Urteil des OLG Köln vom 16.09.1993

OLG Köln (versicherer, arbeitsunfähigkeit, avb, gegenbeweis, arbeitsfähigkeit, bescheinigung, kläger, vertrauensarzt, untersuchung, nachweis)

Oberlandesgericht Köln, 5 U 27/93
Datum:
16.09.1993
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 U 27/93
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 25 O 22/90
Schlagworte:
Versicherung Krankentagegeld Arbeitsunfähigkeit Nachweis
Normen:
BGB § 812; AVB (MBKT) § 4 VII; AVB (MBKT) § 9 II U. III
Leitsätze:
Zahlt der Krankenversicherer Krankentagegeld aufgrund einer ärztlichen
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, ohne von der Möglichkeit, einen
Vertrauensarzt hinzuzuziehen, Gebrauch gemacht zu haben, so ist es
ihm verwehrt, später den Gegenbeweis der Arbeitsfähigkeit für diesen
Zeitraum anzutreten.
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 25. Zivilkammer des
Landgerichts Köln vom 08.12.1992 - 25 O 22/90 - wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Das
Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Berufung der Beklagten bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der Senat
verneint - im Ergeb-nis in übereinstimmung mit dem Landgericht - einen
Rückzahlungsanspruch der Beklagten gem. § 812 BGB hinsichtlich der für den
Zeitraum vom 20.06. bis 14.08.1988 erbrachten Krankentagegeldzahlungen.
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Ob der Begründung des Landgerichts, die Beklagte habe insoweit die
Arbeitsfähigkeit des Klägers im vorgenannten Zeitraum nicht nachgewiesen - zu fol-
gen ist, kann dahinstehen; denn ein Rückzahlungs-anspruch der Beklagten scheitert
schon aus einem anderen Grund: Der Beklagen ist es nämlich aus den nachstehend
dargelegten Gründen nunmehr versagt, sich auf angebliche Arbeitsfähigkeit des
Klägers im vorbenannten Zeitraum zu berufen.
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Nach § 4 Abs. 7 AVB (MBKT) sind Eintritt und Dau-er der Arbeitsunfähigkeit durch
Bescheinigung des behandelnden Arztes auf einem Formblatt des Versi-cherers
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nachzuweisen, welches dem Versicherer nach § 9 Abs. 1 AVB unverzüglich,
spätestens aber in-nerhalb der im Tarif festgesetzten Frist vorzule-gen ist. Dies ist
vorliegend unstreitig geschehen, da die Bescheinigungen der Hausärztin des
Klägers Dr. med. A.G. durchgehend Arbeitsunfähigkeit für die Zeit unter anderem vom
20.06. bis 14.08.1988 infolge eines HWS-Syndroms attestieren.
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Mit der Vorlage einer entsprechenden ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
genügt der Versi-cherte seiner Verpflichtung zum Nachweis seiner Arbeitsunfähigkeit
nach medizinischem Befund (vgl. OLG Ham VersR 88/796 OLG Köln r + s 88/379).
Der Kläger ist somit der ihm obliegenden Verpflichtung des Nachweises der
Arbeitsunfähigkeit für den vor-genannten Zeitraum nachgekommen.
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Der Versicherer ist an diese Arbeitsunfähigkeits-bescheinigung auch gebunden, es
sei denn, er ver-langt gem. § 9 Abs. 3 AVB, daß sich der Versicher-te durch einen
vom Versicherer beauftragten Arzt untersuchen läßt. Wenn der Versicherer somit
Zwei-fel an der sachlichen Richtigkeit dieser Beschei-nigung des behandelnden
Arztes hat, ist er berech-tigt, den Versicherten durch einen von ihm beauf-tragten Arzt
untersuchen zu lassen.
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Vorliegend hat aber die Beklagte Zweifel an der sachlichen Richtigkeit der
Arbeitsunfähig-keitsbescheinigungen der vorgenannten Ärztin für den Zeitraum vom
20.06. bis 14.08.1988 zunächst nicht angemeldet, sondern die Arbeitsunfähigkeit des
Klägers in diesem Zeitraum erstmals im er-stinstanzlichen Verfahren im Jahr 1990 in
Abrede gestellt, nachdem die Beklagte die Arbeitsunfä-higkeitsbescheinigungen der
behandelnden Ärzte zu-nächst unbeanstandet entgegengenommen und darauf-hin
dem Kläger für diesen Zeitraum Krankentagegeld bezahlt hatte. In ihrem Schreiben
vom 24.05.1989 hat die Beklagte sogar selbst den Kläger als arbeitsunfähig für den
vorgenannten Zeitraum be-zeichnet. Angesichts dieser geleisteten Zahlungen kann
die Beklagte nunmehr nicht mehr nachträglich den Rechtsgrund der Zahlungen, d.h.
die Arbeits-unfähigkeit des Versicherungsnehmers bestreiten. Wenn ein
"Pendelformular", auf dem die Arbeitsun-fähigkeit des Versicherungsnehmers
nachgewiesen wird, vom Versicherer unbeanstandet entgegengenom-men wird, ist
es ihm nämlich verwehrt, nachträg-lich die Arbeitsunfähigkeit zu bestreiten. Mit
Zweck und Inhalt der Versicherungsverträge und des damit intendierten Schutzes
des Versicherungsneh-mers ist es nämlich schlechthin unvereinbar, wenn ein
Versicherer, der die ihm vorgelegten ärztli-chen Bescheinigungen entgegennimmt
und nicht bean-standet und seine Rechte nach § 9 Abs. 3 AVB nicht wahrnimmt,
später die Voraussetzungen der Zah-lungspflicht soll bestreiten können und dem
Versi-cherungsnehmer Einkommen, mit dem dieser aufgrund der ärztlichen
Bescheinigungen rechnen durfte, rückwirkend wieder genommen wird.
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Der Senat vertritt - auch unter Berücksichtigung der Ausführungen der Beklagten im
nicht nachgelas-senen Schriftsatz vom 07.07.1993 - die Ansicht, daß es dem
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Versicherer nach Maßgabe der vorgenann-ten Bestimmungen nicht etwa nur
verwehrt ist, sich im Rahmen der Prüfung seiner Leistungspflicht auf die angebliche
Unrichtigkeit des Pendelformulars zu berufen, wenn er keinen Vertrauensarzt einge-
schaltet hat; vielmehr ist dem Versicherer nach erbrachter Leistung auch ein
entsprechender Gegen-beweis abgeschnitten. Wie schon ausgeführt, ist es gerade
Sinn des § 9 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 MBKT, die Frage der Arbeitsunfähigkeit des
Versicherten und der entsprechenden Leistungspflicht des Versi-cherers nach
Maßgabe der dort aufgeführten Maßnah-men, also Pendelformulare des
behandelnden Arztes oder aber Untersuchung durch einen Vertrauensarzt, einer
definitiven, abschließenden Klärung zuzu-führen, die letztlich von der Sache her
auch nur zeitnah einigermaßen zuverlässig erfolgen kann. Der Grundsatz, daß dem
Versicherer die Berufung auf die Unrichtigkeit der Pendelformulare des be-
handelnden Arztes bei fehlender Veranlassung einer vertrauensärztlichen
Untersuchung abgeschnitten sein soll, würde im Ergebnis unterlaufen, wollte man
dem Versicherer zugestehen, im nachhinein doch noch einen diesbezüglichen
Gegenbeweis zu führen. Hierbei erscheint es nicht sachgerecht, die Inter-essen des
Versicherungsnehmers schon dadurch als ausreichend geschützt anzusehen, daß es
dem Ver-sicherer nach Ablauf eines längeren Zeitraums mög-licherweise
schwerfallen wird, den Unrichtigkeits-nachweis zu führen. Dies ist eine den
jeweiligen Einzelfall betreffende Frage, die keinen Einfluß auf die grundsätzliche
Bewertung der Systematik der Bestimmungen des § 9 Abs. 2 und 3 MBKT haben
kann. Auch die von der Beklagten insoweit ange-schnittene Kostenfrage hinsichtlich
der ggfls. einzuholenden vertrauensärztlichen Stellungnahmen kann insoweit nicht
ausschlaggebend sein. Ent-scheidend ist nach Ansicht des Senats vielmehr allein
der Gesichtspunkt, daß nach Sinn und Zweck der einschlägigen Bestimmungen im
Interesse sowohl des Versicherungsnehmers als auch des Versiche-rers die Frage
der krankheitsbedingten Arbeitsun-fähigkeit des Versicherungsnehmers zeitnah und
ab-schließend geklärt werden soll, nämlich durch ent-sprechende Bescheinigungen
des behandelnden Arztes einerseits und die dem Versicherer gewährte Mög-lichkeit
der Forderung einer vertrauensärztlichen Untersuchung andererseits. Macht der
Versicherer von der ihm zustehenden zweitgenannten Möglichkeit keinen Gebrauch,
ist es allein systemgerecht, ihn an die Bescheinigung des behandelnden Arztes
abschließend zu binden mit der Folge, daß ihm auch ein evtl. Gegenbeweis nach
erbrachter Leistung verwehrt ist. Dies bedeutet nicht etwa die Wertung der Zahlung
des Versicherers als Anerkenntnis; vielmehr bleibt ihm - wie gesagt - lediglich der
Gegenbeweis abschließend versagt.
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Nach allem war die Berufung mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen. Zur
Zulassung der Revision bestand nach Ansicht des Senats keine Veranlassung, da zu
der vorliegend zu entscheiden-den Frage sich noch kein abschließend kontroverser
Meinungsstand in der Rechtsprechung gebildet hat.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreck-barkeit beruht auf §§ 708 Ziff. 10,
713 ZPO.
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Berufungsstreitwert und Wert der Beschwer der Be-klagten: 7.280,00 DM
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