Urteil des OLG Köln vom 06.09.1999

OLG Köln: elterliche sorge, anhörung des kindes, entziehung der elterlichen sorge, sachliche zuständigkeit, vormundschaft, tschechien, befangenheit, vorschlag, vertretungsmacht, ausstellung

Oberlandesgericht Köln, 27 UF 185/99
Datum:
06.09.1999
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
27. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
27 UF 185/99
Vorinstanz:
Amtsgericht Jülich, 10 F 448/98
Tenor:
1) Auf die Beschwerde des Antragstellers vom 20. Juli 1999 wird der
Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Jülich vom 4. Juni 1999 -
10 F 448/98 - aufgehoben. Diese Entscheidung ergeht
gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet. 2)
Das Ablehnungsgesuch des Antragstellers vom 20. Juli 1999 gegen
Richter am Amtsgericht B. wegen Besorgnis der Befangenheit wird als
unbegründet zurückgewiesen.
G r ü n d e
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1. Die zulässige Beschwerde des Antragsstellers führt im Ergebnis zur Aufhebung
des angefochtenen Beschlusses.
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Der Beschluss des Familiengerichts, durch den es dem Antragsteller als Vormund des
Kindes die Vertretungsmacht bezüglich des Aufenthaltsbestimmungsrechts und
bezüglich Pass- und Ausweisangelegenheiten entzogen und auf den Kindesonkel als
Pfleger übertragen hat, unterliegt der Aufhebung, weil die sachliche Zuständigkeit des
Familiengerichts für die getroffenen Maßnahmen nicht gegeben ist.
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Gemäß § 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Familiengericht für Familiensachen zuständig,
die die elterliche Sorge für ein Kind betreffen, soweit sich die Zuständigkeit aus den
Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches ergibt. Das Familiengericht hat hiernach
zwar über die Übertragung der elterlichen Sorge auf den Antragsteller nach § 1680 Abs.
2 BGB zu entscheiden. Dies gilt auch, soweit mit einer entsprechenden, dem Antrag
stattgebenden Entscheidung die elterliche Sorge des Antragstellers an die Stelle der
ihm übertragenen Vormundschaft tritt. Aus der Zuständigkeit für das Verfahren nach §
1680 Abs. 2 BGB ergibt sich jedoch keine Zuständigkeit des Familiengerichts für
sonstige Abänderungen der von dem Vormundschaftsgericht getroffenen Entscheidung
über die Vormundschaft, insbesondere nicht für die Entlassung eines Vormunds nach
den §§ 1886 ff BGB und die Bestellung eines anderen Vormunds oder auch für die den
Vormund betreffende Entziehung der Vertretungsmacht nach § 1796 BGB. Diese sind
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dem Vormundschaftsgericht vorbehalten. Dies gilt auch für im Wege der einstweiligen
Anordnung vom Familiengericht getroffene Maßnahmen ungeachtet dessen, dass sie
bis zu ihrer Aufhebung wirksam bleiben (vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 58. Aufl, Einl.
v. § 1773 Rn. 2).
Im Rahmen der Kindschaftsrechtsreform ist bewußt davon abgesehen worden, die
Verfahren betreffend die Vormundschaft über Minderjährige in die Zuständigkeit der
Familiengerichte zu übertragen (vgl. BT.-Drs. 13/4899, S. 71). Ausgeweitet worden ist
die Zuständigkeit der Familiengerichte allerdings bei Anordnungen von
Vormundschaften oder Pflegschaften im Rahmen von § 1697 BGB; die Anwendung
dieser Vorschrift setzt jedoch voraus, dass wegen - die elterliche Sorge betreffenden -
Maßnahmen des Familiengerichts (etwa bei Entziehung der elterlichen Sorge nach §
1666 BGB) eine Vormundschaft oder Pflegschaft anzuordnen ist. Ein solcher Fall ist hier
indes nicht gegeben, weil die getroffene Maßnahme nicht die elterliche Sorge, sondern
die Vormundschaft des Antragstellers betrifft. Die Entscheidung, durch die dem
bestellten Vormund die Vertretungsmacht für einzelne Angelegenheiten oder einen
bestimmten Kreis von Angelegenheiten entzogen wird (§ 1796 BGB), ist mithin ebenso
wie die Änderung sonstiger vom Vormundschaftsgericht getroffener, auch nach der
neuen Rechtslage in seine Zuständigkeit fallender Anordnungen (§ 1696 BGB) auch
weiterhin von dem Vormundschaftsgericht in eigener Zuständigkeit zu treffen.
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Zuständig wäre das Familiengericht allerdings im Rahmen des in seiner Zuständigkeit
liegenden Verfahrens nach § 1680 Abs. 2 BGB für die Bestellung eines
Verfahrenspflegers für das Kind nach § 50 FGG gewesen, auch soweit eine solche
Bestellung einen Eingriff in die Vertretungsbefugnis des Vormunds beinhaltet.
Ersichtlich hat jedoch das Familiengericht eine solche Verfahrenspflegschaft nicht
anordnen wollen, sondern eine einstweilige Anordnung auf der Grundlage der §§ 1796,
1909 Abs. 1 Satz 1 BGB getroffen und auch treffen wollen. Ein anderes Verständnis der
angefochtenen Entscheidung kommt im Streitfall auch deswegen nicht in Betracht, weil
die Anordnung einer Verfahrenspflegschaft ohnehin die Wahrnehmung von Pass- und
Ausweisangelegenheiten für das Kind nicht umfassen dürfte.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a FGG.
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2) Das Befangenheitsgesuch gegen Richter am Amtsgericht B. ist zulässig, in der Sache
jedoch nicht begründet.
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Nach § 42 Abs. 2 ZPO, der nach § 621 a Abs. 1 Satz 2 ZPO in isolierten Sorgesachen
entsprechend anzuwenden ist, kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit
abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen seine
Unparteilichkeit zu wecken. Ein solcher Grund ist anzunehmen, wenn objektive
Umstände gegeben sind, die vom Standpunkt des Ablehnenden bei vernünftiger
Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht
unvoreingenommen gegenüber (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 21. Aufl., § 42 Rn. 9
m.w.N.).
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Solche objektiven Gründe hat der Antragsteller weder hinreichend dargetan noch
glaubhaft gemacht (§ 44 Abs. 2 ZPO). Hierfür reicht insbesondere der gegen den
abgelehnten Richter erhobene Vorwurf nicht aus, er habe den "vernünftigen Vorschlag"
des Antragstellers "abgekanzelt". Der Hinweis des abgelehnten Richters im dem
Schreiben vom 20. Februar 1999 darauf, der Antragsteller möge seine Meinung noch
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einmal überdenken und nicht auf "Garantien für ein bestimmtes grundsätzlich vom
Gericht und nicht von ihm zu bestimmendes Verfahren" bestehen, ist lediglich als ein - in
der Sache zutreffender - Hinweis des Gerichts zu verstehen, dass es den Vorschlag des
Antragstellers zwar als Anregung zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen
hat, sich gleichwohl aber entsprechend seinem Selbstverständnis nicht das konkrete -
aus seiner Sicht auch unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten zu bestimmende -
Vorgehen bei der Durchführung der Anhörung des Kindes von einer Partei vorschreiben
lassen kann.
Dass der abgelehnte Richter dem Vorschlag des Antragstellers für den
Verfahrensablauf nicht gefolgt ist, ist bei objektiver Betrachtung kein Grund für die
Annahme, er stehe dessen Begehren nicht mehr unvoreingenommen gegenüber. Dies
gilt insbesondere auch deswegen, weil die Befürchtung des Antragstellers, die
Verwandten würden das Kind beeinflussen, wenn sie es nach Deutschland brächten,
nicht gerechtfertigt erscheint. Denn das Kind lebt bereits seit geraumer Zeit gemeinsam
mit ihnen in Tschechien, so dass sie ohnehin genügend Gelegenheit haben, mit dem
Kind über das anhängige Verfahren zu sprechen und auf es Einfluss auszuüben. Mit der
Begleitung nach Deutschland würde insofern lediglich ein ohnehin bestehender
Zustand fortgesetzt. Umgekehrt mag die von dem Antragsteller geäußerte Vermutung
einer Einflussnahme durch die Verwandten des Kindes ein Hinweis darauf sein, dass er
möglicherweise seinerseits mit einem Abholen des Kindes in Tschechien die Hoffnung
verbindet, vor der Anhörung durch das Gericht mit dem Kind über eine dauerhafte
Rückkehr nach Deutschland sprechen zu können. Sofern der Antragsteller befürchtet,
mit der Zustimmung zur Ausstellung eines Passes "sein letztes Pfand" heraus zu geben,
sind nach dem bisherigen Verhalten in dem Verfahren keine konkreten Anhaltspunkte
dafür ersichtlich, dass die tschechischen Verwandten nach Ausstellung eines Passes
für das Kind einer Ladung zur Anhörung vor dem Familiengericht nicht Folge leisten
könnten. Ohnehin musste es aus Sicht des abgelehnten Richters zumindest zweifelhaft
erscheinen, ob es dem Antragsteller mit dem deutschen Kinderausweis überhaupt
gelingen würde, das Kind, das im heutigen Tschechien - der früheren
Tschechoslowakei - geboren ist und dessen Mutter tschechische Staastbürgerin war -
über die tschechisch-deutsche Grenze mit nach Deutschland zu bringen. Dass der
abgelehnte Richter bei dieser Sachlage mit dem Ziel, baldmöglich eine Anhörung des
Kindes zu ermöglichen - dies erscheint gerade auch im vehementen Interesse des
Antragstellers dringend geboten -, die entsprechenden Anordnungen in dem Beschluss
vom 4. Juni 1999 getroffen hat, vermag die Besorgnis der Befangenheit nicht zu
begründen.
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Nichts anderes gilt schließlich für den Umstand, dass das Familiengericht nach Ansicht
des Senats (siehe unter 1) für die im Beschluss vom 4. Juni 1999 getroffenen
Anordnungen sachlich nicht zuständig ist. Fehlerhafte Entscheidungen sind
grundsätzlich kein Ablehnungsgrund, wenn nicht Gründe dargetan werden, die dafür
sprechen, dass die Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung gegenüber der
ablehnenden Partei beruht. Hierfür besteht im Streitfall kein Anhaltspunkt.
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Bei dieser Sachlage muss das Ablehnungsgesuch ohne Erfolg bleiben.
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Beschwerdewert: 2.000 DM
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