Urteil des OLG Köln vom 27.10.1998

OLG Köln (kläger, unfall, fahrzeug, schmerzensgeld, verkehr, linie, brille, fahrer, sorgfalt, stelle)

Oberlandesgericht Köln, 9 U 66/98
Datum:
27.10.1998
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 U 66/98
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 2 O 285/97
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 2. Zivilkammer des
Landgerichts Köln vom 10.02.1998 (2 O 285/97) geändert. Die
Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger
9.219,67 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 10.07.1997 zu zahlen. Im
übrigen wird die Klage abgewiesen, die weitergehende Berufung wird
zurückgewiesen. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen
der Kläger zu 28 % und die Beklagten als Gesamtschuldnern zu 72 %.
Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen zu 4 % dem Kläger und zu
96 % den Beklagten als Gesamtschuldner zur Last. Das Urteil ist
vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die mit reduzierten Klageanträgen form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zum
größten Teil begründet.
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Der Kläger hat gegen die Beklagten aufgrund des Verkehrsunfalls vom 01.10.1996
einen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gemäß § 7 Abs. 1 StVG
sowie §§ 823 Abs. 1, 847 BGB i.V.m. § 3 Pflichtversicherungsgesetz.
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Zutreffend geht das Landgericht davon aus, daß der Unfall für keinen der Beteiligten ein
unabwendbares Ereignis im Sinne von § 7 Abs. 2 StVG ist. Ein besonnener und das
Geschehen überblickender Fahrer hätte nicht wie der Beklagte zu 1) unter Mißachtung
der durchgezogenen Linie auf einer erheblich befahrenen Bundesstraße und bei
Regenwetter gewendet. Der Unfall wäre nicht geschehen, wenn der Beklagte zu 1) nicht
gewendet hätte, dann hätten die Fahrzeuge auf der Gegenfahrbahn nicht anhalten
müssen. Ein optimaler Fahrer anstelle des Klägers hätte einen größeren
Sicherheitsabstand zu den vorausfahrenden Fahrzeugen eingehalten, das gesteht der
Kläger, der sich im Berufungsverfahren eine Mitverschuldensquote angerechnet hat,
inzwischen selbst zu.
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Nach dem Ergebnis der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme ist -
entgegen der erstinstanzlichen Entscheidung - davon auszugehen, daß sowohl dem
Beklagten zu 1) als auch dem Kläger ein Verschulden an der Entstehung des Unfalls
zur Last fällt, da sie beide Verkehrsvorschriften verletzt und die erforderliche Sorgfalt
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mißachtet haben. Die Abwägung im Rahmen der nach Maßgabe der §§ 17 StVG, 254
BGB vorzunehmenden Quotelung ergibt, daß der bei dem Unfall entstandene Schaden
zu 1/4 dem Kläger und zu 3/4 den Beklagten anzulasten ist.
Die erste Ursache für den Unfall hat der Beklagte zu 1) gesetzt. Er hat einen erheblichen
Verkehrsverstoß begangen, indem er sein Fahrzeug an einer Stelle gewendet hat, an
der dies zum einen schon durch durchgezogene Linie (Zeichen 295 der StVO) und
Sperrfläche (Zeichen 298 der StVO) verboten und zum anderen auch nach der
konkreten Lage verkehrswidrig war:
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Nach § 9 Abs. 5 StVO hat der Fahrzeugführer sich beim Wenden so zu verhalten, daß
eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Diese Vorschrift
statuiert absoluten Vorrang für den fließenden Verkehr und legt dem Wendenden
höchstmögliche Sorgfalt, größtmögliche Vorsicht auf (BayObLG VRS 58, 451). Der
Wendende trägt die Verantwortung praktisch allein. Zu wenden ist an günstigster Stelle
und auf die schonendste Art, bei starkem Verkehr ist statt dessen ein Umweg zu fahren.
An übersichtlichen Stellen und bei schlechter Sicht muß es unterbleiben. Es darf nur
gewendet werden, wenn auf der Fahrbahn niemand gefährdet werden kann
(Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 33. Aufl., § 9 StVO Rn. 50 m.w.N.).
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So wie der Sachverhalt sich nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen durchgeführten
Beweisaufnahme darstellt, hätte der Beklagte zu 1) an der fraglichen Stelle - abgesehen
schon vom Verbot durch durchgezogene Linie und Sperrfläche - überhaupt nicht
wenden dürfen. Der Beklagte zu 1) fuhr auf einer erheblich befahrenen Bundesstraße
mit nur einem Fahrstreifen für jede Richtung. In seiner Fahrtrichtung hatte sich eine
Kolonne gebildet, aus der er (nach Angaben der Zeugin L.-A.) ausgeschert ist. Es kam
auch laufend Gegenverkehr. Zusätzlich waren die Straßenverhältnisse durch Regen
erschwert. Nach seinem eigenen Vortrag im Berufungsverfahren sah der Beklagte zu 1)
vor Einleitung des Wendemanövers die entgegenkommende Zeugin B. schon aus einer
Entfernung von gut 100 m herannahen. Es mag dahinstehen, ob die zulässige
Höchstgeschwindigkeit an der Unfallstelle 70 km/h oder 100 km/h betrug. Selbst bei
einer Geschwindigkeit von nur 70 km/h legt ein Fahrzeug ca. 19,5 m pro Sekunde
zurück, durchfährt also 100 m in gut 5 Sekunden. Wenn in ca. 5 Sekunden mit einem
entgegenkommenden Fahrzeug zu rechnen war, durfte der Beklagte zu 1) keinesfalls
ein Wendemanöver einleiten, bei dem er noch vor- und zurücksetzen mußte. Auch wenn
nicht eindeutig gewesen sein sollte, ob das Wenden in einem Zug möglich war (hierzu
sind Einzelheiten nicht vorgetragen), mußte es angesichts dieser Lage nach der
Vorschrift des § 9 Abs. 5 StVO unterbleiben. Wer den Verkehr durch Querstehen
blockiert, weil er sich vorher keine Klarheit über die Wendemöglichkeit verschafft hat,
handelt grob verkehrswidrig (OLG Düsseldorf VRS 64, 10).
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Es kann unter diesen Umständen auch dahinstehen, ob die Zeugin B. schneller als an
der Unfallstelle zulässig gefahren ist, denn nicht nur sie mußte heftig bremsen, um einen
Aufprall auf das Fahrzeug des Beklagten zu 1) zu vermeiden, vielmehr mußten auch die
nachfolgenden Verkehrsteilnehmer ein Bremsmanöver einleiten, der Zeuge T. sogar
noch, obwohl er mit größerem Abstand hinter der Zeugin B. fuhr. Nach Angaben des
Zeugen T. dauerte das Wendemanöver sehr lange (als wolle der Fahrer dort
"übernachten").
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Somit war das Wendemanöver des Beklagten zu 1) eine ganz entscheidende Ursache
für die Notbremsungen aller entgegenkommender Fahrzeuge. Es mag sein, daß der
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Zeuge T. falsch eingeschätzt hat, wie lange der Beklagte zu 1) für sein Wendemanöver
brauchen werde, möglicherweise hätte er früher bremsen können. Das kann aber nicht
dem hinterher fahrenden Kläger angelastet werden. § 9 Abs. 5 StVO soll generell den
fließenden Verkehr vor gefährlichen Wendemanövern schützen, mit Fehlverhalten der
Teilnehmer des fließenden Verkehrs ist immer zu rechnen.
Aber auch der Kläger hat die gebotene Sorgfalt mißachtet. Er geht im
Berufungsverfahren selbst davon aus, daß er keinen ausreichenden Sicherheitsabstand
eingehalten hat, insoweit hat er sich selbst ein Mitverschuldensquote von 1/4
zugerechnet. Sein Vortrag, der Abstand sei durch überholende Fahrzeuge verkürzt
worden, ist unsubstantiiert geblieben und auch im Berufungsverfahren nicht erläutert
worden. Nach seinem Vortrag müßte der Kläger kurz vor dem Unfall dann auch durch
die Zeugen T. und G. überholt worden sein, hinter deren Fahrzeugen er später zu Fall
gekommen ist. Hiervon spricht der Kläger aber gerade nicht, so bleibt dieser Vortrag
insgesamt unklar. Der Kläger hat zudem falsch gebremst, nämlich so, daß seine Räder
blockiert haben.
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Die Fehler des Klägers waren aber maßgebend und überwiegend durch das
Wendemanöver des Beklagten zu 1) verursacht. Richtig ist zwar, daß der
Anscheinsbeweis - so das Landgericht - gegen den Auffahrenden spricht. Genauso
spricht der Anscheinbeweis aber auch gegen den Wendenden, wenn es zu Kollisionen
mit dem Gegenverkehr kommt (BGH DAR 1985, 316), was in gleicher Weise gelten
muß, wenn es infolge eines Wendemanövers zu Kollisionen unter den Fahrzeugen des
Gegenverkehrs kommt. Diese beiden Anscheinsbeweise heben sich gegenseitig auf.
Ein querstehendes Fahrzeug provoziert geradezu Auffahrunfälle und Bremsfehler bei
einem Kleinkraftrad.
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Die vorstehenden Erwägungen führen dazu, daß von einer Verschuldensquote von 3/4
zu Lasten der Beklagten auszugehen ist. Da der Kläger sich im Berufungsverfahren
selbst bereits ein Mitverschulden von 1/4 angelastet hat, hat seine insoweit
eingeschränkte Berufung dem Grunde nach in vollem Umfang Erfolg.
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Der Senat sieht keine Veranlassung zur erneuten Vernehmung der vom Landgericht
zum Unfallhergang vernommenen Zeugen. Er geht wie schon das Landgericht von der
Richtigkeit der protokollierten Aussagen aus. Auf den im Berufungsverfahren vom
Kläger als unrichtig protokolliert bezeichneten Teil der Aussage des Zeugen S.S. -
wonach der Kläger vor dem Unfall zunächst einige Fahrzeuge überholt habe - kommt es
für die Entscheidung nicht an, da der entgegenstehende Vortrag des Klägers - er sei
vielmehr seinerseits überholt worden - wie dargelegt bereits nicht hinreichend
substantiiert ist.
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Der Höhe nach sind die Ansprüche des Klägers im wesentlichen unbestritten geblieben.
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Das geforderte Schmerzensgeld von 5.000,00 DM erscheint angesichts der erlittenen
Verletzungen vom Grundsatz her angemessen. Der Kläger erlitt durch den Unfall einen
Bruch der rechten Hüftpfanne. Er mußte deshalb stationär im Krankenhaus behandelt
werden, die Dauer des Krankenhausaufenthalts ist nicht vorgetragen. Bei einer
Untersuchung ca. drei Wochen nach dem Unfall war die Hüfte komplikationslos verheilt
und weitgehend beschwerdefrei. Als möglicher Folgeschaden kommt jedoch eine
posttraumatische Artrose der rechten Hüfte in Betracht. Angesichts der
Mitverschuldensquote von 1/4 reduziert sich das Schmerzensgeld im
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Berufungsverfahren jedoch auf 3.750,00 DM.
Die geltend gemachten materiellen Schäden sind - soweit sie unstreitig geblieben sind -
ebenfalls zu 3/4 zu ersetzen. Hieraus errechnet sich folgender Betrag:
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Totalschaden des Leicht-
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kraftrades 6.100,00 DM
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Gutachterkosten 564,65 DM
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Abschleppkosten 178,25 DM
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beschädigter Sturzhelm 250,00 DM
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beschädigte Jacke 200,00 DM
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1. 7.292,90 DM
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davon 3/4 ergibt 5.469,67 DM
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Der ausgeurteilte Betrag von 9.219,67 DM ergibt sich aus der Summe von materiellen
Schäden und Schmerzensgeld.
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Einzige unbegründete Schadensposition ist der begehrte Ersatz der angeblich bei dem
Unfall beschädigten Brille des Klägers (496,00 DM). Die Beklagten haben bestritten,
daß der Kläger eine mit der abgerechneten Brille identische Brille zum Unfallzeitpunkt
getragen habe und überdies dagegen sprechende Indizien dargetan. Der Kläger hat
hierzu - auch im Berufungsverfahren - nichts mehr vorgetragen.
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Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 291 BGB. Zinsen sind erst ab Rechtshängigkeit zu
gewähren. Eine verzugsauslösende Mahnung auf einen früheren Zeitpunkt ist nicht
dargetan.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Streitwert für das Berufungsverfahren: 9.591,67 DM
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Wert der Beschwer des Klägers: 372,00 DM
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Wert der Beschwer des Beklagten: 9.219,67 DM
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