Urteil des OLG Köln vom 30.09.2003

OLG Köln: elterliche sorge, entziehung der elterlichen sorge, wohl des kindes, verfassungskonforme auslegung, uneheliches kind, gefährdung, krankheit, eltern, sorgerecht, entziehen

Oberlandesgericht Köln, 4 UF 158/03
Datum:
30.09.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 UF 158/03
Vorinstanz:
Amtsgericht Rheinbach, 18 F 45/02
Tenor:
Die Beschwerde der Antragsgegnerin vom 23.07.2003 gegen den
Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Rheinbach vom 14. Juli
2003 - 18 F 45/02 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsgegnerin.
G r ü n d e :
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Das von der Antragsgegnerin eingelegte "zulässige Rechtsmittel" ist die befristete
Beschwerde gemäss §§ 621 e, 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Die befristete Beschwerde ist
zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden (§ 621 e Abs. 1, 3 ZPO).
Zwar hat die Antragsgegnerin das Rechtsmittel an das Amtsgericht Rheinbach gerichtet
(vgl. Bl. 217 GA). Dieses war für die befristete Beschwerde nicht der richtige Adressat.
Allerdings ist die Akte mit der unterzeichneten Rechtsmittelschrift beim zuständigen
Oberlandesgericht am 1. August 2003 und damit noch rechtzeitig innerhalb der für die
befristete Beschwerde geltenden Beschwerdefrist eingegangen, da der angefochtene
Beschluss der Antragsgegnerin am 22.07.2003 zu Händen ihres
Verfahrensbevollmächtigten zugestellt worden ist (vgl. Bl. 213 GA).
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Die Berufungsbegründung entspricht auch noch den Anforderungen der §§ 621 e Abs.
3, 520 Abs. 1 und 3 Satz 1 ZPO. Da für die befristete Beschwerde § 520 Abs. 3 Satz 2
ZPO nicht gilt, sind die für das Berufungsverfahren einschlägigen Bestimmungen über
den notwendigen Inhalt einer Berufungsschrift auf das Verfahren der befristeten
Beschwerde nur bedingt anwendbar. Die knappe Form der Beschwerdebegründung
lässt noch die von der Antragsgegnerin geltend gemachte Beschwer erkennen. Für die
Zulässigkeit der befristeten Beschwerde erscheint es ausreichend, dass die
Antragsgegnerin mit der Beschwerde die Verletzung des Rechts dahin rügt, dass das
Familiengericht die Voraussetzungen des § 1666 BGB zu Unrecht angenommen hat
und dies knapp mit der Einsichtsfähigkeit der Antragsgegnerin in ihre Krankheit
begründet hat. Ob diese Begründung in der gewählt knappen Form in sich schlüssig
und ausreichend nachgewiesen ist, ist Frage der Begründetheit der Beschwerde und
nicht ihrer Zulässigkeit.
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Die zulässige befristete Beschwerde hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das
Familiengericht hat zu Recht der Antragsgegnerin die elterliche Sorge für ihren Sohn J.
I. entzogen und die Vormundschaft des Kreisjugendamtes des Rhein-Sieg-Kreises
angeordnet.
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Die Maßnahme ist jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt erforderlich, um eine
Gefährdung des körperlichen, geistigen und seelischen Wohls des Kindes abzuwenden.
Eine Gefährdung des Kindeswohls liegt dann vor, wenn die begründete Besorgnis
besteht, dass bei Nichteingreifen des Gerichts das Wohl des Kindes beeinträchtigt wird
oder eine gegenwärtige, in einem solchen Maße vorhandene Gefahr besteht, dass sich
bei der weiteren Entwicklung des Kindes eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher
Sicherheit voraussehen lässt. Dabei entsteht die begründete Besorgnis in aller Regel
aus Vorfällen in der Vergangenheit. Aufgrund des gesamten Verhaltens des
Sorgeberechtigten muss Anlass zur Besorgnis bestehen. Die zu besorgende erhebliche
Schädigung, die mit ziemlicher Sicherheit vorauszusehen sein muss, macht es
erforderlich, in dem konkreten Fall das Kindeswohl zu definieren (vgl. Palandt-
Diederichsen, BGB 62. Aufl. 2002, § 1666 Rn. 16 - 18 m. w. N.), und zwar unter
Beachtung des Zwecks der Reglung des § 1666 BGB. Entsprechend dem Inhalt der
elterlichen Sorge enthält die Vorschrift die Konkretisierung des staatlichen
Wächteramtes von Artikel 6 Abs. 2 Satz 2 GG und die Ermächtigung für staatliche
Eingriffe in die Personen- und Vermögenssorge der Eltern im Interesse eines möglichst
effektiven Schutzes des Kindes. Dabei ist eine verfassungskonforme Auslegung dieser
Norm geboten. In den Kern der Personensorge darf entsprechend den Regelungen in §
1666 BGB unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Kinder auch bei
unverschuldetem Versagen der Eltern von der Familie getrennt werden können, nur bei
striktester Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingegriffen werden. Es
gehört nicht zum staatlichen Wächteramt, für eine den Fähigkeiten des Kindes best
mögliche Förderung zu sorgen; vielmehr gehören die Eltern und deren
sozioökonomischen Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines
Kindes (vgl. Palandt-Diedrichsen, a. a. O. Rn. 1, 18).
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Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Senat zu der Auffassung gekommen,
dass eine Gefährdung des Kindeswohles vorliegt. Dies ergibt sich aufgrund des auch für
den Senat überzeugenden familienpsychologischen Gutachtens der Sachverständigen
Frau Diplom-Psychologin A vom 31.12.2002 (Bl. 75 ff. GA) und ihrer ergänzenden
Stellungnahme vom 10.04.2003 (Bl. 173 f. GA). Das seelische Wohl von J. I. ist wegen
eines krankheitsbedingten teilweisen Erziehungsunvermögens der Kindesmutter
gefährdet. Unbestritten leidet die Kindesmutter an einer schweren Depression und einer
diagnostizierten Persönlichkeitsstörung. Dies äußerte sich für die Vergangenheit im
Wesentlichen in Antriebsarmut, rasch wechselnden und wenig zu steuernden
Emotionen und Stimmungsschwankungen mit hysterischen Anteilen sowie in inneren
Spannungszuständen. Dies hat dazu geführt, wie der Sachverständige auch für den
Senat überzeugend ausführt, dass J. I. die Krankheit der Mutter als emotionale
Instabilität und als ein unberechenbares, von verbaler und teils auch körperlicher Gewalt
geprägtes Verhalten erlebt hat. In der Vergangenheit war Folge der Krankheit der
Antragsgegnerin, was auch unbestritten geblieben ist, dass in Phasen, in denen es der
Kindesmutter schlecht ging und sie sich mit ihrer Mutterrolle überfordert fühlte, die
Antragsgegnerin dazu neigte, ihre Emotionen gegenüber ihrem Sohn nicht genug zu
kontrollieren und sich daher ungerecht und verletzend ihm gegenüber verhielt. Dies hat
auch bereits zu vom Sachverständigen festgestellten Schäden bei J. I. geführt. Es ist zu
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einer erheblichen emotionalen Verunsicherung des Kindes gekommen, die sich bereits
in Verhaltensauffälligkeiten zeigt. Trotz guter intellektueller Entwicklung hat J. I. starke
Konzentrationsschwierigkeiten, eine niedrige Frustrationstoleranz und Probleme,
Emotionen angemessen zu verarbeiten.
Dies alles bestreitet die Antragsgegnerin für die Vergangenheit nicht. Sie bringt mit ihrer
Beschwerdeschrift allerdings vor, dass die sachverständigerseits getroffenen
Feststellungen für die Zukunft nicht mehr gelten würden. Durch ihren
Verfahrensbevollmächtigten lässt sie in der Beschwerdebegründung (Bl. 217, 218 GA)
im Wesentlichen vortragen, dass sie glaubhaft gemacht habe, dass sie nunmehr mit
offenen Augen ihre Krankheit betrachte. Von einer Vernachlässigung des Kindes könne
keine Rede mehr sein. Sie sei durchaus in der Lage, ihren Sohn vor Gefahren zu
bewahren. Diese Angaben werden jedoch in keiner Weise konkret belegt. Auch der
Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 26.08.2003 bringt trotz des zwischenzeitlich
ergangenen Senatsbeschlusses vom 25.08.2003, in welchem die Ansicht des Senates
zur Erfolgsaussicht der Beschwerde dargelegt worden ist (vgl. Bl. 256 - 258 GA), keine
neuen Erkenntnisse. Es wird lediglich wiederholt, dass sich die Antragsgegnerin
nunmehr zu ihrer Krankheit bekennt und sich in therapeutischer Behandlung befinde.
Sie nehme regelmäßig die ihr verschriebenen Medikamente, so dass sie in der Lage
sei, ihr uneheliches Kind ordnungsgemäß zu versorgen (Bl. 267 GA).
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Diese Einlassung der Antragsgegnerin ist nicht geeignet, die Gefahren, die das
Familiengericht für das Kindeswohl gesehen hat, mit der Folge zu entkräften, dass die
elterliche Sorge bei der Kindesmutter verbleiben könne. Daran ändert auch nichts, dass
der Verfahrenspfleger des Kindes ein Belassen des Kindes bei der Kindesmutter
befürwortet. Auch der Verfahrenspfleger wiederholt völlig unkritisch den Vortrag der
Antragstellerin, dass die krankheitsbedingten Gründe zur Aufhebung des Sorgerechtes
der Antragsgegnerin nicht mehr bestünden, da diese im Anhörungstermin glaubhaft
versichert habe, inzwischen krankheitseinsichtig geworden zu sein und sich
sachgerecht behandeln zu lassen. Dies allein rechtfertigt noch nicht die Annahme, dass
sich die erhebliche Gefährdung des Kindeswohles, die in der Vergangenheit jedenfalls
bestanden hat, dermaßen reduziert hat, dass eine andere als die amtsgerichtliche
Entscheidung vertretbar erscheint. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass
nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Sachverständigen, die in sich für den
Senat schlüssig und naheliegend sind, eine Therapie nicht sofort greift, sondern eine
gewisse Behandlungsdauer erfordert, um einen Behandlungserfolg zu zeitigen. Da die
Antragsgegnerin hierzu nichts weiter äußert, muss davon ausgegangen werden, dass
die in der Vergangenheit bestehende seelische Gefährdung von J. I. weiter fortbesteht
mit der Folge, dass das Sorgerecht nicht bei der Mutter verbleiben kann.
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Erhebliche Zweifel an der Einsichtsfähigkeit der Antragsgegnerin zeigen sich auch
darin, dass diese nicht bereit ist, mit dem Jugendamt zusammen zu arbeiten. Vielmehr
entzieht sie sich selbst der Mitarbeit mit dem Jugendamt und verbirgt ihren Sohn vor
diesem. Gemeinsam mit ihrer eigenen Mutter hat sie sich weitgehend isoliert und
scheint nach Überzeugung des Senates gerade nicht in der Lage, im Interesse des
Kindeswohles dahingehend zu handeln, dass dieser endlich einen ruhenden
Lebensmittelpunkt findet.
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Erst wenn tatsächlich feststeht, dass sich die Kindesmutter über längere Zeit in
therapeutische Behandlung begibt und die krankheitsbedingten Erziehungsdefizite
weitgehend behoben sind, kann es eventuell gewagt werden, die elterliche Sorge auf
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die Kindesmutter wieder zurückzuübertragen.
Liegt aber aufgrund der manifestierten Verhaltensauffälligkeit der Antragsgegnerin ein
Sorgerechtsmissbrauch vor und kann derzeit nicht erwartet werden, dass sich die
krankheitsbedingte Erziehungsunfähigkeit der Antragsgegnerin in naher Zukunft
wandelt, sieht der Senat das einzige Mittel, um der Gefahr zu begegnen, darin, der
Antragsgegnerin das Sorgerecht zu entziehen und die Vormundschaft des
Kreisjugendamtes anzuordnen.
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Aus dem gesamten Verhalten der Antragsgegnerin ist ersichtlich, dass sie derzeit nicht
einsichtsfähig ist zu erkennen, was für das Wohl ihres Kindes am besten ist. Dabei spielt
es keine Rolle, dass diese Einsichtsunfähigkeit möglicherweise unverschuldet ist.
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Die vom Familiengericht vorgenommene Entziehung des Sorgerechts ist
verhältnismäßig. § 1666 Abs. 2 BGB räumt dem Gericht hinsichtlich der zu treffenden
Maßnahme ein Auswahlermessen ein (vgl. Bayrisches ObLG FamRZ 1999, 318, 320).
Unter Würdigung der gesamten dargelegten Umstände kann der erwähnten Gefahr mit
hinreichender Sicherheit derzeit nur durch eine Trennung des Kindes von der
Antragsgegnerin begegnet werden. Eine teilweise Entziehung der elterlichen Sorge ist
im Hinblick auf das Krankheitsbild der Antragsgegnerin nicht ausreichend. Zu beachten
wird allerdings sein, dass der Kontakt zwischen der Antragsgegnerin und ihrem Sohn in
möglichst großem Umfang aufrecht erhalten bleibt, damit eine Entfremdung zwischen
Mutter und Kind möglichst nicht eintritt. Sobald nämlich sicher feststeht, dass sich der
Gesundheitszustand der Kindesmutter stabilisiert haben wird, sieht der Senat derzeit
jedenfalls keine konkreten Anhaltspunkte dafür, der Kindesmutter weiterhin das
Sorgerecht zu entziehen.
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Andererseits wird die Antragsgegnerin ein großzügiges Umgangsrecht aber nicht dahin
ausnutzen dürfen, um den Sohn gegen das Jugendamt oder andere mit seiner
Erziehung befasste Personen negativ einzunehmen oder gar das Kind dem Zugriff mit
seiner Erziehung befasster Dritter zu entziehen. Für diesen Fall müsste die
Antragsgegnerin mit einer weitgehenden Einschränkung des Umgangsrechtes rechnen.
Dies würde weder in ihrem noch im Kindesinteresse liegen.
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Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass nach der derzeitigen Sachlage die
familiengerichtliche Entscheidung zu Recht getroffen ist, mit der Folge, dass die
Beschwerde der Antragsgegnerin zurückzuweisen war.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG.
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Beschwerdewert: 3.000,00 EUR (§ 30 Abs. 3, Abs. 2 KostO).
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