Urteil des OLG Köln vom 27.12.2005

OLG Köln: beschränkung, rechtskraft, bedrohung, gesamtstrafe, beleidigung, nötigung, fahrlässigkeit, zustand, straftat, anfechtung

Oberlandesgericht Köln, 83 Ss 72/05
Datum:
27.12.2005
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
83 Ss 72/05
Tenor:
Unter Verwerfung des weitergehenden Rechtsmittels wird das
angefochtene Urteil auf die Revision hinsichtlich
- der Änderung des Schuldspruchs,
- der Einzelstrafen zu den Fällen 2., 3. und 4. der Anklage sowie
- der Gesamtstrafe
mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der
Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs wird die Sache zur erneuten
Verhandlung und Entscheidung - auch ü-ber die Kosten der Revision -
an eine andere Strafkammer des Landgerichts Bonn zurückverwiesen.
Die dem Schuldspruch des amtsgerichtlichen Urteils angefügte Liste der
angewendeten Vorschriften wird wie folgt berichtigt: §§ 185, 240, 241,
23, 53 StGB.
G r ü n d e
1
I.
2
Das Amtsgericht Bonn hat den Angeklagten durch Urteil vom 07. März 2005 wegen
Bedrohung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit versuchter Nötigung,
sowie wegen Beleidigung "mittels einer Tätlichkeit" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
acht Monaten verurteilt. Die hiergegen eingelegte Berufung des Angeklagten ist auf den
Rechtsfolgenausspruch beschränkt worden.
3
Mit Urteil vom 06. Juni 2005 hat das Landgericht Bonn die erstinstanzliche
Entscheidung aufgehoben und den Tenor wie folgt neu gefasst: "Der Angeklagte wird
wegen Bedrohung in drei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung, zu einer
Gesamtstrafe von sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt".
4
Dagegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der die Verletzung materiellen
5
Rechts gerügt wird.
II.
6
Das zulässige Rechtsmittel ist begründet.
7
Das angefochtene Urteil kann (schon deshalb) keinen Bestand haben, weil das
Landgericht bei der vorgenommenen Abänderung des Schuldspruchs durch
abweichende eigene Sachentscheidung und Beschränkung der Strafverfolgung in die
(Teil-)Rechtskraft des amtsgerichtlichen Urteils eingegriffen hat, die aufgrund der
Berufungsbeschränkung eingetreten war, und weil es damit zugleich der von ihm allein
noch zu treffenden Rechtsfolgenentscheidung die rechtlich verbindliche Grundlage
entzogen hat. Es bedarf daher der Aufhebung des Berufungsurteils zur
Wiederherstellung des rechtskräftig gewordenen Schuldspruchs aus dem Urteil vom 7.
März 2005, auf dessen Grundlage nach Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz
eine neue tatrichterliche Rechtsfolgenentscheidung zu treffen sein wird (§§ 353, 354
Abs. 2 StPO).
8
1.
9
Die Beschränkung der Berufung auf das Strafmaß war wirksam (zur diesbezgl.
Prüfungspflicht des Revisionsgerichts vgl. BGHSt 27, 70 [72] = NJW 1977, 442 = VRS
52, 265 [266]; BayObLG NStZ 1999, 514 [515] u. NStZ 2000, 210 [211]; st.
Rechtsprechung des Senats: SenE v. 14.10.1988 - Ss 581/88 = NStZ 1989, 90 [91] =
MDR 1989, 284; SenE v. 20.08.1999 - Ss 374/99 - = VRS 98, 140 [142]; zuletzt SenE
vom 15.11.2005 - 82 Ss 64/05 -; Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 318 Rdnr. 33). Denn
die Feststellungen des Amtsgerichts lassen den Unrechts- und Schuldgehalt der in
Realkonkurrenz angenommenen vier Taten (Fall 1: Bedrohung der Geschädigten am
08. November 2004 im Gerichtssaal; Fall 2: Bedrohung auf der gemeinsamen Rückfahrt;
Fall 3: anschließendes Anspucken ins Gesicht; Fall 4: Bedrohung am 09. November
2004, nach der Rechtsauffassung des Amtsgerichts in Tateinheit mit versuchter
Nötigung) hinreichend erkennen. Sie bilden deshalb eine genügend sichere Grundlage
für die Rechtsfolgenentscheidung (vgl. hierzu BGHSt 33, 59; SenE v. 22.01.1999 - Ss
616/98 - = NStZ-RR 2000, 49; SenE v. 20.08.1999 - Ss 374/99 - = VRS 98, 140 [142 f.];
SenE v. 28.09.1999 - Ss 390/99 - = VRS 98, 122 [123]; Meyer-Goßner a.a.O. § 318
Rdnr. 16 m.w.N.).
10
Dabei kann dahinstehen, ob der Schuldspruch des Amtsgerichts in jeder Hinsicht als
rechtlich unbedenklich gelten kann. Eine wirksame Berufungsbeschränkung ist nämlich
nicht etwa schon dann ausgeschlossen, wenn geltendes Recht falsch angewendet
worden sein sollte (BGH NStZ 1996, 352 [353]; Meyer-Goßner a.a.O. § 318 Rdnr. 17 a).
Eine fehlerhafte Subsumtion hindert die Wirksamkeit der Beschränkung grundsätzlich
nicht (BGHR StPO § 344 I Beschränkung 1; BGH MDR 1996, 551 m. w. Nachw.; Ruß,
in: Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Aufl., § 318 Rdnr. 7 a; SenE v. 29.06.1999 - Ss
273/99 -; SenE v. 20.08.1999 - Ss 351/99 -; SenE v. 19.06.2001 - Ss 231/01 -; vgl. a.
BayObLG NStZ-RR 2004, 336 [337]), so namentlich wenn fehlerhaft Tatmehrheit statt
Tateinheit angenommen worden sein sollte (BGH NStZ-RR 1996, 267 L; BayObLG
NStZ 1988, 570).
11
2.
12
Aufgrund der wirksamen Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch
ist der Schuldspruch des Amtsgerichts mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen
in Rechtskraft erwachsen (vgl. BGHSt 10, 71 [72]; Ruß a.a.O. § 318 Rdnr. 7). Die davon
ausgehende Bindungswirkung hat das Landgericht nicht beachtet, obwohl es selbst von
einer eingeschränkten Anfechtung des erstinstanzlichen Urteils ausgegangen ist.
13
a)
14
Rechtsfehlerhaft ist daher zum einen, dass es als Folge der Berufungsbeschränkung
lediglich angenommen hat, es könne auf die Sachverhaltsfeststellungen des
Amtsgerichts "zurückgreifen". Indessen war es nicht nur an die tatsächlichen
Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils gebunden. Es war ihm vielmehr auch
verwehrt, in eigener Verantwortung erneut über die Frage zu entschieden, ob die
festgestellten Tatsachen die gesetzlichen Merkmale einer Straftat (vgl. § 267 Abs. 1
StPO) erfüllen. Hat das Berufungsgericht den Umfang der Beschränkung verkannt und
trotz einer wirksamen Beschränkung auch zu dem in Rechtskraft erwachsenen
Schuldspruch entschieden, so ist sein Urteil insoweit aufzuheben (so schon SenE vom
13.01.1995 - Ss 593/94 - in einem Fall unzulässiger Schuldspruchänderung -
Fahrlässigkeit statt Vorsatz - zu Gunsten des Angeklagten; SenE v. 26.10.1995 - Ss
547/95 -; SenE v. 02.08.2002 - Ss 306/02 -; SenE v. 19.04.2002 - Ss 154-155/02 -;
BayObLG VRS 73, 384; Bessel, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 327 Rdnr. 18;
Ruß a.a.O. § 327 Rdnr. 11; Frisch, in: Systematischer Kommentar zur StPO, § 327 Rdnr.
26, 27; Dölling, in: Alternativ-Kommentar StPO, § 327 Rdnr. 7; Meyer-Goßner a.a.O. §
327 Rdnr. 9 und § 352 Rdnr. 4). Nur so kann der richtige Zustand wieder hergestellt
werden, wenn das Berufungsgericht in der Nachprüfung zu weit gegangen ist (Meyer-
Goßner a.a.O. § 352 Rdnr. 4).
15
b)
16
Rechtsfehlerhaft ist zum anderen, dass die Strafkammer zu Fall 4. der Anklage den im
Schuldspruch des Amtsgericht enthaltenen Vorwurf der tateinheitlich begangenen
versuchten Nötigung in Anwendung des § 154 a StPO von der Strafverfolgung
ausgenommen hat. Auch daran war sie als Folge der Rechtskraft des amtsgerichtlichen
Schuldspruchs gehindert. Grundsätzlich ist eine solche Beschränkung zwar auch noch
in der Rechtsmittelinstanz und selbst nach Zurückverweisung durch das
Revisionsgericht möglich. Jedoch scheidet sie bereits mit Eintritt der so genannten
horizontalen Rechtskraft aus. Denn damit sind für das Rechtsmittelgericht und den
neuen Tatrichter der Schuldspruch und die ihn bestimmenden, auch nur den
Schuldumfang konkretisierenden Feststellungen bindend geworden. Jede
Stoffbeschränkung nach § 154 a StPO würde aber einen Eingriff in diesen bindenden
Teil der Entscheidung und der Feststellungen zur Folge haben (Rieß, in: Löwe-
Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 154 a Rdnr. 24; vgl. ferner Schöch, in: Alternativ-
Kommentar StPO, § 154 a Rdnr. 17; KMR-Plöd § 154 a Rdnr. 15; Weßlau, in:
Systematischer Kommentar zur StPO, § 154 a Rdnr. 26).
17
3. Bedingt durch diese Mängel kann die Rechtsfolgenentscheidung des
Berufungsgerichts ebenfalls keinen Bestand haben, soweit es die Einzelstrafen zu den
Fällen 2., 3. und 4. der Anklage sowie die Gesamtstrafe betrifft.
18
a)
19
Im Zuge der unzulässigen Entscheidung zur Schuldfrage hat das Landgericht den
rechtskräftigen Schuldspruch des Amtsgerichts dahin abgeändert, dass die Beleidigung
(Fall 3. d. Anklage) mit dem zweiten Fall der Bedrohung (Fall 2. d. Anklage)
tateinheitlich zusammentreffe. Damit hat sie der Rechtsfolgenbemessung zu diesem
Komplex die rechtlich gebotene Grundlage entzogen. Gleiches gilt für den
Strafausspruch zu Fall 4. d. Anklage (Vorgang vom 09.11.2004), dem ebenfalls als
Folge der Ausklammerung nach § 154 a StPO nicht der rechtskräftige Schuldspruch
zugrunde gelegt worden ist.
20
b)
21
Die Aufhebung der Einzelstrafen zu den Fällen 2. bis 4. hat zur Folge, dass auch die
gebildete Gesamtstrafe keinen Bestand haben kann.
22
4.
23
Ohne Auswirkung bleibt die Entscheidung der Strafkammer zur Schuldfrage hingegen,
soweit es die Einzelstrafe zu Fall 1. der Anklage betrifft. Denn bezogen darauf ist sie bei
ihrer Rechtsfolgenentscheidung nicht von der rechtlichen Bewertung des Sachverhalts
durch das Amtsgericht abgewichen. Da auch die daran anschließenden
Strafzumessungserwägungen keinen rechtlichen Bedenken begegnen, ist die Revision
zu verwerfen, soweit sie sich gegen diesen Teil des Berufungsurteils richtet (§ 349 Abs.
2 StPO).
24
5.
25
Der Senat nimmt Gelegenheit, die dem Schuldspruch des Amtsgericht angefügte Liste
der angewendeten Vorschriften wegen eines offensichtlichen Schreibversehens zu
berichtigen ("§§ ... 53, 53 StGB") und für die neue Hauptverhandlung auf Folgendes
hinzuweisen:
26
Soweit dem Angeklagten Bewährungsversagen als Strafschärfungsgrund
entgegengehalten werden soll, müssen die Urteilsgründe ausweisen, dass die
abzuurteilende Tat während laufender Bewährungszeit(en) begangen worden ist. Da
die Bewährungszeit gemäß § 56 a Abs. 2 S. 1 StGB mit der Rechtskraft der
Entscheidung über die Strafaussetzung beginnt, ist festzustellen, wann hinsichtlich der
früheren Entscheidung(en) die Rechtskraft eingetreten ist
27