Urteil des OLG Köln vom 25.08.2010

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Oberlandesgericht Köln, 5 U 73/10
Datum:
25.08.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
5 U 73/10
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 11 O 296/09
Tenor:
I.
Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das am 28.
April 2010 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts
Aachen (11 O 296/09) durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als
unbegründet zurückzuweisen.
II.
Die Klägerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesem Hinweis
binnen drei Wochen ab Zugang dieses Beschlusses.
G r ü n d e:
1
I.
2
Die Entscheidung des Landgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch
rechtfertigen die im Berufungsverfahren zugrunde zu legenden Tatsachen (§§ 529, 531
ZPO) eine andere Entscheidung (§ 513 ZPO).
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Das Landgericht hat vielmehr zu Recht entschieden, dass der Klägerin gegen die
Beklagte aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt Ansprüche auf Zahlung von
Schadensersatz wegen eines Fehlverhaltens bei der Pflege der Patientin D. N. am 23.
November 2006 zustehen. Auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen
Entscheidung, die sich der Senat zu Eigen macht, wird hier zur Vermeidung von
Wiederholungen vollumfänglich Bezug genommen. Das Berufungsvorbringen der
Klägerin rechtfertigt eine abweichende Entscheidung nicht.
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1.
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Bei dieser Beurteilung geht der Senat zwar vom Ansatz her davon aus, dass bei der
Pflege der Patientin D. N. (geb. am 10. Juni 1920 und damit im November 2006 86
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Jahre alt; i. F.: die Patientin) am 23. November 2006 der für die Beklagte tätigen
Pflegekraft eine Pflichtverletzung unterlaufen ist, für die die Beklagte vom Ansatz her
einzustehen hat.
Denn nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass der
Beklagten als einer Einrichtung der Tagespflege ebenso wie einem Krankenhaus oder
Pflegeheim grundsätzlich auch Obhutspflichten zum Schutze der körperlichen
Unversehrtheit der ihr anvertrauten Patienten sowie Verkehrsicherungspflichten zum
Schutze des Patienten vor Schädigungen, die diesen wegen ihrer Krankheit durch sich
selbst drohen und deren schuldhafte Verletzung zu Schadensersatzansprüchen führen
können, wobei diese Pflichten grundsätzlich auf die für Pflegekräfte üblichen
Maßnahmen begrenzt sind, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen
Aufwand realisierbar sind [vgl. hierfür insb. BGH, NJW 2005, 1937, Juris-Rn. 6, 7, und
auch BGH, NJW 2005, 2613, Juris-Rn. 6 zu den Pflichten der Träger von Pflegeheimen].
Ferner geht der Senat – ebenso wie das Landgericht – davon aus, dass es
grundsätzlich eine übliche, mit einfachem finanziellem und personellem Aufwand
realisierbare Maßnahme darstellt, wenn ein Pflegebett nach Durchführung der
Pflegemaßnahmen wieder zurück auf eine tiefe Stufe gefahren wird, um dem Patienten
ein eigenständiges einfaches Aufstehen und Hinlegen zu ermöglichen. Zudem ist
unstreitig, dass die für die Beklagte tätig gewesene Hilfskraft am 23. November 2006 –
aus welchem Grund auch immer – das Pflegebett der Patientin nach Durchführung der
Pflegemaßnahmen nicht entsprechend der Handhabung an den 11 Tagen zuvor von der
für die Pflegemaßnahmen erforderlichen höheren Stufe auf die niedrigste Stufe
heruntergefahren hat.
7
2.
8
Der Senat sieht aber – ebenso wie das Landgericht – ein Mitverschulden der Patientin
an dem Sturz, das als so überwiegend zu bewerten ist, dass dahinter der
Mitverschuldensanteil der Beklagten wegen des Versäumnisses der für diese tätig
gewordenen Pflegekraft vollständig zurücktritt.
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a)
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Für diese Beurteilung bedarf er keiner Klärung der zwischen den Parteien umstrittenen
Fragen, ob die für die für die Beklagte tätig gewesene Pflegekraft die und ggf. in welcher
Funktion und auf wessen Veranlassung sich die im Haushalt der Patientin in der
fraglichen Zeit tätig gewesene weitere Hilfskraft nach Abschluss der Pflegemaßnahmen
der für die Beklagte tätig gewesene Pflegekraft in die Betreuung der Patientin
eingeschaltet hat.
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b)
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Denn die Patientin war zu der fraglichen Zeit zwar unstreitig 86 Jahre alt, aber ebenso
unstreitig noch geistig fit und nicht dement. Im Hinblick darauf ist davon auszugehen,
dass die Patientin in den 13 Tagen vor dem 23. November 2006 wahrgenommen hat,
dass ihr Pflegebett jeweils vor den Pflegemaßnahmen durch die für die Beklagte tätig
gewesene Pflegekraft auf die für diese Maßnahmen erforderliche Höhe hochgefahren
und nach den Pflegemaßnahmen wieder auf die niedrigste Stufe heruntergefahren
worden ist. Ferner ist im Hinblick auf die geistige Fitness der Patientin davon
auszugehen, dass sie am 23. November 2006 erkennen konnte, dass ihr Pflegebett an
13
diesem Tag zwar wie in den 13 vorangegangenen Tagen vor der Durchführung der
üblichen Pflegemaßnahmen hochgefahren, aber anschließend nicht in der üblichen
Weise wieder auf die niedrigste Stufe herunter gefahren worden ist. Für diese
Beurteilung kann als wahr unterstellt werden, dass die Patientin entsprechend der
Behauptung der Klägerin zu der fraglichen Zeit in ihrer Sehfähigkeit erheblich
eingeschränkt war. Denn für die Wahrnehmung des Herunterfahrens des Pflegebettes,
in dem ein Patient liegt, bedarf der Patient nicht der Fähigkeit zu sehen. Dieser Vorgang
ist für ihn vielmehr auch durch seine anderen Sinne hinreichend deutlich wahrnehmbar.
Im Übrigen ist auch davon auszugehen, dass die Patientin aufgrund ihrer Erfahrung in
den vorangegangen 13 Tagen ein Gefühl dafür entwickelt hat, wie ihr Bett eingestellt
war, wenn sie alleine aufgestanden ist, und dass sie aufgrund dessen hat erfassen
können, dass ihr Bett beim Aufstehen in der Mittagszeit des 23. November 2006 anders
eingestellt war als in den Tagen zuvor üblich. Die Patientin war zudem unstreitig ohne
weiteres in der Lage, ihr Pflegebett mittels der zu diesem Bett gehörenden
Fernbedienung selbst in die niedrigste Stufe herunterzufahren. Die Patientin war
dementsprechend – worauf bereits das Landgericht zu Recht abgestellt hat – geistig und
körperlich in der Lage zu erfassen, ob das Bett für ein eigenständiges Aufstehen zu
hoch eingestellt war oder nicht, und alsdann erforderlichenfalls selbst die gewünschte
Position einzustellen. Außerdem hätte die Patientin vor dem Aufstehen ohne weiteres
auch ihre Tochter zu Hilfe rufen können, die sich unstreitig zu der Mittagszeit des 23.
November 2006, als es im Zusammenhang mit einem Aufstehvorgang zu dem Sturz der
Patientin gekommen ist, in der Wohnung befunden hatte.
c)
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Aus den soeben zu b) ausgeführten Gründen beruft sich die Klägerin auch ohne Erfolg
darauf, dass das Zurückfahren des Pflegbettes auf die niedrigste Stufe durch die
Pflegekraft nach 13 Tagen zur Routine geworden und dass im Hinblick darauf die
Sorgfaltspflichten der Patientin eingeschränkt gewesen seien, weil sie sich darauf habe
verlassen können, dass auch am 14. Tag das Bett nach den Pflegemaßnahmen in der
üblichen Weise zurückgefahren worden ist. Denn zum einen war ebenso wie die
Pflegekraft auch die Patientin selbst jeden Tag aufs Neue gehalten, achtsam zu sein
und eine Selbstgefährdung möglichst zu vermeiden. Und zum anderen war es für die
Patientin durch die Routine, die sich nach 13 Tagen stets gleichförmiger
Pflegemaßnahmen eingestellt hatte, sehr leicht zu erfassen, dass beim 14. Mal etwas
anders war als an den Tagen zuvor.
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d)
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Die Unachtsamkeit der Patientin bewertet auch der Senat als so überwiegend, dass
dahinter die Pflichtverletzung der Pflegekraft der Beklagten vollständig zurücktritt.
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II.
18
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung; weder die Fortbildung des
Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine
Entscheidung des Senats aufgrund mündlicher Verhandlung (§ 522 Abs. 2 Nr. 2, 3
ZPO).
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Köln, den 25.08.2010
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Oberlandesgericht Köln, 5. Zivilsenat
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