaftsgericht bei seiner Entscheidung über eine endgültige
Entziehung der Personensorge - gegebenenfalls durch Einholung eines
psychologischen Sachverständigengutachtens - aufzuklären haben, ob das körperliche,
geistige oder seelische Wohl der betroffenen Jugendlichen auch dann noch durch das
Erziehungsverhalten des Vaters nachhaltig gefährdet ist, wenn sie aufgrund einer
veränderten Wohnsituation mehr Freiraum gewinnt.
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Die erforderliche Dringlichkeit der einstweiligen Anordnung des Vormundschaftsgerichts
war auch unter Berücksichtigung des Zeitablauf seit ihrem Erlaß im Zeitpunkt der
Beschwerdeentscheidung noch gegeben. Die Voraussetzungen für die Dringlichkeit
einer vorläufigen Maßnahme müssen nur in dem für die Glaubhaftmachung
erforderlichen Grad der Wahrscheinlichkeit (vgl. § 294 ZPO) vorliegen, so daß eine
erschöpfende Sachaufklärung nicht erforderlich ist (vgl. BayObLG NJW 1992, 1971,
1972). Auch nach dem derzeitigen Sachstand, wie er sich aus dem Akteninhalt ergibt, ist
nicht gewährleistet, daß die für das Wohl der Betroffenen dringend notwendigen
Maßnahmen vom Vater durchgeführt werden. Deshalb muß die Tochter derzeit nicht
gegen ihren Willen in seinen Haushalt zurückkehren und kann die vorläufige
Entziehung der Personensorge für einen weiteren Zeitraum nach Ablauf der im
Beschluß des Vormundschaftsgerichts vom 11.4.1995 festgesetzten 9-Monatsfrist
angeordnet werden.
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Die weitere Beschwerde war daher als unbegründet zurückzuweisen. Eine
Kostenentscheidung ist nicht veranlaßt.
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