Urteil des OLG Köln vom 30.10.2002

OLG Köln: neues beweismittel, verkehrsunfall, polizei, fahrzeug, reparaturkosten, kennzeichen, alter, betriebsgefahr, mangel, wiedereröffnung

Oberlandesgericht Köln, 13 U 105/01
Datum:
30.10.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
13. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Grundurteil
Aktenzeichen:
13 U 105/01
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 10 O 436/00
Tenor:
Auf die Berufung der Klägers wird das am 12.06.2001 verkündete Urteil
der 10. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 10 O 436/00 - wie folgt
abgeändert: Der Anspruch des Klägers gegen die Beklagten als
Gesamtschuldner auf Ersatz des durch den Verkehrsunfall vom
21.06.2000 auf der P. in A. am PKW des Typs R. mit dem amtlichen
Kennzeichen A. verursachten Schadens ist dem Grunde nach
gerechtfertigt. Die Sache wird zur Verhandlung und Entscheidung über
die Höhe des Anspruchs an das Landgericht zurückverwiesen. Die
Entscheidung über die Kosten - auch die des Berufungsverfahrens -
bleibt dem Landgericht vorbehalten. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
1
Die zulässige Berufung des Klägers hat insoweit Erfolg, als der Senat nach der
durchgeführten Beweisaufnahme entgegen dem Landgericht davon überzeugt ist, dass
der auf den Kläger zugelassene PKW des Typs R. mit dem amtlichen Kennzeichen A.
am 21.06.2000 auf der P. in A. durch einen von der Beklagten zu 1) mit ihrem bei der
Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Fahrzeug des Typs V. mit dem amtlichen
Kennzeichen D. allein verursachten und verschuldeten Verkehrsunfall beschädigt
worden ist, wofür die Beklagten als Gesamtschuldner dem Grunde nach in vollem
Umfang haften müssen. Da zur Höhe des Schadens noch weitere Sachaufklärung
erforderlich ist, war gemäß § 538 Abs. 1 Nr. 3. ZPO a.F. insoweit eine Zurückverweisung
an das Landgericht geboten.
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Das Schadensersatzbegehren des Klägers ist dem Grunde nach jedenfalls gemäß §§ 7
Abs. 1 StVG, 3 Nrn. 1, 2 PflVG gerechtfertigt. Er ist zwar im Hinblick auf die gemäß Ziff. 2
der Bedingungen des Darlehensvertrags mit der R. vom 02./04.09.1998 (Bl. 176 f. GA)
vorgenommene Sicherungsübereignung rechtlich nicht Eigentümer des geschädigten
Fahrzeugs, jedoch aufgrund der Prozessführungsermächtigung der R. vom 08.10.2001
(Bl. 163 GA) zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruches berechtigt. Eine
Anspruchskürzung gemäß § 17 Abs. 1 StVG unter dem Gesichtspunkt eines
Mitverschuldens oder auch nur der Berücksichtigung der Betriebsgefahr des auf den
Kläger zugelassenen Fahrzeugs kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil dieser
PKW zum Unfallzeitpunkt ordnungsgemäß geparkt war und sich damit der
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Verkehrsunfall für den Kläger unabhängig von den Voraussetzungen des § 7 Abs. 1
StVG ("bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs") jedenfalls als unabwendbares Ereignis
im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG a.F. darstellt.
I.
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Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Senat davon überzeugt, dass sich der
vom Kläger behauptete Verkehrsunfall tatsächlich ereignet hat.
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Der Senat stützt sich hierbei insbesondere auf die Vernehmung der Beklagten zu 1) als
Partei. Danach ist sie beim Ausweichen vor einem entgegenkommenden größeren
gelben Fahrzeug - möglicherweise einem "P." - auf der P. in A. mit ihrem PKW zu weit
nach rechts gekommen und an der Fahrerseite des am rechten Straßenrand
ordnungsgemäß geparkten, auf den Kläger zugelassenen Fahrzeugs
"vorbeigeschrammt", wodurch dort größerer Schaden - unter anderem in Form von
Dellen an beiden Türen (vordere und hintere) - entstanden ist. Die Angaben der
Beklagten zu 1) waren insgesamt plausibel und detailreich. So hat sie sich keineswegs
auf die bloße Beantwortung der auf den Unfallhergang abzielenden Beweisfrage
beschränkt, sondern konnte auch sämtliche Fragen zum Randgeschehen, etwa
bezüglich des Anlasses ihrer Fahrt - Aufsuchen eines Autohändlers in der P. - ,
nachvollziehbar beantworten. Ob sie in diesem Zusammenhang zwischen einem
Vertrags- und einem Gebrauchtwagenhändler unterscheiden konnte, ist entgegen der
Auffassung der Beklagten zu 2) nicht von maßgeblicher Bedeutung. Gegen die von der
Beklagten zu 2) im Schriftsatz vom 16.10.2002 weiter behauptete "Legendenbildung"
spricht entscheidend, dass die Beklagte zu 1) bei ihrer Vernehmung am 09.10.2002
nicht nur eine detailreiche und in sich stimmige Sachverhaltsschilderung machen
konnte, sondern diese in allen wesentlichen Einzelheiten auch mit ihrer
informatorischen Anhörung im Senatstermin vom 17.04.2002 sowie ihren
vorgerichtlichen Unfallschilderungen vom 22.06.2000 (Bl. 47 ff. GA) und 10.07.2000 (Bl.
51 GA) übereinstimmt. Hierzu passt zwar nicht die Aussageverweigerung der Beklagten
zu 1) in der landgerichtlichen Verhandlung vom 03.04.2001. Diese lässt sich jedoch
dadurch ausreichend nachvollziehbar erklären, dass der Beklagten zu 1) bis zu diesem
Zeitpunkt keinerlei Schriftsätze zugestellt worden waren und sie daher im genannten
Verhandlungstermin erstmals mit ihrer Parteirolle als Beklagte konfrontiert wurde.
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Die Glaubhaftigkeit der Angaben der Beklagten zu 1) wird auch durch die
Übereinstimmung mit der Aussage des Zeugen B. untermauert. Er hat bestätigt, den auf
den Kläger zugelassenen PKW am Unfalltag am rechten Fahrbahnrand der P.
ordnungsgemäß geparkt und ihn nach etwa einer Stunde mit erheblichen Schäden -
Beulen und Kratzer an beiden Türen der Fahrerseite unterhalb der Türgriffe,
Beschädigung der vorderen Stoßstange - wieder angetroffen zu haben. Auch seine
Aussage war - im Rahmen seiner begrenzten, insbesondere nicht auf den
Unfallhergang bezogenen Wahrnehmung - detailreich und nachvollziehbar. So konnte
er etwa mit dem Besuch seines in der Peliserkerstraße wohnenden Freundes K. einen
plausiblen Grund für seine Fahrt angeben.
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Für das behauptete Unfallgeschehen spricht schließlich auch der Umstand, dass der
von der Beklagten zu 2) beauftragte Sachverständige S. in seinem Gutachten vom
25.07.2000 (Bl. 37 ff. GA) ausdrücklich festgestellt hat, dass die klägerseits geltend
gemachten Schäden zum behaupteten Unfallhergang passen (so genannte
Kompatibilität).
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Insgesamt verbleiben damit für den Senat auch unter Berücksichtigung des von der
Beklagten zu 1) und dem Zeugen B. bei der Vernehmung gewonnenen persönlichen
Eindrucks keine begründeten Zweifel daran, dass sich der klägerseits behauptete Unfall
vom 21.06.2000 tatsächlich ereignet hat.
9
II.
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Bei dieser Sachlage trifft die Beklagte zu 2) die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass
der Verkehrsunfall zwischen den Unfallbeteiligten abgesprochen war. Ihr
diesbezügliches, ausschließlich auf vermeintliche Indizien gestütztes Vorbringen ist
jedoch unzureichend:
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Dies gilt zunächst für den unstreitigen Umstand, dass das auf den Kläger zugelassene
Fahrzeug bereits in den Jahren 1998 und 1999 an drei Unfällen beteiligt gewesen ist.
Diese Unfallhäufung - in der letzten mündlichen Verhandlung vom Kläger selbst noch
um einen weiteren Unfall aus neuerer Zeit ergänzt - ist zwar auffällig, rechtfertigt aber
allein nicht den Schluss auf betrügerische Manipulationen. Die Beklagte zu 2) hat denn
auch nicht einmal ansatzweise dargetan, dass auch nur ein einziger der früheren
Unfälle zwischen den Beteiligten abgesprochen war.
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Der weitere Hinweis, dass bei dem streitgegenständlichen Unfall keine Polizei
hinzugerufen worden ist, ist bereits ambivalent. Nicht selten wird das Vorliegen eines
fingierten Unfalls unter anderem gerade mit dem Einschalten der Polizei begründet, weil
die Beteiligten dem gestellten Geschehen dadurch einen "amtlichen Anstrich" geben
wollten. Zudem haben sowohl die Beklagte zu 1) als auch der Zeuge B. das
Nichteinschalten der Polizei bei ihrer Vernehmung durchaus nachvollziehbar damit
erklärt, dass es für sie der jeweils erste Unfall gewesen sei und sie überdies wegen des
am beschädigten Fahrzeug zurückgelassenen Benachrichtigungszettels (Bl. 5 GA) von
einer ohne Polizei möglichen Schadensabwicklung ausgegangen seien.
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Auch soweit die Beklage zu 2) das Alter der beteiligten Fahrzeuge (alter schädigender
und neuerer beschädigter PKW) und die Art des Schadens (Seitenschaden) hervorhebt,
mag es sich dabei zwar um für fingierte Unfälle typische Gegebenheiten handeln. Ohne
das Hinzutreten weiterer aussagekräftiger Umstände kann aus diesen Merkmalen allein
aber selbstverständlich nicht stets der Schluss auf ein gestelltes Unfallgeschehen
gezogen werden.
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Ein derartig aussagekräftiger Umstand ist auch nicht der Hinweis der Beklagten zu 2)
auf die bei der Staatsanwaltschaft Aachen bekannten so genannten "R.-Unfälle" (Bl. 68
ff. GA). Ihre diesbezüglichen Darlegungen weisen zum Kläger jedenfalls kein
zwingendes Verbindungsglied auf und lassen hinsichtlich der Beklagten zu 1) sogar
jegliche Verknüpfung vermissen. Letzteres gilt übrigens auch für den Bruder der
Beklagten zu 1), von dem die Beklagte zu 2) in ihrem nicht nachgelassenen Schriftsatz
vom 16.10.2002 erstmals behauptet, er - und nicht seine Schwester - habe den V.
gemäß einer mit den Brüdern A. getroffenen Absprache absichtlich gegen den R.
gefahren. Hierfür hat die Beklagte zu 2) lediglich die Vernehmung ihrer Mitarbeiterin
zum Nachweis eines entsprechenden anonymen Hinweises als neues Beweismittel
angeboten, was zu einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung keine
Veranlassung gab.
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Auch wenn man die von der Beklagten zu 2) angeführten vermeintlichen Indizien in
einer Gesamtschau betrachtet, reichen sie dem Senat für einen auch nur naheliegenden
Schluss auf ein abgesprochenes Unfallgeschehen nicht aus. Dies gilt insbesondere
nach dem durch die Beweisaufnahme von den Unfallbeteiligten gewonnenen Eindruck
und deckt sich im Übrigen mit dem von der Beklagten zu 2) selbst eingeräumten
Umstand, dass auch die Staatsanwaltschaft bislang keine relevanten Erkenntnisse
hinsichtlich eines Betrugsvorwurfs ermittelt hat.
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III.
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Gleichwohl ist der Rechtsstreit noch nicht endentscheidungsreif, da zur Höhe des
Schadens noch weitere Sachaufklärung notwendig ist. Das von dem Kläger eingeholte
Gutachten des Sachverständigen R. vom 23.06.2000 (Bl. 7 ff. GA) leidet an dem
erheblichen Mangel, dass darin sämtliche Vorschäden aus den drei früheren Unfällen
des R., die unbestritten zumindest zum Teil von gravierendem Umfang waren
(Reparaturkosten von gutachterlich ermittelten 13.012,40 DM allein bezüglich des
Unfalls vom 30.10.1998; vgl. S. 2 des Schriftsatzes der Beklagten zu 2) vom 28.03.2001,
Bl. 66 GA), mangels Kenntnis des Sachverständigen unberücksichtigt geblieben sind.
Dass derartige Vorschäden Einfluss auf die vom Kläger geltend gemachte
Wertminderung haben können, liegt auf der Hand. Aber auch für die angesetzten
Reparaturkosten sind sie zumindest von mittelbarer Bedeutung: Würden diese nämlich
mehr als 30 % über dem aufgrund der Vorschäden möglicherweise deutlich zu
reduzierenden Wiederbeschaffungswert liegen, dürfte der Kläger wegen § 251 Abs. 2
Satz 1 BGB nicht mehr auf Reparaturkosten-Basis abrechnen (sog. wirtschaftlicher
Totalschaden; vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Aufl., § 251 Rn. 15, 19 m.w.Nachw.).
Bevor das vom Kläger bereits beantragte (Bl. 61 GA) gerichtliche
Sachverständigengutachten eingeholt werden kann, müsste er jedoch zunächst noch
substantiiert zu Art, Ausmaß und Beseitigung der Vorschäden sowie zu dem in der
letzten mündlichen Verhandlung eingeräumten neuerlichen Schadensfall vortragen, um
eine klare Differenzierung zu ermöglichen.
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Diese weitere Sachaufklärung ist gemäß § 538 Abs. 1 Nr. 3. ZPO a.F., der nach § 26 Nr.
5. EGZPO noch Anwendung findet, vom erstinstanzlichen Gericht vorzunehmen. Sie
betrifft nicht nur Randfragen, sondern einen Kernbereich des Streits der Parteien. Dem
Senat erschien es daher nicht sachdienlich, von der Ausnahmevorschrift des § 540 ZPO
a.F. Gebrauch zu machen und den Parteien dadurch in einem wichtigen Streitpunkt eine
Tatsacheninstanz zu nehmen. Bedenken hiergegen haben die Parteien in der letzten
mündlichen Verhandlung, in der diese mögliche Vorgehensweise ausdrücklich
angesprochen worden ist, nicht geltend gemacht.
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IV.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10.,
711, 713 ZPO. Sie ist im Hinblick auf die Anforderungen des § 775 Nr. 1. ZPO
("vollstreckbare Entscheidung") auch bei einem aufhebenden und zurückverweisenden
Urteil notwendig (Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 538 Rn. 59, unter Aufgabe der noch
in der Vorauflage vertretenen Gegenmeinung).
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Eine Revision gegen das Urteil des Senats war nicht zuzulassen, da die Rechtssache
weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
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Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 ZPO n. F.).
Berufungsstreitwert und Wert der Beschwer der Beklagten: 7.398,73 EUR (= 14.470,65
DM).
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