Urteil des OLG Köln vom 11.03.1992

OLG Köln (kläger, eröffnung des konkurses, sequester, höhe, konkurseröffnung, konkurs, abgrenzung zu, bundesrepublik deutschland, sequestration, schaden)

Oberlandesgericht Köln, 24 U 136/91
Datum:
11.03.1992
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
24. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
24 U 136/91
Vorinstanz:
Landgericht Bonn, 15 0 381/90
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Bonn
vom 26. April 1991 (15 0 381/90) teilweise abgeändert und wie folgt neu
gefaßt: Es wird festgestellt, daß der Beklagte dem klagenden Land den
Schaden zu ersetzen hat, der dadurch entstanden ist, daß der Beklagte
während seiner Tätigkeit als amtlich bestellter Sequester im Verfahren
auf Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der M. GmbH, A. 37,
B. (25 N 168/87, AG Bonn) umsatzsteuerpflichtige Veräußerungen von
Wirtschaftsgütern der M. GmbH in Höhe von insgesamt 697.420,-- DM
netto genehmigt oder getätigt hat. Die weitergehende Klage wird
abgewiesen. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Von den
Kosten des Rechtsstreits tragen der Beklagte 78 %, der Kläger 22 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung in Höhe von 8.500,-- DM abwenden, wenn
nicht der Kläger zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet. Der Kläger darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 2.500,-- DM
abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit
leistet. Den Parteien wird gestattet, die Sicherheit auch durch
selbstschuldnerische und unbefristete Bürgschaft der
Landeszentralbank, einer Großbank, Volks- oder Raiffeisenbank oder
öffentlich-rechtlichen Sparkasse mit Sitz in der Bundesrepublik
Deutschland zu leisten. Die Revision wird in dem in den
Entscheidungsgründen näher dargelegten Umfang zugelassen.
T a t b e s t a n d
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Das klagende Land nimmt den Beklagten in entspre-chender Anwendung von § 82
KO auf Feststellung einer Schadensersatzpflicht wegen eines drohenden
Umsatzsteuerausfalls von bis zu 125.935,74 DM aus umsatzsteuerpflichtigen
Veräußerungsgeschäften in Anspruch, die der Beklagte als Sequester über das
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Vermögen der M. GmbH in der Zeit vom 15. Juli bis 31. August 1987 getätigt bzw.
genehmigt hat.
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Die M. GmbH, eine Bauunternehmung, wurde im März, spätestens im Mai 1987
zahlungsunfähig. Am 15. Ju-li 1987 stellte ihr Geschäftsführer Konkursantrag. Das
Konkursgericht - Amtsgericht Bonn - ordnete mit Beschluß vom selben Tage - 12.15
Uhr - die Se-questration an und verhängte ein allgemeines Ver-äußerungsverbot
gegen den Schuldner. Der Beklagte wurde zum Sequester bestellt.
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In erster Instanz war unstreitig, daß die Schuld-nerin einige Zeit vor der Stellung des
Konkursan-trages Verhandlungen mit der Firma B. & B. AG über den Verkauf des
Anlagevermögens und noch nicht fertiggestellter Baustellen unter Übernahme der
beschäftigen Arbeitnehmer geführt hatte. Unmittel-bar nach Anordnung der
Sequestration kam es noch am 15. Juli 1987 unter Zustimmung des Beklagten als
Sequester zu einer Vereinbarung zwischen der Schuldnerin und der Firma B. & B. ,
derzufolge diese oder eine von ihr zu benennende Firma ab 20. Juli 1987 einen Teil
der begonnen Baustellen und die 43 Arbeitnehmer der Schuldnerin zu näher
geregelten Bedingungen gegen ein Entgelt von 202.121,-- DM netto übernahm. Die
auf den Baustel-len eingesetzen Geräte sollten bis zum 31. August 1987 mietfrei auf
den Baustellen bleiben und die übernehmende Gesellschaft bis zum 18. August 1987
ein Angebot zum Erwerb auf der Grundlage einer zu erstellenden Versteigerungsliste
machen können. Der Geschäftsführer der Schuldnerin und der Se-quester stimmten
ferner der Verwendung des Namens "M." zur Gründung einer neuen Gesellschaft zu.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Vereinbarung wird auf die Anlage B 2 des
Anlagenheftes ver-wiesen.
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Durch Vereinbarung vom 30. Juli 1987 übernahm die von B. & B. als
einhundertprozentige Tochter ge-gründete M. L. GmbH Teile der Büro- und
Geschäfts-ausstattung zum Preis von 28.000,-- DM netto.
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Am 26. August 1987 erwarb die M. L. GmbH aufgrund einer Vereinbarung mit dem
Beklagten Baumaschinen zum Preise von letztlich 669.420,-- DM netto. Der Preis
beruhte auf dem Bewertungsgutachten des Versteigerers R. vom 18. August 1987,
wegen dessen Inhalt auf Bl. 31 ff. der Konkursakten 25 N 168/87 AG Bonn, Bezug
genommen wird.
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Nachdem der Beklagte dem Konkursgericht unter dem 13. August 1987 seinen
Bericht vorgelegt hatte, wurde das Konkursverfahren über das Vermögen der M.
GmbH am 1. September 1987 eröffnet und der Beklagte zum Konkursverwalter
bestellt. Das Ver-fahren ist noch nicht abgeschlossen. Der Kläger hat Zahlungen auf
die Umsatzsteuerforderungen, die infolge der vorstehend beschriebenen Geschäf-te
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entstanden sind, bisher nicht erhalten. Die Parteien gehen davon aus, daß die
Forderungen Konkursforderungen im Rang von § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO darstellen, der
Beklagte hat sie in Höhe von 120.847,-- DM als bevorrechtigte Konkursforderung
unter I./II., laufende Nummer 8 zur Konkurstabelle anerkannt. Gläubiger mit
Forderungen dieses Ranges werden nur eine der Höhe nach noch nicht festste-
hende Quote erhalten.
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Das Finanzamt B. verlangte vom Beklagten mit Haftungsbescheid vom 12. April 1990
nach §§ 191, 69, 34 Abs. 3 AO Zahlung von 164.015,85 DM, weil er für die zu
entrichtende Umsatzsteuer hafte. Auf Einspruch des Beklagten wurde die
Haftungssumme durch Bescheid vom 8. Februar 1991 auf 32.216,94 DM
herabgesetzt; dies entspricht dem Umsatzsteuer-betrag für die Veräußerung der
Baustellen vom 15. Juli und von Ausstattungsgegenständen am 30. Juli 1987. Der
Beklagte erhob hiergegen Klage beim Fi-nanzgericht Köln.
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Der Kläger begehrt die Feststellung der Schadens-ersatzpflicht des Beklagten für den
Länder- und den Bundesanteil an der Umsatzsteuer, nachdem ihm die
entsprechende Umsatzsteuerforderung des Bundes abgetreten worden ist.
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Der Kläger hat behauptet, der Beklagte habe das Anlagevermögen der Schuldnerin
aus eigenem Antrieb veräußert. Ihm sei es dabei nicht um die Erhaltung der Masse,
sondern vornehmlich darum gegangen, die Umsatzsteuer als Konkursforderung, statt
als Mas-seforderung zu begründen. Der Kläger hat die An-sicht vertreten, der
Beklagte habe mit der Veräu-ßerung des Betriebsvermögens vor Konkurseröffnung
seine Befugnisse als Sequester überschritten und insoweit ihm, dem Kläger,
gegenüber sequesterspe-zifische Pflichten verletzt. Er sei nur berechtigt gewesen,
das Vermögen für das künftige Konkurs-verfahren zu sichern. Hätte er sich
pflichtgemäß verhalten, so wären die Umsatzsteuerforderungen
Masseverbindlichkeiten geworden und er hätte - un-streitig - volle Befriedigung
erlangt.
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Der Kläger hat beantragt,
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festzustellen, daß der Beklagte ihm den Schaden zu ersetzen hat, der dadurch ent-
standen ist, daß er während seiner Tätigkeit als amtlich bestellter Sequester im
Verfah-ren auf Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der M. GmbH, A. 37, B.
(25 N 168/87 AG Bonn), umsatzsteuerpflichtige Veräußerun-gen von
Wirtschaftsgütern in Höhe von insge-samt 899.541,-- DM netto genehmigt hat.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat behauptet, die Veräußerungen während des Sequestrationsverfahrens hätten
die Konkursmasse von Verbindlichkeiten von mindestens 588.771,-- DM entlastet,
nämlich von Löhnen und Gehältern für August 1987 in Höhe von rund 155.400,-- DM,
den Kosten eines sonst abzuschließenden Sozialplanes in Höhe von 231.250,-- DM
und Wertminderungen der Baustellen durch Mängelgewährleistungs- und
Verzugsansprüche der Bauherren, die den erzielten Erlös verhindert hätten. Der
Beklagte hat in den Veräußerungen Maßnahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung
gesehen, zu denen er mit Zustimmung der Schuldnerin berechtigt gewesen sei. Eine
Pflicht des Sequesters, so hat er ausgeführt die Gefähr-dung der Befriedigung der
Gläubigergemeinschaft durch Hinnahme von Wertverlusten und Anwachsen der
Passiva in Kauf zu nehmen, nur damit eine Umsatz-steuerforderung des Fiskus nach
Konkurseröffnung begründet und damit bevorzugt befriedigt werden könne, bestehe
nicht. Er, der Beklagte, habe le-diglich von einer gesetzlich vorgegebenen Gestal-
tungsmöglichkeit im Interesse der Masse und damit der Gläubigergemeinschaft
Gebrauch gemacht. Er ha-be jedenfalls dem Kläger gegenüber sequesterspezi-fische
Pflichten nicht verletzt.
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Das Landgericht hat durch Urteil vom 26. April 1991 die Klage abgewiesen. Zur
Begründung hat er im wesentlichen ausgeführt: Der Beklagte habe keine
sequesterspezifische Pflicht dem Kläger ge-genüber verletzt. Der Sequester sei unter
Mitwir-kung des Schuldners berechtigt, Betriebsvermögen zu veräußern, wenn
hierdurch der Erhalt der Masse nicht gefährdet werde.
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Der Kläger hat gegen dieses ihm am 3. Mai 1991 zugestellte Urteil am 29. Mai 1991
Berufung ein-gelegt und diese nach Verlängerung der Berufungs-begründungsfrist -
zuletzt bis zum 11. Oktober 1991 - mit einem an diesem Tage eingegangenen
Schriftsatz begründet.
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Der Kläger wendet sich vor allem gegen die Rechts-auffassung des Landgerichts und
ergänzt seinen er-stinstanzlichen Sachvortrag.
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Der Kläger bestreitet, daß die Schuldnerin im Zeitpunkt der Veräußerung schon
Verkaufsabsichten gehabt hätte und daß die Arbeitnehmer nicht mehr arbeitswillig
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gewesen waren. Im übrigen trägt er vor: Der Sequesterbericht lasse durchaus die
Annahme zu, daß der Betrieb habe fortgeführt werden können. Der Beklagte habe
sich in der ent-scheidenden Frage, ob das Unternehmen fortgeführt werden könne,
am 15. Juli 1987 geradezu blind auf den Geschäftsführer der späteren
Gemeinschuld-nerin verlassen. Die vom Beklagten als vermieden behaupteten
Kosten und das Vorbringen, daß ein Aufschub der Veräußerung zu einer erheblichen
Einschränkung der Verwertungsmöglichkeiten geführt hätte, wohl mit Nichtwissen
besritten. Die einzel-nen Veräußerungstatbestände seien differenziert zu betrachten.
Jedenfalls bei der zweiten und dritten Veräußerung sei es nicht um Vermeidung von
Ver-bindlichkeiten gegangen. Das klagende Land sei der sicheren Überzeugung,
daß der Beklagte jedenfalls mit der dritten Veräußerung vier Tage vor Konkur-
seröffnung planmäßig die von ihm angesprochenen Gestaltungsmöglichkeiten zu
Lasten des Fiskus habe ausspielen wollen. Sequesterspezifische Pflichten dürften
nicht aufgrund nachträglicher Beurteilung des wirtschaftlichen Erfolges bestimmt
werden, weil die Vermeidung der Umsatzsteuer als Massever-bindlichkeit immer ein
wirtschaftlicher Erfolg für die Masse sei, zumal sie dem Erwerber in Rechnung
gestellt und zur Masse eingezogen werde. Der Se-quester dürfe eine nahezu
vollständige Liquidation des Betriebes nur vornehmen, wenn dies zwingend geboten
sei, nicht wenn er sie für wirtschaftlich opportun halte.
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Der Kläger beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach seinen erstinstanzlichen
Schlußanträgen zu erkennen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und tritt dem Vorbringen des Klägers
entgegen. Insbesondere meint er, der Sequester sei nicht verpflichtet, sich ihm
bietende günstigende Ver-wertungsmöglichkeiten ungenutzt zu lassen, damit der
Fiskus die Umsatzsteuer als Masseverbindlich-keit erhalte, während allen übrigen
bisherigen Gläubigern Schaden zugefügt werde. Zudem habe er keine gerade dem
Kläger gegenüber bestehenden Pflichten verletzt.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der
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gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, das angefochtene Ur-teil und die
Konkursakte 25 N 168/87 AG Bonn Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Berufung des Klägers ist zulässig und überwie-gend begründet.
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1. Für die Klage ist nach § 13 GVG der Rechts-
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weg zu den ordentlichen Gerichten gegeben. Es handelt sich um einen bürgerlichen
Rechts-streit, weil der geltend gemachte Schadens-ersatzanspruch nach den
vorgetragenen Tatsa-chen aus einem Sachverhalt hergeleitet wird, der nach
bürgerlichem Recht, nämlich entspre-chend § 82 KO, zu entscheiden ist. Für die
Abgrenzung, ob die Haftung des Beklagten nach § 69 AO oder § 82 KO zu
beurteilen ist, ist abzustellen darauf, ob der Sachverhalt die Verletzung einer Pflicht
ergeben kann, die auf dem Konkursrecht oder auf dem Steuer-recht beruht (vgl.
BGH, ZIP 1989, 50). Der Kläger leitet eine Pflichtverletzung des Be-klagten daraus
her, daß er als Sequester der Veräußerung von Vermögen der späteren Gemein-
schuldnerin zugestimmt bzw. zum Teil selbst Vermögen veräußert hat, obwohl er
hierzu als Sequester nicht berechtigt gewesen sei, dies vielmehr dem späteren
Konkursverwalter vorbe-halten sei. Nicht gestützt ist die Klage auf den
steuerrechtlich zu beurteilenden Sachver-halt, daß der Beklagte die bis zum 10.
August 1987 fälligen Umsatzsteuern nicht angemeldet und nicht gezahlt hat. Der
Umstand, daß bei-de behaupteten Pflichtverletzungen teilweise denselben
Schaden verursacht haben können, schließt es nicht aus, daß (nur) für die aus dem
Zivilrecht herleitbare Pflichtverletzung der ordentliche Rechtsweg gegeben ist.
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Auch die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzun-gen für Klage und Berufung liegen
vor. Insbe-sondere besteht ein Rechtsschutzbedürfnis für die Feststellungsklage. §
191 Abs. 4 AO steht nicht entgegen, weil mit den dort angespro-chenen nicht
steuerlichen Ansprüchen zivil-rechtliche Ansprüche anderer als der hier geltend
gemachten Art gemeint sind (vgl. BGH a.a.0.). Eine etwaige Verpflichtung des Be-
klagten aufgrund der im finanzgerichtlichen Verfahren geltend gemachten
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Haftungsgrund-lage, einen Teil der Umsatzsteuerforderung zu zahlen, steht der
begehrten Feststellung der Haftung aus zivilrechtlichen Vorschriften nicht entgegen;
sie würde nur die Höhe der Forderung mindern können.
1. Der Beklagte haftet dem Kläger in entspre-
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chender Anwendung von § 82 KO für den Umsatz-steuerausfall, der durch die
Genehmigung bzw. Tätigung der Veräußerungsgeschäfte vom 30. Juli und 26.
August 1987 entstanden ist; eine Verantwortlichkeit für den Schaden aufgrund der
Veräußerung vom 15. Juli 1987 besteht nicht.
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1. Grundlage der Haftung des Beklagten ist § 82 KO. Die entsprechende
Anwendung die- ser Regelung auf den Sequester ist aner-kannt (vgl. BGHZ 105,
230 = NJW 1989, 1034 = JZ 1989, 396 mit Anmerkung Gerhardt) und sachgerecht.
Danach haftet der Sequester, wenn er ihm den Beteiligten gegenüber oblie-gende
Pflichten verletzt.
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2. Die Pflichten des Sequesters im Konkurs- eröffnungsverfahren sind gesetzlich
nicht näher geregelt. Grundlage seiner Bestel-lung ist § 106 Abs. 1 Satz 2 KO.
Danach zielt seine Bestellung darauf ab, daß er die zur Sicherung der Masse
dienenden Maßnahmen zu treffen hat. Hieraus und aus der Abgrenzung zu den
Pflichten des Konkursverwalters nach § 117 Abs. 1 KO wird überwiegend,
insbeson-dere auch vom Bundesgerichtshof, hergelei-tet, daß der Sequester
grundsätzlich nur Sicherungsmaßnahmen treffen darf (vgl. z. B. BGHZ 104, 151 (2.
Zivilsenat); BGHZ 105, 230 (9. Zivilsenat); Weiß, Insolvenz und Steuern, RWS-
Skript 211, 1989, Seite 2 bis 9; Uhlen-bruck, KTS 1990, 15 ff., 18 f.; Gerhardt, ZIP
1982, 1 ff., 7). Dementsprechend wird allge-mein der Sequester nicht für befugt
gehalten, den Betrieb des Schuldners stillzulegen und zu liquidieren. Auch die
genannte Entschei-dung des 2. Zivilsenats hat diesen Grundsatz betont und
offengelassen, ob eine Ausnahme gerechtfertigt sein kann, wenn die Sicherung des
Schuldnervermögens bei als gewiß voraus-zusehender Konkurseröffnung dies
"zwingend" gebiete, wobei nicht ausreichen könne, daß das Unternehmen
verlustbringend sei. Aus der weiteren Ausführung: "Einer trotzdem vorge-
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nommenen Unternehmensveräußerung könnte al-lenfalls die Zustimmung des
Schuldners als des Rechtsträgers und - wenn auch aufgrund des mit der
Sequestration verbundenen allge-meinen Veräußerungsverbots vorübergehend in
der Ausübung dieser Befugnis beschränkten - Verfügungsberechtigten zur
Wirksamkeit ver-helfen" ist nicht herzuleiten, daß nach Auf-fassung des
Bundesgerichtshofs vom Sequestra-tionszweck nicht gedeckte Veräußerungen mit
Zustimmung des Schuldners den Aufgaben und Pflichten des Sequesters
entsprechen (so wohl Onusseit, ZIP 1990, 345 ff.). Der 2. Zivilse-nat hat mit dieser
eher nebenbei und hypothe-tisch geäußerten Ansicht in einem Fall, in dem es um
die Anwendbarkeit von § 25 Abs. 1 HGB und § 419 BGB beim Erwerb eines
Unterneh-mens vom Sequester und nicht entscheidungs-erheblich um
Pflichtüberschreitungen des Se-questers ging, eine so weit reichende Aus-sage
nicht treffen wollen. Dies ergibt sich auch aus dem unmittelbaren Zusammenhang,
in den die zitierte Äußerung gestellt ist; im anschließenden Satz wird nämlich die
Schluß-folgerung gezogen, daß eine Veräußerung des Unternehmens vor
Konkurseröffnung rechtlich einer Veräußerung durch den Schuldner näher-steht als
einer solchen durch den Konkursver-walter.
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Nach Auffassung des Senats ist es im Ansatz unzutreffend, bei der Untersuchung
des Zwecks der Sequestration, wie der Beklagte und das Landgericht, die
Interessen des Schuldners in den Vordergrund zu stellen. Vielmehr sind
systematische Einordnung der Sequestra-tion und gesetzliche
Interessenbewertungen für mögliche Gläubiger im Konkursverfahren zu
berücksichtigen. Dem entspricht es, wenn der Bundesgerichtshof den Zweck dahin
umschreibt, die Sequestration solle im Interesse gere-gelter Insolvenzabwicklung
das Vermögen des Schuldners intakt halten (BGHZ 105, 230). Maßnahmen des
Sequesters erfolgen im Eröff-nungsverfahren, also
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- bevor feststeht, ob der Konkurs eröffnet wird und
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- ohne Einbindung in nach Konkurseröffnung
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vorgesehene Verfahrensgänge (z. B. Beteili-gung der Gläubigergemeinschaft
gemäß §§ 132 ff. KO) und ohne daß die gesetzlichen Be-wertungen der §§ 57 bis
60 KO unmittelbar gelten.
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Nur der erstgenannte Umstand kann durch Zu-stimmung des Schuldners
unerheblich werden, während die weiteren Rechte nicht seiner Dis-position
unterliegen.
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Die vom Beklagten vertretene Auffassung, wo-nach er nicht nur zur Sicherung der
Masse unabweisbare Geschäfte vornehmen dürfe, son-dern aus wirtschaftlichen
Gründen im Interes-se der Gesamtheit der Gläubiger günstige Ver-
wertungsmöglichkeiten nutzen dürfe, geht über den nach dem gesetzlichen System
vorgesehen Zweck der Sequestration, die Sicherungsfunk-tion hat, hinaus. Eine
solche, möglicherweise aus der wirtschaftlichen Entwicklung von In-solvenzfällen
hergeleitete vermeintlich not-wendige weite Auslegung der Befugnisse des
Sequesters darf das gesetzliche System der Insolvenzabwicklung und die dabei
vorgesehe-nen Schutzmaßnahmen zugunsten Dritter, die zum Teil nicht unmittelbar
Beteiligte sind, nicht unterlaufen. Solchen allgemeinen wirt-schaftlichen und
eventuell auch sozialen Entwicklungen Rechnung zu tragen, ist dann Aufgabe des
Gesetzgebers, wenn die Ergebnis-se nicht mehr durch eine Gesetzesauslegung
gewonnen werden können, die die Wertungen und Systematik, in die eine
Rechtsnorm ge-setzt ist, respektiert. Will man also mit dem Beklagten aufgrund von
wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen dem Sequester Ver-
wertungsbefugnisse einräumen, die denjenigen des Konkursverwalters
entsprechen, so setzt das im Rahmen des geltenden Gesetzes grund-sätzlich
voraus, daß die durch das Gesetz als schutzwürdig gewerteten Belange der am
Konkursverfahren Beteiligten gewahrt werden können.
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Nach §§ 58 Nr. 2, 59 Abs. 1 Nr. 1, 57, 60 KO sind Ausgaben für die Verwertung der
Masse und Ansprüche aus Geschäften oder Handlungen des Konkursverwalters
besonders bevorrechtig-te Massekosten und -schulden. Die Umsatzsteu-
erforderungen aus Verwertungshandlungen des Beklagten nach Konkurseröffnung
würden zu diesen Forderungen gehört haben. Wenn es zu-trifft, daß sie bei
Vornahme der Verwertung durch den Sequester keine Masseforderungen, sondern
nur Konkursforderungen nach § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO sind, so steht dies der vom
Beklagten vertretenen ausdehnenden Aus-legung der Sequesterbefugnisse
entgegen. Der Bundesgerichtshof hat diese Frage bisher of-fengelassen (BGHZ 97,
87), aber angedeutet, daß er die von einem Teil des Schrifttums be-fürwortete
entsprechende Anwendung des § 224 Abs. 1 Nr. 5 KO oder § 106 Vergl0 (vgl. auch
Gerhardt a.a.0., Seite 8) für nicht unbedenk-lich hält. Der Bundesfinanzhof hält die
durch Handlungen des Sequesters begründeten Umsatz-steuerforderungen für
Konkurs- und nicht für Masseforderungen (vgl. ZIP 1986, 849, 851; ZIP 1989, 384),
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weil sie vor Konkurseröffnung begründet wurden und deshalb nach § 3 Abs. 1 KO
nur als Konkursforderung geltend gemacht werden können. Der Senat teilt die
Bedenken gegen die Zulässigkeit einer Behandlung sol-cher Forderungen als
Masseverbindlichkeiten. Eine solche Einordnung würde allerdings zu einer
wünschenswert einfachen Rechtsanwendung führen, weil sich eine klare, nicht
durch In-teressenabwägungen mit Rechtsunsicherheit be-haftete Lösung des
Problems ergäbe. Der Senat hält sie aber für rechtlich nicht zulässig. Dabei
erscheint die Begründung des Bundes-finanzhofs (ZIP 89, 386) nicht überzeugend,
soweit darauf abgestellt wird, die Umsatz-steuerschuld beruhe nicht auf Geschäften
mit dem Finanzamt. Weder nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 KO noch nach §§ 58 Nr. 2, 59
Abs. 1 Nr. 1 KO ist Voraussetzung, daß die Verbindlich-keit aus einem Geschäft mit
einem bestimmten Vertragspartner herrührt. Auch die Bezugnahme von § 224 Abs.
1 Nr. 5 nur auf § 59 Nr. 1 KO steht einer Analogie nicht entgegen. Diese spezielle
Bezugnahme erlaubt zwar keine unmittelbare Analogie bei Verwertungshandlun-
gen des Sequesters, weil die daraus herzulei-tenden Ansprüche § 58 Nr. 2 KO
unterfallen. Das allein schließt aber eine Anwendung des Rechtsgedankens, daß
die aus Handlungen des Vermögensverwalters herrührenden Schulden be-
vorrechtigte Masseverbindlichkeiten sein sol-len, nicht aus. Dem stehen aber
allgemeine Grundsätze der Rechtsanwendung entgegen. Die in § 224 Abs. 1 Nr. 5
KO und § 106 VerglO für besondere Sachverhalte getroffenen Rege-lungen können
nicht auf andere Sachverhalte übertragen werden. Eine entsprechende Anwen-
dung von gesetzlichen Regelungen und ihnen zugrundeliegenden Rechtsgedanken
setzt eine Gesetzeslücke voraus. Diese entsteht bei der vorliegenden Problematik
nur, wenn die Befug-nisse des Sequesters über die gesetzliche Sy-stematik hinaus
weit gesehen werden. In einem solchen Fall ist die Auslegung der Befugnisse des
Sequesters der richtigere Weg für sach-gerechte Lösungen. Selbst wenn man aber
eine Lücke in der gesetzlichen Regelung der Seque-sterbefugnisse annimmt, fragt
sich, ob sie im Wege richterlicher Rechtsfortbildung durch entsprechende
Anwendung anderer Regelungen ergänzt werden kann. Für die Aufzählung der
bevorrechtigten Konkursforderungen nach § 61 KO hat das
Bundesverfassungsgericht (ZIP 1984, 78, 80 f.) es abgelehnt, daß im Wege
richterlicher Rechtsfortbildung Abfindungsan-sprüche aus Sozialplan als
bevorrechtigte Konkursforderungen behandelt werden, weil je-des Konkursvorrecht
eine Ausnahme vom Gebot der Gleichbehandlung aller Konkursgläubiger darstellt
und die Begründung neuer Vorrechte in die abschließende, d. h. nicht lückenhafte
Regelung des § 61 KO mit ihrer zwingend fest-gelegten Rangordnung eingreife;
hierzu sei nur der Gesetzgeber, nicht der Richter be-fugt. Wenn dies auch nicht
unmittelbar auf die Fragestellung des vorliegenden Falles zu übertragen ist, weil es
nicht um die Erwei-terung des Katalogs von Vorrechten geht, sondern um die
Anwendung des Vorrechts "Mas-segläubiger" auf die Situation der Sequestra-tion,
so sind doch die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung berührt, wenn geregelte
Vorrechte auf eine so nicht geregelte andere Verfahrenssituation übertragen
werden. Jeden-falls erscheint bei so problematischer Grund-lage für eine
entsprechende Anwendung auf an-dere Sachverhalte, die nur deshalb ungeregelt
erscheinen, weil eine das System des Geset-zes erweiterende Auffassung von
Befugnissen des Sequesters eine regelungsbedürftige Lücke hervorruft, der Weg
richtiger, die weite Aus-legung der Sequestrationsaufgaben nicht zuzu-lassen.
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Für eine ausdehnende Auslegung kann auch nicht ins Feld geführt werden, daß
sich ei-ne allgemeine Überzeugung gebildet habe, wo-nach der mit den §§ 57 bis
60 KO verfolgte Zweck in Fällen der vorliegenden Art nicht mehr beachtenswert
erscheint. Das Gegenteil ergibt sich aus den Bestrebungen, über eine Anwendung
der den §§ 224 Abs. 1 Nr. 5 KO und 106 VerglO zugrundeliegenden
Rechtsgedanken die unerwünschten Folgen abzuwenden. Auch die Bemühungen
um die Reform des Insolvenzrechts gehen davon aus, daß Regelungen getroffen
werden müssen, wonach die Verbindlichkeiten aus Handlungen des vorläufigen
Insolvenzver-walters - auch Umsatzsteuerforderungen - aus der Insolvenzmasse zu
bestreiten sind (vgl. für den Referentenentwurf Uhlenbruck, KTS 1990, Seite 15 ff.,
19/20, 23/24; Regierungs-entwurf, §§ 25, 26, 29 Abs. 2, 64 Abs. 2 nebst
Begründung, BR-Drucksache 1/92, dort auch Seite 106/107).
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Demnach muß es im Grundsatz dabei verblei-ben, daß die Aufgaben des
Sequesters sich auf Sicherungsmaßnahmen beschränken und ei-ne Verwertung
des Schuldnervermögens dem Kon-kursverfahren vorbehalten bleibt. Diese Auf-
fassung steht auch damit in Einklang, daß die sachkundigen Beteiligten des
Reformvorha-bens eine wirtschaftliche oder soziale Not-wendigkeit für
Verwertungshandlungen im Kon-kurseröffnungszeitraum nicht sehen. Denn der
Regierungsentwurf erweitert - dem Referenten-entwurf folgend - nicht den
Aufgabenkreis des Sequesters gegenüber der hier dargestellten Auffassung nach
geltendem Recht; eine Verwer-tung des Schuldnervermögens durch den vorläu-
figen Insolvenzverwalter ist nicht vorgese-hen, er soll auf die
Unternehmensfortführung und z. B. erforderliche Notverkäufe verderb-licher Waren
beschränkt sein.
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Der Grundsatz, daß die Sicherungsaufgabe des Sequesters eine Veräußerung von
Schuldner-vermögen nicht gestattet, besagt nicht, daß in Ausnahmefällen nicht
auch eine Veräuße-rung dem Sicherungszweck dienen kann. Ei-ne solche
Beurteilung kann gerechtfertigt sein, wenn Interessen einzelner Beteilig-ter aufgrund
zwingender übergeordneter In-teressen zurückstehen müssen. Nicht ausrei-chend
hierfür ist nach den vorstehenden Über-legungen entgegen dem Landgericht, daß
der Schuldner zustimmt und daß insgesamt für die Masse Nachteile nicht entstehen,
weil hier-bei die differenzierte Bewertung der Gläubi-gerinteressen nach der
Konkursordnung außer Betracht bleibt (vgl. auch die kritische Stellungnahme von
Weiß, a.a.0., Seite 9). Es erscheint dem Senat aber sachgerecht, solche mit
Zustimmung des Schuldners vorgenommenen Verwertungshandlungen als noch
mit dem Sicherungszweck vereinbare Maßnahmen anzusehen, die sonst
eintretende unverhältnismäßig große Einbußen für die Masse abwenden. Wann
danach eine Pflichtverletzung vorliegt, ist aufgrund einer im Einzelfall notwendigen
Interessenabwägung festzustellen. Ob hierbei auch soziale Gesichtspunkte, wie z.
B. die Erhaltung von Arbeitsplätzen, berücksichtigt werden dürfen, bedarf im
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vorliegenden Fall nicht der Entscheidung.
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Aus der vorstehend entwickelten Umschreibung der Aufgaben des Sequesters
ergibt sich zu-gleich, wem gegenüber er Aufgaben zu erfül-len hat und wer
Beteiligter im Sinne des entsprechend angewandten § 82 KO ist. Im
Konkursverfahren wird der Begriff des Betei-ligten weit ausgelegt (vgl. BGH NJW
1987, 844, 845). Beteiligter ist derjenige, dem-gegenüber der Konkursverwalter sich
aus der Konkursordnung ergebende, also konkursspezi-fische Pflichten zu erfüllen
hat. Das sind alle, deren Interessen durch eine Verletzung der dem Verwalter
obliegenden Pflichten un-mittelbar beeinträchtigt werden können, und zwar auch
dann, wenn sie selbst nicht am Kon-kursverfahren beteiligt sind oder erst durch
Handlungen des Konkursverwalters zur Konkurs-masse in Beziehung treten,
insbesondere sind Beteiligte die Konkursgläubiger und die Mas-segläubiger (vgl.
Kilger, Konkursordnung, 15. Aufl., § 82 Anm. 2; Kuhn-Uhlenbruck, Konkurs-
ordnung, 10. Aufl., § 82 Rdn. 8, jeweils m.w.N.). Bei entsprechender Anwendung
dieser Haftungsnorm auf den Sequester ist Beteilig-ter jeder, demgegenüber der
Sequester sich aus seiner Aufgabe aufgrund seiner Stellung als Sequester
ergebene Pflichten zu erfül-len hat. Diese Definition knüpft wie beim
Konkursverwalter an die Aufgaben an, so daß entscheidend ist, ob jemand von
Handlungen des Sequesters, die sich aus seiner spezifi-schen Aufgabe ergeben,
betroffen sein kann; nicht entscheidend ist dagegen die formale oder zeitliche
Zuordnung einer Person zu dem Konkurs- bzw. Sequestrationsverfahren. Es ist
dementsprechend nicht erheblich, ob eine Person schon im Zeitpunkt der Handlung
des Sequesters Ansprüche gegen den Schuldner hat oder erst durch die Handlung
des Sequesters in den Kreis der - späteren - Konkursgläu-biger tritt. Denn das
gesetzliche Schuldver-hältnis nach § 82 KO (analog) entsteht nicht erst im
Haftungsfall, sondern mit der Konkur-seröffnung bzw. bei entsprechender
Anwendung des § 82 KO der Anordnung der Sequestration (vgl. auch Reichold,
KTS 1989, 291 ff., 301, der auch speziell die haftungsrechtli-che Verpflichtung des
Sequesters gegenüber Massegläubigern nach §§ 58 ff. KO erwähnt). Diese
Auffassung steht mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Einklang,
insbeson-dere mit den Entscheidungen, in denen die Verletzung
konkursspezifischer Pflichten be-tont wird. Für den Konkursverwalter hat der
Bundesgerichtshof früher (NJW 1958, 1351) die Auffassung vertreten, daß der
Vertragsgegner des Konkursverwalters, mit dem er einen Ver-trag schließt, durch
den ein Masseanspruch erst begründet wird, Beteiligter ist, auf den sich der Schutz
des § 82 KO erstreckt. Diese Auffassung hat der Bundesgerichtshof aufge-geben
(BGH, ZIP 1990, 242, 245), allerdings mit der schon in NJW 1987, 844
angedeuteten Begründung, die besondere Pflicht müsse sich aus der
Konkursordnung, nicht aus allgemeinen Gesetzen, die den Konkursverwalter als
Ver-handlungspartner eines Dritten treffen, erge-ben. Aus dieser Begründung ist zu
schließen, daß für die Frage, ob jemand Beteiligter ist, nicht darauf abzustellen ist,
ob er erst durch die Handlung des Konkursverwalters Gläubiger wird, sondern
darauf, welcher Art die behauptete Pflichtverletzung bei dieser Handlung ist.
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3. Bei Beurteilung des vorliegenden Sachver- verhalts nach diesen Kriterien hat der
Beklagte durch die Genehmigung der Veräußerungsgeschäfte vom 15. Juli 1987
seine Pflicht als Sequester nicht verletzt, während die nachfolgenden Geschäfte
durch den Sicherungszweck nicht gedeckt waren.
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1. Die Veräußerung der in den teilfertigen
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Baustellen steckenden Vermögenswerte und die damit verbundenen weiteren
Rechtsge-schäfte am 15. Juli 1987 waren zur Abwen-dung unverhältnismäßig
großer wirtschaft-licher Einbußen für die spätere Konkurs-masse erforderlich.
Obgleich mit diesen Maßnahmen der entscheidende Schritt für die Liquidierung des
Unternehmens getan wurde, rechtfertigt die Interessenabwägung das Vorgehen,
jedenfalls im Hinblick auf die schutzwürdigen Belange des Klägers. Der Kläger
bestreitet nicht, daß die Firma B. & B. zum Erwerb der halbfertigen Bau-stellen und
zur Übernahme der Arbeitnehmer nur bereit war, wenn sie unmittelbar nach Stellen
des Konkursantrags erfolgte. Da die Firma B. & B. sich auch die Verwendung des
Bestandteils des Firmennamens "M." für die zu gründende Nachfolgegesellschaft
si-cherte, ist dies auch einleuchtend. Daß der vom Beklagten erzielte Preis nicht
sachgerecht war, behauptet der Kläger nicht. Nach dem Sach- und Streitstand, wie
er dem Senat vorliegt, trifft es zu, daß der Beklagte mit dieser Veräußerung erheb-
liche Ansprüche von der Konkursmasse ab-gewendet hat. Ohne eine - fast -
nahtlose Weiterführung der Baustellen drohten hohe Verzugs- und
Gewährleistungsansprüche der Bauherren. Soweit der Kläger dies bestrei-tet, kann
auf die gegenteilige Lebenser-fahrung zurückgegriffen werden. Ob diese den
erzielten Preis für die Baustellen erschöpft hätten, kann letztlich dahin-stehen. Denn
es hätten ferner Beträge in einer Größenordnung von 150.000,-- DM für
Lohnforderungen von 43 Arbeitnehmern für August 1987, die nach § 61 Abs. 1 Nr. 1
KO bevorrechtigte Konkursforderungen geworden wären, und von über 200.000,--
DM für den Abschluß eines Sozialplanes im Range des § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO die
Masse belastet. Soweit der Kläger diese Behauptungen des Beklagten bestreitet, ist
sein Vorbringen mangels Konkretisierung unerheblich. Er stellt nicht in Abrede, daß
es im vorlie-genden Fall tatsächlich zum Abschluß und zur Erfüllung eines
Sozialplanes nicht ge-kommen ist. Zur Höhe der Lohnforderungen hätte der Kläger
aufgrund der Lohnsteuer-voranmeldungen für die vorausgegangenen Monate
genauer vortragen können. Die Höhe der Sozialplankosten ist auf der Grundla-ge
der Lohnforderungen nachvollziehbar ge-schätzt.
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Einsparungen dieser Größenordnung bei ei-ner im Bericht des Beklagten vom 13.
Au-gust 1987 ermittelten freien Masse von rund 867.000,-- DM erscheinen so
bedeu-tend, daß unter Abwägung gegen die Inter-essen des Klägers anzunehmen
ist, daß die Veräußerung zur Sicherung der Konkursmasse geboten war. Die dem
Kläger etwa entste-henden Nachteile (14 % von 202.121,-- DM = 28.296,94 DM)
wiegen allein den ersparten Lohn- und Sozialplankosten gegenüber so gering, daß
die Bewahrung der Masse vor diesen um mehr als zehnfach höheren Kosten
erforderlich war. Der Senat trifft diese Wertung, obwohl er der Argumentation des
Beklagten, er mache sich andernfalls den anderen Konkursgläubigern gegenüber
scha-densersatzpflichtig, nicht zustimmt.
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Dem massesichernden Zweck der Veräußerung steht die im Berufungsverfahren
neue Be-hauptung des Klägers, nach dem Bericht des Sequesters sei eine
Betriebsfortführung durchaus möglich gewesen, nicht entgegen. Diese Behauptung
ist nicht hinreichend substantiiert. Auch der Umstand, daß der Kläger bestreitet, daß
die Arbeitnehmer nicht mehr arbeitswillig gewesen seien, führt nicht zu einer
anderen Bewertung. Es handelt sich lediglich um eine Vermu-tung, deren
Berechtigung schon deshalb zweifelhaft ist, weil am 15. Juli 1987 der Zeitraum, den
die Arbeitnehmer als durch Konkursausfallgeld abgedeckt sehen konnten, fast
vorüber war. Nach dem Gesetz über Konkursausfallgeld (§ 141 b) besteht der
Anspruch nämlich nur für die letzten der Eröffnung des Konkursverfahrens vor-
ausgehenden drei Monate, im vorliegenden Fall waren Löhne und Gehälter sei Mai
1987 nicht gezahlt worden. Zudem würde allein die weitere Arbeitsbereitschaft der
Mitar-beiter für die Möglichkeit der Betriebs-fortführung nicht ausreichen.
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Unerheblich ist schließlich, ob der Erlös erst nach Konkurseröffnung zur Masse ge-
langt ist, weil die entsprechende Forde-rung gegen B. & B. hinsichtlich ihrer Si-
cherheit nicht fraglich war und die Aufga-be des Sequesters nicht darauf beschränkt
ist, die Durchführung des Sequestrations-verfahrens sicherzustellen.
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Der Kläger kann seinen Schadensersatzan-spruch bezüglich dieser Veräußerung
auch nicht auf die weiter dem Beklagten vorge-worfene Pflichtverletzung stützen, er
ha-be der Veräußerung der mit den Baustel-len verbundenen Vermögenswerte
ohne aus-reichende Prüfungsmöglichkeit wenige Stun-den nach der Anordnung der
Sequestration zugestimmt. Der Kläger leitet einen Scha-den nicht aus einem zu
geringen Erlös, sondern aus der Veräußerung vor Konkurser-öffnung her. Die hier
untersuchte behaup-tete Pflichtverletzung hat den geltend ge-machten Schaden
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nicht verursacht. Hätte der Beklagte nach gründlicherer Prüfung, die jedenfalls
geraume Zeit vor Konkurser-öffnung abgeschlossen sein konnte und im Hinblick auf
die Bedingung der Firma B. & B. sein mußte, die Verwertung vorgenommen, wäre
dem Kläger der geltend gemachte Scha-den ebenso entstanden.
1. Die Veräußerung von Anlagevermögen am
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30. Juli und 26. August 1987 für ins-gesamt 697.420,-- DM netto war nicht
pflichtgemäß. Dabei kann dahinstehen, ob der Beklagte, wie der Kläger behaup-tet,
"planmäßig" seinen Gestaltungsspiel-raum ausgespielt hat. Diese Verwertungs-
handlungen - auch wenn sie sich auf die bloße Zustimmung zu entsprechenden
Vorha-ben der Schuldnerin beschränkt haben soll-ten - entsprachen nicht dem
Sicherungs-zweck der Sequestration. Eine Interessen-abwägung, die
ausnahmsweise Verwertungs-handlungen zulässig erscheinen lassen kann, führt
bei diesen Geschäften nicht zu dem Ergebnis, daß sie sonst eintreten-de
unverhältnismäßig große Einbußen für die Konkursmasse abgewendet hätten. Der
Verkauf hätte ebensogut nach Konkurseröff-nung am 1. September 1987 erfolgen
kön-nen. Zwar war die Übernahme des Anlagever-mögens - Gegenstände der
Veräußerung vom 26. August 1987 - durch die von B. & B. gegründete
Nachfolgefirma M. L. GmbH be-reits am 15. Juli 1987 ins Auge gefaßt, wie das unter
III. 5 angesprochene Recht, nach Vorliegen der Bewertungsliste bis zum 15. August
1987 ein Angebot abzugeben, zeigt. Hieraus ergibt sich aber nicht, daß die
Veräußerungsgeschäfte vom 15. Juli 1987 auch vom Erwerb der Geräte abhängig
waren; dies behauptet auch der Beklagte nicht. Ein geringerer Erlös durch Warten
bis zur Konkurseröffnung, mit der der Be-klagte als erfahrener Sequester angesichts
seines Berichts vom 13. August 1987 in kurzer Zeit rechnen konnte, war nicht zu
befürchten. Eine weitere Entwertung des Anlagevermögens, auf die der Beklagte
sich beruft, konnte in diesem Zeitraum nicht als nennenswert veranschlagt werden.
Wei-tere Lager- und Überwachungskosten konnten wie in der Zeit vor dem 26.
August 1987 durch mietfreie Überlassung der Geräte an die M. L. GmbH
aufgefangen werden. Selbst wenn die Veräußerung an B. & B. nach Kon-
kurseröffnung nicht zustandegekommen, son-dern eine Versteigerung hätte
durchgeführt werden müssen: Für den Beklagten war nicht ausschlaggebend, daß
er beim Verkauf en bloc einen höheren Preis erzielte als bei Veräußerung einzelner
Geräte an ver-schiedene Abnehmer. Der mit der M. L. GmbH vereinbarte Preis
entsprach den vom Be-wertungsgutachter ermittelten Werten, die dieser unter dem
Gesichtspunkt einer Ver-wertung durch Versteigerung geschätzt und als untere
Limitpreise bezeichnet hat, die stellenweise tatsächlich um 20 bis 30 %
überschritten werden könnten.
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Gleichermaßen verhält es sich mit dem Verkauf von Einrichtungsgegenständen am
30. Juli 1987. Besondere Umstände, die diese Verwertung zur Abwendung sonst
eintretender unverhältnismäßiger Einbußen unabweisbar machten, liegen nicht vor.
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Der Beklagte hat durch diese Verwertungs-handlungen spezifische
Sequesterpflichten gegenüber dem Kläger als Beteiligtem ver-letzt. Der Kläger war
als möglicher Mas-segläubiger durch die Veräußerungen in seinen Interessen
betroffen. Wie oben ausgeführt erstrecken sich die Pflich-ten des Sequesters auf
derartige künfti-ge Gläubiger. Der Kläger war Beteiligter im Sinne von § 82 KO
analog, auch wenn die Umsatzsteuerforderungen erst durch die Veräußerungen
des Beklagten entstanden.
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Der Beklagte hat seine Pflichten schuld-haft verletzt. Ihm waren die Auswirkungen
seiner Handlungsweise für die Umsatzsteu-erforderungen bekannt, er mußte
erkennen, daß sein Rechtsstandpunkt sehr zweifelhaft ist.
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Daß dem Kläger ein Schaden entstanden ist, weil die Konkursquote den Anspruch
nicht voll abdecken wird, ist unstreitig. Für die begehrte Feststellung der
Schadensersatzpflicht reicht dies aus.
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1. Die Entscheidungen über die Kosten und die
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vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Der Senat läßt die Revision für den Kläger im Umfang der Klageabweisung nach §
546 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO zu, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
Daß die Beschwer des Beklagten 60.000,-- DM übersteigt, ist der Senat insoweit
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nicht befugt, über die Zulassung zu befinden (vgl. Zöller-Schneider, 16. Aufl., § 546
Rdn. 24).
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Gegenstandswert für das Berufungsverfahren: 100.748,59 DM.
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Beschwer des Beklagten: 78.111,04 DM Beschwer des Klägers: 22.637,55 DM.
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