Urteil des OLG Köln vom 23.07.1999

OLG Köln: geschwindigkeitsüberschreitung, fahrverbot, innerorts, geschwindigkeitsbeschränkung, zone, fahrzeug, gerät, ordnungswidrigkeit, gegenverkehr, rechtskraft

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Oberlandesgericht Köln, Ss 310/99 (B) 150 B
23.07.1999
Oberlandesgericht Köln
1. Strafsenat
Beschluss
Ss 310/99 (B) 150 B
Unter Verwerfung der weitergehenden Rechtsbeschwerde wird das
angefochtene Urteil wie folgt abgeändert:
Der Betroffene wird wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen
Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 280,00 DM verurteilt.
Die Gerichtsgebühr für die Rechtsbeschwerdeinstanz wird auf die Hälfte
ermäßigt. Die dem Betroffenen in der Rechtsbeschwerdeinstanz
entstandenen notwendigen Auslagen werden zur Hälfte der Staatskasse
auferlegt.
- §§ 41 Abs. 2 Nr. 7, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, § 24 StVG -
G r ü n d e :
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit nach
"21 Abs. 1, 49 StVO" zu einer Geldbuße von 280,00 DM verurteilt. Es hat dem Betroffenen
ein Fahrverbot von der Dauer eines Monats auferlegt. Das Amtsgericht hat folgende
Feststellungen getroffen:
"Am 18.08.1998 befuhr der Betroffene gegen 18.07 Uhr in L. den I. Weg in Richtung
E.straße mit seinem PKW, Marke BMW, amtliches Kennzeichen xxx- x xxx. Dabei
überschritt er fahrlässig die durch Verkehrszeichen 274.1 an der Einmündung der Straße I.
Weg im F. ausgewiesene zulässige Geschwindigkeit von 30 km/h erheblich. Nach Abzug
eines Toleranzwertes verblieb eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 33 km/h. Die
Geschwindigkeitsüberschreitung wurde mit dem Lasermeßgerät Riegl LR 90-235/P Nr. S
125897 eingemessen. Das Gerät wurde ausweislich der bei den Akten befindlichen
Eichbescheinigung am 20.05.1997 geeicht. Das Ende der Eichgültigkeit liegt am
31.12.1998."
Aus den Ausführungen zum Rechtsfolgenausspruch ergibt sich, dass die
Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts begangen wurde.
Die Einlassung des Betroffenen, er habe das Verkehrszeichen 274.1 (30 km/h Zone) nicht
gesehen, möglicherweise sei es für ihn wegen eines entgegenkommenden größeren
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Fahrzeugs verdeckt gewesen, hat das Amtsgericht als widerlegt angesehen. Insoweit hat
das Amtsgericht ausgeführt:
"Bei Anspannung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte er das an der
Einmündung der Straßen I. Weg / Im F. aufgestellte Verkehrsschild xxx.x erkennen können
und müssen. Ausweislich der in der Hauptverhandlung in Augenschein genommenen
Fotografien Bl. 23 und 24 d.A., sowie der in der Hauptverhandlung verlesenen und zum
Gegenstand der Hauptverhandlung gemachten dienstlichen Äußerung des
Polizeikommissars H. am 04.01.1999 (Bl. 22 d.A.) kann ein großes entgegenkommendes
Fahrzeug zwar kurzfristig je nach Position und Blickwinkel die Sicht auf das
Verkehrszeichen beschränken. Das Verkehrsschild ist für einen heranfahrenden PKW
jedoch schon aus einer Entfernung von über 100 m erstmals sichtbar. Es hätte somit eine
Möglichkeit bestanden, das Verkehrszeichen wahrzunehmen. Wie der Betroffene selber
einräumt, ist er jedoch unachtsam bzw. abgelenkt gewesen."
Beim Rechtsfolgenausspruch hat das Amtsgericht berücksichtigt, dass dem Betroffenen
durch Bußgeldbescheid vom 30.12.1997 wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von
29 km/h innerorts eine Geldbuße von 120,00 DM auferlegt worden ist. Wegen dieser
Voreintragung hat das Amtsgericht die Geldbuße erhöht. Zum Fahrverbot hat das
Amtsgericht ausgeführt:
"Der Betroffene hat die Geschwindigkeitsüberschreitung grob fahrlässig begangen, da
nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung feststeht, daß die Möglichkeit der
Wahrnehmung des die Geschwindigkeitsbeschränkung anordnenden Verkehrsschildes
schon weit vor dem Erreichen des Schildes gegeben war. Außerdem hätte der Betroffene
durch die besondere Bebauungssituation der Einmündung I. Weg / Im F. (Beginn der
Bebauung) in erhöhtem Maße für die Anordnung verkehrsregelnder Hinweise sensibilisiert
sein müssen. Zudem ist in den letzten zwei Jahren bereits einmal ein Bußgeld wegen einer
innerorts begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung gegen den Betroffenen ergangen.
Die Verhängung eines Fahrverbotes von einem Monat trifft den Betroffenen auch nicht
unverhältnismäßig hart. Seine Existenz als Geschäftsführer einer Reinigungsfirma ist nicht
gefährdet, da er in seiner Firma über Angestellte verfügt, die berufliche Fahrten erledigen
können."
Mit der Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird Freispruch begehrt und Verletzung
materiellen Rechts gerügt. Die Rechtsbeschwerde führt zu einer Änderung des
Schuldspruchs und zum Wegfall des Fahrverbots; die weitergehende Rechtsbeschwerde
ist unbegründet.
Soweit sich die Rechtsbeschwerde gegen die Feststellung einer fahrlässigen
Geschwindigkeitsüberschreitung richtet, ist sie offensichtlich unbegründet. Allerdings ist
zum Schuldspruch der Tenor zu berichtigen. Der im Tenor des Amtsgerichts enthaltene
Verstoß gegen "§ 21 Nr. 1 StVO" kann nur auf einem Versehen beruhen.
Auch die Festsetzung einer Geldbuße von 280,00 DM ist aus Rechtsgründen nicht zu
beanstanden. Es ist nicht rechtsfehlerhaft, wenn das Amtsgericht die in der
Bußgeldkatalogverordnung vorgesehene Regelbuße von 200,00 DM wegen des 3/4-Jahr
zuvor ergangenen Bußgeldbescheids, dem ebenfalls eine Geschwindigkeitsüberschreitung
innerorts zugrunde lag, erhöhte.
Die Verhängung eines Fahrverbots kann jedoch keinen Bestand haben.
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Für die festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung von 33 km/h innerorts sieht der
Bußgeldkatalog zwar nach § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BKatV in Verbindung mit Tabelle 1 a
laufende Nr. 5.3.3 ein Fahrverbot vor, so dass ein grober Verstoß gegen die Pflichten des
Kraftfahrzeugführers nach § 25 Abs. 1 StVG indiziert ist. Außerdem kommt nach § 2 Abs. 2
S. 2 Bußgeldkatalogverordnung in der Regel ein Fahrverbot in Betracht, wenn - wie im
vorliegenden Fall - gegen den Führer eines Kraftfahrzeugs wegen einer
Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h bereits eine Geldbuße
rechtskräftig festgesetzt worden ist und er innerhalb eines Jahres seit Rechtskraft der
Entscheidung eine weitere Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h
begeht.
Die Anordnung eines Fahrverbots wegen grober Verletzung der Pflichten eines
Kraftfahrzeugführers kommt jedoch auch bei einer die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 S. 1
Nr. 1 Bußgeldkatalogverordnung erfüllenden Geschwindigkeitsüberschreitung nicht in
Betracht, wenn die Ordnungswidrigkeit darauf beruht, dass der Betroffene infolge einfacher
Fahrlässigkeit ein die Geschwindigkeit begrenzendes Verkehrszeichen übersehen hat und
keine weiteren Anhaltspunkte vorliegen, aufgrund derer sich die
Geschwindigkeitsbeschränkung aufdrängen müsste (BGH NJW 1997, 3252 = VRS 94, 221;
OLG Hamm NZV 1998, 334 und DAR 1999, 327). Wer eine Geschwindigkeitsbegrenzung
nicht wahrnimmt, handelt nicht grob pflichtwidrig, sofern nicht gerade diese Fehlleistung
ihrerseits auf grober Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit beruht, z.B. in Fällen, in denen
das Zeichen 274 mehrfach wiederholt wurde (BGH a.a.O.), ein sogenannter
Geschwindigkeitstrichter eingerichtet war (BGH a.a.O.; Senatsentscheidung vom
24.04.1998 - Ss 177/98), die Geschwindigkeitsbegrenzung durch eine weithin sichtbare,
ins Augen fallende Verkehrsbeeinflussungsanlage über der Autobahn angeordnet wurde
(Senatsent-scheidung vom 19.12.1997 - Ss 703/97) oder die Anordnung einer
Geschwindigkeitsbeschränkung sich aufgrund der ohne weiteres erkennbaren Situation
(Art der Bebauung) jedermann aufdrängt (OLG Celle NZV 1998, 254; vgl. auch OLG
Braunschweig NZV 1998, 420; OLG Zweibrücken NZV 1998, 420).
Im vorliegenden Fall hat das Amtsgericht dem Betroffenen nicht widerlegen können, dass
er das Verkehrszeichen übersehen hat. Besondere Umstände, die das Übersehen des
Verkehrszeichens als grob pflichtwidrig erscheinen lassen könnten, sind nicht festgestellt.
Aus dem Inbegriff der Urteilsgründe ergibt sich, dass das Verkehrszeichen xxx.x in
Fahrtrichtung des Betroffenen nur an einer Stelle aufgestellt war und zwar - wiederum in
Fahrtrichtung des Betroffenen gesehen - links der Straße. Anders lässt sich nicht erklären,
dass das Amtsgericht nur von dem Verkehrszeichen in der Einzahl spricht und dem
Betroffenen nicht zu widerlegen war, dass ein entgegenkommendes Fahrzeug zumindest
kurzfristig die Sicht auf das Verkehrszeichen beeinträchtigte; denn der Blick auf ein am
rechten Straßenrand stehendes Verkehrszeichen wäre durch Gegenverkehr nicht
beeinträchtigt worden. Allein das Übersehen eines einzelnen am linken Fahrbahnrand
aufgestellten Verkehrszeichens lässt schon deswegen keinen Schluss auf grobe
Pflichtwidrigkeit zu, weil der Autofahrer verpflichtet ist, in erster Linie die auf der rechten
Straßenseite angebrachte Beschilderung zu Kenntnis zu nehmen und zu beachten
(BayOblG NZV 1998, 255). Nach III 8 der Vwv zu §§ 39 bis 43 StVO sind Verkehrszeichen
auf der rechten Straßenseite anzubringen. Links dürften sie nur angebracht werden, wenn
Missverständnisse darüber, dass sie für den gesamten Verkehr in eine Richtung gelten,
nicht entstehen können und wenn sie so besonders auffallen und jederzeit im Blickfeld des
Fahrers liegen. Dass diese Voraussetzungen vorlagen, kann den amtsgerichtlichen
Feststellungen nicht entnommen werden. Der Umstand, dass dem Betroffenen nicht zu
widerlegen war, dass er zumindest zeitweise das Verkehrszeichen wegen
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entgegenkommenden Verkehrs nicht sehen konnte, spricht für das Gegenteil.
Warum sich dem Betroffenen aufdrängen sollte, dass er in eine 30 km/h-Zone einfuhr,
ergibt sich nicht aus dem Urteil. Der "Beginn der Bebauung" konnte Anlass geben, mit
einer Beschränkung der zulässigen Geschwindigkeit auf 50 km/h zu rechnen, nicht aber mit
einer Beschränkung auf 30 km/h. Davon, dass die vom Betroffenen befahrene Straße durch
Blumenkübel, Aufpflasterungen oder Fahrbahnverengungen als 30 km/h-Zone erkennbar
war, kann mangels entsprechender Feststellungen des Amtsgerichts nicht ausgegangen
werden.
Unter diesen Umständen fehlt es an dem Nachweis einer groben Pflichtwidrigkeit.
Auch auf § 2 Abs. 2 S. 2 Bußgeldkatalogverordnung konnte das Fahrverbot nicht fehlerfrei
gestützt werden. Beruht die Verkehrsordnungswidrigkeit nicht ausschließbar auf einem
Augenblicksversagen, so entfällt auch bei beharrlichen Pflichtverstößen die Indizwirkung
(OLG Braunschweig DAR 1999, 273 = NZV 1999, 303; Jagusch/Hentschel,
Straßenverkehrsrecht, 35. Aufl., § 25 StVG Rdnr. 15). Soweit der Senat in früheren
Entscheidungen (Senatsentscheidung vom 02.03.1998 - Ss 55/98 - und vom 06.03.1998 -
Ss 78/98) eine andere Ansicht vertreten hat, wird daran nicht festgehalten.
Da nicht zu erwarten ist, dass in einer neuen Hauptverhandlung noch Feststellungen
getroffen werden können, die rechtsfehlerfrei ein Augenblicksversagen des Betroffenen
ausschließen, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden und das Fahrverbot
entfallen lassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO i.V.m. § 46 OWiG