Urteil des OLG Köln vom 16.01.2008
OLG Köln: wiedereinsetzung in den vorigen stand, eigenes verschulden, inhaftierung, entschuldigung, vorführung, aufwand, form, unterlassen, glaubhaftmachung, entlastung
Oberlandesgericht Köln, 2 Ws 27/08
Datum:
16.01.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ws 27/08
Leitsätze:
Das Ausbleiben eines inhaftierten Angeklagten in der
Berufungsverhandlung ist - auch wenn er sich in anderer Sache in Haft
befindet - in der Regel als entschuldigt anzusehen, so dass ihm gegen
das Verwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO Wiedereinsetzung
gemäß § 329 Abs. 3 ZPO zu gewähren ist.
Tenor:
Dem Angeklagten wird in Abänderung der angefochtenen Entscheidung
auf seine Kosten (§ 473 Abs. 7 StPO) Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand wegen der Versäumung der Berufungshauptverhandlung am
13.12.2007 in dem Strafverfahren Staatsanwaltschaft Köln 602 Js
368/07 gewährt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der darin dem
Angeklagten erwachsenen notwendigen Auslagen trägt entsprechend §
467 StPO die Staatskasse.
Gründe :
1
Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Akten vorgelegt mit dem Antrag, dem
Beschwerdeführer abweichend von der angefochtenen Entscheidung Wiedereinsetzung
zu gewähren.
2
Zur Begründung ist ausgeführt worden :
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"Der Beschwerdeführer ist in dem Verfahren 602 Js 368/07 Staatsanwaltschaft
Köln am 31.07.2007 durch das Amtsgericht Köln - 520 Ds 299/07 - wegen
Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten - ohne Strafaussetzung zur
Bewährung - verurteilt worden (Bl. 33 ff. d.A.).
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Gegen dieses Urteil hat er mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 06.08.2007
Berufung eingelegt (Bl. 38 d.A.).
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Die Ladung zum Hauptverhandlungstermin über seine Berufung, der von dem
Landgericht auf den 13.12.2007 bestimmt worden ist, ist dem Beschwerdeführer am
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19.10.2007 durch Niederlegung unter seiner Wohnanschrift zugestellt worden (Bl.
50, 59, 59 R. d.A.).
Der Angeklagte ist in dem Termin am 13.12.2007 nicht erschienen und hat eine
Entschuldigung für sein Nichterscheinen nicht vorgebracht (Bl. 81 d.A.). In dem
Hauptverhandlungstermin hat der Vorsitzende durch telefonische Rücksprache mit
der Justizvollzugsanstalt erfahren, dass sich der Angeklagte dort seit dem
07.12.2007 in anderer Sache in Haft befindet (Bl. 81 d.A.). Darauf hin hat das
Landgericht Köln mit Urteil vom 13.12.2007 - 151-176/07 - die Berufung des
Angeklagten gemäß § 329 StPO verworfen (Bl. 81 f., 83 ff. d.A.).
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Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 18.12.2007, bei Gericht eingegangen am
19.12.2007, hat der Beschwerdeführer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
wegen Versäumung der Berufungsverhandlung beantragt (Bl. 89 f. d.A.). Zur
Begründung seines Wiedereinsetzungsantrages hat er vorgetragen, er sei am
07.12.2007 in anderer Sache von der Polizei "von der Straße weg" aufgrund eines
Haftbefehls verhaftet worden. Er habe keine Möglichkeit mehr gehabt, seine
Wohnung nochmals aufzusuchen, um wesentliche Schriftstücke - insbesondere die
Ladung zum Termin - in die Justizvollzugsanstalt mitzunehmen. Er sei daher
entschuldigt gewesen. (Bl. 90 d.A.).
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Mit Beschluss vom 20.12.2007 hat das Landgericht Köln - 151-176/07 - den Antrag
auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung verworfen, der
Beschwerdeführer hätte bei seiner Einlieferung in die Justizvollzugsanstalt Köln
auf den bevorstehenden Hauptverhandlungstermin hinweisen können bzw. seinen
Verteidiger von seiner Festnahme unterrichten können. Daher sei sein
Nichterscheinen nicht entschuldigt (Bl. 92 f. d.A.).
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Gegen diesen, seinem Verteidiger am 31.12.2007 zugestellten (Bl. 96 d.A.)
Beschluss hat der Beschwerdeführer mit Schriftsatz seines Verteidigers vom
02.01.2008, bei Gericht eingegangen am 03.02.2008, sofortige Beschwerde
eingelegt (Bl. 97 f. d.A.).
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Er hat seine bisherige Antragsbegründung wiederholt und ergänzend vorgetragen,
einem inhaftierten Angeklagten sei es als Entlastung grundsätzlich zugute zu
halten, dass er an einen bevorstehenden Verhandlungstermin nicht oder nur zu
spät denke, weil er eine bereits vor der Inhaftierung erhaltene Ladung nicht in den
Hände habe oder annehme, die Justizverwaltung, die ihn in Strafhaft genommen
habe, werde selbst dafür Sorge tragen, dass er bei dem anderen Gericht vorgeführt
werde. Daher könne ihm nicht vorgeworfen werden, dass er in der
Justizvollzugsanstalt nicht auf den bevorstehenden Berufungstermin hingewiesen
habe. Dem Gericht sei vor Erlass des Urteils auch bekannt gewesen, dass der
Angeklagte sich in Haft befunden habe. Der Angeklagte habe aufgrund seines sehr
schlechten Namensgedächtnisses auch nicht seinen Verteidiger informieren
können. Der Angeklagte sei daher genügend entschuldigt gewesen (Bl. 98 f. d.A) .
11
II.
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Die gemäß § 329 Abs. 3 in Verbindung mit § 46 Abs. 3 StPO statthafte, und auch
sonst form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde, hat in der Sache
Erfolg.
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Das Landgericht hat den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand zu Unrecht als unbegründet verworfen, da dieser vorgetragen
hat, dass er ohne eigenes Verschulden an der Versäumung der
Berufungsverhandlung gehindert war.
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Einer Glaubhaftmachung gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO im Hinblick auf die
Inhaftierung des Angeklagten bedurfte es vorliegend nicht, da dies aktenkundig war
(vgl. Meyer-Goßner, StPO, 50 Aufl., § 45 Rdn. 6 m.w.N.).
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Wie die Verteidigung zutreffend ausgeführt hat, ist das Ausbleiben eines
inhaftierten Angeklagten - auch wenn er sich in anderer Sache in Haft befindet - zu
einem Hauptverhandlungstermin in der Regel als entschuldigt anzusehen (Meyer-
Goßner, StPO, 50. Aufl., § 329 Rdn. 24, Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 329
Rdn. 20; OLG Düsseldorf VRS 80, 37, 39 m.w.N.).
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Der Rechtsbegriff der genügenden Entschuldigung ist im Interesse des
Angeklagten weit auszulegen. Dabei kommt es auf die wirkliche Sachlage und
nicht darauf an, ob seitens des Angeklagten Entschuldigungsgründe vorgebracht
oder gar glaubhaft gemacht worden sind (vgl. nur Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl.,
§ 329 Rdn 20, 34 m.w.N.).
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Hiervon ist vorliegend auszugehen. Es gereicht einem inhaftierten Angeklagten
nicht zum Verschulden, wenn er sich in anderer Sache in Haft befindet, und zwar
auch dann nicht, wenn er es unterlassen hat, das Berufungsgericht auf seine
Inhaftierung hinzuweisen oder sonst auf seine Vorführung hinzuwirken (Meyer-
Goßner, StPO, 50. Aufl. Rdn. 24; Löwe-Rosenberg, StPO, 25.Aufl., Rdn. 20; OLG
Braunschweig, NStZ 2002, 163 m.w.N.). Dies gilt in vorliegendem Fall umso mehr,
als das erkennende Gericht bereits vor Erlass des Urteils Kenntnis über die
Inhaftierung des Angeklagten gehabt hat und eine Vorführung ohne Aufwand
möglich gewesen wäre.
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Daher ist dem Angeklagten gemäß § 44 StPO antragsgemäß Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsverhandlung zu
gewähren."
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Dem stimmt der Senat zu und weist darauf hin, dass die Auffassung der
Generalstaatsanwaltschaft auch der Rechtsprechung des Senats entspricht, vgl. SenE
vom 02.03.07 – 2 Ws 95/07 -. Mit dieser Entscheidung ist, wie der Senat anmerkt, eine
ebenfalls von dem Vorsitzenden der 1. kleinen Strafkammer des Landgerichts Köln
getroffene Entscheidung abgeändert worden.
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