Urteil des OLG Köln vom 15.03.2000

OLG Köln: verbotene eigenmacht, treu und glauben, einstweilige verfügung, auflage, gas, vermieter, geschäftsführer, energieversorgung, eingriff, vollstreckung

Oberlandesgericht Köln, 2 U 74/99
Datum:
15.03.2000
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 U 74/99
Vorinstanz:
Landgericht Bonn, 3 O 447/98
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung des
weitergehenden Rechtsmittels das am 12. Mai 1999 verkündete Urteil
der 3. Zivilkammer des Landgerichts Bonn - 3 O 447/99 - in Verbindung
mit dem Berichtigungsbeschluß vom 23. Juni 1999 dahingehend
abgeändert, daß die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens von den
Beklagten zu 1a), 1b), 2a), 2b), 3a), 3b), 5a), 5b), 6a), 6b), 7a), 7b), 15a),
15b), 17a), 17b), 20a), 20b), 22a), 22b), 24a), 24b), 26a), 26b), 29a),
29b), 30a), 30b), 32a), 32b), 36a) und 36b) jeweils zu je 1/76 und von
den übrigen Beklagten jeweils zu je 1/38 zu tragen sind. Von den Kosten
des Berufungsverfahrens haben die Beklagten zu 1a), 1b), 2a), 2b), 3a),
3b), 5a), 5b), 6a), 6b), 7a), 7b), 15a), 15b), 17a), 17b), 20a), 20b), 22a),
22b), 24a), 24b), 26a), 26b), 29a), 29b), 30a), 30b), 32a), 32b), 36a) und
36b) jeweils 1/76 und die übrigen Beklagten jeweils 1/38 zu tragen. Das
Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Beklagten zu 1a), 1b), 2a), 2b), 3a),
3b), 5a), 5b), 6a), 6b), 7a), 7b), 15a), 15b), 17a), 17b), 20a), 20b), 22a),
22b), 24a), 24b), 26a), 26b), 29a), 29b), 30a), 30b), 32a), 32b), 36a) und
36b) wird das Recht eingeräumt, die Vollstreckung jeder Klägerin gegen
Sicherheit in Höhe von jeweils 225,00 DM abzuwenden, falls nicht die
jeweils vollstreckende Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leistet. Den übrigen Beklagten wird das Recht
eingeräumt, die Vollstreckung jeder Klägerin gegen Sicherheit in Höhe
von jeweils 450,00 DM ab-zuwenden, falls nicht die jeweils
vollstreckende Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher
Höhe leistet. Den Parteien wird nachgelassen, die Sicherheitsleistung
auch durch eine unbefristete, selbstschuldnerische Bankbürgschaft einer
deutschen Großbank oder öffentlichrechtlichen Sparkasse zu erbringen.
Tatbestand
1
Die Beklagten bilden die Wohnungseigentümergemeinschaft "V.-V.-Straße/B.er Weg
1a" in L.. Die Wohnungseigentumsanlage besteht aus einer Vielzahl von Wohnungen
und gewerblichen Flächen. Ursprünglich gehörte die Anlage insgesamt der Beklagten
zu 38). Diese ist nunmehr noch eingetragene Eigentümerin einer Gewerbefläche im
Erdgeschoß. Mit Vertrag des Notars B. in F. vom 24. Februar 1994 (UR.-Nr. 50/1994, Bl.
58 ff. d.GA.) hatte die Beklagte zu 38) das Teileigentum an ihren damaligen
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alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer, Herrn B.O.M., verkauft, wobei eine
Eigentumsumschreibung bisher noch nicht im Grundbuch eingetragen ist.
Die Klägerinnen haben hinsichtlich der Gewerbeeinheit eine Kopie eines Mietvertrages
vom 12. Juni 1990 (Bl. 7 ff. d.GA.) zu den Akten gereicht, den die "E.D. eG" als Mieterin
und Herr B.O.M. als Vermieter unterzeichnet haben. Als Vermieter war im Vertragstext
die Beklagte zu 38) angegeben. Deren Bezeichnung ist handschriftlich ersetzt worden
durch die Angabe "B.O. M.". In § 6 des Mietvertrages heißt es u.a. (Bl. 10 f. d.GA.):
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"Die Mieterin trägt die Kosten ihres Verbrauchs an
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- Strom, gemäß Zähler
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- Heizung anteilig gemäß Zähler
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(Energie, Wartung ohne Reparatur, Schornsteinfeger,
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Strom)
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- Frisch- und Abwasser gemäß Zähler
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......
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Eine Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von DM 500,- (ohne Heizkosten) zuzüglich
der jeweils geltenden Mehrwertsteuer ist monatlich mit der Miete zu überweisen.
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...."
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In einem auf den 29. März 1995 datierten Nachtrag (Bl. 13 f. d.GA.), der von der "E.
Handelsgesellschaft D. mbH" und ebenfalls Herrn B.O.M. unterzeichnet worden ist,
heißt es (Bl. 13 d.GA.):
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1. Eigentumsübergang und Vertragsverhältnis
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Durch Eigentumsübergang ist Herr B.O.M., U. d. E. 5, W., Eigentümer des Mietobjekts
geworden und somit Vermieter.
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Die E. Handelsgesellschaft D. mbH, C. Straße , M., ist mit allen Rechten und Pflichten
als Mieterin anstelle der E.D. eG, C. Straße , M., in das Vertragsverhältnis eingetreten.
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Der Mietvertrag vom 12.06.1990 besteht somit zwischen
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Herrn B.O.M. als Vermieter
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und der
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E. Handelsgesellschaft D. mbH als Mieterin."
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Die Klägerin zu 1) überließ ihrerseits mit Wirkung vom 1. April 1998 der Klägerin zu 2)
die Gewerberäume zur Nutzung als Lebensmittelmarkt (Kopie des von der Klägerin
vorgelegten Untermietvertrages vom 26. Februar 1998, Bl. 21 ff. d.GA.).
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Die Wohnungseigentümergemeinschaft hat gegen die Beklagte zu 38) Ansprüche auf
Zahlung von rückständigen Wohngeldern aus den Wirtschaftsplänen 1995 bis 1998 in
Höhe von mehr als 100.000,00 DM (Aufstellung Bl. 24 ff. d.GA.). Mit Schreiben vom 20.
August 1998 forderte die Wohnungseigentümergemeinschaft die Klägerin zu 1) auf, bis
zum 26. August 1998 auf einen Ausgleich dieser Forderungen durch die Beklagte zu 38)
Einfluß zu nehmen. Zugleich drohte sie eine Unterbrechung der Versorgung des
Lebensmittelgeschäftes mit "Strom, Wasser und Gas/Heizenergie" an, sofern bis zum
26. August 1998 keine zufriedenstellende Lösung gefunden werde. Die Beklagten
genehmigten in der Eigentümerversammlung vom 9. Juni 1999 einstimmig die
Unterbrechung der Gewerbeeinheit mit Energie, soweit dies rechtlich zulässig ist
(Protokoll Bl. 182 d.GA.). Durch Beschluß vom 3. Dezember 1999 stelle das Amtsgericht
Siegburg - 3 II 11/99 WEG - fest, daß die Beklagten berechtigt sind, die Versorgung des
Sondereigentums mit Strom, Energie und Wasser zu unterbrechen.
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Auf Antrag der Klägerinnen erließ das Landgericht Bonn in dem Verfahren 3 O 346/98
am 26. August 1998 eine einstweilige Verfügung, durch die den jetzigen Beklagten
untersagt wurde, die Versorgung der Gewerbeeinheit mit Wasser, Strom und Energie
(Gas) zu unterbinden. Auf den Widerspruch bestätigte das Landgericht mit Urteil vom 17.
Februar 1999 die erlassene einstweilige Verfügung. Die hiergegen eingelegte Berufung
der Beklagten wies der Senat - 2 U 40/99 - durch Urteil vom 22. September 1999 zurück.
Bei dem vorliegenden Rechtsstreit handelt es sich um die Hauptsache zu dem
einstweiligen Verfügungsverfahren.
30
Die Klägerinnen haben geltend gemacht, sie würden durch das angedrohte Vorgehen in
ihren Besitzrechten als Mieter bzw. Untermieter gestört. Insoweit stelle das
angekündigte Verhalten eine verbotene Eigenmacht dar. Zudem haben die Klägerinnen
bestritten, daß der erstinstanzliche Prozeßbevollmächtigte auch von der Beklagten zu
38) bevollmächtigt sei. Sie haben behauptet, die von ihnen benötigten Energien
(Elektrizität und Gas) würden aufgrund unmittelbar zwischen der Klägerin zu 2) und den
Versorgungsunternehmen abgeschlossener Verträge geliefert.
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Sie haben beantragt,
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1.
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die Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, die Versorgung der von ihnen
gemieteten gewerblichen Räumlichkeiten im Objekt, V.-V.-Straße/B.er Weg 1a, L.,
Erdgeschoß, mit Wasser, Strom und Energie (Gas) zu unterbrechen,
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2.
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den Beklagten anzudrohen, daß für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die in
Ziffer 1 ausgesprochene Verpflichtung ein Ordnungsgeld bis zu 500.000,00 DM
und für den Fall, daß dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu
6 Monaten festgesetzt werden kann.
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Die Beklagten haben beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie haben bestritten, daß der Zeuge M. berechtigt gewesen sei, die Räume zu
vermieten. Dieser sei nicht als Geschäftsführer der Beklagten zu 38) sondern im
eigenen Namen aufgetreten. Zudem haben sie die Auffassung vertreten, die Androhung
der Unterbrechung der Energieversorgung richte sich nicht gegen die Mieter, sondern
gegen die Eigentümerin der Gewerbeeinheit. Insoweit bestehe seitens der
Wohnungseigentümergemeinschaft ein Zurückbehaltungsrecht. Eine Unterbrechung der
Energiezufuhr sei nur insoweit angekündigt, als die Energielieferung über die
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Wohnungseigentümergemeinschaft erfolge.
Durch Urteil vom 12. Mai 1999 in Verbindung mit dem Berichtigungsbeschluß vom 23.
Juni 1999 hat das Landgericht die Beklagten antragsgemäß verurteilt. Zur Begründung
hat es ausgeführt, die Klägerinnen könnten die Beklagten auf Unterlassung in Anspruch
nehmen, da die angekündigte Sperrung der Energiezufuhr eine Besitzstörung im Sinne
des § 862 BGB darstelle. Die Klägerin zu 1) sei mittelbare Besitzerin. Dieser seien
durch den Vertrag vom 29. März 1995 die Gewerberäume vermietet worden. Dabei
könne es dahinstehen, ob Herr B.O.M. nicht oder noch nicht Eigentümer der
Gewerbeeinheit gewesen sei. Er sei auf jeden Fall berechtigt gewesen, einen
Mietvertrag für die Beklagte zu 38) abzuschließen.
55
Gegen das ihnen am 22. Mai 1999 zugestellte Urteil haben die Beklagten mit einem am
21. Juni 1999 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt, die sie nach
Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 21. Oktober 1999 mit einem an
diesem Tag bei Gericht eingegangenen Schriftsatz begründet haben.
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Die Beklagten machen mit der Berufung geltend, das Amtsgericht Siegburg habe durch
Beschluß vom 19. August 1998 in dem Verfahren 3 II 92/98 WEG entschieden, es sei
verhältnismäßig und gerechtfertigt, wenn die Wohnungseigentümergemeinschaft im
Wege der Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts die Versorgung der der Beklagten
zu 38) gehörenden Gewerbeeinheit mit Gas, Strom und Wasser unterbrechen würden.
Dieses Zurückbehaltungsrecht gegenüber der Beklagten zu 38) greife auch im
Verhältnis zu den Klägerinnen. Dabei stelle das Absperren der Versorgungsleitungen
weder eine Besitzentziehung noch eine rechtswidrige Besitzstörung dar. Sie seien unter
keinem rechtlichen Gesichtspunkt verpflichtet, für ein Mitglied der
Eigentümergemeinschaft auf Dauer die Versorgung mit Wasser und Wärmeenergie
vorzufinanzieren. Die Klägerinnen als Mieterin bzw. Untermieterin seien nicht besser zu
stellen als ein selbstnutzender Eigentümer. Es sei nicht beabsichtigt, sämtlichen
Leitungen zu der Gewerbeeinheit zu unterbrechen; vielmehr solle nur eine
Unterbrechung des Allgemeinstroms und der Wasser- und der Gasversorgung für die
Aufbereitung des Warmwassers erfolgen. Dies stelle nur eine bloße
Gebrauchshinderung dar, die für die Annahme einer Besitzstörung nicht ausreichend
sei.
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Die Beklagten beantragen,
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unter Abänderung des Urteils die Klage abzuweisen.
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Die Klägerinnen beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigen das angefochtene Urteil und sind der Auffassung, es bestehe mangels
Konnexität kein Zurückbehaltungsrecht. Sie seien nicht Schuldner der Verpflichtung zur
Zahlung des Wohngeldes. Das Verhalten der Verfügungsbeklagten stelle zudem einen
objektiv rechtswidrigen Eingriff in ihren Gewerbebetrieb dar.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der
von ihnen eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Die Akten 3 II
24/97 WEG Amtsgericht Siegburg, 3 II 92/98 WEG Amtsgericht Siegburg und 3 O 346/98
Landgericht Bonn = 2 U 40/99 OLG Köln lagen vor und waren Gegenstand der
mündlichen Verhandlung.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
70
I.
71
Die zulässige Berufung hat in der Hauptsache keinen Erfolg.
72
Das Landgericht hat zu Recht der Klage stattgegeben. Die Beklagten sind nicht
berechtigt, die Versorgung der im Erdgeschoß der Eigentumsanlage gelegenen
Gewerbeflächen mit Strom, Wasser und Gas/Heizenergie zu unterbrechen. Die
hiergegen mit der Berufung erhobenen Einwendungen rechtfertigen keine andere
Beurteilung.
73
1.
74
Ein Rechtsschutzbedürfnis für die begehrte Verurteilung zu einer uneingeschränkten
Unterlassung besteht. Die Beklagten können sich nicht darauf berufen, eine
Unterbrechung derjenigen Leistungen der Versorgungsunternehmen, für die die Mieterin
des Ladenlokals eigene Lieferverträge abgeschlossen habe, sei nicht beabsichtigt. Mit
anwaltlichem Schriftsatz vom 20. August 1998 haben sie die Unterbrechung der
Versorgung des E.-Marktes mit Energie für den Fall angedroht, daß nicht im Hinblick auf
die Forderungen der Wohnungseigentümergemeinschaft gegen die Projektgesellschaft
B.er Weg L. mbH bis Mittwoch, den 26. August 1998 eine für sie zufriedenstellende
Lösung gefunden werde. Dieser Schriftsatz enthält weder eine Einschränkung
hinsichtlich des jeweiligen Abschlusses der Versorgungsverträge noch eine
Beschränkung auf eine Unterbrechung des Allgemeinstroms, des Wassers und die
Gasversorgung für die Aufbereitung von Warmwasser. Vielmehr wird die unzweideutige
Drohung ausgesprochen, die gesamte Energieversorgung für die Gewerbeeinheit zu
unterbinden.
75
2.
76
Der Klägerin zu 2) steht als Untermieterin und mithin unmittelbare Besitzerin des im
Erdgeschoß gelegenen Ladenlokals ein Anspruch auf Unterlassung einer Besitzstörung
gemäß §§ 862, 858 BGB zur Seite. Dieses Recht kann die Klägerin zu 1) als mittelbare
Besitzerin ebenfalls gemäß §§ 869, 862, 858 BGB geltend machen (vgl. allgemein:
Palandt/Bassenge, BGB, 57. Auflage 1998, § 869 Rdnr. 3).
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Die Klägerin zu 1) ist durch den Abschluß des Hauptmietvertrages vom 12. Juni 1990 in
Verbindung mit dem Nachtrag vom 29. Mai 1995 und die Überlassung der Mietsache
zunächst unmittelbare und nach der Untervermietung mittelbare Besitzerin geworden,
wobei die Klägerin zu 2) durch die Vermietung und die Überlassung des Ladenlokals
unmittelbaren Besitz erlangt hat. Insoweit greifen die Beklagten die vom Landgericht in
dem Urteil vorgenommene Wertung, daß zwischen der Beklagten zu 38), vertreten durch
ihren damaligen Geschäftsführer, und der Klägerin zu 1) und zusätzlich zwischen der
Klägerin zu 1) und der Klägerin zu 2) jeweils wirksam ein Mietvertrag über die
streitbefangenen Räume im Erdgeschoß der Wohnungseigentumsanlage "V.-V.-
Straße/B.er Weg 1a" zustande gekommen ist, nicht mehr mit der Berufung an. Vielmehr
gehen sie ebenfalls nunmehr von dem Bestehen entsprechender Mietverhältnisse aus.
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Zutreffend hat das Landgericht die Voraussetzungen einer Besitzstörung im Sinne des §
862 BGB bejaht. Eine Störung im Sinne der Vorschrift ist jede Beeinträchtigung des
unmittelbaren Besitzers im Genusse des Besitzes in der Weise, daß befriedeter Zustand
in solchen der Rechtsunsicherheit verwandelt wird (Palandt/Bassenge, BGB, 59.
Auflage 2000, § 858 Rdnr. 6; MK/Joost, a.a.O., § 858 Rdnr. 5, 12,; Staudinger/Bund,
BGB, 13. Auflage 1995, § 858, Rdnr. 53 m.w.N.). Durch die angedrohte Unterbrechung
der Zufuhr von Wasser, Strom und Gas/Heizung wird hinsichtlich des angemieteten
Ladenlokals in die Sachherrschaft der unmittelbaren Besitzerin eingegriffen. Sie kann
ohne die ungehinderte Belieferung mit Energie ihr Lebensmittelgeschäft nicht weiter
ungestört betreiben.
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Diese Störung ist als verbotene Eigenmacht im Sinne des § 858 Abs. 1 BGB zu werten.
Verbotene Eigenmacht ist jede gesetzlich nicht besonders gestattete Handlung, die den
unmittelbaren Besitzer ohne seinen Willen in der Ausübung der tatsächlichen Gewalt
beeinträchtigt (RGZ 55, 55 [57]; RGRK/Kregel, BGB, 12. Auflage 1979, § 858 Rdnr. 1;
Staudinger/Bund, BGB, 13. Auflage 1995, § 858 Rdnr. 4). Hierbei kann die Befugnis, in
einen fremden Rechtskreis und insbesondere in den Besitzstand eines anderen
einzugreifen, öffentlich-rechtlicher oder bürgerlich-rechtlicher Art sein (RGRK/Kregel,
a.a.O., § 858 Rdnr. 8; MK/Joost, a.a.O., § 858 Rdnr. 10, 11.).
80
Hinsichtlich der beabsichtigten Unterbrechung der Energieversorgung liegt weder ein
Einverständnis der Klägerin zu 1) als Hauptmieterin noch der Klägerin zu 2) als
Untermieterin des Ladenlokals vor. Das Vorgehen der in der
Wohnungseigentümergemeinschaft verbundenen Beklagten ist ebensowenig durch
Privatrechtsnormen oder durch öffentlich-rechtliche Normen gestattet. Den Beklagten
steht kein Selbsthilferecht (analog § 229 BGB), das ihrem Vorgehen die
Widerrechtlichkeit hätte nehmen können, zur Seite. Denn ein solches Recht gewährt
das Gesetz nur in bestimmten Ausnahmefällen, wenn obrigkeitliche Hilfe nicht
rechtzeitig zu erlangen ist (vgl. RGRK/Johannsen, BGB, 12. Auflage 1982, § 229 Rdnr. 7
m.w.N.). Ein derartiger Fall ist augenscheinlich nicht gegeben, da es der
Wohnungseigentümergemeinschaft letztlich nur um die Durchsetzung eines fälligen
Anspruchs auf Zahlung rückständiger Wohngelder für die Jahre 1995 bis 1998 gegen
die Verfügungsbeklagte zu 38) geht. Dieser muß im Klage- bzw. Vollstreckungswege
gegen die Schuldnerin verfolgt werden.
81
Soweit das Amtsgericht Siegburg in dem Beschluß von 19. August 1998 - 3 II 92/98
WEG - den Feststellungsantrag der dortigen Antragstellerin (= die hiesige Beklagte zu
38)) zurückgewiesen hat, weil es in der Gesamtschau aller Umstände des Falles es als
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verhältnismäßig und gerechtfertigt ansieht, wenn im Wege der Ausübung eines
Zurückbehaltungsrechts die Versorgung der Sondereigentumseinheit mit Heizung,
Strom und Wasser unterbrochen wird, und es nunmehr mit Beschluß vom 3. Dezember
1999 - 3 II 11/99 WEG - ausgesprochen hat, daß die Beklagten des vorliegenden
Rechtsstreits zu einer Unterbrechung berechtigt seien, führt dies zu keiner anderen
Beurteilung. Es ist schon fraglich, ob die Eigentümergemeinschaft im Verhältnis zu der
Beklagten zu 38) berechtigt wäre, auf der Grundlage eines Zurückbehaltungsrechts
wegen rückständiger Wohngeldzahlungen die weitere Energiezufuhr zu unterbrechen;
sie darf jedenfalls hierbei nicht in die ungestörte Besitzausübung eines Dritten, hier der
Klägerin zu 2), eingreifen.
Zwar wird in der neueren Literatur und Rechtsprechung (vgl. Bub/Treier, a.a.O., III.A
Rdnr. 1152 m.w.N.) die Ansicht vertreten, das Unterbrechen der Versorgungsleitungen
stelle im Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter dann keine verbotene, den Besitz
des Mieters an den Räumen störende Eigenmacht des Vermieters dar, wenn der Mieter
mit der Zahlung der Nebenkosten mit einem erheblichen Teil in Verzug geraten ist.
Ebenso wird in Rechtsprechung und Literatur (OLG Celle, NJW-RR 1991, 1118;
BayObLG, MDR 1992, 967; OLG Hamm, NJW 1994, 145; Merle in: Bärmann/Pick/Merle,
Wohnungseigentumsgesetz, 7. Auflage 1997,§ 28 Rdnr. 133) ein Recht der
Wohnungseigentümergemeinschaft anerkannt, bei erheblichen Rückständen ein
säumiges Mitglied der Gemeinschaft von der weiteren Belieferung mit Energie bis zum
Ausgleich der Forderungen auszuschließen. Begründet wird diese Befugnis des
Vermieters bzw. der Wohnungseigentümergemeinschaft mit dem Bestehen
schuldrechtlicher Beziehungen, die bei einem erheblichen Zahlungsrückstand des
einen Teils ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 BGB hinsichtlich der Leistungen
begründen, zu denen der andere Teil normalerweise verpflichtet ist (OLG Celle, a.a.O.;
BayObLG, a.a.O.).
83
Diese Grundsätze sind jedoch - wie der Senat bereits in dem den Parteien bekannten
Urteil vom 22. September 1999, 2 U 40/99, ausgesprochen hat - problematisch,
jedenfalls hier nicht einschlägig. Die Anwendbarkeit des § 273 BGB ist vorliegend
schon deswegen fraglich, weil es nicht um die Zurückhaltung einer geschuldeten
"Leistung" geht. Die Eigentümergemeinschaft ist nicht "Lieferantin" von Strom, Gas und
Wasser. Die Unterbrechung von Versorgungsleitungen zu Räumlichkeiten eines
Miteigentümers ist daher auch nicht die Zurückhaltung einer "Leistung". Der betroffene
Miteigentümer wird vielmehr am Gebrauch dieser Leitungen und damit an Teilen des
Gemeinschaftseigentums gehindert. Im übrigen setzt § 273 BGB voraus, daß die
beiderseitigen Verpflichtungen aus "demselben rechtlichen Verhältnis" stammen. Dieser
Begriff ist weit auszulegen (BGH, MDR 1985, 137; BGH, MDR 1993, 972). So ist nicht
erforderlich, daß die sich gegenüberstehenden Ansprüche auf demselben
Rechtsverhältnis beruhen; vielmehr genügt es, wenn ihnen ein innerlich
zusammenhängendes, einheitliches Lebensverhältnis zugrundeliegt, beide also aus
Rechtsgeschäften hervorgegangen sind, die in einem solchen natürlichen und
wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, daß es gegen Treu und Glauben verstoßen
würde, wenn der eine Anspruch ohne Rücksicht auf den der anderen Seite zustehenden
geltend gemacht und durchgesetzt werden könnte.
84
Hiervon kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Es liegt weder eine Identität der
Vertragspartner noch des Vertragsgegenstandes vor. Unmittelbare vertragliche
Beziehungen hat die Wohnungseigentümergemeinschaft weder zu der Klägerin zu 1)
noch zu deren Untermieterin; ein wirtschaftlicher und sachlicher Zusammenhang ist
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ebensowenig zu bejahen. Auf der einen Seite werden rückständige
Wohngeldansprüche gegen ein Mitglied der Wohnungseigentümergemeinschaft, der
Beklagten zu 38), für einen Zeitraum geltend gemacht, zu dem die jetzige unmittelbare
Besitzerin der Gewerberäume überwiegend überhaupt noch nicht Mieterin des
Ladenlokals war; auf der anderen Seite stehen die mietrechtlichen Ansprüche der
Klägerin zu 1) bzw. zu 2) gegen die jeweilige Vermieterin. Diese verschiedenen
Sachverhalte sind unterschiedlichen Lebensbereichen zugeordnet, so daß es nicht
gegen Treu und Glauben verstößt, wenn die Klägerin zu 2) weiterhin auf einer
ungestörten Nutzung der angemieteten Räume besteht ohne Rücksicht auf die noch
bestehenden Wohngeldrückstände der Beklagten zu 38).
Durch die angedrohte Unterbrechung der Versorgungsleitungen greifen die Beklagten
von außen in die Nutzung des Ladenlokals ein. Dies stellt eine verbotene Eigenmacht
dar (vgl. allgemein: Staudinger/Bund, a.a.O., § 858 Rdnr. 53). Anders als in dem von den
Berufungsführern herangezogenen Fall einer Lieferunterbrechung durch ein
Versorgungsunternehmen (LG F., MDR 1998, 1023) geht es - wie oben bereits
dargestellt - nicht um die Zurückhaltung einer "Leistung", sondern um einen
unmittelbaren Eingriff in das Mietobjekt. Überdies ist die Frage, unter welchen
Voraussetzungen eine vertraglich bestehende Leistungsverpflichtung der
Versorgungsunternehmen entfallen kann, in den Versorgungsbedingungen geregelt.
Eine in der Leistungsverweigerung liegende Besitzstörung wäre somit nicht
widerrechtlich und schon deshalb keine verbotene Eigenmacht im Sinne von § 858
BGB. Das Recht der Energieversorgungsunternehmen zur Leistungseinstellung beruht
auf einer ausdrücklichen Gestattung (z.B. §§ 33 Abs. 2 Satz 1 AVBEltV, 33 Abs. 2 Satz 1
AVBFernwärmeV, 33 Abs. 2 Satz 1 AVBGasV, 33 Abs. 2 Satz 1 AVBWasserV) und
schließt daher die Widerrechtlichkeit dann aus, wenn zudem die Voraussetzungen des
§ 273 BGB gegeben sind (BVerfG, NJW 1982, 1511 [1512]; BGH, MDR 1989, 905;
BGH, MDR 1991, 841; BGH, MDR 1993, 972). Seinen gesetzgeberischen Grund haben
die Regelungen darin, daß für solche Unternehmen eine allgemeine Anschluß- und
Versorgungspflicht besteht. Sie können sich ihre Abnehmer - anders als Privatpersonen
- nicht aussuchen, sondern müssen grundsätzlich mit jedem abschließen. Insoweit stellt
die Zulässigkeit einer Liefersperre die zur Ausübung des Zurückbehaltungsrechts aus §
273 BGB notwendige Maßnahme dar.
86
Wie in der mündlichen Verhandlung erörtert worden ist, können sich die Beklagten
ebensowenig darauf berufen, es sei unverhältnismäßig, wenn sie ihre Forderungen
gegen die Beklagten zu 38) nicht durch Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts
hinsichtlich der Energieversorgung durchsetzen können. Es besteht weder die
Notwendigkeit der Sicherstellung der laufenden Zahlungen noch eine Gefährdung der
Erfüllung laufender Versorgungsverträge durch die Wohnungseigentümergemeinschaft.
Ebensowenig geht es darum, daß ein Eigentümer sein Sondereigentum unbegrenzt
zeitlich nutzen kann, ohne Wohngeld zu zahlen (so die den Entscheidungen des
BayObLG, MDR 1992, 967, und OLG Celle, NJW-RR 1991, 1118, zugrunde liegenden
Sachverhalte). Der Verwalter der Eigentümergemeinschaft hat in der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat dargelegt, daß ab Dezember 1998 die laufenden
Wohngeldzahlungen entsprechend dem jeweiligen Wirtschaftsplan von dem früheren
Geschäftsführer der Eigentümerin und dem Erwerber der Wohnung gezahlt werden.
Somit besteht derzeit keine Gefahr, daß sich die Forderungen der
Eigentümergemeinschaft aus den laufenden Wirtschaftsplänen noch erhöhen und es zu
einer weiteren fortlaufenden Schädigung kommt. Auch die Klägerin zu 2) erbringt
ihrerseits regelmäßig die vertraglich vereinbarten Nebenkostenvorauszahlungen an den
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Vermieter; zudem hat sie in der mündlichen Verhandlung erklärt, eventuell für den noch
nicht abgerechneten Zeitraum 1998/1999 offenstehende Beträge nach Vorlage einer
entsprechenden Nebenkostenabrechnung auszugleichen. Letztlich will die
Wohnungseigentümergemeinschaft - wie vorstehend bereits aufgezeigt - durch das
angedrohte Druckmittel von ihrem Mitglied einzig den Ausgleich rückständiger
Wohngeldbeträge für die Vergangenheit erreichen. Diese Beträge stammen zudem zum
größten Teil aus einer Zeit, zu der die jetzige unmittelbar betroffene Untermieterin das
Ladenlokal überhaupt noch nicht einmal angemietet hatte. Zur Durchsetzung dieser,
zugegebenermaßen nicht unerheblichen Rückstände muß sich die
Eigentümergemeinschaft der ihr nach dem Wohnungseigentümergesetz bzw. nach dem
Vollstreckungsrecht zustehenden rechtlichen Mitteln bedienen und kann sich nicht
gegenüber Dritten auf ein Zurückbehaltungsrecht berufen.
b)
88
Weiterhin können die Klägerinnen ihr Begehren ebenfalls auf einen deliktischen
Unterlassungsanspruch stützen. Das von der Wohnungseigentümergemeinschaft
angedrohte Verhalten stellt einen rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten und
ausgeübten Gewerbebetrieb der Mieterin gemäß § 823 Abs. 1 BGB dar. Die Beklagten
beabsichtigen nicht nur - wie sie geltend machen - die Unterbrechung der Energiezufuhr
ausschließlich gegenüber der Beklagten zu 38) als Eigentümerin des Sondereigentums.
Das Absperren der Versorgungsleitungen erfüllt zudem die Voraussetzungen eines
betriebsbezogenen Eingriffs in den Betrieb der Klägerin zu 2). Die Stoßrichtung der
angekündigten Maßnahme ist sowohl gegen das säumige Mitglied der
Eigentümergemeinschaft als auch gegen das Unternehmen der Klägerin zu 2) als
solches gerichtet und betrifft vom Gewerbebetrieb nicht ohne weiteres ablösbare Rechte
oder Rechtsgüter (vgl. hierzu allgemein: MK/Mertens, BGB, 3. Auflage 1997, § 823 Rdnr.
490 mit weiteren umfangreichen Nachweisen in FN. 1451). Die Voraussetzungen für
eine Nutzung der Gewerbeeinheit als Verkaufslokal sollen beseitigt bzw. zumindest
erheblich beeinträchtigt werden, um so zu erreichen, daß die Beklagte zu 38)
gezwungen wird, ihrer Zahlungsverpflichtung nachzukommen.
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Daß die Betriebsunterbrechung oder -stillegung nicht der Endzweck ist, sondern
ihrerseits dazu genutzt wird, mittelbar Druck gegen die Beklagte zu 38) auszuüben, steht
der Betriebsbezogenheit des Eingriffs in den konkreten Gewerbebetrieb der
Untermieterin nicht entgegen. Ein zielgerichtetes Verhalten im finalen Sinn ist nicht
erforderlich. Es reicht aus, wenn der Eingriff in seiner objektiven Stoßrichtung auf den
Gewerbebetrieb als organische Einheit zielt oder sonst nach der Verkehrsauffassung als
Störung der Grundlagen dieses Betriebes erscheint (RGRK/Steffen, BGB, 12. Auflage, §
823 Rdnr. 43).
90
II.
91
Auf die Berufung war die Kostenentscheidung des landgerichtlichen Urteils
dahingehend abzuändern, daß die unterliegenden Beklagten für die Kostenerstattung
nach Kopfteilen haften, § 100 Abs. 1 ZPO.
92
Die Kostenentscheidung des Berufungsverfahrens beruht auf den §§ 97 Abs. 1, Abs. 2,
100 Abs. 1 ZPO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708
Ziffer 10, 711, 108 ZPO.
93
Streitwert des Berufungsverfahrens: 150.000,00 DM
94
(geschätzt wie Vorinstanz)
95
Beschwer für die Beklagten: über 60.000,00 DM
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