Urteil des OLG Köln vom 21.12.2007

OLG Köln: produkt, arzneimittel, lebensmittel, eugh, verbraucher, erzeugnis, soziale sicherheit, pflanze, zutat, begriff

Oberlandesgericht Köln, 6 U 64/06
Datum:
21.12.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 U 64/06
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 81 O 257/02
Tenor:
1.) Auf die Berufung der Beklagten wird das am 3.2.2006 verkündete
Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln – 81 O
257/02 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
2.) Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen hat die Klägerin zu
tragen.
3.) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann jedoch die Vollstreckung des
Kostenerstattungsanspruches durch Sicherheitsleistung in Höhe von
110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden,
wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von
110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4.) Die Revision wird zugelassen.
B e g r ü n d u n g
1
I
2
Die Parteien stehen sich als Hersteller und Vertreiber von Ginkgo-Produkten
gegenüber. Dabei handelt es sich um Erzeugnisse, die unter Verwendung von
Trockenextrakt der Ginkgo-biloba Pflanze hergestellt werden. Ginkgo biloba ist eine aus
China stammende Heilpflanze, der – abhängig von der eingenommenen Menge –
bestimmte auch heilende Wirkungen zugeordnet werden. Die pharmakologischen
Eigenschaften und Anwendungsgebiete für Trockenextrakt aus Ginkgo-biloba Blättern
sind in einer Monographie des damaligen Bundesgesundheitsamtes vom 19.07.1994
dargelegt, wegen deren Wortlautes auf die Anlage K 8 Bezug genommen wird. Nach
dieser Monographie weist Ginkgo-biloba-Extrakt jedenfalls in einer eingenommenen
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Tagesdosis von 120 Milligramm pharmakologische Wirkung auf. Neben der
Aufbereitungsmonographie des früheren Bundesgesundheitsamtes existiert noch die
Monographie "Folium-Ginkgo" der Weltgesundheitsorganisation (WHO), deren Wortlaut
sich aus der Anlage K 9 ergibt. Die Parteien streiten – nach Beilegung anderer
Streitpunkte – u.a. noch darüber, ob das von der Beklagten vertriebene Ginkgo-Produkt
ein zulassungspflichtiges Arzneimittel darstellt.
Die Klägerin, ein auf die Herstellung und den Vertrieb pflanzlicher Heilmittel
spezialisiertes Unternehmen, vertreibt unter der Bezeichnung "U" ein als Arzneimittel
zugelassenes Ginkgo-Präparat in verschiedenen Dosierungen. Es dient zur
Behandlung hirnorganischer Störungen wie Gedächtnisschwund, Schwindel und
Konzentrationsschwäche.
4
Die Beklagte vertreibt im Rahmen ihrer "Wirkungsgetränkelinie D E" ein nicht als
Arzneimittel zugelassenes Ginkgo-Getränk mit Traubenzucker. Der in diesem Produkt
verarbeitete Ginkgo-Extrakt ist entsprechend den Vorgaben der Monographie des
früheren Bundesgesundheitsamtes (Anlage K 8) gewonnen worden. Das Produkt
besteht zu 0,02 % aus Ginkgo-Extrakt und im Übrigen aus Wasser, Traubenzucker und
weiteren aus der Zutatenliste ersichtlichen Zutaten. Neben der Zutatenliste befindet sich
auf dem rückseitigen Flaschenetikett auch die Angabe "Empfohlen werden täglich ein
bis zwei Gläser". Das Getränk wird in 1-Liter Flaschen abgegeben, deren Ausstattung
aus Seite 5 dieses Urteils sowie – mit einem unwesentlich abgewandelten Etikett - aus
der als Anlage K 6 vorgelegten Originalflasche ersichtlich ist.
5
Die Klägerin hat zunächst eine Anzahl werblicher Aussagen der Beklagten für dieses
Produkt in den Vordergrund ihres Angriffs gestellt, wegen deren Einzelheiten auf die
Klageschrift verwiesen wird. Später hat sie die Anträge umgestellt und mit ihrem
Hauptantrag das Verbot begehrt, das Produkt "D E Ginkgo" in seiner konkreten
Ausstattung in Verkehr zu bringen. Wegen des Wortlautes der zuletzt vor dem
Landgericht gestellten Haupt- und Hilfsanträge wird auf die Seiten 2 – 5 des
Schriftsatzes der Klägerin vom 8.03.2004 (Bl. 279 ff) verwiesen.
6
Die Beklagte hat sich darauf berufen, es handele sich bei dem angegriffenen Produkt
um ein Lebensmittel. Dieses werde in Österreich unbeanstandet hergestellt und in
Verkehr gebracht. Es könne auch als Lebensmittel ohne Weiteres vertrieben werden,
weil es für ein Verbot an der von dem EuGH in der Entscheidung "Van-Bennekom"
vorausgesetzten Gesundheitsgefährdung fehle. Für die Annahme, es handele sich um
ein Lebensmittel, spreche nicht nur die Zusammensetzung des Produktes, sondern auch
der Umstand, dass sich eine Anzahl von weiteren Erzeugnissen, die ebenfalls Ginkgo-
Extrakt enthielten, als Lebensmittel auf dem Markt befänden. Zudem liege die
empfohlene Trinkmenge weit unter der in der Aufbereitungsmonographie aufgeführten
Toleranzschwelle für eine pharmakologischen Wirkung.
7
Das Landgericht, auf dessen tatsächliche Feststellungen im übrigen Bezug genommen
wird, hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, bei dem angegriffenen Produkt
handele es sich zumindest um ein Präsentationsarzneimittel. Dies ergebe sich – wie ab
S. 10 der Entscheidung näher ausgeführt ist - aus der Ausgestaltung des Etiketts, das
von der Angabe "Ginkgo" und damit einem Begriff dominiert werde, der seit sehr vielen
Jahren und damit traditionell im Verkehr ausschließlich mit der Vorstellung von einer
Heilpflanze besetzt sei.
8
Im Berufungsverfahren verfolgt die Beklagte das Ziel der Klageabweisung weiter. Die
Parteien streiten in zweiter Instanz vorrangig um die Frage, ob es sich bei Ginkgo-D E
um ein Funktionsarzneimittel handelt. Die Klägerin meint darüber hinaus, auch als
Lebensmittel sei das Produkt nicht verkehrsfähig, weil es mit Ginkgo einen nicht
zugelassenen Zusatzstoff enthalte und zudem die Voraussetzungen eines, gefährlichen
Lebensmittels" erfülle. Entsprechend dieser Zielrichtung hat sie die Klageanträge
nochmals neu gefasst.
9
Die Klägerin beantragt nunmehr,
10
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen und diese unter Androhung der
gesetzlichen Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen, in geschäftlichen Verkehr
zu Zwecken des Wettbewerbs
11
in Deutschland ein Produkt unter der Bezeichnung "D E Ginkgo" und/oder "Ginkgo"
12
mit den Inhaltsstoffen Wasser, Saccharose, Traubenzucker, Kohlensäure, natürliche und
naturidentische Aromen, Säuerungsmittel: Zitronensäure und Apfelsäure, Grüntee-
Extrakt, Ginkgo-Extrakt, Farbstoff: Zuckercouleur
13
und der Angabe: "Empfohlen werden täglich ein bis zwei Gläser"
14
als Lebensmittel in den Verkehr zu bringen;
15
hilfsweise:
16
das in dem vorstehenden Hauptantrag beschriebene Produkt in Deutschland in den
Verkehr zu bringen, so lange es nicht über eine Zulassung als Arzneimittel nach §§ 21 ff
AMG verfügt,
17
wenn es wie nachfolgend wiedergegeben etikettiert ist:
18
pp.
19
äußerst hilfsweise:
20
für ein Produkt unter der Bezeichnung "D E Ginkgo" und/oder "Ginkgo" mit den
nachfolgenden Aussagen zu werben:
21
1. "Heutige Erkenntnisse bestätigen für Ginkgo mit Traubenzucker: Es wirkt
unterstützend bei geistiger Beanspruchung",
22
23
und/oder
24
25
2. "Heutige Erkenntnisse bestätigen für Ginkgo mit Traubenzucker: Es fördert die
geistige Leistungsfähigkeit",
26
und/oder
27
(3) "Heutige Erkenntnisse bestätigen für Ginkgo mit Traubenzucker: Es verbessert die
Konzentration und Aufnahmefähigkeit",
28
und/oder
29
(4) "Ginkgo. Jugend für den Geist. Vom heiligen Baum der Menschheit"
30
und/oder
31
(5) "Heute mehr denn je stößt Ginkgo mit Traubenzucker in der westlichen Welt auf
großes Interesse: Es unterstützt bei geistiger Beanspruchung".
32
Die übrigen Klageanträge hat die Klägerin zurückgenommen.
33
Der Senat hat ein schriftliches Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. L H zu der
Behauptung der Klägerin, dem streitgegenständlichen Ginkgo-Produkt der Beklagten
komme pharmakologische Wirkung zu, eingeholt, das der Sachverständige in der
mündlichen Verhandlung vom 12.10.2007 ausführlich erläutert hat. Wegen der
Einzelheiten der Bekundungen des Sachverständigen wird auf dessen ab Bl. 799 bei
den Akten befindliches Gutachten seine ergänzende schriftliche Stellungnahme vom
01.10.2007 sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 12.10.2007 Bezug
genommen.
34
II.
35
Die Berufung ist zulässig und begründet.
36
Die Klägerin hat durch die Neufassung ihrer Anträge die Klage im Berufungsverfahren
erneut geändert. Diese Klageänderung in zweiter Instanz ist gemäß § 530 ZPO
zulässig. Die Beklagte hat eingewilligt, in dem sie sich in der mündlichen Verhandlung
auf die geänderte Klage eingelassen hat, ohne der Änderung zu widersprechen (§§ 267,
525 ZPO). Weiter wird die Klage auch mit dem neuen Antrag ausschließlich auf
diejenigen Tatsachen gestützt, die der Senat gemäß § 529 ZPO seiner Entscheidung
ohnehin zugrunde zu legen hat.
37
Der nunmehr als Hauptantrag gestellte Klageantrag richtet sich gegen die
Verkehrsfähigkeit des streitgegenständlichen Produktes als solches unter
Berücksichtigung nur seiner Zusammensetzung und der von der Beklagten ausdrücklich
angegebenen Trinkempfehlung. Dieser Antrag ist unbegründet. Es handelt sich bei "D E
Ginkgo" um ein Lebensmittel, das weder einen unzulässigen Zusatzstoff enthält, noch
als "unsicheres Lebensmittel" einzustufen und deswegen verkehrsfähig ist.
38
Die Hilfsanträge sind ebenfalls unbegründet, weil es sich bei dem Produkt auch in der
mit dem ersten Hilfsantrag angegriffenen Ausstattung nicht um ein
Präsentationsarzneimittel handelt und mit den letztlich hilfsweise angegriffenen
Werbeaussagen deswegen entgegen der Auffassung der Klägerin nicht ein Heilmittel
beworben wird.
39
1. Hauptantrag
40
a)
41
Die Klägerin führt zur Begründung ihres auf die mangelnde Verkehrsfähigkeit von "D E
Ginkgo" gerichteten Hauptantrages an, bei dem Produkt handele es sich nicht um ein
Lebensmittel, sondern um ein Funktionsarzneimittel, für dessen Verkehrsfähigkeit es an
der gemäß §§ 21 ff AMG notwendigen Zulassung fehle. Das trifft indes nicht zu. Das
Inverkehrbringen und Bewerben von Arzneimitteln ohne Zulassung stellt allerdings ein
nach § 4 Nr. 11 UWG unlauteres Marktverhalten dar, das, weil insoweit die Gesundheit
der Verbraucher auf dem Spiel steht, regelmäßig gemäß § 3 UWG erheblich ist (vgl.
BGH GRUR 2005, 778 – "Atemtest"). "D E Ginkgo" ist jedoch kein Arzneimittel.
42
aa)
43
Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG in der dieser Entscheidung zugrunde zu legenden, seit
dem 01.09.2005 gültigen Fassung sind Arzneimittel "Stoffe und Zubereitungen aus
Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen oder
tierischen Körper Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu
heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen". Gemäß § 2 Abs. 2 LFGB i.V.m. Art. 2
der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 sind demgegenüber Lebensmittel alle Stoffe oder
Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen
erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder
unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. Da in § 2 Abs. 3 Nr. 1
AMG klargestellt ist, dass Lebensmittel im Sinne von § 2 Abs. 2 LFGB nicht Arzneimittel
sind, steht fest, dass ein Erzeugnis nicht zugleich Arzneimittel und Lebensmittel sein
kann, diese Qualifizierungen sich vielmehr begrifflich ausschließen.
44
In die Beurteilung des Produktstatus sind ergänzend die gemeinschaftsrechtlichen
Vorgaben zum Arzneimittelbegriff unter Beachtung dort normierter Zweifelsregelungen
in Abgrenzungsfällen einzubeziehen. Das europäische Funktionsarzneimittel wird nach
Artikel 1 Nr. 2 Buchstabe b der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines
Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG
des Europäischen Parlaments und Rates vom 31.3.2004 nunmehr definiert als "alle
Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet
oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen
physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder
metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder
eine medizinische Diagnose zu erstellen." Immunologische, d.h. die Erkennungs- und
Abwehrmechanismen des Organismus gegenüber körperfremden Substanzen oder
metabolische, d.h. den Stoffwechsel betreffende Wirkungen sind im Streitfall nicht
berührt. Die Parteien diskutieren vielmehr zu Recht nur die Frage einer
pharmakologischen Wirkung der angegriffenen Produkte. Aus wissenschaftlicher Sicht
ist unter Pharmakologie die Lehre von den Wechselwirkungen zwischen Arzneistoffen
und Organismus zu verstehen (vgl. Hunnius, Pharmazeutisches Wörterbuch, 9. Auflage
45
2004, "Pharmakologie"), wobei die Pharmakologie sowohl die Heilwirkung als auch die
Giftwirkung eines Stoffes betrifft. Dieses wissenschaftliche Verständnis entspricht dem
praktischen Verständnis in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dieser
definiert in seinem "Lactobact"-Urteil vom 9.6.2005 in den verbundenen Rechtssachen
C-211/03, C-299/03, C-316/03 bis C-318/03, dort Rz. 52, den Begriff der
pharmakologischen Eigenschaften wirkungsbezogen wie folgt:
"Die pharmakologischen Eigenschaften eines Erzeugnisses sind der Faktor, auf dessen
Grundlage die mitgliedstaatlichen Behörde ausgehend von den Wirkungsmöglichkeiten
dieses Erzeugnisses zu beurteilen haben, ob es im Sinne des Artikels 1 Nr. 2 Abs. 2 der
Richtlinie 2001/83 dazu bestimmt ist, im oder am menschlichen Körper zur Erstellung
einer ärztlichen Diagnose oder zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung
der menschlichen physiologischen Funktionen angewandt zu werden".
46
Steht die Abgrenzung eines Funktionsarzneimittels von sonstigen Produkten,
namentlich Lebensmitteln, in Frage, bedarf es einer auf den Einzelfall bezogenen
Beurteilung, in die alle Merkmale des Erzeugnisses, insbesondere seine
Zusammensetzung, seine pharmakologischen Eigenschaften - wie sie sich beim
jeweiligen Stand der Wissenschaft feststellen lassen -, die Modalitäten des Gebrauchs,
der Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die
Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann, einzubeziehen sind (EuGH a.a.O.
Rz. 30 m.w.N.).
47
In Erwägung Nummer 7 der Richtlinie 2004/27/EG ist im Übrigen ausdrücklich
klargestellt worden, dass der Arzneimittelbegriff zur Erleichterung der Abgrenzung von
anderen, gesetzlich definierten Produkten neu gefasst werden sollte, wobei gleichzeitig
für Zweifelsfälle ein Vorrang des Arzneimittels vor sonstigen Produkten verankert
worden ist: nach Artikel 2 Abs. 2 der neu gefassten Humanarzneimittelrichtlinie gilt
nämlich (nur) die Richtlinie "in Zweifelsfällen, in denen ein Erzeugnis unter
Berücksichtigung aller seiner Eigenschaften sowohl unter die Definition von
,Arzneimittel' als auch unter die Definition eines Erzeugnisses fallen kann, das durch
andere gemeinschaftliche Rechtsvorschriften geregelt ist".
48
Infolge des hierdurch begründeten gemeinschaftsrechtlichen Vorrangs der
arzneimittelrechtlichen Vorschriften (so auch EuGH a.a.O. Rz. 44) ist die nationale
Bestimmung des § 2 AMG richtlinienkonform auszulegen (vgl. BGH, Urteil vom
30.03.2006 - I ZR 24/03, GRUR 2006, 513, 517 - Arzneimittelwerbung im Internet; vgl.
auch OVG NRW, Urteil vom 17.03.2006 – 13 A 2098/02). Der Bundesgerichtshof hat
deshalb der Änderung des europarechtlichen Funktionsarzneimittelsbegriffs in seinem
vorstehend zitierten Urteil "Arzneimittelwerbung im Internet" Rechnung getragen, wobei
er von einer Vollharmonisierung in diesem Bereich ausgegangen ist (BGH a.a.O.; eben-
49
so jetzt EuGH, Urteil v. 08.11.2007 in der Rechtssache ( - 374/05 – Gintec International).
50
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat bislang in ständiger Rechtsprechung die
Auffassung vertreten, dass bei der Beurteilung, ob ein Arzneimittel oder ein sonstiges
Produkt, insbesondere ein Lebensmittel, vorliegt, entscheidend seine an objektive
Merkmale anknüpfende überwiegende Zweckbestimmung ist, wie sie sich für einen
durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen
Durchschnittsverbraucher darstellt (vgl. BGH NJW 2001, 2812, 2813 - 3-fach-Dosis;
BGH GRUR 2002, 910 - Muskelaufbaupräparate; BGH WRP 2000, 512 - L-Carnitin). Die
51
Vorstellung der Verbraucher kann unter anderem durch die Auffassung der
pharmazeutischen oder medizinischen Wissenschaft beeinflusst sein, wobei besondere
Bedeutung den pharmakologischen Eigenschaften eines Mittels zukommt, weil ein
verständiger Durchschnittsverbraucher im allgemeinen nicht annehmen wird, ein
sonstiges - etwa als Lebens- bzw. Nahrungsergänzungsmittel angebotenes - Produkt
sei tatsächlich ein Arzneimittel, wenn es in der empfohlenen Dosierung keine
pharmakologischen Wirkungen hat (vgl. BGH GRUR 2003, 631, 632 - L-Glutamin; BGH
a.a.O. - Muskelaufbaupräparate und - L-Carnitin).
Diese Kriterien erfahren in der höchstrichterlichen Rechtsprechung nunmehr insoweit
eine Veränderung, als infolge der neuen gemeinschaftsrechtlichen, nämlich
wirkungsbezogenen Begriffsbestimmung des Funktionsarzneimittels vorrangig auf
objektive Merkmale des Produkts abzustellen ist, wobei ergänzend für die Abgrenzung
zwischen einem Arzneimittel und einem sonstigen Produkt die gesetzliche Definition
des fraglichen Mittels heranzuziehen ist (BGH a.a.O. - Arzneimittelwerbung im Internet).
52
In der zur Klärung eines Arzneimittelstatus ergangenen Rechtsprechung sowohl des
Bundesgerichtshofs als auch des Europäischen Gerichtshofs kommt also den objektiven
pharmakologischen Eigenschaften eines Produkts zentrale Bedeutung zu, hinter der die
in die Gesamtabwägung einzubeziehenden sonstigen Kriterien zurücktreten. Dies hat
der EuGH in seiner innerhalb der Spruchfrist ergangenen Entscheidung vom 15.11.2007
in der Rechtssache C- 319/05 nochmals bekräftigt. In Rz 59 dieser den Status eines in
Kapseln vertriebenen Knoblauchpräparates betreffenden Entscheidung heißt es:
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"Die pharmakologischen Eigenschaften eines Erzeugnisses sind der Faktor, auf dessen
Grundlage, ausgehend von den Wirkungsmöglichkeiten des Erzeugnisses, zu
beurteilen ist, ob es im Sinne des Art. 1 Nr. 2 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2001/83 im
oder am menschlichen Körper zur ... oder Beeinflussung der menschlichen
physiologischen Funktionen angewandet werden kann."
54
bb)
55
Das streitgegenständliche Produkt D E Ginkgo der Beklagten weist eine
pharmakologische Wirkung nicht auf.
56
Der Entscheidung ist auf der Grundlage der Aufbereitungsmonographie des früheren
Bundesgesundheitsamtes zugrunde zu legen, dass bei der Aufnahme von 120 mg pro
Tag eine pharmakologische Wirkung zu bejahen ist. Diese Menge wird aber bei
Einhaltung der von der Beklagten gegebenen Trinkempfehlung nicht erreicht. Das
Produkt enthält Trockenextrakt der Ginkgo-biloba Pflanze in einer Konzentration von
0,02 %. Trinkt der Verbraucher entsprechend der Verzehrempfehlung der Beklagten am
Tag ein bis zwei Gläser, so nimmt er auf diese Weise bis zu 100 mg des Erzeugnisses
zu sich. Dies ergibt sich nach den unangefochtenen Berechnungen des
Sachverständigen (Gutachten Seite 17) unter Zugrundelegung eines durchschnittlich
großen Trinkglases mit einem Volumen von 250 ml.
57
Der Sachverständige hat in seinem schriftlichen Gutachten allerdings eine
pharmakologische Wirkung des Produktes auch bei einer Aufnahme von nur 100 mg pro
Tag ausdrücklich bejaht. Nach der Erörterung seines schriftlichen Gutachtens und der
zusätzlichen Befragung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vom
12.10.2007 kann hiervon gleichwohl nicht ausgegangen werden.
58
Der Sachverständige, dem es nicht oblag, eigene Forschungen über eine etwaige
pharmakologische Wirkung von nur 100 mg pro Tag anzustellen, sondern der die Frage
zu klären hatte, ob auf der Grundlage der bisherigen Forschungsergebnisse eine
pharmakologische Wirkung auch von einer Tagesdosis von nur 100 mg ausgehe, hat
diese Frage in seinem schriftlichen Gutachten positiv beantwortet. Dabei hat er sich
insbesondere auf Forschungsergebnisse von Itil u.a. gestützt. Diese seien mit Hilfe
eines quantitativen Pharmakoelektroenzephalogramms zu dem Ergebnis einer
pharmakologischen Wirkung auch schon für eine Einmalgabe von 40 mg gelangt.
Nachdem hiergegen in dem von der Beklagten vorgelegten Privatgutachten (Prof. P)
eingewandt worden war, der Verfasser jener Studie selbst habe sein Ergebnis im
Vergleich zu einer Gabe von Placebo als nicht signifikant bezeichnet, hat der
Sachverständige sich dahingehend berichtigt, dass auf das erwähnte Gutachten nicht
abgestellt werden könne. In der mündlichen Verhandlung hat er sich dahingehend
festgelegt, dass eine pharmakologische Wirkung des Produktes unterhalb einer
Tagesdosis von 120 mg bislang in keiner den heutigen wissenschaftlichen
Anforderungen genügenden Versuchsreihe festgestellt worden sei.
59
Der Sachverständige ist weiter danach befragt worden, ob die erwiesene
pharmakologische Wirkung einer Tagesdosis von 120 mg den Schluss zulasse, dass
auch die geringere Dosis von 100 mg pro Tag ausreichend sei, um pharmakologische
Wirkungen auszulösen. Diese Frage hat der Sachverständige unter Hinweis auf den
Umstand verneint, dass die veränderte Wirkung bei steigender Dosis nicht gradlinig,
sondern in Form einer Kurve verlaufe. Es könne danach zwar gut sein, dass auch der
geringere Wert für die Bejahung der in Rede stehende Frage ausreiche, sicher sagen
könne man dies indes nicht.
60
Die sich damit aus den Ausführungen des Sachverständigen letztlich ergebende
Feststellung, es könne nach dem Stand der Wissenschaft nicht als gesichert angesehen
werden, dass schon eine Tagesdosis von nur 100 mg des Produktes pharmakologische
Wirkung aufweise, steht nahezu völlig im Einklang mit den hierzu dem Senat
vorliegenden anderweitigen Veröffentlichungen.
61
So geht die erwähnte Aufbereitungsmonographie des früheren
Bundesgesundheitsamtes von einer pharmakologischen Wirkung bei einer Tagesdosis
von 120 – 240 mg aus.
62
In der Monographie der Weltgesundheitsorganisation (Anlage K 9) wird ausgeführt, dass
Ginkgo-biloba in einer Menge bis 100 mg keine Wirkung zeige.
63
In der als Anlage B 7 von der Beklagten vorgelegten Stellungnahme des
österreichischen Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen vom
16.10.2001 wird der Beginn der pharmakologischen Wirksamkeit bei 160 mg angesetzt.
64
Die in der Klageerwiderung auf den Seiten 10 f aufgeführten Studien sind ganz
überwiegend von einer höheren Dosis als 120 mg pro Tag ausgegangen, bei
Versuchen, die eine pharmakologische Wirkung gezeigt haben, sind regelmäßig
Mengen von insgesamt 240 – 360 mg pro Tag verabreicht worden.
65
Die österreichische Lebensmittelversuchsanstalt Wien ist in ihrer als Anlage B 9
vorgelegten Stellungnahme zu dem Ergebnis gelangt, dass bei Mengen unterhalb von
66
200 mg objektiv – arzneiliche Wirkungen ausgeschlossen werden können.
Auch aus der als Anlage B 11 vorgelegten Stellungnahme von Prof. Dr. G ergibt sich
eine pharmakologische Wirkung erst ab einer Dosis von 120 mg.
67
Abweichend hiervon hat allerdings Prof. Dr. M in seiner als Anlage K 26 von der
Klägerin vorgelegten Stellungnahme vom 26.03.2003 dargestellt, dass schon bei einer
Tagesdosis von einem Dragee mit 3,5 mg Extrakt eine pharmakologische Wirksamkeit
beobachtet worden sei. Hierauf allein kann eine Verurteilung der Beklagten indes nicht
gestützt werden. Die Angabe fällt – wie ein Vergleich mit den vorstehend aufgeführten
Zahlen ergibt – völlig aus dem Rahmen der übrigen wissenschaftlichen Ergebnisse. Der
Verfasser der Stellungnahme präsentiert auch nicht eigene Forschungsergebnisse,
sondern referiert lediglich angebliche Beobachtungen durch Dritte, die zudem mangels
jeglicher Quellenangaben nicht verifiziert werden können.
68
Die pharmakologische Wirkung des streitgegenständlichen Produktes kann entgegen
der Auffassung der Beklagten auch nicht mit der Begründung bejaht werden, der
Verbraucher werde sich an die Trinkempfehlung nicht halten und mehr als die
empfohlene Verzehrmenge von 1 bis 2 Gläsern pro Tag zu sich nehmen. Auf diese
Weise werde die Tagesdosis von 120 mg erreicht und sogar überschritten werden.
69
Die Festlegung einer Mindestmenge für die Erreichung einer pharmakologischen
Wirkung bringt es mit sich, dass Produkte, die – wie das streitgegenständliche Produkt
"D E Ginkgo" – den in Betracht kommenden Wirkstoff in einer sehr geringen
Konzentration aufweisen, bei Verwendung in der empfohlenen Menge eine
pharmakologische Wirkung nicht entfalten, während diese dann erreicht werden kann,
wenn das Produkt unter Missachtung der Verzehrempfehlung im Übermaß konsumiert
wird. In diesen Fällen wäre das Aufstellen einer Wirkungsgrenze hinfällig, wenn man für
ihr Erreichen den Konsum im Übermaß ausreichen lassen wollte. Es würden dann viele
Produkte, die unstreitig Lebensmittel sind, nur deswegen zu Arzneimitteln zu erklären
sein, weil ihr Genuss, wenn er im Übermaß erfolgt, pharmakologische Wirkungen nach
sich zieht. Entsprechend hat der EuGH in seiner Entscheidung in der Rechtssache C-
150/00 (Slg. I-3891) ausgesprochen, dass ein Präparat, dessen Gehalt an Vitaminen A,
D oder K zu gering sei, um bei normalem Gebrauch das Risiko einer Überdosierung zu
bergen, nicht als Arzneimittel eingestuft werden dürfe. Diese Praxis könne zur
Konsequenz haben, dass Präparate, die die Vitamine A, D oder K enthielten, auch dann
als Arzneimittel eingestuft würden, wenn ihr Gehalt an diesen Stoffen zu gering sei, um
ihre Eignung "zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen
Körperfunktionen" zu begründen. Das gelte auch im Hinblick auf den Einwand, es
komme häufig vor, dass Verbraucher Nahrungsergänzungsmittel in höheren
Dosierungen konsumierten, als es auf den Beipackzetteln angegeben sei. Der EuGH
hat hierzu ausgeführt, fast alle Erzeugnisse seien potentiell gesundheitsschädlich, wenn
sie im Übermaß aufgenommen würden. Für die Beurteilung, ob ein Erzeugnis ein
Arzneimittel "nach der Funktion" sei, müsse deshalb auf die normale Anwendungsweise
abgestellt werden (a.a.O., Rz 73 – 75). Dementsprechend hat der EuGH auch in der
bereits erwähnten Entscheidung in der Rechtssache C-319/05 vom 15.11.2007, die die
Einstufung eines Knoblauchpräparates als Arzneimittel zum Gegenstand hatte, bei der
Prüfung der pharmakologischen Wirkung auf den in einer einzigen Kapsel des
Produktes enthaltenen Allicin-Anteil abgestellt und nicht etwa die Einnahme mehrerer
derartiger Kapseln seiner Entscheidung zu Grunde gelegt (a.a.O., Rz. 57).
70
Aus diesen Gründen kann auch entgegen der Auffassung der Klägerin nicht allein
darauf abgestellt werden, dass der in "D E Ginkgo" enthaltene Ginkgo-biloba-Extrakt
ungeachtet der verwendeten Menge seiner Qualität nach jedenfalls geeignet sei,
pharmakologische Wirkungen hervorzurufen.
71
Eine arzneimittelrechtliche Zulassungspflicht des streitgegenständlichen Produktes
kann auch nicht damit begründet werden, dass in den 70-er Jahren für das klägerische
Produkt "U" auch in einer unter 120 mg pro Tag liegenden Dosierung eine
arzneimittelrechtliche Zulassung erteilt worden ist. Auch wenn nach den damals
maßgeblichen Kriterien das Produkt in den hier in Rede stehenden niedrigeren
Dosierungen als Arzneimittel angesehen worden ist, kann dies angesichts der
dargelegten zwischenzeitlichen wissenschaftlichen Entwicklung heute der
Entscheidung nicht mehr zugrunde gelegt werden.
72
Schließlich führt auch die Anwendung der Zweifelsregel in Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie
2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG nicht zur Begründung der
Arzneimitteleigenschaft von "D E Ginkgo". Nach dieser Bestimmung ist die
Humanarzneimittelrichtlinie (2001/83/EG) auch dann – und zwar ausschließlich -
anzuwenden, wenn ein Erzeugnis unter Berücksichtigung aller seiner Eigenschaften
sowohl unter die Definition von "Arzneimittel" als auch unter die Definition eines
Erzeugnisses fallen kann, das durch andere gemeinschaftliche Rechtsvorschriften
geregelt ist. Ein derartiger Zweifelsfall liegt hier indes nicht vor.
73
Die Zweifelsregel dient der Abgrenzung anderer Erzeugnisse von Arzneimitteln und
räumt letzteren für den Fall den Vorrang ein, dass das fragliche Produkt die Kriterien
sowohl eines Arzneimittels als auch eines andersartigen Erzeugnisses erfüllt.
Dementsprechend lautet der zweite Satz der 7. Begründungserwägung zu der Richtlinie
2004/27/EG, durch die die Zweifelsregel eingeführt worden ist:
74
"Damit zum einen das Entstehen neuer Therapien und zum anderen die steigende Zahl
von sogenannten ‚Grenzprodukten’ zwischen dem Arzneimittelbereich und anderen
Bereichen Berücksichtigung finden, sollte die Begriffsbestimmung des Arzneimittels
geändert werden, um zu vermeiden, dass Zweifel an den anzuwendenden
Rechtsvorschriften auftreten, wenn ein Produkt, das vollständig von der Definition des
Arzneimittels erfasst wird, möglicherweise auch unter die Definition anderer regulierter
Produkte fällt."
75
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Verfahren nicht erfüllt, weil – wie sich aus
den vorstehenden Darlegungen ergibt – das Produkt "D E Ginkgo" der Beklagten nicht
"vollständig von der Definition des Arzneimittels erfasst wird". Das Erzeugnis erfüllt die
Definition eines Arzneimittels nicht, weil der Verbraucher durch seinen
bestimmungsgemäßen Verzehr die für eine pharmakologische Wirkung erforderliche
Menge nicht zu sich nimmt.
76
Entgegen der Auffassung der Beklagten kann die Zweifelsregel die
Arzneimitteleigenschaft von "D E Ginkgo" nicht deswegen begründen, weil – ohne dass
dies bisher geklärt wäre – möglicherweise auch die geringere Tagesdosis von nur
100 mg zur Erreichung pharmakologischer Wirkungen ausreicht. Vielmehr liegt ein
Arzneimittel so lange nicht vor, als wissenschaftliche Studien die pharmakologischen
Wirkungen nicht nachgewiesen haben. Denn bis dahin wird das Produkt nicht – wie es
in der vorstehend wiedergegebenen Begründungserwägung ausgeführt ist –
77
"vollständig von der Definition des Arzneimittels erfasst". Der Senat sieht sich insoweit
in Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dieser hat in
seiner bereits erwähnten Entscheidung vom 15.11.2007 in der Rechtssache C- 319/05
zu der Frage, ob ein in Kapseln in den Verkehr gebrachtes Knoblauchpräparat zu Recht
als Arzneimittel eingestuft worden ist, folgendes ausgeführt:
"Anders als der Begriff des Arzneimittels nach der Bezeichnung, ... soll der Begriff des
Arzneimittels nach der Funktion diejenigen Erzeugnisse erfassen, deren
pharmakologische Eigenschaften wissenschaftlich festgestellt worden und die
tatsächlich dazu bestimmt sind, eine ärztliche Diagnose zu erstellen und physiologische
Funktionen wieder herzustellen, zu bessern oder zu beeinflussen" (Rz. 61).
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Weiter heißt es in Rz. 64:
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"Deshalb und um die praktische Wirksamkeit dieses Kriteriums zu gewährleisten, ist es
nicht ausreichend, dass ein Erzeugnis Eigenschaften besitzt, die der Gesundheit im
Allgemeinen förderlich sind, sondern muss es wirklich die Funktion der Verhütung oder
Heilung besitzen."
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Die Anwendung der Zweifelsregel hat der EuGH nicht in Betracht gezogen, obwohl
angeführt worden war, das Produkt könne der Arteriosklerose-Vorbeugung dienen (Rz.
18). In diesem Zusammenhang fällt auch ins Gewicht, dass nicht jede noch so geringe –
nachgewiesene – pharmakologische Wirkung zur Einstufung als Funktionsarzneimittel
führt, sondern insoweit eine nennenswerte Wirkung feststellbar sein muss (vgl. EuGH
a.a.O. Rz 60; BVerfG, Urteil v. 25.07.2007 in der Sache 3 C 21.06. R 29).
Demgegenüber beziehen sich die Äußerungen des Gerichtssachverständigen darauf,
dass unterhalb der Tagesdosis von 120 mg ein Nachweis jedweder pharmakologischer
Wirkung fehlt.
81
Es kommt hinzu, dass das Produkt mangels therapeutischer Wirksamkeit die unstreitig
erst ab einem relevanten Grad der pharmakologischen Wirkung einsetzt als Arzneimittel
nicht zulassungsfähig wäre. Die Auffassung der Klägerin würde daher dazu führen, dass
das Erzeugnis allen wegen befürchteter pharmakologischer Wirkungen, die nur bei
einem Genuss im Übermaß auftreten können, überhaupt nicht verkehrsfähig wäre.
82
b)
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Stellt das streitgegenständliche Produkt damit kein Arzneimittel dar, so ist es als
Lebensmittel verkehrsfähig.
84
aa)
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Dem Erzeugnis "D E Ginkgo" kann die Verkehrsfähigkeit als Lebensmittel nicht mit der
Begründung abgesprochen werden, es enthalte mit dem Trockenextrakt aus der Ginkgo-
biloba Pflanze einen nicht zugelassenen Zusatzstoff, weswegen seine Herstellung
gegen § 6 Abs. 1 Nr. 1 a) und Nr. 2 LFGB verstoße. Der in dem streitgegenständlichen
Produkt enthaltene Trockenextrakt aus der Ginkgo-biloba Pflanze stellt entgegen der
Auffassung der Beklagten nicht einen den Lebensmittel-Zusatzstoffen gleichgestellten
Stoff im Sinne des § 2 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 LFGB dar. Dazu müsste es sich um einen Stoff
mit oder ohne Nährwert handeln, der üblicherweise weder selbst als Lebensmittel
verzehrt, noch als charakteristische Zutat eines Lebensmittels verwendet wird. Hieran
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fehlt es. Denn Trockenextrakt aus Ginkgo-biloba wird im Sinne der Vorschrift
üblicherweise als charakteristische Zutat eines Lebensmittels verwendet. Das gilt ohne
weiteres für das streitgegenständliche Produkt "D E Ginkgo". Wie bereits aus dessen
Bezeichnung hervorgeht, ist Ginkgo bzw. Ginkgo-biloba Trockenextrakt der
charakteristische Bestandteil dieses Lebensmittels. Es handelt sich um denjenigen
Bestandteil, der dem Lebensmittel seinen prägenden Charakter verleiht und stellt damit
im Sinne des § 2 Abs. 3 S . 2 Nr. 1 LFGB eine charakteristische Zutat des Lebensmittels
dar (vgl. auch das mit Schriftsatz des Beklagten vorgelegte Urteil des BverwG v.
14.12.2006 im Verfahren 3 C 38.06).
Soweit die Beklagte demgegenüber darauf verweist, es komme im Hinblick auf die
verallgemeinernde Formulierung der Norm nicht darauf an, ob speziell Ginkgo-biloba
die charakteristische Zutat des Produktes "D E Ginkgo" sei, sondern darauf, ob der
Trockenextrakt aus Ginkgo-biloba im Allgemeinen eine charakteristische
Lebensmittelzutat sei, vermag dies die Beurteilung nicht zu ändern. Zwischen den
Parteien ist unstreitig, dass es eine Vielzahl von Ginkgo-biloba Produkten gibt und diese
angesichts ihrer Zusammensetzung wegen fehlender pharmakologischer Wirkungen
nicht alle Arzneimittel sind, sondern zu einem erheblichen Teil Lebensmittel darstellen.
Diese Lebensmittel enthalten alle den sie charakterisierenden aus der Ginkgo-biloba
Pflanze gewonnenen Zusatzstoff. Trockenextrakt aus dieser Pflanze ist damit nicht nur
für das streitgegenständliche Produkt, sondern auch für alle übrigen in Betracht
kommenden Lebensmittel die charakteristische Zutat.
87
bb)
88
Schließlich kann die Verkehrsfähigkeit des Lebensmittels auch nicht mit der
Begründung in Abrede gestellt werden, es handele sich um ein im Sinne des Art. 14
Abs. 1 BasisVO nicht sicheres Lebensmittel. Dazu müsste nach der insoweit allein in
Betracht kommenden Bestimmung des Art. 14 Abs. 2 a) BasisVO "D E Ginkgo"
gesundheitsschädlich sein. Bei der Entscheidung dieser Frage sind gemäß Art. 14 Abs.
3 a) und b) die normalen Bedingungen der Verwendung durch den Verbraucher sowie
die ihm vermittelten Informationen einschließlich der Angaben auf dem Etikett zu
berücksichtigen.
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Ausgehend hiervon stellt "D E Ginkgo" nicht ein unsicheres Lebensmittel dar. Das gilt
auch angesichts der nach dem Vortrag der Beklagten zu besorgenden Nebenwirkungen
wie Magen-Darm-Beschwerden, Kopfschmerzen und allergische Hautreaktionen. Die
insoweit zur Begründung angeführten Mustertexte des BfArM (Anlage BB 12) stellen
nicht auf ein spezielles Produkt und insbesondere nicht auf eine bestimmte
Konzentration des Trockenextraktes ab, weswegen der Entscheidung nicht zu Grunde
gelegt werden kann, dass diese Nebenwirkungen schon in der hier in Rede stehenden
geringen Dosierung auftreten können. Das gilt auch für die weiter von den Beklagten
aufgeführten Gegenanzeigen, Interaktions- und Blutungsrisiken sowie die
Vorsichtshinweise für schwangere und stillende Frauen.
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Soweit die Beklagten auch insoweit die Auffassung vertreten, es seien auch jene
Konsumenten zu berücksichtigen, die das Produkt in über die Verzehrempfehlung
hinausgehenden Dosierungen zu sich nähmen, ist auf die obigen Ausführungen zu
verweisen.
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2. Erster Hilfsantrag
92
Die Klage ist auch unbegründet, soweit sie auf den ersten Hilfsantrag gestützt wird.
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Mit ihrem ersten Hilfsantrag in seiner zuletzt gestellten Fassung begehrt die Klägerin ein
Verbot des Produktes "D E Ginkgo" in seiner konkreten Ausstattung mit der
Begründung, es handele sich um ein Präsentations-Arzneimittel, für das es an der
erforderlichen Zulassung fehle. Der Antrag entspricht dem früheren Hauptantrag, dem
das Landgericht stattgegeben hat. Das streitgegenständliche Produkt stellt indes kein
Präsentations-Arzneimittel dar. "D E Ginkgo" ist nicht im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG
dazu bestimmt, durch Anwendung im menschlichen Körper Krankheiten, Leiden,
Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu
erkennen.
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Bei der Beurteilung des Produktes als Bestimmungs-Arzneimittel sind sämtliche
Umstände der äußeren Erscheinungsform, in der das Produkt dem Verbraucher
gegenübertritt, in Betracht zu ziehen. Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann
danach das Produkt nicht als Bestimmungs-Arzneimittel angesehen werden.
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Gegen die Annahme eines Arzneimittels sprechen aus der Sicht des durchschnittlichen
Verbrauchers die deutlich auf dem Etikett sichtbaren Angaben "D E"; "Jugend für den
Geist" und "Vom heiligen Baum der Menschheit".
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Auch die der lateinischen Sprache, aus der der Begriff stammt, nicht mächtigen
Verbraucher werden der Angabe "D E" nicht eine Beschaffenheits- oder
Bezeichnungsangabe für ein Arzneimittel beimessen. Die beiden weiteren zitierten
Angaben deuten auf einen esoterischen Hintergrund hin und stellen jedenfalls keinerlei
Bezug zu einem Arzneimittel her. Das gilt insbesondere bei der gebotenen zusätzlichen
Berücksichtigung der blickfangmäßig angeordneten grafischen Darstellung eines
asiatisch anmutenden Mannes in meditierender Sitzhaltung in der Mitte des Etiketts auf
der Vorderseite der Flasche.
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Es kommt hinzu, dass die Form der 1-Liter-Flasche, in der das Getränk vertrieben wird,
sowie deren Größe für ein Arzneimittel völlig ungewöhnlich wäre. Schließlich ist auch
der Vertriebsweg in Drogerie-Märkten für Arzneimittel zumindest untypisch.
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Vor diesem Hintergrund kann das Produkt nicht allein deswegen mit dem Landgericht
als Präsentations-Arzneimittel angesehen werden, weil der Verkehr inzwischen daran
gewöhnt sei, Ginkgo-Produkte als Arzneimittel wahrzunehmen, zumal auch die auf den
Seiten 11 und 12 der angefochtenen Entscheidung aufgelisteten Ginkgo-Produkte auf
dem Markt sind, die gerade keine Arzneimittel darstellen und von dem Verbraucher auch
nicht als solche wahrgenommen werden.
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3. Zweiter Hilfsantrag
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Auch der zweite Hilfsantrag ist unbegründet.
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Mit dem zweiten Hilfsantrag greift die Klägerin – gestützt auf §§ 3, 4 Nr. 11 UWG –
(noch) fünf Werbeaussagen der Beklagten für ihr Produkt "D E Ginkgo" mit der
Begründung an, es handele sich um gemäß § 3 a HWG unzulässige Werbung. Die
Voraussetzungen des § 3 a HWG sind indes nicht erfüllt.
102
Nach § 3 a S. 1 HWG ist eine Werbung für Arzneimittel unzulässig, die der Pflicht zur
Zulassung unterliegen und nicht nach den arzneimittelrechtlichen Vorschriften
zugelassen sind oder als zugelassen gelten. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor,
weil – wie vorstehend ausführlich dargelegt worden ist – das Produkt "D E Ginkgo" in
der hier in Rede stehenden Konzentration kein Arzneimittel darstellt.
103
III.
104
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs.1, 269 Abs. 3 S. 2, 525 ZPO.
105
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr.10, 711 ZPO.
106
Die Revision ist gem. § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wegen der grundsätzlichen Bedeutung der
Frage zuzulassen, ob nach der in Art. 2 Abs. 2 der Humanarzneimittelrichtlinie
2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG vom 31.3.2004 normierten
Zweifelsregel ein Erzeugnis schon dann als Arzneimittel anzusehen ist, wenn eine
gewisse Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass es bei bestimmungsgemäßem Gebrauch
pharmakologische Wirkungen aufweist.
107
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird in Abänderung des Senatsbeschlusses
vom 12.5.2006 auf insgesamt 200.000 € festgesetzt.
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Hiervon entfallen 50.000 € auf den die Werbeaussagen betreffenden zweiten
Hilfsantrag, der gem. § 45 Abs. 1 S. 2 GKG den Streitwert erhöht. Der Senat bemisst das
gem. §§ 48 Abs. 1 GKG, 3 ZPO maßgebliche Interesse der Klägerin an der
Unterlassung der fünf noch streitgegenständlichen Werbeaussagen auf je 10.000 €.
Demgegenüber erhöht sich der Streitwert durch die Entscheidung über den ersten
Hilfsantrag nicht, weil dieser im Sinne des § 48 Abs.1 S. 3 GKG denselben
Streitgegenstand wie der Hauptantrag betrifft.
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