Urteil des OLG Köln vom 04.05.2005

OLG Köln: rechtshilfe, haftgrund, haftentlassung, anfang, sicherungshaft, rechtswidrigkeit, abschiebungshaft, inhaftierung, flugzeug, beendigung

Oberlandesgericht Köln, 16 Wx 61/05
Datum:
04.05.2005
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
16. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
16 Wx 61/05
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 19 T 8/05
Tenor:
Auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen wird der Be-
schluss der 19. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 08.03.2005 - 19
T 8/05 - teilweise abgeändert und festgestellt, dass die Haft ab dem
25.02.2005, 17.30 Uhr rechtswidrig war.
Gerichtskosten für das Erstbeschwerdeverfahren sind nur zu 2/3 von
dem Betroffenen zu erheben.
Der Antragsteller hat dem Betroffenen die gesamten im
Rechtsbeschwerdeverfahren entstandenen und 1/3 der im
Erstbeschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten zu
erstatten. Dem Betroffenen seinerseits fallen 2/3 der im
Erstbeschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten des
Antragstellers zur Last.
G r ü n d e
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I.
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Zur Sicherung einer für den 25.02.2005 um 17.30 Uhr auf dem Luftweg vorgesehenen
Abschiebung des Betroffenen in sein Heimatland hat der Antragsteller im Wege der
Rechtshilfe für die Ausländerbehörde der Stadt Bonn am 16.02.2005 Sicherungshaft für
die Dauer von 2 Wochen beantragt. Das Amtsgericht hat dem entsprochen. Am
Nachmittag des 25.02.2005, einem Freitag, erließ das OVG Münster eine einstweilige
Anordnung, mit der der Ausländerbehörde untersagt wurde, den Betroffenen
abzuschieben. Der Tenor dieser Entscheidung wurde sowohl der Zentralen
Ausländerbehörde (ZAB) Köln, die – ebenfalls im Wege der Rechtshilfe –die
Abschiebung durchführte, wie auch dem Bereitschaftsdienst der Ausländerbehörde
Bonn durch das OVG mitgeteilt. Daraufhin wurde die Abschiebung abgebrochen; indes
blieb der Betroffene in Haft und wurde erneut der JVA Büren zugeführt. Gegen Mittag
des darauf folgenden Montags, dem 28.02.2005 lehnte die Ausländerbehörde Bonn auf
einen Anruf des Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen hin zunächst eine
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Haftentlassung ab, und zwar mit der Begründung, die Gründe des Beschlusses des
OVG seien noch nicht bekannt. Nachdem das OVG den vollständigen Beschluss auf
Bitten des Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen per Fax an die
Ausländerbehörde Bonn gesandt hatte, leitete diese den Beschluss gegen 16.15 an den
Antragsteller weiter, der sodann um 16.37 Uhr ein Entlassungsersuchen an die JVA
Büren richtete, wo der Betroffene um 17.45 Uhr entlassen wurde.
Mit seiner am 01.03.2005 eingereichten sofortigen Beschwerde hat der Betroffene die
Feststellung beantragt, dass die Verhängung der Abschiebungshaft rechtswidrig war,
hilfsweise, dass die Haft spätestens seit dem 25.02.2005, 17.30 Uhr rechtswidrig war.
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Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Mit der hiergegen
eingelegten sofortigen weiteren Beschwerde verfolgt der Betroffene sein Hilfsbegehren
auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft seit dem 25.02.2005, 17.30 Uhr weiter.
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II.
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Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt
worden. Die erfolgte Haftentlassung lässt das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen.
Vielmehr kann der Betroffene danach noch ein Rechtsmittel mit dem Ziel der
Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft einlegen (BVerfG NJW 2002, 2456). Diese
Feststellung braucht sich nicht darauf zu beziehen, ob die Haft von Anfang an
rechtswidrig war, sondern kann auch darauf beschränkt werden, dass diese ab einem
bestimmten späteren Zeitpunkt an nicht mehr zulässig war (vgl. OLG Düsseldorf FGPrax
2004, 141; OLG Hamm FGPrax 2005, 49 = OLGReport 2005, 38). Die – ohnehin nicht
bestandskräftige und nur aufgrund der Anordnung der sofortigen Wirksamkeit gem. § 8
FEVG beachtliche - Haftanordnung des Amtsgerichts besteht zwar weiterhin als formelle
Rechtsgrundlage fort. Dieser Umstand kann aber entgegen der Meinung des
Landgerichts dann nicht (mehr) zur Rechtfertigung der Haft herangezogen werden,
wenn kein Haftgrund (mehr) besteht, die Grundlagen für die gerichtliche Entscheidung
also fortgefallen sind. Es kann keinen Unterschied machen, ob ein Haftgrund von
Anfang an gefehlt hat oder später fortgefallen ist. Die Gesichtspunkte, welche nach der
Rspr. des BVerfG ein Rechtsschutzinteresse des Betroffenen auch nach einer
Haftentlassung begründen, nämlich dass generell in Freiheitsentziehungssachen
wegen der Kürze der angeordneten Unterbringung oder Haft (von hier nur zwei Wochen)
keine abschließende gerichtliche Entscheidung über die Zulässigkeit herbeigeführt
werden könne und dass speziell in Abschiebungshaftsachen unabhängig von der Dauer
der angeordneten Haft ein Rehabilitierungsinteresse des Betroffenen bestehe, greifen in
Fällen einer von einem bestimmten Zeitpunkt an nicht mehr zulässigen Haft in gleicher
Weise ein wie in solchen einer von Anfang an nicht gerechtfertigten.
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Das Rechtsmittel ist auch begründet.
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Es gibt keinen Grund, der die Aufrechterhaltung der Haft ab dem 25.02.2005, 17.30 Uhr
rechtfertigen könnte. Die angeordnete "kleine" Sicherungshaft gem. § 62 Abs. 2 S. 2
AufenthG setzte voraus, dass die Ausreisefrist abgelaufen war und feststand, dass die
Abschiebung durchgeführt werden kann. Die letztgenannte Voraussetzung war aber in
dem Moment entfallen, in dem das Flugzeug ohne den Betroffenen gestartet war. Damit
bestand der Haftgrund nicht mehr und der Betroffene wäre, da es auf der Hand lag, dass
in den verbleibenden Tagen kein neuer Rückflug mehr organisiert werden konnte, sofort
zu entlassen gewesen, und zwar unabhängig von den Gründen der Entscheidung des
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OVG. Beantragt und angeordnet war nur die "kleine" Sicherungshaft. Ob daneben auch
die Voraussetzungen für Abschiebungshaft nach § 62 Abs. 2 S. 1 i. V. m. S. 4 AufenthG
vorlagen, ob insbesondere – so die Erwägung der Ausländerbehörde Bonn – der
Entscheidung des OVG Münster entnommen werden konnte, dass eine Abschiebung
innerhalb von drei Monaten nicht möglich sein werde, mag für ihre Entschließung
wegen eines etwaigen neuen Haftantrag relevant gewesen sein, war aber für die
Rechtmäßigkeit dieser, alleine auf § 62 Abs. 2 S. 2 AufenthG gestützten Haft ohne
Interesse. Verhaltensweisen des Betroffenen, die ggfls. für Haftgründe des § 62 Abs. 2
S. 1 Nr. 1 bis 5 AufenthG relevant sein konnten, spielten im vorliegenden Verfahren aus
den zutreffenden Gründen der Entscheidung des Amtsgerichts nur im Rahmen der
Prüfung, ob der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt ist, eine Rolle.
Organisatorische Probleme können die weitere Inhaftierung nicht rechtfertigen. Zum
einen hatte die "Herrin des Verfahrens", die Ausländerbehörde Bonn, dann, wenn sie
sich anderer Behörden im Wege der Rechtshilfe bediente, organisatorisch zu
gewährleisten, dass bei Wegfall der Haftvoraussetzungen das für eine unverzügliche
Entlassung Erforderliche veranlasst werden konnte, zumal sie wusste, dass ein
verwaltungsgerichtliches Eilverfahren anhängig war, und sie daher trotz der für sie
günstigen erstinstanzlichen Entscheidung weiterhin mit einem Abschiebungsstopp "in
letzter Minute" rechnen musste. Zum anderen ist nicht ersichtlich, dass es für die
Beendigung der Haft der Mitwirkung eines Bediensteten des Antragstellers bedurfte. Ein
Entlassungsersuchen gegenüber der JVA brauchte nämlich nicht mehr zu erfolgen;
denn der Betroffene war dort bereits entlassen und befand sich in der Obhut der ZAB
Köln, und zwar ausweislich der Entlassungsmitteilung der JVA Büren vom 25.02.2005
(Bl. 25 d. A.) ab 12.31 Uhr. Da die ZAB seinerseits nur im Wege der Rechtshilfe für die
Ausländerbehörde Bonn tätig wurde, war der Betroffene letztlich in deren Gewahrsam,
und sie hätte ohne weiteres eine Freilassung veranlassen können und müssen.
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Soweit der Betroffene mit seinem Begehren durchgedrungen ist, also wegen eines Teils
des Begehrens im Erstbeschwerdeverfahren und insgesamt im
Rechtsbeschwerdeverfahren, hat der Antragsteller dem Betroffenen dessen Kosten zu
erstatten, wobei es offen bleiben kann, ob die Kostenlast aus einer entsprechenden
Anwendung des § 16 FEVG (so OLG Hamm a. a. O.) oder aus § 13 Abs. 1 S. 1 FGG (so
OLG Düsseldorf a. a. O.) folgt. Die Kostenentscheidung im Übrigen beruht auf den §§
14, 15 FEVG i. V. m. § 13 Abs. 1 S. 2 FGG.
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