Urteil des OLG Köln vom 26.01.1995

OLG Köln (obg, gewinn, unmittelbarer schaden, entschädigung, genehmigung, zpo, ersatz, verwaltungsgericht, aufgaben, schaden)

Oberlandesgericht Köln, 7 U 151/94
Datum:
26.01.1995
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
7. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 U 151/94
Schlagworte:
Versagen der Baugenehmigung als ordnungsbehördliche Maßnahme,
Entschädigung, Verwaltungsakt, Rechtswidrigkeit
Normen:
OBG NW §§ 39, 40; PRPVG § 70; BAUO NW §§ 57, 70; BAUGB § 29;
Leitsätze:
1. Durch § 39 I b OBG NW wird eine Entschädigungspflicht auch für die
Fälle normiert, in denen die Bauaufsichtsbehörde eine
Baugenehmigung in fehlerhafter Anwendung von Bestimmungen des
Bauplanungsrechts versagt. Zwar steht dem Landesgesetzgeber für das
Bauplanungsrecht eine Sachkompetenz nicht zu. Durch § 29 BauGB
wird jedoch das Bauplanungsrecht mit dem in die Kompetenz der
Länder fallenden Bauordnungsrecht verknüpft, so daß es gerechtfertigt
ist, die Befugnis des Landesgesetzgebers zum Erlaß von
Entschädigungsregelungen als Annexkompetenz zur
Verfahrensgesetzgebungskompetenz anzusehen. 2. Für Gewinn, der
dem Betroffenen infolge einer rechtswidrigen ordnungs-behördlichen
Maßnahme entgangen ist, ist gem. § 40 I 2 OBG NW grundsätzlich
Entschädigung zu leisten. Der Landesgesetzgeber hat insoweit die
restriktivere Vorläuferregelung des § 70 PrPVG nicht übernommen.
T a t b e s t a n d:
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Die Klägerin ist gewerbliche Automatenaufstellerin und Betreiberin von Spielhallen. Im
Januar 1991 beantragte sie für eine auf dem Grundstück W.straße in L. geplante
Spielhalle die Genehmigung einer Nutzungsänderung, die ihr das Bauaufsichtsamt der
Beklagten versagte. Mit ihrer dagegen gerichteten Klage hatte sie Erfolg. Mit Urteil vom
24.11.1992 gab das Verwaltungsgericht K. der Beklagten auf, der Klägerin die
beantragte Genehmigung zu erteilen.
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Im vorliegenden Verfahren nimmt die Klägerin die Beklagte auf Ersatz des durch die
Versagung der Genehmigung entgangenen Gewinns für die Zeit vom 01.05.1991 bis
zum 31.03.1993 in Anspruch. Sie hat behauptet, ihr seien Nettoeinnahmen in Höhe von
monatlich 27.000,00 DM entgangen, wovon nach Abzug aller Belastungen ein Gewinn
von monatlich 10.386,00 DM verblieben wäre.
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Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 238.878,00 DM nebst 12 % Zinsen seit dem
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06.08.1993 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat geltend gemacht, im Hinblick auf
die unklare und schwierige Rechtslage fehle es für einen Schadensersatzanspruch aus
Amtspflichtverletzung an dem erforderlichen Verschulden. Auch eine Entschädigung
nach §§ 39, 40 OBG stehe der Klägerin nicht zu, weil der entgangene Gewinn einen
mittelbaren Schaden darstelle, der nach § 40 OBG nur dann auszugleichen sei, wenn in
eine durch die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG geschützte Rechtsposition
eingegriffen werde, was einen bereits eingerichteten Betrieb voraussetze. Außerdem sei
das Zahlenwerk der Klägerin unrealistisch.
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Das Landgericht hat die Klage mit Grundurteil vom 19.04.1994 dem Grunde nach für
gerechtfertigt erklärt. Es hat gemeint, die Versagung der Genehmigung stelle eine
rechtswidrige Maßnahme im Sinne des § 39 Abs. 1 lit. b) OBG dar, für deren Folgen die
Beklagte ersatzpflichtig sei. Die von der Beklagten zum Umfang der Ersatzpflicht
vertretene Auffassung sei unzutreffend. Die für den enteignungsgleichen Eingriff
geltenden Maßstäbe seien auf den Anspruch aus §§ 39, 40 OBG nicht übertragbar.
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Gegen das ihr am 03.05.1994 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem am
03.06.1994 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis
zum 04.08.1994 verlängerten Frist begründet. Sie hält an ihrer in erster Instanz
vertretenen Auffassung fest und verfolgt ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die
Klägerin beantragt die Zurückweisung der Berufung.
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Wegen der näheren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes einschließlich des
genauen Inhalts der gestellten Anträge wird auf das angefochtene Urteil und auf die in
der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze sowie auf das Protokoll der
Senatssitzung vom 08.12.1994 Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Die Berufung ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
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Dem Landgericht ist darin zu folgen, daß der Klägerin ein Schadensersatzanspruch
nach § 39 Abs. 1 lit. b) OBG zusteht, der auch den entgangenen Gewinn umfaßt.
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I. Der Bescheid vom 02.05.1991, mit dem das Bauaufsichtsamt der Beklagten die
Erteilung der von der Klägerin beantragten Genehmigung abgelehnt hat, ist eine
ordnungsbehördliche Maßnahme im Sinne des § 39 OBG.
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Das Bauaufsichtsamt der Beklagten ist als untere Bauaufsichtsbehörde tätig geworden
(§ 57 Abs. 1 Nr. 3 a) BauO). Die Bauaufsichtsbehörden sind Ordnungsbehörden, da die
ihnen obliegenden Aufgaben nach der ausdrücklichen Bestimmung des § 57 Abs. 2
BauO als solche der Gefahrenabwehr gelten. Zu diesen Aufgaben gehört nach § 70
BauO namentlich auch die Erteilung von Baugenehmigungen. Es ist deshalb allgemein
anerkannt, daß die Erteilung ebenso wie die Versagung einer Bauerlaubnis als
Maßnahmen im Sinne des § 39 OBG zu qualifizieren sind (vgl. Prior, BauR 1987, 157,
159 m.w.N.).
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Dieser Beurteilung steht im vorliegenden Fall auch nicht entgegen, daß das
Bauaufsichtsamt der Beklagten die Versagung der Genehmigung auf § 30 BauGB
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gestützt und damit materiell nicht Polizeirecht, sondern Bauplanungsrecht angewandt
hat, das dem Bodenrecht (Art. 74 Nr. 18 GG) zuzuordnen ist. Der Tatbestand des § 39
Abs. 1 lit. b) OBG (in Verbindung mit § 57 Abs. 2 BauO) läßt eine Unterscheidung
danach, ob die Bauaufsichtsbehörde im Einzelfall Bauordnungsrecht oder
Bauplanungsrecht angewandt hat, nicht zu. Der Auffassung, dem Landesgesetzgeber
fehle für die Entschädigungsregelung im Zusammenhang mit der Anwendung von
Bauplanungsrecht die Gesetzgebungskompetenz (so Kasten, JuS 1986, 452), folgt der
Senat nicht. Sie entspricht auch nicht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der
die Anwendbarkeit des § 39 Abs. 1 lit. b) OBG auf Verwaltungsakte und Auskünfte
bauplanungsrechtlichen Inhalts mehrfach bejaht hat (BGHZ 72, 273, 276; 92, 302, 304;
NJW 1978, 1522, 1523). Allerdings hat er die Zuständigkeitsfrage in einem Fall, in dem
sie von der Vorinstanz ausdrücklich aufgeworfen worden war, unentschieden gelassen
(BGHZ 82, 360, 365). Für das Gebiet des Polizei- und Ordnungsrechts hat er dem
Landesgesetzgeber die Befugnis, Entschädigungsregelungen zu treffen, als
Annexkompetenz zur Sachkompetenz zugebilligt (BGHZ 72, 273, 277; 82, 360, 364).
Für das Gebiet des Bauplanungsrechts steht dem Landesgesetzgeber schon die
Sachkompetenz nicht zu. Nach Auffassung des Senats läßt sich aber die Zuständigkeit
des Landes auch mit verfahrensrechtlichen Erwägungen begründen. Für die
Durchsetzung der Bauplanung hat der Bundesgesetzgeber keine eigene
Verfahrensordnung erlassen, sondern die Ausgestaltung des Verfahrens mit der
entsprechenden Gesetzgebungskompetenz den Ländern überlassen. Durch § 29
BauGB wird die planungsrechtliche Zulässigkeitsprüfung in das bauordnungsrechtliche
Genehmigungsverfahren verwiesen. Aufgrund dieser verfahrensrechtlichen
Verknüpfung des Bauplanungsrechts mit dem Bauordnungsrecht besteht eine
Verfahrensgesetzgebungskompetenz der Länder, der die Befugnis zum Erlaß von
Entschädigungsregelungen als Annexkompetenz zugeordnet werden kann (vgl. Fink,
NVwZ 1992, 1048). Da Behörden und Beamte des Bundes von der
Entschädigungsregelung nicht betroffen sind, werden durch die Zuständigkeit der
Länder fiskalische Interessen des Bundes nicht berührt.
II. Der Bescheid des Bauaufsichtsamts war, wie das Verwaltungsgericht Köln mit Urteil
vom 24.11.1992 festgestellt hat, auch rechtswidrig. Nach ständiger Rechtsprechung sind
verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, die die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit
der in Rede stehenden Maßnahme rechtskräftig feststellen, für das Zivilgericht bindend
(BGH NJW 1994, 1950; BGHZ 95, 28, 35 m.w.N.).
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III. Zu dem entgangenen Gewinn, den die Beklagte nach § 40 Abs. 1 Satz 2 OBG zu
ersetzen hat, gehören auch die Nachteile, die die Klägerin dadurch erlitten hat, daß der
Spielbetrieb infolge der Nichtgenehmigung der Nutzungsänderung erst mit erheblicher
Verzögerung aufgenommen werden konnte.
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1. Ob sich der entgangene Gewinn als mittelbarer oder unmittelbarer Schaden darstellt,
ist für die Ersatzpflicht belanglos. Nach dem klaren Wortlaut des § 40 Abs. 1 Satz 2 OBG
gelten für den entgangenen Gewinn und die sonstigen Vermögensnachteile
unterschiedliche Voraussetzungen. Die Einschränkung der Ersatzpflicht für Schäden,
die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der zu entschädigenden Maßnahme
stehen, gilt nur für die anderen Vermögensnachteile, die keinen entgangenen Gewinn,
Verdienst oder Nutzungsentgelt darstellen (BGH NJW 1986, 182).
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2. Die nach § 40 Abs. 1 Satz 2 OBG zu leistende Entschädigung ist auch nicht auf
Nutzungen aus bereits vorhandenen Anlagen und Einrichtungen beschränkt.
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An der Auffassung, die der Senat hierzu in dem von der Beklagten als Beleg für ihren
Standpunkt herangezogenen Urteil vom 01.07.1993 - 7 U 18/93 - ohne nähere
Begründung vertreten hat, wird nicht festgehalten. Die in dem Urteil zitierte
Kommentarmeinung (Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl., Seite 671)
berücksichtigt nicht, daß der nordrhein-westfälische Gesetzgeber die Regelung des § 70
PrPVG nicht unverändert übernommen hat. Nach der preußischen Bestimmung konnte
der Betroffene ,Ersatz des ihm durch die Maßnahmen entstandenen Schadens
verlangen". Diese Bestimmung legte der Bundesgerichtshof unter Würdigung ihrer
Entstehungsgeschichte dahin aus, daß Entschädigung wegen entgangenen Gewinns
,grundsätzlich nicht" beansprucht werden konnte (BGHZ 14, 363, 366). § 40 Abs. 1 Satz
2 OBG sieht aber ausdrücklich, sei es auch mit Einschränkungen, eine Entschädigung
für den entgangenen Gewinn vor. Die Einschränkungen verdeutlichen nur, daß der
nordrhein-westfälische Gesetzgeber zwischen den beiden möglichen Varianten,
nämlich einer Übernahme der Regelung des § 70 PrPVG und dem vollen
Schadensersatz nach §§ 249 ff. BGB, einen Mittelweg gehen wollte. Grundsätzlich
sollte, wie aus dem klaren Wortlaut des § 40 Abs. 1 Satz 2 OBG folgt, der entgangene
Gewinn in die Entschädigung einbezogen werden. Dem entspricht auch die Auslegung
der Vorschrift durch den Bundesgerichtshof, der als Eigenart der Entschädigung nach
§§ 39, 40 OBG hervorgehoben hat, daß sie im Gegensatz zur
Enteignungsentschädigung die Beeinträchtigung einer Rechtsposition des Betroffenen
nicht voraussetze (BGHZ 72, 273, 276).
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Die Entscheidung darüber, ob der von der Klägerin geltendgemachte Nutzungsausfall
das Maß des ,gewöhnlichen Verdienstes oder Nutzungsentgelts" (§ 40 Abs. 1 Satz 2
OBG) teilweise übersteigt, kann dem Betragsverfahren vorbehalten bleiben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und Sicherheitsleistung folgt aus
§§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Berufungsstreitwert und Wert der Beschwer: 238.878,00 DM.
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