Urteil des OLG Köln vom 28.08.1991

OLG Köln (wiedereinsetzung in den vorigen stand, zpo, schuldner, gläubiger, forderung, härte, herabsetzung, unterhalt, beschwerde, anhörung)

Oberlandesgericht Köln, 2 W 116/91
Datum:
28.08.1991
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 W 116/91
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 19 T 71/91
Tenor:
Die sofortige weitere Beschwerde der Gläubigerin gegen den Beschluß
der 19. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 14.6.1991 (19 T 71/91)
wird auf Kosten der Gläubigerin zurückgewiesen.
G r ü n d e
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I. Durch Beschluß vom 6.3.1991- dem Schuldner durch Niederlegung
12.3.1991 hat das Amtsgericht auf Antrag der Gläubigerin nach Anhörung des
Schuldners gemäß § 850 f ZPO angeordnet, daß dem Schuldner nach Anwendung der
Tabelle zu § 850 c ZPO monatlich höchstens 2106,- DM pfandfrei verbeiben dürfen. Die
Gläubigerin, ein Inkassounternehmen, vollstreckt bislang erfolglos aus einem Titel aus
dem Jahre 1983, der auf einer 1979 begründeten Forderung beruht. Zur Begründung hat
das
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Amtsgericht ausgeführt, der Gläubiger könne ohne Herabsetzung der
Pfändungsfreigrenze auch angesichts bestehender Vorpfändungen auf längere Zeit
nicht vollstrecken, so daß mit Rücksicht auf das Alter der Forderung die Herabsetzung
der Pfändungsfreigrenze der Billigkeit entspreche.
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Mit einem mit Datum vom 21.3.1991 versehenen Schreiben, das am 27.3.1991 bei
Gericht eingegangen ist, hat sich der Schuldner gegen diese Entscheidung gewandt.
Das Landgericht hat die Entscheidung des Amtsgerichts durch den von der Gläubigerin
angefochtenen Beschluß aufgehoben, da die vom Gläubiger vorgetragenen und vom
Amtsgericht genannten Umstände eine Anwendung des § 850 f III ZPO nicht
rechtfertigten.
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Mit ihrer sofortigen weiteren Beschwerde erstrebt die Gläubigerin die Wiederherstellung
der amtsgerichtlichen Entscheidung. Mit 2800, - DM netto habe der Schuldner ein
überdurchschnittliches Einkommen. Auch unter Berücksichtigung seiner
Unterhaltspflicht gegenüber der nicht berufstätigen Ehefrau und den beiden Kindern (10
Jahre und 3 Jahre) sei eine Herabsetzung der Pfändungsfreigrenze geboten, um die alte
Schuld abzutragen. Auf Anfrage des Senats hat der Schuldner an Eidesstatt versichert,
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das Schreiben vom 21.3.1991 am 22.3.1991 in den Briefkasten geworfen zu haben. Der
Briefumschlag, mit dem das Schreiben an das Amtsgericht übersandt worden ist,
befindet sich nicht bei den Akten.
II. Die gemäß §§ 793, 568 II ZPO statthafte und auch sonst zulässige weitere sofortige
Beschwerde der Gläubigerin hat in der Sache keinen Erfolg.
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1) Das Landgericht hat allerdings übersehen, daß die Erinnerung des Schuldners gegen
den Beschluß des Amtsgerichts verspätet war. Gegen diesen Beschluß war die
sofortige Erinnerung gemäß § 11 I 2 RpflG gegeben, denn der Beschluß ist nach
Anhörung des Schuldners ergangen, so daß es sich um eine Entscheidung des
Rechtspflegers handelt
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(vgl. LG Frankenthai Rpfleger 1989, 273 m.Anm. Hornung; Thomas/Putzo, 16.Aufl., §
850 f ZPO Rn.4; hier kann dahinstehen, ob ohne Anhörung des Schuldners, mag sie
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geboten sein oder nicht, nur von einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme auszugehen
ist, so daß dann die unbefristete Erinnerung gegeben ist;j vgl. dazu Baumbach-
Hartmann, 49.Aufl., § 850 f ZPO, Anm. 4 b m.w.N.). Die Zweiwochenfrist lief nach
Zustellung am 12.3.1991 daher am Dienstag, 26.3.1991 ab. Gleichwohl ist die
Entscheidung des Landgerichts im Ergebnis zutreffend, da dem Schuldner
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO) gewähren war. Er hat glaubhaft
gemacht,
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Erinnerungsschreiben vom 21.3.1991 am 22.3.1991 zur Post gegeben zu haben. Seine
eigene eidesstattliche Versicherung dazu reicht jedenfalls deshalb aus, weil der
Briefumschlag, mi t dem die Erinnerung übersandt worden ist, vom Gericht nicht
aufbewahrt worden ist. Damit ist dem Schuldner durch das Verhalten des Gerichts die
Möglichkeit genommen worden, den rechtzeitigen Einwurf durch den Poststempel des
Briefes glaubhaft zu machen. Das kann nicht zu seinen Lasten gehen. Es ist im übrigen
anerkannt, daß der Absender eines Schreibens sich auf normale Postlaufzeiten
verlassen kann und den Eingang des Schreibens bei Gericht nicht überwachen muß
(vgl. BVerfG NJW 1979, 641; Zöller/Stephan, 16.Aufl., § 233 Rn. 23 "Postverkehr" ).
Eine Brieflaufzeit innerhalb desselben Ortes von Freitag (22.3.) bis Mittwoch der
folgenden Woche (27.3.) übersteigt eindeutig die normale Postlaufzeit( vgl. BGH NJW
1990, 218), so daß der Absender mit rechtzeitigem Eingang bis spätestens 26.3.1991
rechnen konnte. Sein rechtzeitig gestelltes Wiedereinsetzungsgesuch (der verspätete
Eingang ist dem Schuldner erst durch den Senat mitgeteilt worden) mußte daher Erfolg
haben.
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2) In der Sache hat das Landgericht mit Recht die Voraussetzungen einer Erhöhung der
Pfändungsfreigrenze gemäß § 850 f III ZPO verneint.
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Voraussetzung für eine Kürzung der sich aus § 850 c II ZPO ergebenden Freibeträge
gemäß § 850 f III ZPO wegen gewöhnlicher (nicht gemäß § 850 f II oder 850d ZPO
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privilegierter) Forderungen ist schon nach dem Gesetzeswortlaut, Berücksichtigung
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daß eine solche Kürzung unter der Belange des Gläubigers und des Schuldners
angemessen ist. Das Gesetz berücksichtigt damit, daß auch die Nichtbeitreibbarkeit
einer gewöhnlichen Forderung eine Härte für den Gläubiger darstellen kann, die es
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rechtfertigt, den sozialen Pfändungsschutz im Bereich etwas höherer Einkommen dann
einzuschränken, wenn dies unter Berücksichtigung angemessen ist.
Der Gläubiger muß daher zunächst dartun, daß die Nichtbeitreibbarkeit seiner
Forderung für ihn Schuldners daß die eine Härte darstellt. Diese kann nicht schon darin
gesehen werden, daß der Gläubiger für längere Zeit seine Forderung wegen des
Pfändungsschutzes nach § 850 c ZPO nicht durchsetzen kann oder darin, daß ihm das
auch für die nächste Zeit wegen des Vorrangs konkurrierender Gläubiger nicht möglich
ist. Diese
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Härte ergibt sich schon aus dem System des Pfändungsschutzes selbst, so daß sie
keinen Grund für seine Änderung darstellen kann. Eine Härte kann dagegen darin zu
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sehen sein, daß der Gläubiger infolge der Nichtbeitreibbarkeit seiner Forderung selbst
in Not geraten ist oder die Forderung einen besonders schützenswerten Bedarf decken
soll, wie sich aus der Parallelwertung zu § 850 f II oder 850 d ZPO ergeben kann (vgl.
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Stein/Jonas/Münzberg, 20.Aufl., § 850 f Rn. 17). Wenn - wie hier - ein
Inkassounternehmen die Forderung geltend macht, muß dabei dargetan werden, daß
die Nichtbeitreibbarkeit für den ursprünglichen Gläubiger eine Härte in diesem Sinne
darstellt. Hier fehlt es schon an der Darlegung dieser Voraussetzung durch die
Gläubigerin.
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Darüberhinaus ist darauf hinzuweisen, daß dem Schuldner auch bei einer Erhöhung der
Pfändungsfreigrenze nach § 850 f III ZPO entsprechend
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jedenfalls so viel zu belassen ist, wie er für seinen notwendigen Unterhalt und zur
Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten braucht, denn diese für
privilegierte Forderungen geltende Grenze muß erst recht für gewöhnliche Forderungen
gelten (ebenso Stein/Jonas/Münzberg a.a.O.; Wieczorek, 2.Aufl., § 850 f ZPO Anm. E II
b 1). Der Umstand, daß der Gesetzgeber seit dem 1.4.1984 die Pfändungsfreigrenzen
nicht mehr erhöht hat, hat dazu geführt, daß der selbst gemäß § 850 f II ZPO geschützte
notwendige Unterhalt oft die Pfändungsfreibeträge gemäß § 850 c ZPO übersteigt (vgl.
Büttner FamRZ 1990, 459 (462). So belaufen sich im Streitfall die für den notwendigen
Unterhalt der Familie erforderlichen Beträge auf mindestens 2385,- DM (1100 + 730
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+ 251 + 304), wenn man die Mindestbeträge der Düsseldorfer Tabelle nach dem Stand
vom 1.1.1989 zugrundelegt (vgl. FamRZ 1988,911 = NJW 1988, 2352).Dabei ist
zusätzlich zu berücksichtigen, daß die Mindestbeträge der Düsseldorfer Tabelle für
Kinder, die dem Regelbedarf entsprechen, unter dem Existenzminimum liegen, wie
schon der Vergleich mit dem Sozialhilfebedarf für Kinder entsprechenden Alters zeigt
(vgl. auch BGH FamRZ 1988, 921).Auch aus diesem Grunde können die in § 850 f III
genannten pfändbaren Beträge nicht mehr schematisch angewandt werden und im
Streitfall sind die
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Voraussetzungen einer Herabsetzung der Pfändungsfreigrenze zu verneinen.
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Es muß daher bei der Entscheidung des Landgerichts bleiben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
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Beschwerdewert:9264,26 DM
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