Urteil des OLG Köln vom 17.12.2007

OLG Köln: vergütung, beistandsleistung, gleichstellung, anwendungsbereich, beschränkung, gebühr, strafverfahren, pauschal, abgrenzung, akteneinsicht

Oberlandesgericht Köln, 2 Ws 613/07
Datum:
17.12.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ws 613/07
Vorinstanz:
Landgericht Bonn, 23 A 4/05
Leitsätze:
Zur Frage, welche Gebühren einem Zeugenbeistand zustehen, der nach
§ 68 b StPO "für die Dauer der Vernehmung" beigeordnet worden ist.
Tenor:
1. a) Der Beschluß des Landgerichts Bonn vom 22.06.2006, mit dem
zugunsten der Beschwerdeführerin eine Vergütung von 194,88 €
festgesetzt wurde, wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im
übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst :
Zugunsten der Beschwerdeführerin wird eine Vergütung iHv 567,24 €
festgesetzt.
b) Der Beschluss des Landgerichts Bonn vom 20.02.2007 wird
aufgehoben.
2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche
Kosten werden nicht erstattet.
G r ü n d e :
1
I.
2
Die Beschwerdeführerin verteidigte den früheren Angeklagten H zunächst in dem gegen
ihn (und weitere Angeklagte) gerichteten Strafverfahren LG Bonn – 23 P 5/05 –. Die von
ihr angemeldeten Pflichtverteidigergebühren in Höhe von 2.253,88 € hat sie vollständig
erhalten. Aus dem Verfahren 23 P 5/05 wurden die Verfahren gegen die beiden
Angeklagten I B und N C abgetrennt und unter dem Az 23 A 4/05 fortgeführt.
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In diesem Verfahren wurde der frühere Angeklagte H als Zeuge vernommen. Zum
Termin am 01.03.2006 wurde Rechtsanwältin D als Zeugenbeistand für den Zeugen H
geladen und sodann im Termin auf entspr. Antrag dem Zeugen "für seine Vernehmung
als Rechtsbeistand beigeordnet". Für die Beistandstätigkeit meldete die
Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 02.03.2006 Gebühren in Höhe von 742,40 € zur
Festsetzung an, die sich im wesentlichen aus der Grundgebühr nach VV 4101 zum
RVG, der Verfahrensgebühr nach VV 4113 und der Terminsgebühr nach VV 4115
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RVG, der Verfahrensgebühr nach VV 4113 und der Terminsgebühr nach VV 4115
zusammensetzen. Die Rechtspflegerin bei dem Landgericht Bonn setzte nach
Einholung einer Stellungnahme des Bezirksrevisors mit Beschluss vom 22.06.2006
lediglich eine Gebühr nach VV Nr. 4301 iHv 194,88 € "für die Einzeltätigkeit als
Zeugenbeistand" fest und wies den weitergehenden Antrag mit Beschluss vom
20.02.2007 zurück. Gegen den (erst) am 23.07.2007 zugestellten Beschluss vom
20.02.2007 legte Rechtsanwältin D am 26.07.2007 "Beschwerde" ein, der die
Rechtspflegerin mit Beschluss vom 09.08.2007 nicht abhalf.
Die Strafkammer wies die - als Erinnerung gewertete – Beschwerde in der Besetzung
mit 3 Richtern durch Beschluss vom 04.09.2007 zurück. Gegen diesen – nicht förmlich
zugestellten – Beschluss hat Rechtsanwältin D mit Schriftsatz vom 01.10.2007
"Rechtsmittel" eingelegt.
5
II.
6
Bei dem Rechtsmittel handelt es sich um eine nach §§ 56 Abs. 2 S.1, 33 Abs. 3 RVG
statthafte sofortige Beschwerde, die mangels förmlicher Zustellung der landgerichtlichen
Entscheidung als fristgerecht zu behandeln ist.
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Das Rechtsmittel hat auch in der Sache teilweise Erfolg.
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Die Tätigkeit der Beschwerdeführerin als Zeugenbeistand ist gebührenrechtlich nicht
lediglich als Einzeltätigkeit gemäß Abschnitt 3. des VV mit der Verfahrensgebühr nach
VV 4301 Z 4 (Beistandsleistung bei einer Vernehmung) von 168 € zu vergüten.
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Die Frage, welche Gebühren einem Zeugenbeistand zustehen, der nach § 68 b StPO
"für die Dauer der Vernehmung" beigeordnet worden ist, ist in der Rechtsprechung
umstritten (vgl. zum Meinungsstand Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 2. Aufl.,
VV Teil 4, Abschnitt 1, Randnr.5 ff zur Vorbemerkung 4.1). Der Senat folgt der
Auffassung, dass auf die Tätigkeit des Zeugenbeistands grds. der Abschnitt 1 des Teil 4
VV anzuwenden ist.
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Der Senat hat bereits mit Beschluss vom 06.01.06 – 2 Ws 9/06 – einem Zeugenbeistand
in einem Wiederaufnahmeverfahren über die schon in der Vorinstanz festgesetzten
Gebühren hinaus auch die Verfahrensgebühr nach VV 4138,4112 zugebilligt. (Die
Grundgebühr fällt im Wiederaufnahmeverfahren kraft ausdrücklicher gesetzlicher
Regelung - 4.1.4. zum Unterabschnitt 4 VV - nicht an.)
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Zur Begründung hat der Senat in dieser Entscheidung ausgeführt :
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"Das RVG regelt erstmals die Tätigkeit des Rechtsanwalts als Beistand für einen
Zeugen ausdrücklich. Dies erfolgt in den Vorbemerkungen zu den einzelnen Teilen
des Gebührenverzeichnisses. Nach Abs. 1 der Vorbemerkung zu Teil 4 des VV
sind für die Tätigkeit des Rechtsanwalts als Zeugenbeistand die für Verteidiger
geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden. Die Gleichstellung hinsichtlich
des Gebührenansatzes war ausdrückliche Intention des Gesetzgebers (BT-Ds.
15/1971, S. 145; vgl. dazu auch: Riedel/Sußbauer, RVG, 9. Aufl. 2005, VV Teil 4
Vorbem. 4, Rdn. 22; Römermann/Hartung-Hartung, RVG, 2004, VV Teil 4, Rdn. 27;
Göttlich/Mümmler, RVG, 1. Aufl. 2004, Anm. 3 zum Stichwort "Beistand", S. 128 f.).
Für das Wiederaufnahmeverfahren wird dies in den Gebührentatbeständen Nr.
4136 ff. VV zum Ausdruck gebracht. Hieraus folgt, dass der dem Zeugen
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beigeordnete Rechtsanwalt grundsätzlich auch eine Verfahrensgebühr nach Nr.
4138 beanspruchen kann (zutreffend: KG, B. v. 18.7.2005, 3 Ws 323/05, RPfl 2005,
694, 695). Dies ist sachlich gerechtfertigt, weil der Zeugenbeistand über die
Teilnahme an der Vernehmung des Zeugen hinaus in aller Regel auch im Rahmen
der Terminsvorbereitung, etwa durch eine Besprechung mit dem Zeugen, tätig wird.
Eine andere Entscheidung ist auch nicht unter Berücksichtigung des Umstandes
gerechtfertigt, dass die Kammer der Zeugin den Beistand entsprechend der
Regelung in § 68 b S. 1 StPO lediglich "für die Dauer ihrer Vernehmung"
beigeordnet hat. Hieraus lässt sich keine Beschränkung der Vergütung auf die
Terminsgebühr herleiten. Dies folgt zunächst aus den oben genannten Gründen
zur Gleichstellung der Vergütung von Zeugenbeistand und Verteidiger und der
gesetzlichen Regelung (vgl. KG a.a.O.). Darüber hinaus wäre eine solche
Beschränkung auch nicht mit Sinn und Zweck des Gesetzes vereinbar. Die
Beiordnung nach § 68 b StPO soll eine Verbesserung der Rechtsstellung
schutzbedürftiger Zeugen in bestimmten Vernehmenssituationen erreichen. Durch
die Unterstützung eines anwaltlichen Beistandes sollen die Zeugen in die Lage
versetzt werden, ihnen zustehende Abwehr- und Schutzrechte geltend zu machen
(Karlsruher Kommentar–Senge, StPO, 5. Aufl. 2003, § 68 b, Rdn. 2). Aus dieser
Intention folgt das Gebot zur Gewährleistung eines wirkungsvollen Beistandes.
Dem kann nur dadurch Rechnung getragen werden, dass sich der Rechtsanwalt
auf die Vernehmung im Rahmen der ihm als Beistand zustehenden Befugnisse
angemessen vorbereitet. Für diese Vorbereitung muss ihm folglich auch eine
Vergütung zustehen."
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An dieser Auffassung hält der Senat fest.
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Die Gegenmeinung, die – so auch das Landgericht – im wesentlichen auf den Wortlaut
des Beiordnungsbeschlusses abstellt, verkennt, dass die Formulierung nur den
Gesetzeswortlaut des § 68 b Abs. 1 StPO wiederholt. Gebührenrechtliche Folgerungen
können daran nicht geknüpft werden. Die Beistandsleistung für den Zeugen nach § 68b
StPO in der Hauptverhandlung ist die gebührenrechtliche "Angelegenheit", auf die die
Tätigkeit von vorneherein gerichtet ist, mehr wird vom Anwalt nicht verlangt. Deswegen
kann seine Tätigkeit nicht lediglich als Einzeltätigkeit angesehen werden.
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Der Senat verkennt nicht, dass diese Auffassung den Anwendungsbereich von VV 4301
Z 4 einschränkt, etwa auf den (von Burhoff a.a.O. gebildeten) Fall, dass ein
Rechtsanwalt "vom Gerichtsflur weg" einem Zeugen beigeordnet wird und sich seine
gesamte Tätigkeit auf die Beistandsleistung im Gerichtssaal beschränkt. So liegt der
Fall hier aber nicht. Denn aus den Akten geht hervor, dass – nachdem die erste
Vernehmung des Zeugen ( offenbar mangels eines für erforderlich gehaltenen
Beistands ) abgebrochen worden war –der Vorsitzende der Strafkammer die
Beschwerdeführerin bereits telefonisch zum Beistand bestellt und zu dem
(Vernehmungs-)Termin am 01.03.2006 geladen worden ist.
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Die der Beschwerdeführerin zustehende Vergütung entfällt auch nicht deshalb, weil sie
in dem zuvor gegen den Zeugen geführten Strafverfahren als dessen Pflichtverteidigerin
tätig war. Es handelt sich insoweit gebührenrechtlich um zwei voneinander zu
unterscheidende Angelegenheiten, die getrennt abzurechnen sind.
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Die Beschwerdeführerin kann hiernach zunächst die Grundgebühr nach VV 4100, 4101
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iHv 162 € beanspruchen. Da der Zeuge in der Justizvollzugsanstalt Köln inhaftiert war,
steht der Beschwerdeführerin die Gebühr einschließlich des Haftzuschlags zu.
Darüber hinaus ist – ebenfalls mit Haftzuschlag – die Terminsgebühr nach VV
4114,4115 iHv 263 € angefallen.
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Des weiteren sind die Gebührenansprüche der Beschwerdeführerin – nicht anders als
bei einem Verteidiger – auch wegen der Postpauschale gemäß VV 7002 iHv 20 € sowie
wegen Fahrtkosten und Abwesenheitsgeld nach VV 7003, 7005 iHv 24 € bzw. 20 €
berechtigt.
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Unter Hinzurechnung der Umsatzsteuer mit dem nach dem Zeitpunkt der
Leistungsausführung maßgeblichen Satz von 16 % (vgl. § 13 Abs. 1 Ziff.1 UStG, s. auch
Hartmann, Kostengesetze, 37. Aufl., Randnr. 14 zu VV 7008) ergeben sich hiernach
Gebühren von insgesamt 567,24 €, die zugunsten der Beschwerdeführerin festzusetzen
sind.
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Ohne Erfolg bleibt das Rechtsmittel hinsichtlich der Verfahrensgebühr. Sie ist nach dem
Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht angefallen.
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Der Senat hat zur Abgrenzung von Grund- und Verfahrensgebühr mit Beschluss vom
17.01.2007 – 2 Ws 8/07 – folgendes ausgeführt :
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"Die durch das RVG eingeführte, im früheren Gebührenrecht nicht enthaltene
Verfahrensgebühr muß im systematischen Zusammenhang mit der Grundgebühr
nach VV Nr. 4100 gesehen werden. Letztere entsteht "für die erstmalige
Einarbeitung in den Rechtsfall". Mit ihr soll der Arbeitsaufwand abgegolten werden,
der ein- und erstmalig mit der Übernahme des Mandats entsteht. Die Grundgebühr
ist in ihrem sachlichen Geltungsbereich abzugrenzen von der Verfahrensgebühr,
mit der das Betreiben des Geschäfts im gerichtlichen Verfahren honoriert wird,
sofern hierfür keine besonderen Gebühren vorgesehen sind, zu denen auch die
Grundgebühr zählt (vgl zum Nebeneinander der beiden Gebührentatbestände
näher : Burhoff, RVG, Straf-und Bußgeldsachen, Randnr. 1 ff zu VV Nr. 4106;
Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 16. Aufl.,Randnr. 77 ff zu VV
Nr. 4100-4105; Hartmann, Kostengesetze, 36. Aufl., Randnr. 1 ff zu VV Nr. 4106,
4107).
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Nach der Gesetzesbegründung ( vgl BT-Drucks. 15/1971, S.222) gehören zum
Katalog der von der Grundgebühr erfaßten Tätigkeiten
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das – pauschal und überschlägig beratende – erste Mandantengespräch,
die erste Beschaffung der erforderlichen Informationen, wozu auch die erste
Akteneinsicht zählt,
sämtliche übrige Tätigkeiten, die in zeitlichem Zusammenhang mit der Übernahme
des Mandats anfallen, wozu telefonische Anfragen zum Sachstand bei der
Staatsanwaltschaft oder bei Gericht gehören können.
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Die Gesetzessystematik bedingt, dass die Verteidigertätigkeit nach der
Mandatsübernahme über die beschriebenen Tätigkeiten hinausgehen muß, um die
Verfahrensgebühr zur Entstehung zu bringen. Ansonsten verbliebe für die
Grundgebühr kein eigenständiger Anwendungsbereich."
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Die Beschwerdeführerin hat über die erstmalige Einarbeitung hinausgehende
Tätigkeiten, die nach dem dargelegten Verständnis geeignet wären, die gerichtliche
Verfahrensgebühr auszulösen, nicht ausreichend dargetan.
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Der Zeitraum zwischen der am 22.02.2006 erfolgten Terminsabsprache und dem
Vernehmungstermin am 01.03.2006 dürfte der Beschwerdeführerin kaum Zeit gelassen
haben, um über die erste Beratung hinausgehende Tätigkeiten zu erbringen. Ihr
Informationsbedarf dürfte ohnehin weitgehend gedeckt gewesen sein, weil sie mit dem
Sachverhalt aufgrund der vorangegangenen Pflichtverteidigung des Zeugen im
wesentlichen bereits vertraut war.
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An einer substantiierten Darstellung, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte,
fehlt es.
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