Urteil des OLG Köln vom 11.09.2000

OLG Köln: allgemeine geschäftsbedingungen, aufenthalt, unterbringung, schüler, eltern, wechsel, familie, ersparnis, antritt, kündigung

Oberlandesgericht Köln, 16 U 77/99
Datum:
11.09.2000
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
16. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
16 U 77/99
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 3 O 42/99
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 22.06.1999 verkündete
Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 3 O 42/99 - teilweise
abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Der Kläger hat die
Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die in formeller Hinsicht unbedenkliche Berufung hat in der Sache Erfolg.
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Die Klage ist nicht begründet. Ansprüche auf Rückzahlung des Preises für den zehn-
monatigen High-School Aufenthalt in den USA in Höhe von 9.078,00 DM, mit denen der
Senat sich nach der teilweisen Klageabweisung in erster Instanz nur noch zu befassen
hat, stehen dem Kläger nicht zu, denn er hat das Vertragsverhältnis mit dem Beklagten
nicht wirksam gekündigt.
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Auf die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien ist Reisevertragsrecht zumindest
entsprechend anwendbar. Nach überwiegender Meinung gelten die §§ 651a ff. BGB für
Schüleraustauschprogramme unmittelbar, da in derartigen Fällen eine Vielzahl von
Leistungen nach einem vorher festgelegten Programm gebündelt werden und damit
eine Gesamtheit von Reiseleistungen geschuldet wird (vgl. OLG Karlsruhe, RRa 1998,
232 mit Anm. Teichmann S. 233 = NJW-RR 1998, 841; OLG Karlsruhe MDR 1999, 922;
OLG Köln - 1. ZS - Urt. vom 26.02.1998 - 1 U 94/97 - ; vgl. Palandt/Sprau, BGB 59.
Auflage, Einf. v. § 651 a Rdn. 3; OLG Köln - 6. ZS - Urt. vom 04.02.2000 - 6 U 99/99 - ;
Schuster RRa 1997, 107). Hierbei braucht - wie das Landgericht zutreffend ausgeführt
hat - die Tatsache, dass Verträge der vorliegenden Art nicht von der den §§ 651a ff. BGB
zugrunde liegenden Richtlinie 90/314/EWG erfasst sind, weil der Aufenthalt in einer
Gastfamilie nach Auffassung des Europäischen Gerichtshof nicht das
Tatbestandsmerkmal der "Unterbringung" nach Art. 2 Nr. 1 erfülle und die Auswahl der
Gastfamilie keine "andere touristische Dienstleistung" nach dieser Norm darstelle (vgl.
EuGH RRa 1999, 132 = EuZW 1999, 219), der Anwendung von nationalem
Reisevertragsrecht nicht entgegenzustehen; denn die Richtlinie hat lediglich
Mindestschutzcharakter und der deutsche Begriff des Reiseveranstalters geht ohnehin
über die Definition der Richtlinie hinaus (vgl. Führich, Anm. zu BGH LM Heft 8/2000 §
651k BGB Nr. 2). Demgegenüber ist Teichmann (a.a.O.) der Meinung, unter "Reise" i. S.
d. § 651a BGB sei nur eine "Urlaubsreise" zu verstehen. Er will deswegen und wegen
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der Tatsache, dass ein Vertrag über ein Schüleraustauschprogramm sowohl werk-, wie
auch dienst- und mietvertragliche Elemente enthalte, die Vorschriften des Reiserechts
nur entsprechend und nur insoweit, wie sie passen, anwenden, z. B. ohne den
immateriellen Schadensersatzanspruch nach § 651f Abs. 2 BGB (zweifelnd zur
Anwendbarkeit auch Martis MDR 2000, 922, 923).
Welcher der verschiedenen Auffassungen zu folgen ist, kann offen bleiben; denn wegen
der Koppelung der Elemente verschiedener Vertragstypen ist es gerechtfertigt, für den
Fall einer vorzeitigen Lösung von der vertraglichen Bindung nach Antritt der Reise die
Vorschrift des § 651e BGB zumindest entsprechend anzuwenden. Dies gilt um so mehr
als der Beklagte sich selbst als Reiseveranstalter ansieht bzw. im Zeitpunkt des
Vertragsschlusses angesehen hat. In ihren Teilnahmebedingungen ist nämlich für den
Fall eines Rücktritts vor Antritt der Reise eine auf § 651i BGB beruhende Regelung,
insbesondere eine in zeitlicher Hinsicht gestaffelte pauschale Entschädigung nach Abs.
3 dieser Norm enthalten sowie eine Verpflichtung des Teilnehmers zur Zahlung einer
Anzahlung vorgesehen, deren erste Rate nach "Erhalt des Sicherungsscheins nach §
651k BGB" zu leisten ist.
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Die Voraussetzungen für ein Kündigungsrecht des Klägers nach § 651e BGB lagen
indes nicht vor. Hierbei kann es offen bleiben, ob dem Kläger wegen der aufgetretenen
Probleme bei der Unterbringung in einer Gastfamilie ein Kündigungsgrund zustand. Die
Kündigung war nämlich schon deswegen unwirksam, weil dem Beklagten nicht zuvor
gem. § 651e Abs. 2 BGB eine Frist zur Abhilfe gesetzt und die Fristsetzung auch nicht
ausnahmsweise entbehrlich war.
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Der Kläger hat bereits dadurch, dass er sich am 05.09.1998 von Freunden seiner Eltern
bei der Gastfamilie C. abholen ließ, deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er das
Austauschprogramm abbrechen wollte, zumal der Abreise seinem eigenen Vorbringen
zufolge ab dem 01.09.1998 Telefonate seines Vaters vorausgegangen, in denen dieser
um Abhilfe gebeten und auf eine zügige Lösung des Unterbringungsproblems gedrängt
hatte. So sieht es auch der Kläger selbst, der in der Klageschrift vorgetragen hat, er
habe sich gezwungen gesehen, den Aufenthalt abzubrechen und am 11.09.2000 nach
Deutschland zurückzukehren, nachdem der Beklagte es in der Zeit vom 30.08. bis
04.09.1998 nicht geschafft habe, eine andere Gastfamilie zu besorgen. Ferner hat sein
Vater den Beklagte an dem darauffolgenden Montag, dem 07.09.1998 aufgefordert, den
Kläger zurückzuholen und definitive Angaben zum Rückflug zu machen.
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Eine Abhilfe zu diesem Zeitpunkt, also am 05.09.1998 war weder unmöglich, noch war
sie von der Beklagten verweigert worden. Die Beklagte hatte im Gegenteil unstreitig
angeboten, eine neue Gastfamilie zu suchen und den Kläger vorübergehend bei ihrer
örtlichen Betreuerin Frau M. wohnen zu lassen.
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Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Einhaltung der Förmlichkeiten des § 651e Abs. 2
S. 1 BGB, die dem für ihn handelnden Vater des Klägers als Rechtsanwalt bekannt sein
mussten, wegen eines besonderen Interesses entbehrlich war.
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Ein derartiges Interesse könnte nur dann angenommen werden, wenn die Unterkunft
des Klägers während des langen Wochenendes von Samstag, dem 05.09. bis
einschließlich des Feiertags am Montag, dem 07.09.1998 nicht sichergestellt gewesen
wäre. Ein derartiger Fall kann indes schon deshalb nicht angenommen werden, weil der
Kläger die Möglichkeit hatte, bei der örtlichen Koordinatorin der amerikanischen
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Partnerorganisation des Beklagten, der Zeugin M., Unterkunft zu finden. Diese hatte ihm
unstreitig zweimal eine entsprechende Übergangslösung angeboten. Gerade bei
Austauschprogrammen der vorliegenden Art kommt es immer wieder vor, dass aus
Gründen, die in der Person der Gasteltern, des Schülers oder darin liegen, dass beide
nicht zueinander passen, ein Wechsel notwendig ist (vgl. auch OLG Karlsruhe a.a.O.).
Dies ist schon wegen der in dem Katalog des Beklagten offengelegten Tatsache
naheliegend, dass die Gasteltern kein Entgelt erhalten. Hierauf kann und muss sich ein
Teilnehmer an einem Austauschprogramm genau so einstellen, wie darauf, dass ein
ggfls. notwendiger Wechsel gerade auch in seinem eigenem Interesse einer sorgfältigen
Auswahl einer neuen Gastfamilie bedarf, die nicht von heute auf morgen bewerkstelligt
werden kann.
Tatsachen, die einen Zwischenaufenthalt bei der lokalen Koordinatorin, also einer
Person, die mit den Problemen von Austauschschülern ohnehin vertraut war, als
unzumutbar erscheinen lassen könnten, sind nicht erkennbar. Insbesondere lässt sich
dem Prozessvortrag des Klägers nicht entnehmen, dass die Tatsache, dass Frau M.
bereits einen chinesischen Austauschschüler bzw. -studenten aufgenommen hatte, zu
nicht hinnehmbaren räumlichen Verhältnissen oder sonstigen Unzuträglichkeiten, etwa
wegen der in der Aufstellung seines Vaters genannten hygienischen Gründe geführt
hätte. Die bloße "Doppelbelegung" mit einem Schüler einer anderen Hautfarbe reicht
hierfür ebenso wenig wie die Auffassung des Mitarbeiters D. des Beklagten, der in
einem Telefonat vom 31.08.1998 ebenfalls gemeint haben soll, eine Doppelbelegung
komme nicht in Betracht. Zudem kann der Kläger das Vorbringen des Beklagten nicht
widerlegen, Frau M. habe ihm nach der Ablehnung einer vorübergehenden Unterkunft
bei ihr am 03.09.1998 angeboten, das bevorstehende lange Labour-Day-Wochenende
und die darauf folgende Woche bei einer Familie W. zu verbringen.
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Schließlich lassen sich hinreichende Zweifel an der Zuverlässigkeit des Beklagten, die
ggfls. der Einräumung weiterer Abhilfemöglichkeiten als unzumutbar erscheinen lassen
könnten, nicht feststellen. Dies folgt schon daraus, dass der Kläger sich schon nach
wenigen Tagen aus dem Programm gelöst hat. Die Probleme sind - mehr ist nicht
feststellbar - erst am 29.08.1998 aufgetreten und der Kläger hat sich - wie ausgeführt -
bereits am 05.09.1998 von Bekannten seiner Eltern abholen lassen. Ferner hat der
Beklagte dem Kläger eine Übergangslösung - wie auch immer - angeboten. Deshalb ist,
abgesehen von der bloßen und nicht beweisbaren Vermutung des Klägers, dass die
Probleme mit der Familie C. absehbar gewesen seien und der Aufenthalt dort nur als
vorübergehender eingeplant gewesen sei, nichts erkennbar, was so ernsthafte Zweifel
an der Leistungsfähigkeit des Beklagten hätte erwecken können, dass eine Fristsetzung
zur Abhilfe ausnahmsweise entbehrlich gewesen wäre. Insofern unterscheidet sich der
vorliegende Sachverhalt deutlich von dem, der der Entscheidung des hiesigen 1.
Zivilsenats vom 26.02.1998 - 1 U 94/97 - zugrunde lag. Dort war der Schüler nämlich vor
der Kündigung bereits in insgesamt vier Familien, davon in zwei Familien, die die
versprochenen Auswahlkriterien nicht erfüllten und in zwei weiteren, die erst aufgrund
der Initiative Dritter gefunden worden waren, untergebracht gewesen. Ferner war dort
eine Abhilfe verweigert worden. Auch erlauben Presseberichte über Unzuträglichkeiten
im Rahmen von Schüleraustauschprogrammen und der Umstand, dass in einem in
einem Artikel geschilderten Fall der Schüler von der Beklagten vermittelt worden war,
keine Rückschlüsse auf die hier zu beurteilende Situation.
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Der dem Beklagten mithin verbleibende Anspruch auf den vereinbarten Preis ist nicht
um ersparte Aufwendungen zu mindern. Die Beklagte muss sich zwar wegen der
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vorzeitigen Rückreise des Klägers ersparte Aufwendungen anrechnen lassen, und zwar
sowohl nach ihren als Allgemeine Geschäftsbedingungen zu behandelnden
Prospektangaben wie auch nach § 649 S. 2 BGB, der einschließlich der hierzu
entwickelten Darlegungs- und Beweislastgrundsätze entsprechend anwendbar ist (vgl.
Palandt/Sprau a.a.O. § 651i Rdn. 3).
Es kann indes nicht festgestellt werden, dass die Beklagte über die von ihr bereits
vorprozessual erstatteten anteiligen Krankenversicherungskosten von 452,00 DM
hinaus Aufwendungen erspart hat.
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Auf die Anheimgabe des Senats hat der Beklagte zu jeder Position der von ihr zu
erbringenden Leistungen nähere Ausführungen im Hinblick auf eine etwaige Ersparnis
gemacht. Hieraus ergibt sich in Verbindung mit der Gegenäußerung des Klägers, dass -
abgesehen von drei Positionen, zu denen diese Frage streitig ist - eine Ersparnis nicht
eingetreten ist. Die streitigen Positionen betreffen etwaige Kosten für die Unterbringung
in der Gastfamilie, für Studienplatz und Unterricht sowie für die Betreuung in
Deutschland und im Gastland während des gesamten Aufenthaltes. Hierzu hat der
Beklagte vorgetragen, er habe für an ihre US-amerikanische Partnerorganisation eine
Pauschale gezahlt, die nach den getroffenen Abreden nicht zurückgefordert werden
könne und nicht zurückgezahlt worden sei, weil die Austauschschüler von den
amerikanischen Familien unentgeltlich aufgenommen würden und öffentliche Schulen
besuchten, für die kein Schulgeld anfalle.
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Damit ist der Beklagte der ihr obliegenden Pflicht zur substantiierten Darlegung ihres
Vergütungsanspruchs für nicht erbrachte Leistungen nachgekommen. Dies hat die
Folge, dass der Kläger, der die Darlegungs- und Beweislast dafür hat, dass die
Ersparnisse höher sind als von dem Beklagten vorgetragen, gehalten gewesen wäre,
vorzutragen, dass es sich tatsächlich anders verhalten habe (BGH in st. Rspr., z. B. BGH
NJW 1999, 1253). Ein bloßes Bestreiten, auf das der Kläger sich beschränkt, obwohl er
in dem Senatsbeschluss vom 08.05.2000 unter Quellenangabe auf die Darlegungs- und
Beweislastgrundsätze zu § 649 S. 2 BGB hingewiesen worden ist, reicht hierfür nicht.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 9, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Beschwer: nicht mehr als 60.000,00 DM
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