Urteil des OLG Köln vom 19.11.1997

OLG Köln (kläger, mutter, diabetes mellitus, beurteilung, entlassung, zeitpunkt, zustand, auskunft, interesse, stgb)

Oberlandesgericht Köln, 5 U 93/97
Datum:
19.11.1997
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 U 93/97
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 25 O 250/95
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 25. Zivilkammer des
Landgerichts Köln vom 26.03.1997 - 25 O 250/95 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Das Urteil
ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die zulässige Berufung des Klägers bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Landgericht
hat mit zutreffender Begründung zu Recht Ansprüche des Klägers gegenüber den
Beklagten verneint. Auf die landgerichtlichen Ausführungen wird zur Vermeidung von
Wiederholungen in erster Linie Bezug genommen.
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Ergänzend ist im Hinblick auf das Berufungsvorbringen Folgendes auszuführen:
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Dem Kläger stehen keine Ansprüche aus eigenem Recht zu. Vertragliche Beziehungen
haben zwischen dem Kläger und den Beklagten unstreitig nicht bestanden. Auch die
Voraussetzungen für eigene deliktische Ansprüche des Klägers sind nicht ersichtlich.
Die Voraussetzungen eines insoweit allenfalls in Betracht zu ziehenden Anspruches
gemäß § 826 BGB sind in keiner Weise dargetan.
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An einen solchen Anspruch könnte allenfalls dann gedacht werden, wenn die Beklagten
durch bewußt und vorsätzlich falsche Angaben über den Gesundheitszustand der Mutter
des Klägers und deren Transportfähigkeit den Kläger als Betreuer in einer als
sittenwidrig zu wertenden Weise veranlaßt hätten, die höheren Kosten für ein
Ambulanzflugzeug aufzubringen statt der niedrigeren Kosten für ein - im konkreten Fall
ausreichendes - Linienflugzeug. Für eine dahingehende bewußte Irreführung sind
jedoch nicht die mindesten Anhaltspunkte ersichtlich.
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Dem Kläger stehen aber auch keine Ansprüche aus übergegangenem Recht aufgrund
Gesamtrechtsnachfolge nach der Erblasserin, seiner Mutter, zu.
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Insbesondere ist den Beklagten keine Verletzung sich aus dem Behandlungsvertrag mit
der Mutter des Klägers ergebender Nebenpflichten vorzuwerfen.
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Die seitens der beklagten Ärzte erteilte Auskunft, die Patientin sei in einem
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Linienflugzeug nicht transportfähig, sondern könne allenfalls individuell mit einem
Ambulanzflugzeug nach S. befördert werden, beruhte ersichtlich auf einer
medizinischen Beurteilung des akuten Gesundheitszustandes der Mutter des Klägers.
Im Rahmen dieser medizinischen Beurteilung des Zustandes und der Transportfähigkeit
der Patientin stand den behandelnden Ärzten ein individueller Beurteilungsspielraum
zu. Die behandelnden Ärzte waren gehalten, die die Patientin betreffenden Befunde
gemäß medizinischem Kenntnisstand und Behandlungsstandard auszuwerten und
hiernach die Transportfähigkeit der Patientin zu beurteilen. Ein Vorwurf könnte aus einer
solchen Beurteilung gegenüber den behandelnden Ärzten nur dann hergeleitet werden,
wenn diese ein klares Krankheitsbild verkannt hätten und deshalb gänzlich
unzutreffende Rückschlüsse auf die Transportfähigkeit der Patientin gezogen hätten.
War hingegen ihre Beurteilung der akuten Symptomatik und der sich daraus
ergebenden Konsequenzen für die Transportfähigkeit der Patientin medizinisch
vertretbar und diente sie dem wohlverstandenen Interesse der Patientin, so kann
hieraus kein Vorwurf gegenüber den Beklagten hergeleitet werden.
Nach dem Ergebnis der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme, dem Inhalt
der vorliegenden Behandlungsunterlagen und dem sich hieraus ergebenden Zustand
der Patientin war die Auskunft der Ärzte über eine fehlende Transportfähigkeit in einem
Linienflugzeug medizinisch ohne weiteres vertretbar bzw. sogar naheliegend und
sachgerecht und diente ausschließlich den gesundheitlichen Interessen der Patientin.
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Dies ergibt sich mit Deutlichkeit aus dem Gutachten des erstinstanzlichen
Sachverständigen Prof. Dr. M., der unter eingehender Auswertung der vorliegenden
Behandlungsunterlagen darauf hingewiesen hat, daß der Gesamtzustand der Patientin
während des Krankenhausaufenthaltes nach ihrem Schlaganfall und zum Zeitpunkt der
Entlassung schlecht war und auch die Prognose als ungünstig eingestuft wurde, was
sich letztlich auch durch den kurze Zeit nachfolgenden Tod der Patientin im Dezember
1992 bestätigt hat. Vor diesem Hintergrund ist es ohne weiteres nachvollziehbar, wenn
der Sachverständige zu dem Ergebnis gelangt ist, daß aufgrund des schlechten
Gesamtzustandes der Patientin ein Transport in einer Linienmaschine aus ärztlicher
Sicht nicht sinnvoll schien, zumal auch die Patientin nach ihrem Zustand bei Entlassung
keine der Voraussetzungen erfüllte, die zum Beispiel gemäß schriftlicher Auskunft der L.
vom 02.07.1996 grundsätzlich bei einem Krankentransport auf einer einfachen Trage zu
stellen sind. Nach der Auskunft der L. AG ist bei einer solchen Beförderung nämlich zu
fordern, daß der Patient bewußtseinsklar ist, Herzrhythmusstörungen oder
Stoffwechselstörungen wie ein Diabetes mellitus nicht vorliegen, ferner Harn- und
Stuhlkontinenz zu fordern sind und auch das Schluckvermögen nicht beeinträchtigt sein
darf. Der Sachverständige hat zu Recht darauf hingewiesen - und dies ergibt sich auch
aus den vorliegenden Behandlungsunterlagen - daß die Mutter des Klägers bei
Entlassung keine der aufgeführten Voraussetzungen erfüllte.
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In dem Arztbericht vom 06.01.1993 heißt es nämlich zum Beispiel zur Auswertung des
EKG vor Entlassung: "Linkstyp, absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern, Frequenz
100/je Minute, Kammerendteile nur mit diskreten linksventrikulären Störungen der
Erregungsrückbildung." Insbesondere die vorgenannte Arrhythmie bei Vorhofflimmern,
ein in hohem Maße pathologischer Zustand, erweist zur Genüge, daß jedenfalls die
Beförderung in einem normal besetzten Linienflugzeug mit Geräuschkulisse wie
Lautsprecherdurchsagen, Unruhe, geeignet erscheinen mußte, ungünstige, wenn nicht
sogar gefährdende Auswirkungen auf den Gesundheitszustand der Patientin zu
nehmen.
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Auch wenn der Sachverständige unter vorsichtiger Ausdrucksweise lediglich festgestellt
hat, daß aufgrund dieses schlechten Gesamtzustandes ein Transport in einer
Linienmaschine medizinischerseits nicht "sinnvoll" erscheine, so zeigt dies gleichwohl
zur Genüge, daß die Annahme der behandelnden Ärzte, die Patientin sei nur in einem
Ambulanzflugzeug transportfähig, aus medizinischer Sicht mit guten Gründen ohne
weiteres vertretbar war und keine Verkennung der tatsächlichen gesundheitlichen
Situation der Patientin erkennen ließ. Daß der Zustand der Patientin in der Tat denkbar
schlecht war, ergibt sich im übrigen aus dem bereits erwähnten Umstand, daß sie
weniger als 2 Monate später in S. bereits verstorben ist. Gerade bei einem Patienten mit
Vorhofflimmern besteht jederzeit die Möglichkeit des Eintritts einer Notfallsituation,
insbesondere zum Beispiel bei veränderlichen Luftdruckverhältnissen.
Luftdruckschwankungen sind in einer Kabine eines Linienflugzeugs aber stets möglich.
Sie stellen für den Kreislauf bzw. den Organismus stets einen hohen Belastungszustand
dar mit der Folge der Gefahr einer Kreislaufdekompensation, welcher Notfallsituation in
einem vollbesetzten Linienflugzeug schwerlich zu begegnen wäre.
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Nach allem war die dem Kläger gegenüber vertretene Ansicht der behandelnden Ärzte,
daß die Patientin nicht in einem Linienflugzeug, sondern lediglich in einem
Ambulanzflugzeug transportfähig sei, aus medizinischer Sicht mit guten Gründen
vertretbar bzw. sogar naheliegend und lag im wohlverstandenen Interesse der Patientin.
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Auch auf den Kläger übergangene deliktische Ansprüche gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB,
239 StGB sind unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ersichtlich. § 239 StGB ist nur als
Vorsatztat strafrechtlich relevant. Im übrigen würde die bloße verbale Ankündigung, man
werde die Patientin unter bestimmten Umständen nicht herausgeben, für sich alleine
noch nicht ausreichen, um den Tatbestand der Freiheitsberaubung zu erfüllen.
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Die Voraussetzungen des § 240 StGB sind ebenfalls nicht ersichtlich. Gerade weil die
Erklärung der behandelnden Ärzte, die Patientin sei nur in einem Ambulanzflugzeug
transportfähig, medizinisch vertretbar war und dem gesundheitlichen Interesse der
Patientin diente, war das Verhalten der behandelnden Ärzte in keiner Weise verwerflich.
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Zusätzlich ist dem gesamten Vortrag des Klägers eine ernstliche Weigerung der
Beklagten, die Verstorbene "herauszugeben" jedenfalls für die Zeit nach dem
17.11.1996, also nach Bestellung des Klägers zum Betreuer seiner Mutter, nicht
dargetan.
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Der Arzt Dr. G. hat dahingehende ausdrückliche Erklärungen der behandelnden Ärzte
jedenfalls für die Zeit nach dem 17.11.1996 nicht bekundet. Vielmehr hat er erklärt, er
persönlich habe überhaupt nicht mit den Beklagten gesprochen. Er hätte dies ersichtlich
auch gar nicht tun können, weil er nach seiner eigenen Erklärung der deutschen
Sprache nicht mächtig ist und nicht dargetan ist, daß die beklagten Ärzte in der Lage
gewesen wären, sich in S. Sprache zu verständigen.
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Im übrigen hat der Kläger auch nicht substantiiert vorgetragen, zu welchem Zeitpunkt
und durch welche Person seines ärztlichen Dienstes in S. mit den Beklagten mit
welchem konkreten Inhalt über die Transportfähigkeit der Mutter des Klägers konferiert
worden sein soll. Der dahingehende Vortrag des Klägers ist überaus pauschal und läßt
konkrete Anhaltspunkte vermissen. Auch die vom Landgericht vernommene Ehefrau des
Klägers hat keine konkreten Angaben dazu machen können, zu welchem Zeitpunkt die
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behaupteten Äußerungen der beklagten Ärzte gefallen sein sollen. Insbesondere kann
ihrer Aussage nicht entnommen werden, daß die Beklagten eine "Herausgabe" der
Patientin noch nach dem Zeitpunkt verweigert haben, zu welchem der Kläger zum
Betreuer für seine Mutter bestellt worden war.
Nach allem war mangels vertraglicher und deliktischer Ansprüche die Berufung des
Klägers mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziffer 10, 713
ZPO.
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Berufungsstreitwert und Wert der Beschwer des Klägers: 21.033,00 DM.
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